L 6 VG 3998/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 VG 289/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 3998/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. September 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die am xx. xx 1972 geborene und im Landkreis B. wohnhafte Klägerin ist die dritte und jüngste Tochter ihrer Eltern. Nach der Scheidung ihrer Eltern im April 1983 wurde die elterliche Sorge zunächst der Mutter übertragen. Im Alter von 16 Jahren zog sie zu ihrem damaligen Freund R. S. (im Weiteren: der Schädiger). 1990, im Alter von 17 Jahren, wurde das Sorgerecht für die Klägerin auf ihren Vater übertragen. Nach Abschluss der Hauptschule absolvierte sie eine etwa dreieinhalbjährige Ausbildung zur Industriemechanikerin. Nachdem sie Anfang 1991 ihre Beziehung zu dem Schädiger beendete, zog sie kurzzeitig zurück zu ihrer Mutter, um dann zu ihrem neuen Freund P. S., dem jetzigen Ehemann, zu ziehen. Das Paar heiratete 1997, im gleichen Jahr wurde ihre Tochter geboren. Nach der Geburt der Tochter absolvierte sie eine weiterführende Ausbildung zur Maschinenbautechnikerin. Im Jahr 1999 arbeitete sie dann ca. ein halbes Jahr als Ausbildungskraft in einer Behindertenwerkstatt, seitdem ist sie Hausfrau und Mutter. Ebenfalls 1999 ging sie eine außereheliche Beziehung ein, welche zu einer Schwangerschaft führte. Die Klägerin ließ einen Schwangerschaftsabbruch durchführen und kehrte zu ihrem Ehemann zurück. Die Mutter der Klägerin verstarb im Jahr 2001. Seit 2008 bezieht die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung seitens der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine private Berufsunfähigkeitsrente.

Am 14. Januar 2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem OEG beim Beklagten. Sie leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativer Symptomatik. Dies führe sie auf seelische und körperliche Misshandlung in Kindheit und Jugend, einem sexuellen Missbrauch durch einen Onkel zwischen dem sechsten und dem neunten Lebensjahr sowie eine Vergewaltigung und Bedrohung mit einer Pistole durch den Ex-Freund, den Schädiger, im achtzehnten Lebensjahr zurück. Strafanträge habe sie nicht gestellt. Zahlreiche Symptome hätten bereits in Kindheit und Jugend bestanden, die Symptome der PTBS seit der Erinnerung der Traumata nach der Geburt ihrer Tochter 1997. Zu den einzelnen geschuldigten Vorgängen führte sie aus, ihr Onkel habe zeitweise bei ihnen und dann in der Nachbarschaft gelebt. Als sie ca. 8 Jahre alt gewesen sei, habe der Missbrauch begonnen. Ihr Onkel habe sie mehrfach zu Oralverkehr gezwungen, sie habe sich nackt ausziehen und an den Geschlechtsorganen streicheln lassen müssen. Ihre Mutter habe sie von klein auf regelmäßig mit Rührlöffeln, Teppichklopfern und Gürteln geschlagen. Die Prügel seien für sie meistens nicht vorhersehbar gekommen und hätten meist damit zusammengehangen, dass ihre Mutter Misserfolge gehabt habe. Die Mutter habe sie auch durch Essensverweigerung, Liebesentzug, Ablehnung und Beschimpfung bestraft. Sie habe schon früh Arbeiten ihrer Mutter, etwa an einer Putzstelle, beim Austragen von Zeitungen oder eine Heimarbeit, erledigen müssen. Das Jugendamt habe ihr trotz mehrfacher Anfrage nicht geholfen. Erst als sie mit ihrem Vater mit blutiger Lippe und blauem Auge zum Jugendamt sei, sei ihr mit 16 der Auszug zu ihrem Freund, dem Schädiger, erlaubt worden. Auch dieser habe sie häufig geschlagen. Nach der Trennung mit 18 Jahren sei es dann zu einer Vergewaltigung gekommen. Sie habe nach der Trennung einen Termin mit ihm vereinbart, damit sie noch Sachen aus dessen Wohnung holen konnte. Bei diesem Treffen habe er plötzlich eine Waffe auf sie gerichtet und sie zum Oral- und dann zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Sie habe sich nicht getraut, sich zu wehren. Er habe gedroht, sie umzubringen, wenn sie etwas gegen ihn unternehmen sollte. Ergänzend legte sie eine Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin F. vom 15. Februar 2008 vor. Nach dieser bestehe eine PTBS sowie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativer Symptomatik. Die Klägerin befinde sich seit Januar 2007 bei ihr in ambulanter Psychotherapie. Sie sei in einem sehr schlechten Allgemeinzustand und leide unter Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, innerem Druck und immer wieder stark depressiven Phasen. Diese Symptomatik sei die Folge bzw. stehe im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit, der Misshandlung durch die Mutter sowie einer Traumatisierung als junge Erwachsene durch Vergewaltigung durch den Schädiger. Diese Erlebnisse seien von der Klägerin lange verdrängt worden und seien infolge der Geburt der eigenen Tochter wieder hochgekommen. Seitdem komme es zu Flashbacks und dissoziativen Zuständen. Sie neige dann zu aggressiven Ausbrüchen, sowohl sich selbst als auch ihrer Familie gegenüber. Sie sehe sich nicht in der Lage zu arbeiten, da sie aufgrund ihres psychisch instabilen Zustandes durch die Leistungsanforderungen des Alltags überfordert sei.

Der Beklagte zog darauf eine Leistungsübersicht der Krankenkasse der Klägerin, der B., sowie Behandlungs- und Befundberichte bei. Nach der Gesamtübersicht der Krankenkasse war die Klägerin erstmals im Jahr 2000 wegen psychischer Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig. Am 25. Februar 2000 wurde die Diagnose einer depressiven Episode gestellt. Vom 10. April bis 16. Juni 2000 war die Klägerin wegen einer akuten Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen, einer psychischen und Verhaltungsstörung durch Alkohol arbeitsunfähig. Vom 4. bis zum 25. April 2002 war die Klägerin erneut unter anderem wegen einer rezidivierenden depressiven Störung arbeitsunfähig.

Die Nervenärztin und Psychotherapeutin Dr. N. bestätigte mit Stellungnahme vom 21. April 2008 die bereits von der Psychotherapeutin F. gestellten Diagnosen. Die Klägerin sei ihr seit einigen Jahren bekannt, seit ca. 14 Jahren leide diese unter Flashbacks, seit Geburt ihrer Tochter vor 10 Jahren sei sie selber psychisch auffällig und die Flashbacks hätten zugenommen. Sie sei schon früh von der Mutter misshandelt worden. Diese habe die Misshandlung geleugnet. Die Klägerin habe dann Albträume gehabt, aus denen hervorgegangen sei, dass sie von ihrem Onkel misshandelt wurde. Hierzu legte Dr. N. einen von ihr verfassten Arztbrief vom 20. Dezember 2004 vor. Darin stellte sie die Diagnose eines Verdachts auf ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS). Die Klägerin sei schon als Kind unruhig, unkonzentriert und zappelig gewesen. Dies habe sich in der Erwachsenenzeit fortgesetzt, sie sei dann jahrelang auf Depressionen hin behandelt worden, habe auch Psychotherapie hinter sich, ohne irgendeinen Effekt.

