L 13 RA 18/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 25 RA 295/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RA 18/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. Februar 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger anstelle der im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit Anspruch auf Gewährung wegen voller Erwerbsminderung hat.

Der 1949 geborene Kläger, der bis 1998 mit Unterbrechungen als kaufmännischer Angestellter tätig gewesen ist, beantragte am 28.01.2002 Rente wegen Erwerbsminderung. Er stützte seinen Antrag in erster Linie auf ein Attest des Arztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. C, L, vom 7.12.2001, wonach sich der Kläger wegen einer chronischen, massiven reaktiven Depression mit psychovegetativer Erschöpfung in seiner kontinuierlichen nervenärztlichen Behandlung befinde. Auslöser und Ursache hierfür sei die Betreuung und Pflege seiner schwer erkrankten Ehefrau, die seit einem ausgedehnten Schlaganfall mit kompletter Sprachstörung auf Dauer auf die Hilfe des Klägers angewiesen sei. Es müsse von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit ausgegangen werden.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Facharztes für Nervenheilkunde und Psychotherapie Dr. I, M, vom 4.5.2002 ein. Dieser diagnostizierte ein neurasthenisches Syndrom sowie eine depressive Reaktion und hielt den Kläger noch für fähig, vollschichtig körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung zu verrichten.

Durch Bescheid vom 3.6.2002 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag ab. Zur Begründung seines dagegen eingelegten Widerspruchs machte der Kläger geltend, wegen der Betreuung seiner Ehefrau und der dadurch bedingten stressigen Situation sei er psychisch nicht in der Lage, einer sinnvollen und fruchtbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Beklagte holte einen Befundbericht des Dr. C, der Fachärztin für Hautkrankheiten Dr. L sowie des Arztes für Innere Medizin Dr. H ein. Sodann wurde ein weiteres Gutachten von dem Internisten und Sportmediziner Dr. I2, Q, vom 12.9.2002 erstellt. Dieser Gutachter stellte folgende zusätzliche Diagnosen: Typ II Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Psoriasis vulgaris. Der Kläger wurde weiterhin für fähig gehalten, mehr als 6 Stunden werktäglich im zuletzt ausgeübten Beruf tätig zu sein.

Mit Bescheid vom 20.11.2002 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der am 18.12.2002 zum Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Eine ambulante Psychotherapie könne ihm nicht helfen, weil sich an der Situation seiner Ehefrau nichts ändern werde. Seiner Ehefrau sei die Pflegestufe 1 zugebilligt worden. Es müsse auf seine persönliche Lebenssituation in dieser Familie Rücksicht genommen werden. Weil er seine schwer- behinderte Frau über 24 Stunden täglich betreue und bis an die Grenze der physischen und psychischen Erschöpfbarkeit für sie tätig sei, könne er nicht mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein. Während einer Erwerbstätigkeit über einen solchen Zeitraum würden seine Gedanken immer durch die Sorge durch seine Ehefrau bestimmt sein, so dass ihm nicht mal die Erledigung einfacher stressfreier Bürotätigkeiten möglich sei. Zudem lasse er seine Ehefrau so gut wie nicht alleine. Er nehme sie im Auto mit auf Besorgungen, zu Besuchen in der Anwalts- kanzlei oder auch zu Arztbesuchen, die nur ihn beträfen. Es gebe aber keinen Arbeitsplatz, an dem es ihm möglich sei, seine Ehefrau um sich zu haben und ständig auf sie aufzupassen. Deshalb sei er nicht nur teilweise in der Erwerbsfähigkeit gemindert sondern in vollem Umfang.