Ausweislich eines Berichts des Prof. Dr. P. des Psychotherapeutischen Zentrums der K.-Klinik B. vom 27. November 2007 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 23. Juli bis zum 23. Oktober 2007 seien die Diagnosen einer PTBS und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativer Symptomatik zu stellen. Die Klägerin habe zu ihren beiden Schwestern keinen Kontakt, die mittlere Schwester sei auch psychisch krank. Sie selbst leide seit 14 Jahren unter Flashbacks. Vor 10 Jahren sei ihre Tochter geboren worden, seither sei sie psychisch auffällig. Es hätten sich Depressionen und Suizidgedanken entwickelt, deswegen sei sie in einer Klinik in A. stationär für sechs Wochen behandelt worden. Bereits vor der Scheidung ihrer Eltern sei sie von ihrer Mutter misshandelt worden, danach hätten die Misshandlungen zugenommen. Nach dem sie die Mutter verlassen habe, sei sie zu ihrem Freund, dem Schädiger, gezogen, der sie ebenfalls misshandelt und geschlagen habe. In der Zeit vom 15. bis 23. Lebensjahr sei sie alkoholabhängig gewesen, habe danach aufgehört Alkohol zu trinken. Ihr Mann arbeite als Werkzeugmacher, sie selbst sei nach bestandener Prüfung als Maschinenbautechnikerin nicht mehr arbeiten gegangen. Es bestünden finanzielle Probleme, etwa 150.000,00 EUR Schulden aus Immobilienangelegenheiten durch ihren Mann. Seit 1999 habe sie keine Suizidgedanken mehr. Selbstverletzungen (Kopf oder Hände gegen Wand oder Bäume schlagen) habe sie ca. seit dem 15. Lebensjahr vorgenommen. Das letzte Mal sei vor etwa drei Monaten aufgetreten, als der Druck sehr stark gewesen sei. Sie berichte, nervlich am Ende zu sein, ihre Stimmung sei häufig explosiv und gereizt, es komme zu depressiven Stimmungstiefs und sie sei rasch erschöpft. Ihr Schlaf sei wenig erholsam und von Alpträumen durchsetzt. Sie erlebe ein chronifiziertes Hyperarousal, intrusive Trauma-Erinnerungen an sexuelle Gewalt, wiederkehrende Migräneanfälle, in größeren Abständen aktive Selbstverletzung. Sie sei hoch dissoziativ. Ihr Denken sei nicht durchgängig stringent, es habe Hinweise auf heftig miteinander interagierende Innenstimmen gegeben. Es werde eher von einer diskreten Ausprägung von Innenanteilen unterschiedlichen Alters ausgegangen, eine dissoziative Störung erscheine diagnostisch nicht gegeben. Die Beschwerden und Symptome hätten sich vor allen Dingen seit 1999 entwickelt. Sie deute an, damals in Kontakt mit verdrängten traumatischen Erinnerungen gekommen zu sein.

Nach dem Bericht des Dr. S., S.-Klinik A., vom 14. Juli 2000 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 2. Mai bis zum 9. Juni 2000 sei eine Anpassungsstörung, eine längere depressive Reaktion, eine Alkoholabhängigkeit, zurzeit abstinent, und ein beginnender Leistenabszess rechts zu diagnostizieren. Die Klägerin berichte seit Jahren psychisch belastet zu sein, sie habe häufig Depressionen und körperliche Erschöpfung. Dann könne sie sich nicht bewegen und müsse im Bett bleiben. In letzter Zeit habe sie Schlafstörungen mit Alpträumen, die unter Therapie mit Stangyl und Cipramil nachgelassen hätten. Seit Jahren habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter. Nach der Geburt der Tochter habe sie eine außereheliche Beziehung gehabt und sei dabei schwanger geworden. Im Dezember 1999 habe sie das Kind abtreiben lassen und sich entschieden, zu ihrem Mann zurückzukehren. Da der Ex-Freund in derselben Firma arbeite wie sie, lasse er sie nicht los und betreibe zeitweise Telefonterror. Diagnostisch liege bei der Klägerin nach den Angaben zur Biographie sowie der Beobachtung in Kontakt- und Beziehungsverhalten eine frühe Störung vor. Zur Aufnahme sei sie vorrangig wegen depressiver Symptomatik gekommen. Die Betrachtung der Lebenssituation habe Konflikte am Arbeitsplatz sowie in der Ehe erbracht. Wesentliche Aspekte der Biographie seien unverarbeitet, die Beziehung zur Tochter ambivalent.

Nach einem für die Deutsche Rentenversicherung B. erstellten neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. M. vom 8. Mai 2008 berichte die Klägerin unter anderem über Erschöpfbarkeit, Verdauungsschwierigkeiten mit Durchfällen, Luftnot, Angstgefühle und Panikattacken, Gefühle der Traurigkeit und Hilflosigkeit. Sie habe Flashbacks, da kämen die Gefühle wieder hoch. Die Bilder und Filme seien momentan nicht so stark. Seit dem 24. Lebensjahr habe sie Angst, Panik und Flashbacks (nach Missbrauchserfahrung). Die Mutter habe Depressionen gehabt. Es sei eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit dissoziativer Symptomatik, eine PTBS und ein vasomotorischer Kopfschmerz zu diagnostizieren. Der Klägerin könnten keinerlei Tätigkeiten mit wirtschaftlichem Wert mehr zugemutet werden.

Auf Anfrage des Beklagten nahm der Neurologe und Psychiater Dr. G. als Versorgungsarzt am 3. Dezember 2008 dahin Stellung, die zeitnächsten Dokumente aus der S.-Klinik und der Bericht der Dr. N. aus dem Jahr 2004 erwähnten bemerkenswerterweise keinerlei Missbrauchstatbestände, sondern eine problematische Kindheit in einer familiären Konstellation, die die frühe Störung mit Persönlichkeitsfehlentwicklung ausreichend erklären könnten. Es seien keine spezifischen Brückensymptome bis Januar 2007 sicher nachweisbar.

Mit Bescheid vom 15. Januar 2009 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Es bestehe zwar die Möglichkeit eines früheren Missbrauchs, ein gesicherter Nachweis hierfür könne aber nicht hergeleitet werden. Nachdem der Beklagte auch den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2009 zurückwies, erhob die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage (S 8 VG 3864/09).

Das SG hörte in einem Erörterungstermin am 22. Juni 2010 den Ehemann der Klägerin, ihre mittlere Schwester T. S. und den Schädiger als Zeugen an. Der Schädiger erklärte unter anderem, die Klägerin habe nichts darüber erzählt, von ihren Eltern geschlagen worden zu sein. Ihre Mutter sei sehr streng zu ihr gewesen, habe sie aber nie angelangt. Sie sei die Lieblingstochter von allen drei Kindern gewesen und habe es besser gehabt als die anderen beiden. Auf die Frage, ob die Klägerin etwas darüber erzählt habe, ob sie während ihrer Kindheit von einem Onkel misshandelt oder vergewaltigt worden sei, gab er an, sie habe mal sowas erzählt, aber das bekomme er nicht mehr zusammen. Er selber habe im Jahr 1990 einen Autounfall erlitten, sei drei Monate im Koma gelegen und sieben Monate im Krankenhaus. Er und die Klägerin hätten sich einmal getrennt, bevor er ins Krankenhaus gekommen sei. Sie seien dann wieder zusammengekommen, als er im Krankenhaus war und hätten sich verlobt. Später hätten sie sich dann wieder getrennt. Er habe eine 6 mm Schreckschusspistole besessen, sonst nichts. Es sei nach der ersten Trennung nicht zu einer Vergewaltigung gekommen. Nach der zweiten Trennung sei die Klägerin noch einmal mit ihrer Schwester T. da gewesen, aber an weitere Einzelheiten könne er sich nicht mehr erinnern. Nach seinem Krankenhausaufenthalt habe sie etwas von einem Schwangerschaftsabbruch erzählt. Die Schwester der Klägerin führte aus, sie seien immer wieder geschlagen worden, außerdem seien die Kinder gegeneinander ausgespielt worden. Wenn sie Arbeiten nicht gemacht hätten, seien sie geschlagen worden. Die Schläge seien von der Mutter ausgegangen, beispielsweise mit Kochlöffeln, Teppichklopfern usw. Zur Häufigkeit könne sie sich nicht mehr so genau erinnern. Aber mit Sicherheit einmal monatlich. Besonders schlimm sei es nach der Scheidung der Eltern geworden. Sie hätten morgens vor der Schule Zeitungen austragen und das Geld bei der Mutter abgeben müssen. Auch hätten sie der Mutter an der Putzstelle helfen müssen. Sie könne nichts dazu sagen, ob die Klägerin von ihrer Mutter so verprügelt worden sei, dass sie geblutet habe. Die Vergewaltigung durch den Schädiger habe die Klägerin ihr einmal mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt habe sie noch bei ihrer Mutter gewohnt. Ob sie hierzu nähere Einzelheiten mitgeteilt habe, könne sie heute nicht mehr sagen. Sie, T. S., sei mit etwa 19 Jahren von ihrer Mutter aus der Wohnung geworfen worden. Es habe einen Onkel P. gegeben, der habe eine Zeitlang bei ihnen gelebt. Der Ehemann der Klägerin erklärte, sie habe ihm damals mitgeteilt, dass sie vom Schädiger vergewaltigt worden sei. Es sei wohl so gewesen, dass sie bei ihm noch habe Sachen abholen wollen. Sie habe ihm dann erzählt, dass er sie mit einer Pistole bedroht und vergewaltigt habe. Sie habe nicht zur Polizei gehen wollen. Das mit der Vergewaltigung habe sie ihm vielleicht einige Tage nach dem Zeitpunkt des Kennenlernens und Zusammenkommens erzählt. Sie habe das eher ruhig, aber angespannt erzählt. Sie habe ihm auch erzählt, dass sie wohl schon während ihrer Kindheit von ihrem Onkel P. vergewaltigt worden sein soll. Sie habe auch über das sehr schlechte Verhältnis in der Familie erzählt. Nach der Trennung der Eltern sei sie beispielsweise einmal von ihrer Schwester mit einem Messer bedroht worden. Bis zur Geburt der Tochter hätten sie noch vereinzelt über die Kindheit und Jugend seiner Frau gesprochen. Bis dahin hätten sie auch ein normales Sexualleben gehabt, seit der Geburt der Tochter gehe "eigentlich gar nichts" mehr.

Das SG setze das Verfahren dann mit Beschluss vom 14. Oktober 2010 in Hinblick auf ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft E. (15 Js 13375/10) gegen den Schädiger aufgrund des Ereignisses 1991 aus.

Am 28. Juli 2011 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein. Ein Glaubwürdigkeitsgutachten über die Aussagen der Klägerin von Dr. A. komme zu dem Ergebnis, dass die Aussage der Klägerin seitens der Gutachterin für wahr erachtet werde. Allerdings könne eine Hypothese, dass es sich um sogenannte Pseudoerinnerungen handele, nicht verworfen werden. Es sei nicht zu erwarten, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Vorerkrankung eine Aussage in einem Strafverfahren abgeben könne, die ausreiche, um eine Verurteilung des Beschuldigten herbeizuführen.

Hierauf rief die Klägerin das Verfahren vor dem SG wieder an (S 8 VG 4446/11). Das SG zog Behandlungsberichte des Prof. Dr. H. der M.-Klinik bei. Nach einem Bericht vom 4. Mai 2010 erfolgte die Diagnosestellung einer mittelgradigen depressiven Episode, eines Verdachts auf histrionische Persönlichkeitsstörung, differentialdiagnostisch einer multiplen Persönlichkeitsstörung und eines Spannungskopfschmerzes. Die Klägerin berichte, in letzter Zeit vermehrt unter Flashbacks, Gedächtnislücken und Kopfschmerzen zu leiden. Sie wisse, dass mehrere Persönlichkeiten in ihr steckten, die sich manchmal streiten und die auch immer wieder zu ihr sprechen würden. Die meiste Zeit könne sie diese kontrollieren, oft sei es aber so, dass eine die Oberhand gewinnen könne. Sie habe eine sehr schwere Kindheit gehabt. Schon im frühen Kindesalter hätten die Eltern Spaß daran gefunden, sie nach dem Spielen zu quälen, später seien dann mehrmalige sexuelle Übergriffe durch einen Onkel hinzugekommen. Im Alter von 18 Jahren sei sie von einem Ex-Freund vergewaltigt und mit einer Schusswaffe bedroht worden. Diese der Störung zugrundeliegenden Traumata hätte sie aber erst seit etwa 2005 bruchstückhaft erinnert. In letzter Zeit habe sie sich vermehrt mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen müssen, da sie eine Anwältin beauftragt habe, sich um ein Opferschutzgeld zu kümmern. Dies habe dazu geführt, dass vermehrt Erinnerungen von früher hochgekommen seien. Die Klägerin benenne fünf unterschiedliche Persönlichkeitsanteile, könne aber nur wenige Wesensmerkmale benennen, so dass sie nicht als ausgeprägt zu bezeichnen seien. Aufgrund der sehr freimütigen Darbietung der Störung und auch wegen des histrionisch anmutenden Auftretens könne eine multiple Persönlichkeitsstörung nicht eindeutig bestätigt werden. Sie leide aber sicherlich unter einer Persönlichkeitsstörung mit histrionischen Zügen und einer Identitätsproblematik. Nach dem Bericht vom 3. Mai 2011 bestehe bei der Klägerin eine PTBS, eine Reaktion auf schwere Belastung, chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp und eine chronische Furunkulose. Ihr Zustand habe sich im letzten Jahr verschlechtert. Die Klägerin sei Vergewaltigungsopfer. Seit dem 21. Lebensjahr leide sie unter Flashbacks. Weiter berichtete die Klägerin über die Misshandlung durch die Mutter, den Missbrauch durch den Onkel und die Vergewaltigung durch den Schädiger. Zentrale Aussage sei, dass sie ständig kämpfe, hauptsächlich um nicht so zu sein wie ihre Mutter. Sie leide unter Einschlafstörungen und Angst vor Erinnerungen und Flashbacks. Durch das staatsanwaltliche Verfahren habe der Schädiger Kenntnis über ihren Aufenthaltsort erlangt. Er habe sich dann einige Male in ihrem Umfeld blicken lassen. Sie verlasse seitdem nur noch ungern die Wohnung.

Einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag, nach welchem der Beklagte anerkennt, dass die Klägerin 1990/1991 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei und der Beklagte die vorliegenden Schädigungsfolgen ermittelt und im Anschluss über einen Anspruch der Klägerin auf Heil- und Krankenbehandlung sowie Beschädigtenversorgung entscheidet, nahm der Beklagte am 18. Juni 2012 und die Klägerin am 21. Juni 2012 an.

Der Beklagte ließ die Klägerin darauf durch den Neurologen und Psychiater Dr. P. begutachten. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 5. Februar 2013 als schädigungsbedingte Diagnosen eine partielle PTBS (Vergewaltigungstrauma) im Kontext mehrfacher traumatischer Belastungsstörungen und schädigungsunabhängig eine emotional instabile Persönlichkeitsentwicklung mit psychosenahen dissoziativen Anteilen, Somatisierungsstörungen und somatoformer Schmerzstörung. Eingangs berichte die Klägerin, ihre Beschwerden hätten 2011 anlässlich der Gerichtsverhandlung gegen den Täter angefangen. Sie habe starke Ängste bekommen. Der Schädiger habe sie auch verfolgt. Sie leide immer wieder unter Flashbacks in Form von Bildern von der Vergewaltigung, der Bedrohung mit der Waffe. Sie erwähne Trigger (eigene Formulierung): Bei Dunkelheit, wenn sie alleine im Schlafzimmer sei. Auch wenn sich ihr Mann ihr intim nähere, gerate sie in Panik. Erst 2005 seien die Erinnerungen wiedergekommen. Ihre Tochter sei damals in dem Alter gewesen, wo sie selbst von ihrem Onkel vergewaltigt worden sei. Schon 1997 habe sie diesbezüglich immer wieder Bilder von einem Mann ohne Kopf mit erregtem Glied im Traum gehabt. Dies sei anlässlich der Geburt der Tochter gewesen. In der Untersuchung wirke die Klägerin in psychopathologischer Hinsicht recht auffällig. Sie sei in ihren sozialen Beziehungen erheblich gestört, verängstigt. Allerdings sei die Kontaktfähigkeit nicht aufgehoben. Sie nehme mit Hunden am Hundesport (auch Dog-Dance) teil. Die Beziehung zu ihrem Mann sei gut, mit dem sie auch regelmäßig an die Nordsee fahre. Im Antrag seien primär Traumatisierungen durch eine ungünstige Kindheit, Traumatisierungen durch die Mutter sowie sexuelle Übergriffigkeiten durch einen Onkel zusätzlich angegeben worden. Verständlicherweise würden diese im Vorverfahren als erheblich geschilderten Beeinträchtigungen jetzt in den Hintergrund gedrückt. Im jetzigen "GdS-Verfahren" seien diese Vorschädigungen, die auch klägerseitig deutlich in den Vordergrund gestellt worden seien, nicht zu berücksichtigen. Selbst wenn man tatsächliche und vermeintliche traumatische Schädigungen vor dem zur Diskussion stehenden Trauma 1990/1991 ausklammere, bestünden doch erhebliche Hinweise, bestätigte Fakten in Hinsicht auf die Entwicklung einer emotionalen instabilen Persönlichkeit, wie Übergriffigkeiten bei Gewalttaten seitens der Mutter, etc. Dementsprechend sei es der Klägerin nicht möglich, eine feste Vertrauensstruktur aufzubauen, einer auch in emotionaler Hinsicht einigermaßen gefestigte Sich-Entwicklung zu durchlaufen. Insofern bestünden erhebliche Störungen der psychischen Regulationsfähigkeit, eine Anpassungsstörung, Unsicherheiten und Ängste in Beziehungsgestaltungen. Das schädigende Trauma trage dazu zum Teil im Rahmen des komplexen Beziehungsgefüges bei. Hierfür sei allenfalls ein GdS von 20, d. h. ca. ein Drittel des GdS von 70, in großzügiger Weise in Ansatz gebracht werden. Wenn schon als glaubwürdig erachtet, seien die Traumatisierungen im Sinne einer pathologischen Kindheits- und Jugendentwicklung, des angegeben sexuellen Missbrauchs durch einen Onkel, immerhin im Bemessen des Schweregrades gleich bewertet.