Das Sozialgericht hat zur Sachaufklärung zunächst Befund- und Behandlungsberichte eingeholt und sodann Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. H1, L. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 11.08.2003 zu folgendem Ergebnis gelangt: Seitens des neurologisch-psychiatrischen Fachgebiets bestehe eine ausgeprägte asthenisch-labile Persönlichkeitsstruktur mit depressiver Anpassungsstörung bedingt durch schicksalhafte familiäre Ereignisse. Der Kläger wäre bezogen auf ein positives und negatives Leistungsbild noch in der Lage, einfache stressfreie berufliche Tätigkeiten auszuüben sofern diese nicht mit vermehrter Verantwortlichkeit einhergingen, keine Notwendigkeit an interaktionale Kompetenz stellten und in einer Arbeitsumgebung aufliefen, in der Konfliktfähigkeit in Teams nicht gefordert sei. Aus körperlicher Sicht sei die Leistungsfähigkeit seitens des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes nicht eingeschränkt. Es sei jedoch auch die Lebenssituation des Klägers zu berücksichtigen, der seinen gesamten Lebensrahmen darauf abgestellt habe, seine schwerbehinderte Frau zu betreuen. Ob es zumutbar sei, sich dieser Verpflichtung zu entziehen, um eine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu suchen, könne nicht ärztlich, sondern nur sozialrechtlich beantwortet werden.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 16.2.2002 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne er vollschichtig zumindest noch körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne vermehrte Verantwortung sowie ohne Anforderungen an interaktionale Kompetenz oder Konfliktfähigkeit in Teams verrichten, z.B. als Verwaltungsangestellter für Bürohilfstätigkeiten im kaufmännischen Bereich oder in Behörden. Die Tatsache, dass der Kläger sich in der Vergangenheit vermehrt um den ehelichen Haushalt gekümmert habe und deshalb seit 1980 nur 30 Stunden wöchentlich in seinem Beruf tätig gewesen sei, sei für das Rentenverfahren ebenso irrelevant wie die Tatsache, dass die Ehefrau des Klägers 100 % schwerbehindert sei und der dauernden Pflege bedürfe. Ob ein Versicherter erwerbsgemindert ist, beurteile sich allein nach den bei ihm vorliegenden (nachgewiesenen) Krankheiten bzw. Behinderungen und der daraus resultierenden Einschränkung der Leistungsfähigkeit, nicht jedoch nach der persönlichen Familiensituation des Einzelnen. Sofern nämlich auf Letztere abzustellen wäre, müsse allen Müttern oder Vätern mit von diesen zu betreuenden Kleinkindern bereits aufgrund dieser familiären Verpflichtung Erwerbsminderungsrenten gewährt werden.

Gegen das am 29.3.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.04.2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus: Sozialrechtlich sei es im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unzumutbar, von ihm zu verlangen, sich seiner Betreuungsverpflichtung zu entziehen. Im Übrigen müsse seine depressive Verstimmtheit unweigerlich dazu führen, dass er ein Arbeitsverhältnis nicht mehr ordnungsgemäß ausführen werde. Seine Gedanken würden immer bestimmt sein durch die Sorgen um seine Ehefrau. Insofern sei ihm der Arbeitsmarkt verschlossen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.2.2000 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3.6.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2002 zu verurteilen, ihm ab 1.2.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ausschließlich eine Leistungseinbuße wegen Krankheit oder Behinderung könne eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auslösen, nicht aber private Belastungen oder Sorgen, aus welchem positiven Motiven heraus auch immer. Soweit Dr. H1 eine beeinträchtigte affektive Modulationsfähigkeit und dysthyme Einengung beim Kläger beschrieben habe, sei dieser mit der Anerkennung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ausreichend Rechnung getragen worden. Bei einfachen stressfreien Routinearbeiten mache es nichts aus, wenn der Kläger sich auch noch Sorgen um seine Ehefrau mache.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeiten haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger ist nicht voll erwerbsgemindert.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.Versicherte nach § 1 S. 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
3. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist nicht voll erwerbsgemindert, weil er nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen des Verwaltungs- und Streitverfahrens weiterhin in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit vollschichtig nachzugehen. Namentlich die von Dr. H1 festgestellten Gesundheitsstörungen - auch affektive Modulationsfähigkeit und dysthyme Einengung - schließen eine solche Tätigkeit nicht aus und die Entscheidung des Klägers, die Pflege seiner Ehefrau umfassend selbst durchzuführen und deshalb keine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ist keines der in § 43 SGB VI genannten und allein zu einer Rentenberechtigung führenden Erwerbshindernisse.

Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Rechtskraft
Aus
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