Mit Ausführungsbescheid vom 8. Juli 2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 15. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2009 insoweit auf, als dem Grunde nach anerkannt werde, dass die Klägerin 1990/1991 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei. Als Folge der Schädigung werde eine psychoreaktive Störung anerkannt. Der hierdurch bedingte Grad der Schädigungsfolgen (GdS) betrage 20. Eine Beschädigtengrundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) stehe ihr daher nicht zu.

Auf den Widerspruch der Klägerin befragte der Beklagte ergänzend behandelnde Ärzte der Klägerin. Nach einem Bericht der Psychiaterin S., Zentrum für Psychiatrie - Klinikum Schloß W., vom 14. September 2013 sei bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, und eine PTBS zu diagnostizieren. Die Klägerin berichte über psychomotorische Unruhe, Schlafstörungen, Grübeln, Flashbacks. Der Antrieb sei reduziert, der Affekt dysthym, aber schwingungsfähig. Die Dipl.-Psych. V. erklärte am 26. September 2013, die schon in sich gestörten frühkindlichen Strukturen der Klägerin seien durch die neuerliche Traumatisierung im Erwachsenenalter nochmals nachhaltig gestört worden. Die sozialen Anpassungsschwierigkeiten hätten sich in sämtlichen Lebensbereichen generalisiert und die Symptomatik der dissoziativen Identitätsstörung deutlich verschlechtert.

Nachdem sich der Versorgungsarzt Dr. G. mit Stellungnahme vom 19. Oktober 2013 dem Gutachten des Dr. P. anschloss, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2013 zurück.

Die Klägerin hat darauf am 13. Januar 2014 Klage beim SG erhoben. Bei ihr liege nicht lediglich eine psychoreaktive Störung als Schädigungsfolge vor, sondern eine PTBS (Vergewaltigungstrauma). Nachdem im vorliegenden Verfahren lediglich das schädigende Trauma aus dem Jahr 1990/1991 gegenständlich sei, habe Dr. P. in seinem Gutachten eine Quotelung dementsprechend vorgenommen, als dass ein Drittel eines GdS von 70, mithin 20, in Ansatz gebracht worden sei. Allerdings liege bei ihr eine schwere Störung mit schweren sozialen Anpassungsstörungen schädigungsbedingt, welche mit einem GdS von 80 bis 100 zu bewerten sei. Selbst wenn man die Bewertung mit einem GdS von 80 zugrunde legen würde, käme ein GdB in Höhe von mindestens 25 nach der Ermittlungsmethodik des Sachverständigen in Ansatz. Tatsächlich sei jedoch noch ein höherer GdS wegen des Traumas 1990/1991 gerechtfertigt.

Das SG hat durch Befragung der behandelnden Ärztin S. und der Dipl.-Psych. V. sowie durch Einholung eines Gutachtens bei Prof. S. Beweis erhoben. Sowohl Frau S. wie auch Frau V. haben im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Der Psychiater Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 4. April 2016 zum psychischen Befund ausgeführt, Ausdrucksweise und Gestik der Klägerin fluktuiere zwischen adultem und infantilem Modus. Die Gedankenführung sei teils umständlich, dabei immer kohärent. Es bestehe kein Hinweis auf eine Zwangssymptomatik, auf paranoides Erleben oder eine Wahnstimmung. Die Stimmungslage sei subdepressiv-dysthym. Der Affekt sei dysphorisch, reizbar, teils von fassadär-infantil anmutender Heiterkeit. Der Antrieb sei situationsadäquat. Die Klägerin berichte und demonstriere gestisch eigenanamnestisch als quasi autonom erlebte "Persönlichkeitsanteile", jeweils in kurzen Episoden. Im Vordergrund stehe eine komplexe Psychopathologie, bei der sich Elemente einer pathologischen Persönlichkeitsentwicklung mit denen einer komplexen Traumafolgestörung miteinander verschränkten. Zusätzlich werde die Symptomatik von weiteren psychischen Gesundheitsstörungen aktuell bestimmt (somatoformer Schmerz) bzw. sei in der Vergangenheit vorübergehend geprägt (Alkoholismus, Depressivität) worden. Es ergäben sich klare Hinweise auf eine gravierende Persönlichkeitsentwicklungsstörung. Im Vordergrund stehe dabei eine bis in die Adoleszenz hinein zurückzuverfolgende emotionale Labilität und ausgeprägte Instabilität, Neigung zu geringer Handlungsstringenz mit dokumentierter psychopathologischer Impulsivität. Bei der Klägerin bestehe eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus mit dissoziativen Anteilen. Eine multiple Persönlichkeitsstörung bzw. dissoziative Identitätsstörung könne nicht bestätigt werden. Diese würde eine klare Abgrenzung unterschiedlicher Persönlichkeiten zu unterschiedlichen Zeitabschnitten voraussetzen, was so weder im Rahmen der Begutachtung, noch in den aktenkundigen stationären Behandlungsabschnitten gelungen sei. Nach dem Klassifikationssystem ICD-10 sei außerdem eine PTBS mit verzögertem Beginn (ICD-10: F 43.1) zu diagnostizieren. Die multiplen teils kurzfristigen, teils langfristig wirksamen Traumatisierungen, wie die Klägerin sie zum Teil im OEG-Antrag aufgeführt habe, erfüllten unzweifelhaft das Trauma-Kriterium (A-Kriterium) nach ICD-10. Mit dem Auftreten von stark belastend erlebten, unwillkürlichen und subjektiv unabweisbaren Erinnerungen an schwere psychische und körperliche Belastungen in Form von "Flashback"-Erlebnissen ab 2005 sei das Wiedererinnerungskriterium (B-Kriterium) erfüllt. Weiter führten die Belastungserfahrungen im vorliegenden Fall nachvollziehbar zu einem ganzen Spektrum von Vermeidungsverhalten (Sexualität, Thematisierung der Mutter, metallene Gegenstände) wie es das Vermeidungskriterium (C-Kriterium) verlange. Entsprechend dem D- oder Hypersensivitätskriterium seien anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität oder Erregung gegeben. Hier fänden sich in differenzierten eigenanamnestischen Angaben wie auch im aktenkundigen Vorbefunden klare Belege für Ein- und Durchschlafstörungen. Reizbarkeit sei aktuell feststellbar und wiederholt beschrieben, ebenso fänden sich erhebliche Konzentrationsschwierigkeiten wechselnden Ausmaßes. Das E- oder Zeitkriterium verlange, dass das Wiedererinnerungs-, Vermeidungs- und Hypersensivitätskriterium innerhalb von 6 Monaten nach Ende der Belastung erfüllt sein müsse, andernfalls ein späterer Beginn als explizit angegeben werden müsse. Im vorliegenden Fall handele es sich um einen klassischen Fall einer posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn der Symptomatik. Eine solche Verlaufskonstellation finde sich nach klinischer Erfahrung insbesondere bei frühen und andauernden Traumatisierungen in Kindheit und Jugend. Das Auftreten der Symptomatik einer PTBS nach symptomfreien Jahren und Jahrzehnten sei als Möglichkeit epidemiologisch gesichert. Daneben hat Prof. S. im Hinblick auf die von ihm erhobenen Befunde eine anhaltend somatoforme Schmerzstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung, gegenseitig remittiert, diagnostiziert, ebenso ein Alkohol-Abhängigkeitssyndrom, voll remittiert. Bei der Klägerin seien Belastungsphasen abzugrenzen. In Kindheit und Jugend bis zum Verlassen des Elternhauses sei die Klägerin sämtlichen vier Kardinalformen der Kindesmisshandlung - Vernachlässigung, seelische Misshandlung, körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch – ausgesetzt gewesen. Die zweite Belastungsphase habe unmittelbar an die Trennung vom Elternhaus angeschlossen und umfasse die Phase der ersten Partnerschaft bis etwa 1990. In dieser Phase sei die Klägerin immer wieder Gewalthandlungen ausgesetzt gewesen. Direkt daran schließe sich als drittes Belastungsmoment die hier in Rede stehende sexuelle Massivvergewaltigung mit Waffenbedrohung an. Als vierte Belastungsphase sei die zur Entbindung 1997 führende Schwangerschaft zu benennen. Es sei eine nicht gewollte Schwangerschaft gewesen, die Klägerin habe die Tatsache der Schwangerschaft längere Zeit verdrängt, das Kind sei als Frühgeburt zur Welt gekommen. Als fünfte Phase sei die frühe Mutterschaft 1997 bis 1999 zu identifizieren. Die Klägerin habe das Kind nicht annehmen können. Als sechste Belastungsphase sei der Zeitraum 1999/2000 mit partnerschaftlicher Krise, Eingehen einer Außenbeziehung, Schwangerschaft und nachfolgende Abtreibung sowie anschließendem "Psychoterror" durch den Partner der Außenbeziehung zu nennen. 2010 sei als siebte Belastungsphase ein Zeitraum von 2 Monaten in Form einer Konfrontation mit dem Vergewaltiger von 1990/1991 dazu gekommen, der sie gestalkt habe. Vor dem Hintergrund dieser Kaskade von Belastungsmomenten und -phasen sowie ungünstigen Dispositionsfaktoren sei der relativ kausale Beitrag des in Rede stehenden Schädigungsereignisses 1990/1991 zu diagnostizieren. Ein epidemiologischer Zusammenhang zwischen Borderline-Persönlichkeitsstörung einerseits und körperlicher Misshandlung, emotionaler Entwertung, fehlender elterlicher Beaufsichtigung, emotionaler Vernachlässigung in Kindheit und Jugend sei gut belegt. Es bestehe kein Zweifel, dass die Bedingungen im Elternhaus in Kindheit und früher Jugend zu dieser Entwicklung beigetragen hätten. Im Vergleich dazu trete die Bedeutung isolierter Traumatisierungen für die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen ganz zurück. Dem Vergewaltigungsereignis komme daher keine wesentliche kausale Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeitsstörung zu. Auch im Hinblick auf die somatoforme Schmerzstörung sei dem isolierten, massiv belastenden, zugleich fast 25 Jahre zurückliegenden Ereignis von 1990/91 eine wesentliche kausale Relevanz für die seit zwei Jahren bestehende Schmerzstörung nicht zuzuerkennen. Bezüglich der PTBS käme sexuellen Traumatisierungen grundsätzlich im Vergleich zu isolierten anderweitigen Traumatisierung eine besonders hohe pathogene Wirkung zu. Für eine PTBS werde das Risiko durch psychiatrische Vorerkrankungen, Missbrauchserfahrung in Kindheit sowie gravierende psychische Erkrankungen der Ursprungsfamilie substanziell erhöht. Aus der dokumentierten Krankheitsentwicklung ergebe sich, dass die Probandin bereits vor 1991 für die bei ihr zu diagnostizierende Persönlichkeitsstörung typische Störung der Emotionsregulation, des Kontaktverhaltens und auch des Substanzmissbrauches sowie der Selbstverletzung aufgezeigt habe. Hinsichtlich der unmittelbaren Auswirkungen der Traumatisierung seien hier keine unmittelbaren und klinisch relevanten Krankheitszeichen zu eruieren. Die Klägerin berichte eigenanamnestisch, dass die Traumatisierung in ihrem Leben zunächst keine Spuren hinterlassen und insbesondere ihr Intimleben einschließlich der eigenen sexuellen Erlebnisfähigkeit sich nicht geändert habe. Zu einem Einbruch sei es dann im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Entbindung und früher Mutterschaft gekommen. Das gegenwärtige Beschwerdebild werde vor allem durch flashbackartige Zustände dominiert, wobei im Rahmen dieser Erinnerungsattacken nach eigenanamnestischen Angaben die Belastungserfahrung durch Onkel und Mutter sich mehr und mehr zurückgebildet hätten, wobei gegenwärtig belastende Erinnerungen an die Vergewaltigung 1990/1991 im Vordergrund stünden. Nach dem Krankheitsverlauf ergebe sich kein Hinweis dafür, dass das in Rede stehende Schädigungsereignis unmittelbar zur Entstehung der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn geführt habe. Schließlich seien etwa 15 Jahre vergangen, bis sich dann nach und nach das Störungsbild ausgeprägt habe. Es sei jedoch mit Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die beschriebene Vergewaltigung mit Schusswaffendrohung letztlich zu einer stärkeren Ausprägung der PTBS beigetragen habe. Relevante Teilelemente der PTBS – wiederkehrende belastende Erinnerungen, teils in Form von Flashback-Symptomatik – seien auf diesen tätlichen Angriff zurückzuführen. Nach eigenanamnestischen Angaben hätten sich im Rahmen dieser Erinnerungsattacken die Belastungserfahrungen durch Onkel und Mutter mehr und mehr zurückgebildet. Folge man den Angaben der Klägerin sei das Schädigungsereignis von 1991 zumindest für einen Teil der Symptomatik kausal relevant. Dies sei auch nicht unplausibel, da die schweren Traumatisierungen in Kindheit und früher Jugend nur schematisch und wenig prägnant in der Erinnerung verfügbar seien und insofern das "jüngste" durch Dritte verursachte Belastungsereignis noch am besten in Erinnerung sei. Für die Abschätzung des schädigungsbedingten GdS sei zu beachten, dass die Klägerin ein komplexes psychisches Störungsbild aufweise, welches in der Kategorie Neurosen, Persönlichkeitsstörung, Folgen psychischer Traumen und hier der Unterkategorie der schweren Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten zuzuordnen sei. Dabei beziehe sich die Einschätzung des Ausprägungsgrades darauf, dass eine berufliche Tätigkeit gegenwärtig ausgeschlossen und Probleme im privaten sozialen System von Familie und Freundeskreis tatsächlich schwerwiegend ausgeprägt seien. Angesichts der bestehenden psychisch-kognitiven und alltagsrelevanten Kompetenzen sei der untere Bereich des Einschätzungsspielraums angemessen. Somit sei der Gesamt-GdS aufgrund der psychischen Störung auf 80 einzuschätzen. Zu beachten sei, dass schädigungsfremde Gesundheitsstörungen - hier: Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativen Anteilen (ICD-10: F 60.31), anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F 45.4) das gegenwärtige klinische Bild wesentlich prägten und für die der posttraumatischen Belastung zuzuordnenden Phänomenologie nur ein kleiner Teilbereich ursächlich im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Schädigungsereignis zu sehen sei (nämlich die konkreten flashbackartigen Wiedererinnerungen Trauma spezifischen Inhalts, belastungsspezifische Ängste und Vermeidungsverhaltensweisen). Der störungsspezifische Anteil in Form der angenommenen Verschlimmerung durch das in Rede stehende Schädigungsereignis sei mit einem GdS von 20 einzuschätzen. Dies resultiere aus der Überlegung, dass die wesentliche, die Funktionsfähigkeit, die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit der Klägerin beeinträchtigende Symptomatik einschließlich der dissoziativen Phänomenologie an der schon langjährig ihre Wahrnehmung, ihre Einstellung, ihre Beziehungsgestaltung bestimmende Persönlichkeitspathologie eben nicht wesentlich dem in Rede stehenden Schädigungsereignis ursächlich zuzurechnen sind.

Gestützt auf dieses Gutachten hat das SG mit Urteil vom 5. September 2017 - der Klägerin am 6. Oktober 2017 zugestellt - den Beklagten verpflichtet, als Folge des tätlichen Angriffs 1990/1991 eine Verschlimmerung einer PTBS mit verzögertem Beginn festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es sei mit Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Vergewaltigung mit Schusswaffenandrohung die PTBS verschlimmert habe, die auf schwere Traumatisierungen in der Kindheit und frühen Jugend zurückzuführen sei. Die Verschlimmerung sei verzögert aufgetreten und erst ab dem Jahr 2010 nachweisbar. Die Klägerin sei sowohl vor wie nach dem Schädigungsereignis zahlreichen erheblichen Belastungen ausgesetzt gewesen. Vor dem Hintergrund der zahlreichen nicht schädigungsbedingten Belastungen sei der überwiegende Teil der psychischen Beeinträchtigungen als nicht schädigungsbedingt zu werten. Aus der allein als Schädigungsfolge anzuerkennenden Verschlimmerung der posttraumatischen Belastungsstörung resultierten keine Funktionsbeeinträchtigungen, die mit einem GdS von mehr als 20 zu berücksichtigen seien. Der Beklagte hat diese Entscheidung mit Ausführungsbescheid vom 25. Oktober 2017 umgesetzt.

Die Klägerin hat am 17. Oktober 2017 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Hierzu hat sie vorgetragen, Prof. S. habe bei der von ihm vorgenommenen Quotelung außer Acht gelassen, dass sie trotz der Missbrauchserfahrung aus der Kindheit bis zu dem vorliegend streitgegenständlichen Geschehnis in der Lage gewesen sei, eine durchaus intime Beziehung zu ihrem damaligen Partner zu unterhalten, wobei die 2005 massiv aufgetretenen belastenden "Flashbacks" an den streitgegenständlichen Vorfall erst die auch vom Sachverständigen beschriebene PTBS-Symptomatik hervortreten lassen und sich das Vermeidungsverhalten manifestiert habe. Maßgeblich sei gleichfalls der Umstand zu berücksichtigen, dass sie beim streitgegenständlichen Vorfall mit einer Schusswaffe bedroht worden sei und insoweit Todesangst verspürt habe.

Die Klägerin beantragt in der mündlichen Verhandlung,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 5. September 2017 abzuändern und den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 8. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 zu verurteilen, der Klägerin wegen der Schädigung 1990/1991 ab dem 1. Januar 2008 eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu gewähren,

hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass die posttraumatische Belastungsstörung zu einer schädigungsbedingten wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit geführt hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass auch Dr. P. allenfalls einen GdS von 20 "in großzügiger Weise in Ansatz gebracht" habe.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. S. eingeholt. Dieser hat am 29. Juni 2018 ausgeführt, psycho-traumatologisch und in Bezug auf die Auswirkungen auf die Persönlichkeitsstruktur komme naheliegender Weise den frühen Massivtraumatisierungen in Kindheit und Jugend eine besondere Bedeutung zu. Ohne die Relevanz der sexuellen Massivtraumatisierung kurz nach der Trennung 1990/1991 in Abrede stellen zu wollen, bleibe doch zu bemerken, dass eine relevante traumaassoziierte Symptomatik erst Jahre später in Erscheinung getreten sei, dann auch überlagert von Erinnerungen an Traumatisierungen anderer Genese (intrafamiliärer Art). Dass die Klägerin in Bezug auf ihre Emotionsregulation und die Gestaltung innerpersoneller Beziehungen bereits vorher krankheitswerte Auffälligkeiten gehabt habe, sei in Zusammenhang mit der diagnostizierten emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus mit dissoziativen Anteilen aufgezeigt worden.

Am 29. November 2017 hat die Klägerin einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 15. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2009 hinsichtlich der Anerkennung der Misshandlung durch die Mutter in früher Kindheit sowie den komplexen Missbrauch durch den Onkel zwischen dem 6. und 9. Lebensjahr beim Beklagten gestellt. Diesen hat der Beklagte mit Bescheid vom 5. Oktober 2018 abgelehnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegende Verfahrensakte des Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen, auch aus dem vorangegangen Klageverfahren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, denn die Klägerin begehrt zum einen eine behördliche Feststellung (Anerkennung) weiterer Schädigungsfolgen und zum anderen laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG erhoben.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die zugrunde liegende Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 9 VS 2/98 R -, SozR 3-3200 § 81 Nr. 16, S. 72 f.) auf die Gewährung einer Beschädigtengrundrente ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat dabei den Gegenstand des ursprünglichen behördlichen Verfahrens und damit in der Folge auch den Streitgegenstand in Übereinstimmung mit dem Beklagten bereits im Rahmen des Vergleichsschlusses vor dem SG im Verfahren S 8 VG 4446/11 auf die Vergewaltigung 1991 und deren Folgen begrenzt. Die weiteren von ihr als Grundlage eines Entschädigungsanspruchs gesehenen Taten bzw. Tatkomplexe sind Gegenstand eines eigenen Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahrens. Dementsprechend hat sie ihren Klageantrag vor dem SG und in der mündlichen Verhandlung auch ihren Berufungsantrag beschränkt. Eine derartige Beschränkung auf bestimmte Tatkomplexe ist zulässig, da in § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG auf einen (bestimmten) vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff als Anspruchsvoraussetzung abgestellt wird. Es liegt mithin in der Dispositionsbefugnis des Betroffenen, einen bestimmten Gewaltvorfall zum Gegenstand seines Antrags zu machen und dementsprechend umgekehrt andere Gewaltvorfälle auszuschließen bzw. auch im Laufe des Verfahrens nicht mehr geltend zu machen (Urteil des Senats vom 7. Dezember 2017 – L 6 VG 4265/16 –, juris, Rz. 22; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Dezember 2016 - L 10 VE 72/14 -, juris, Rz. 17).

Der Senat konnte in der Sache entscheiden ohne, wie von der Klägerin hilfsweise beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Liegen bereits Gutachten vor, ist das Gericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche im Bereich der Befunderhebung enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG, Beschluss vom 8.12.2009 – B 5 R 148/09 B – juris, Rz. 21 m. w. N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Prof. S. und der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren herangezogene Dr. P. sind im Wesentlichen – bei der Frage der bei der Klägerin bestehenden Schädigungsfolgen und dem diesbezüglichen GdS – zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen. Insbesondere der in erster und in zweiter Instanz gehörte Prof. S. hat in seinem Gutachten alle bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen kompetent, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Der bloße Umstand, dass die Bewertung des Sachverständigen den Klageantrag auf Gewährung einer Beschädigten-Grundrente nicht stützt, genügt nicht als Anlass zur Einholung eines weiteren Gutachtens.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Leistung einer Beschädigten-Grundrente nicht zu.

Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtengrundrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als MdE bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25, besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).

Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtengrundrente nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind die folgenden rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris; Urteil des Senats vom 7. Dezember 2017 – L 6 VG 4265/16 –, juris, Rz. 24 ff.):

Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m.w.N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verB.en sind.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m.w.N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, juris, Rz. 25 m.w.N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m.w.N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinaus gehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a.a.O., § 128 Rz. 3b m.w.N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a.a.O.).Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m.w.N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a.a.O., Rz. 3d m.w.N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m.w.N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaftzumachende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, es genügt also, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a.a.O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV – "Versorgungsmedizinische Grundsätze" – VG; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).

Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob der Vergleich der Beteiligten vom 21. Juni 2012 nach der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtswidrig ist, nachdem isoliert ein schädigendes Ereignis festgestellt wurde (vgl. (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R, juris, Rz. 12), da er jedenfalls wirksam ist. Aus der schlichten Rechtswidrigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags folgt noch nicht dessen Unwirksamkeit, sondern nach § 58 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erst bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen (Urteil des Senats vom 6. Dezember 2018 – L 6 VG 2096/17 –, juris, Rz.70). Darüber hinaus hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 8. Juli 2013 in zulässiger Weise nicht nur ein Ereignis im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG festgestellt und nicht lediglich eine unzulässige Elementenfeststellung getroffen.

Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senates Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden, als der Schädiger sie zu Beginn des Jahres 1991 unter Vorhalt einer (Schreck-)Schusswaffe zum Geschlechtsverkehr zwang. Dies ergibt sich nachvollziehbar und konsistent aus dem insoweit über Jahre stimmigen Angaben der Klägerin, den Aussagen ihres jetzigen Ehemanns und ihrer Schwester, welche jedenfalls bestätigen konnten, dass die Klägerin ihnen zeitnah zu dem Ereignis davon berichtet hat. Des Weiteren hat der Schädiger zumindest eingeräumt, zum damaligen Zeitpunkt über eine Schreckschusspistole verfügt zu haben. Dieses Ereignis hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid bindend anerkannt (§ 77 SGG).

Bei der Klägerin besteht aufgrund des Schädigungsereignisses aus dem Jahr 1991 jedoch kein Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente, da nur ein GdS in Höhe von 20 auf dieses Traumageschehen zurückzuführen ist.

Nach dem Gutachten des Prof. Dr. S. vom 4. April 2016 besteht bei der Klägerin als Schädigungsfolge eine PTBS mit verzögertem Beginn (ICD-10: F 43.1), welche durch das Vergewaltigungstrauma 1991 verschlimmert worden ist, mithin ein Teil der PTBS-Symptomatik auf dieses Ereignis zurückzuführen ist. Da das SG dem Beklagten dieser gutachterlichen Bewertung folgend zur Anerkennung der Verschlimmerung einer PTBS mit verzögertem Beginn verpflichtet und der Beklagte diese Verpflichtung mit Ausführungsbescheid vom 25. Oktober 2017, welcher Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden ist (§ 96 Abs. 1 SGG), umgesetzt hat, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob der Bewertung des Prof. Dr. S. insbesondere im Hinblick auf das Zeit- oder E- Kriterium dahingehend gefolgt werden kann, dass erst nach einer langjährigen Latenz ohne Brückensymptome nach dem traumatischen Ereignis 1991 Symptome einer PTBS aufgetreten sind. Denn die nicht seitens des Beklagten als dem insoweit beschwerten Beteiligten mit der Berufung angegriffene Verpflichtung zur Feststellung der Verschlimmerung einer PTBS setzt zwingend das Bestehen einer PTBS an sich voraus.

Eine durch die Vergewaltigung 1991 nicht lediglich verschlimmerte, sondern verursachte PTBS mit verzögertem Beginn ist zur Überzeugung des Senats bei der Entscheidung über den Versorgungsanspruch nicht zu berücksichtigen. Hierfür wäre erforderlich, dass zum einen die vollständige Symptomatik einer PTBS durch das Ereignis 1991 bedingt wurde. Denn den Kindheits- und Jugenderfahrungen kommt ein wesentlicher Beitrag der Traumafolgestörung zu, was auch für den Senat überzeugend Prof. S. herausgearbeitet hat und im Übrigen in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Dr. P. steht, dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet hat. Insoweit kann nicht isoliert auf ein Ereignis abgestellt werden, wenngleich der Senat nicht bewerten muss, inwieweit diese früheren Ereignisse im Einzelnen die Kriterien einer PTBS erfüllen, jedenfalls erhöhen sie nach der herrschenden Lehrmeinung signifikant das Risiko. Das ist im Fall der Klägerin dadurch belegt, dass sie bereits vor dem schädigenden Ereignis 1991 einen Substanzmissbrauch in Form von Alkoholabusus und Selbstverletzungen aufzeigte. Unmittelbar anlässlich der Tat fanden sich hingegen keinerlei Auffälligkeiten, sie konnte mit ihrer Schwester darüber sprechen. Kurz danach hat sie die Beziehung zu ihrem späteren Ehemann aufgenommen, was ebenfalls belegt, dass das isolierte Ereignis nur einen Anteil an der Entstehung der Erkrankung hat und zum anderen nicht bereits eine PTBS aufgrund der vorangegangenen belastenden Ereignisse wie den Misshandlungen in der Kindheit und dem von der Klägerin berichteten Missbrauch durch den Onkel hervorgerufen worden ist. Da mithin eine Verursachung der PTBS der Klägerin durch das Ereignis 1991 nicht zu sichern ist und dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu ihren Lasten geht, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung dieser Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge gegen den Beklagten.

Eine dissoziative Identitätsstörung oder auch multiple Persönlichkeitsstörung (ICD 10: 44.81), wie sie die Dipl.-Psychologin V. angenommen hat, ist dagegen bei der Klägerin nicht zu diagnostizieren. Diese Diagnose setzt, wie Prof. S. dargestellt hat, eine klare Abgrenzung unterschiedlicher Persönlichkeiten zu unterschiedlichen Zeitabschnitten voraus, was weder im Rahmen seiner Begutachtung noch früheren Behandlungen und Begutachtungen festzustellen war. Dementsprechend hat auch Prof. H. in seinem Bericht vom 4. Mai 2010 eine multiple Persönlichkeitsstörung verneint. Das von der Klägerin geschilderte Bild mit widerstreitendem Persönlichkeitsanteilen ist vielmehr als Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativen Anteilen (ICD-10: F 60.31) einzustufen. Ausweislich der Berichte des Prof. P. vom 27. November 2007 und der Psychotherapeutin F. vom 15. Februar 2008 ist diese Diagnose im Wesentlichen durchgängig bei der Klägerin seit 2007 bekannt. Wie Prof. S. überzeugend darstellt, besteht ein epidemiologischer Zusammenhang zwischen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung einerseits und körperlicher Misshandlung, emotionaler Entwertung, fehlender elterlicher Beaufsichtigung, emotionaler Vernachlässigung und Kindheit und Jugend. Da im Vergleich dazu die Bedeutung isolierter Traumatisierungen für die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen ganz zurücktritt, kommt dem Vergewaltigungsereignis 1991 daher keine wesentliche kausale Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeitsstörung zu. Wie Prof. S. herausgehoben hat, ergibt sich aus der dokumentierten Krankheitsentwicklung der Klägerin, hierbei auch insbesondere ihren eigenen Angaben, für diese Persönlichkeitsstörung typische Störungen der Emotionsregulation, des Kontaktverhaltens, des Substanzmissbrauches sowie der Selbstverletzung. Unmittelbare Auswirkungen der Traumatisierung 1991 sind dagegen nicht festzustellen.

Eine Anpassungsstörung im Sinne des ICD-10 (F 43.2) bzw. eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion, gemischt (F 43.22) ist bei der Klägerin ebenfalls nicht festzustellen. Eine solche ist weder von Dr. P. noch von Prof. S. diagnostiziert worden. Im Rahmen des Aufenthalts der Klägerin in der S.-Klinik A. im Jahr 2000 folgte zwar die Diagnosestellung einer Anpassungsstörung, ohne dass diese auf Grund der erhobenen Befundlage dort genauer begründet worden wäre. Im Übrigen erfordert die Diagnose einer Anpassungsstörung nach dem ICD 10 das Auftreten von Zuständen subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen. Charakteristisch für eine Anpassungsstörung ist mithin ihr Auftreten im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem begründenden Umstand, nach dem ICD 10 in der Regel innerhalb eines Monats, nach den entsprechenden Maßgaben des DSN 4 innerhalb von drei Monaten. Da bei der Klägerin die ersten Symptome erst nach Ablauf mehrerer Jahre nach dem Ereignis 1991 aufgetreten sind, ist eine Anpassungsstörung auf Grund dieses Ereignisses nicht anzunehmen. Weiter ist nicht ersichtlich oder von der Klägerin vorgetragen, in wie fern sich das Symptombild einer Anpassungs- und Angststörung im Falle der Klägerin vom Symptombild der PTBS abgrenzen lassen sollte.

Auch die übrigen bei der Klägerin bestehenden psychischen Krankheitsbilder sind nicht auf das Vergewaltigungstrauma 1991 zurückzuführen. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Darstellungen des Prof. S ... Danach ist für die seit etwa 2014 bestehende somatoforme Schmerzstörung eine wesentliche kausale Relevanz des zum Zeitpunkt ihres Auftretens fast 25 Jahre zurückliegenden Ereignisses von 1991 nicht zu erkennen. Das Alkohol-Abhängigkeitssyndrom war zum Zeitpunkt des Schädigungsereignisses bereits vorbestehend und hinsichtlich dem nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand durch multiple – genetische, familiäre, soziale und auch traumatische – Faktoren bedingte Störungsbild der – gegenwärtig remittierten - Depression kann im Hinblick auf die Vielzahl von Belastungsfaktoren im Leben der Klägerin, angefangen von Misshandlungen im Kindesalter über das hier gegenständliche Ereignis, finanzielle und familiäre Belastungen, dem Schwangerschaftsabbruch nach einer außerehelichen Beziehung etc., auch unter Berücksichtigung der Schwere des Ereignisses 1991 ein wesentlicher kausaler Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden.

Die Schädigungsfolgen der Vergewaltigungstat von 1991 bedingen jedoch keinen GdS in rentenberechtigendem Umfang. Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetative oder psychische Störungen bedingen einen GdS von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdS von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdS von 80 bis 100. Für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten hat auf dieser Grundlage der Sachverständigenbeirat beim BMAS in seinem Beschluss vom 18./19. März 1998 Abgrenzungskriterien definiert. Dieser Beschluss betraf zwar noch die AHP, die aber insoweit mit den jetzt geltenden VG gleichlautend waren. Hiernach liegen leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn sich in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließen. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Erforderlich ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis (Urteil des Senats vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 59 ff.; ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. April 2015 – L 7 VE 5/11 –, juris, Rz. 49).

Nach diesen Maßstäben sind die bei der Klägerin bestehenden psychischen Beeinträchtigungen insgesamt als einer schweren Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten entsprechend anzusehen. Der Senat folgt diesbezüglich dem umfassenden und ausgewogenen Gutachten des Prof. S ... Bei der Klägerin sind schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten anzunehmen, da sie auf Grund der Auswirkungen ihrer psychischen Beeinträchtigung auf Dauer nicht mehr erwerbsfähig ist und in der Gestaltung ihres Alltagslebens wegen limitierender Ängste etwa beim Einkaufen, Autofahren oder auch sonstigem Kontakt zu unbekannten Personen eingeschränkt ist. Im familiären Bereich sind insbesondere erhebliche Beeinträchtigungen der Beziehungsfähigkeit der Klägerin zu ihrer Tochter festzustellen. Da auf der anderen Seite die soziale Kommunikationsfähigkeit jedenfalls noch insoweit erhalten ist, dass die Klägerin mit Bekannten dem Hundesport nachgehen kann und ihre familiäre und eheliche Situation trotz bestehender Belastungen stabil ist, ist für die GdS-Bewertung der untere Bereich des für schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten vorgesehenen GdS-Rahmens mit einem GdS von 80 angemessen.

Von diesem GdS ist jedoch lediglich ein Teil-GdS von 20 dem Vergewaltigungstrauma von 1991 und der einzig darauf zurückführbaren Gesundheitsstörung einer Verschlimmerung einer posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn zuzuordnen, wie Dr. P. und Prof. S. im Ergebnis übereinstimmend dargestellt haben. Zunächst sind erhebliche Anteile der psychischen Symptomatik der Klägerin auf die schädigungsunabhängig bestehende Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativen Anteilen zurückzuführen. Hierzu ist die bereits auf die frühkindlichen Misshandlungen zurückführbare Beeinträchtigung in der Fähigkeit zum Aufbau von Vertrauensbeziehungen, welche sich auch heute noch allgemein im zwischenmenschlichen Bereich, insbesondere jedoch in der Beziehung zu ihrer eigenen Tochter zeigt, zuzurechnen wie auch der Hang zur selbstschädigendem Verhalten mit Alkoholmissbrauch und Selbstverletzungen, welcher - wie oben dargelegt - nach den Angaben der Klägerin bereits Jahre vor dem Ereignis 1991 bestand. Von erheblicher Bedeutung im Rahmen dieses Krankheitsbildes ist weiter die instabile Persönlichkeit, welche sich, wie die Klägerin geschildert hat, in wiederstreitenden Persönlichkeitsanteilen zeigt. Wie Prof. S. eindrücklich dargestellt hat, fluktuieren Ausdruck und Gestik der Klägerin zwischen adultem und infantilem Modus. Die Klägerin ist nach ihren eigenen Angaben ganz wesentlich durch widerstreitende Persönlichkeitsanteile beeinträchtigt, welche sie oft nicht ausreichend kontrollieren kann. Bereits Prof. H. hat hervorgehoben, dass insoweit insbesondere kindliche Anteile von Bedeutung sind. Das daneben bestehende Störungsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung mit wiederkehrenden Flashbacks und Nachhallerinnerungen, Ängsten und Vermeidungsverhalten beeinträchtigt die soziale Integrationsfähigkeit der Klägerin darüber hinaus. Dieses ist jedoch nur teilweise dem Vergewaltigungstrauma 1991 zuzurechnen. Im zeitlichen Verlauf der Krankheitsentwicklung der Klägerin, wie Prof. S. auf Grundlage der vorliegenden Behandlungsberichte nachvollziehbar aufbereitet hat, war die Klägerin durch das Ereignis 1991 zunächst weder in ihrem allgemeinen Sozialverhalten als auch etwa dem Ausleben ihrer Sexualität nicht beeinträchtigt. Erste sog. Flashbacks lassen sich nach den vorliegenden Berichten zwar bis auf etwa die Mitte der neunziger Jahre zurückverfolgen, diese blieben jedoch zunächst unspezifisch und wiesen keinen konkreten Bezug zu der Vergewaltigungstat auf. Durch die weiteren Belastungsmomente der ungewollten Schwangerschaft, der Geburt, der außerehelichen Beziehung und des Schwangerschaftsabbruchs zwischen 1997 und 1999 verstärkte sich das Auftreten dieser Flashbacks und der psychischen Beeinträchtigungen im Allgemeinen, was dann zur ersten stationären Behandlung der Klägerin führte. Auch hierbei stand die Tat 1991 nicht im Vordergrund. Soweit den Berichten im Verlauf zu entnehmen, verblieb es zunächst beim Auftreten unangenehmer Erinnerungsgefühle, ohne dass diese einem bestimmten Ereignis zuzuordnen waren. Beziehungsweise andere Ereignisse im Vordergrund standen. So findet sich in dem Bericht des Dr. S. über den stationären Aufenthalt der Klägerin im Jahr 2000 kein Anhalt für eine Belastung durch das Ereignis 1991. Vielmehr berichtet die Klägerin zwar über Schlafstörungen mit Albträumen, benennt als Belastungsfaktoren den Telefonterror durch den Ex-Freund aus der außerehelichen Beziehung 1999 und die abgebrochene Beziehung zu ihrer Mutter. Auch dem Bericht der Dr. N. vom 20. Dezember 2004 sind keine konkreten Hinweise auf das Vergewaltigungsgeschehen 1991 zu entnehmen. Eine weitere Verstärkung der Belastung hat die Klägerin ab dem Jahr 2005 selbst darauf zurückgeführt, dass ihre Tochter nun in dem Alter war, in welchem sie selbst durch ihren Onkel missbraucht wurde. Erst im weiteren Verlauf traten in der Wahrnehmung der Klägerin die Misshandlungen durch die Mutter und die Missbrauchserfahrungen in der Kindheit gegenüber der Vergewaltigung 1991 zurück. Dies ist, wie Prof. S. nachvollziehbar darstellt, auch dadurch bedingt, dass diese Tat gegenüber den Misshandlungen in der Kindheit und den Missbrauchshandlungen durch den Onkel besser konkretisierbar ist sowie dadurch, dass die Klägerin durch die Aufarbeitung des Geschehens im OEG-Verfahren und damit neuerlichen Kontakt mit dem Schädiger sich aktuell in einer ohnehin belasteten Lebenssituation erneut mit diesem Ereignis auseinandersetzen musste, dies verstärkt durch das zeitweise Nachstellen seitens des Schädigers. Aus dem Umstand, dass sich die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung hierdurch in ihrem Ausdruck verstärkt auf das Vergewaltigungstrauma kapriziert hat kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass dieses die anderen Belastungsmomente als ursächlich verdrängt hat. Der dem Schädigungsereignis 1991 ausreichend nachvollziehbare Verschlimmerungsanteil der PTBS ist mit einem GdS von 20 ausreichend und angemessen bewertet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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