L 18 AL 80/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 52 AL 744/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 80/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. April 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die 1980 geborene Klägerin begehrt die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab 11. Juni 2017.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin, die ausgebildete Maskenbildnerin ist und in der Vergangenheit bei verschiedenen Arbeitgebern meist kurzzeitig beschäftigt war, antragsgemäß Alg in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 56,02 EUR für die Zeit vom 9. Mai 2017 mit Unterbrechungen bis 9. Juni 2017 (Bescheid vom 17. Mai 2017, Änderungsbescheide vom 17. Mai 2017, 30. Mai 2017, 1. Juni 2017, Entgeltbescheinigung vom 12. Juni 2017).

Die Klägerin meldete sich am 1. Juni 2017 mit Wirkung zum 9. Juni 2017 erneut arbeitslos und beantragte Alg.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 lehnte die Beklagte den Alg-Antrag für die Zeit ab 10. Juni 2017 ab. Die Klägerin sei in den letzten zwei Jahren weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen und habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2017 zurück. Zur Begründung hieß es, nach Erschöpfung des Restanspruchs mit Ablauf des 9. Juni 2017 bestehe kein Anspruch auf Alg, weil die Klägerin keine neue Anwartschaftszeit erfüllt habe. Sie habe zuletzt eine Anwartschaftszeit zum 23. Dezember 2015 erfüllt, am 22. Dezember 2015 habe die damalige Rahmenfrist geendet. Innerhalb der Rahmenfrist vom 23. Dezember 2015 bis 8. Juni 2017 seien nur 155 Kalendertage zu berücksichtigen, in denen die Klägerin versicherungspflichtig gewesen sei. Die zwischenzeitlich immer wieder für 1 bis 3 Tage ausgeübten Beschäftigungen seien berufsmäßig ausgeübte unständige und damit in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfreie Beschäftigungen und könnten die Anwartschaftszeit nicht erfüllen.

Vom 11. bis 12. Juni 2017, am 14., 17., 22., 24. und 25. Juni 2017, vom 1. bis 2. Juli, am 4. Juli und vom 6. bis 7. Juli 2017, vom 10. bis 20. August 2017, vom 21. August bis 16. Oktober 2017, vom 17. Oktober bis 30. November 2017 stand die Klägerin in Beschäftigungsverhältnissen bei verschiedenen Arbeitgebern. Mit Wirkung zum 1. Dezember 2017 meldete sie sich wiederum bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg.

Mit ihrer nachfolgenden Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klägerin ihre "in der Rahmenfrist vom 23. Dezember 2015 bis 9. Juni 2017 ausgeübten Beschäftigungszeiten" (beginnend am 14. Februar 2016 bis zum 10. Juni 2017) dargelegt. Auf die tabellarische Übersicht Bl. 27 bis 29 der Gerichtsakten wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 19. April 2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Alg-Anspruch. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie erfülle die Anwartschaftszeit nicht. Innerhalb der Rahmenfrist vom 23. Dezember 2015 bis 8. Juni 2017 habe die Klägerin nicht zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, sondern nur 154 Tage, ggf. höchstens 165 Tage. Die Beklagte habe die übrigen geltend gemachten Zeiten zu Recht als versicherungsfrei angesehen, da es sich um unständige Beschäftigungen, die die Klägerin berufsmäßig ausgeübt habe, gehandelt hätte. Ihre Beschäftigungsverhältnisse als Maskenbildnerin bestanden in der Regel unter einer Woche. Der unregelmäßige Arbeitseinsatz bei ständig wechselnden Arbeitgebern könne nach dem allgemeinen Berufsbild der ausgeübten Tätigkeit als typisch angesehen werden. Diese Tätigkeit habe den Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit der Klägerin gebildet. Auch ein Anspruch auf Alg unter Berücksichtigung einer Anwartschaftszeit von nur sechs Monaten komme nicht in Betracht, weil sie nicht an mehr als 165 anwartschaftsbegründenden Kalendertagen gearbeitet habe.

Mit ihrer Berufung vom 28. Mai 2018 (einem Montag) gegen das am 27. April 2018 zugestellte Urteil macht die Klägerin geltend, insbesondere bei den Tätigkeiten an der Deutschen Oper Berlin habe es sich um regelmäßig wiederkehrende Einsätze gehandelt, in denen sie zeitlich befristet abhängig beschäftigt gewesen sei. Daneben sei sie auch selbständig tätig gewesen, so dass die abhängigen Beschäftigungen nicht den Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit gebildet hätten, sondern eine Ergänzung hierzu.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2017 zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 11. Juni 2017 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, die Klägerin sei ab 11. Juni 2017 gar nicht arbeitslos gewesen, sondern habe in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Unständige Beschäftigungen, wie im Falle der Klägerin, unterlägen nicht der Versicherungspflicht zur Bundesagentur für Arbeit und könnten damit auch nicht der Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen. Für eine etwaige Rahmenvereinbarung mit diversen Arbeitgebern, dass sich die kurzzeitigen Arbeitseinsätze wiederholen würden, gebe es keine Hinweise. Soweit die Klägerin vortrage, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit habe in der selbständigen Tätigkeit als Maskenbildnerin gelegen, beständen Zweifel, ob sie überhaupt zu Recht vor dem 10. Juni 2017 Alg bezogen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Gerichtsakten und ein Ausdruck der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten (Bl. 1 bis 1733) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 SGG), mit der die Klägerin ihre erstinstanzlich erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 4 SGG) auf Gewährung von Alg weiterverfolgt, ist, wie vom SG zu Recht entschieden worden ist, nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat für den zulässigerweise streitgegenständlichen Zeitraum vom 11. Juni 2017 bis 30. November 2017, nachdem zum 1. Dezember 2017 eine erneute Antragstellung erfolgt war, keinen Anspruch auf Alg.

Gemäß §§ 136 Abs. 1, 137 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III i.d.F. d. Gesetzes v. 20. Dezember 2011, BGBl. I S. 2854) hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Soweit die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in Beschäftigungsverhältnissen stand – ausweislich der in den Leistungsakten vorliegenden Arbeitsbescheinigungen sowie ihres Vortrags mit dem Alg-Antrag zum 1. Dezember 2017 war dies der Fall in den Zeiten vom 11. bis 12. Juni 2017, am 14., 17., 22., 24. und 25. Juni 2017, vom 1. bis 2. Juli, am 4. Juli und vom 6. bis 7. Juli 2017, vom 10. bis 20. August vom 21. August bis 16. Oktober 2017, vom 17. Oktober bis 30. November 2017 – war sie bereits nicht arbeitslos i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Dahinstehen kann, ob für die Zeit ab 21. August 2017 darüber hinaus gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III die Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung erloschen war. Denn auch soweit innerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums Zeiten der Beschäftigungslosigkeit fielen, erfüllte die Klägern die für einen Alg-Anspruch erforderliche Anwartschaftszeit nach § 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht.

Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der grundsätzlich zweijährigen Rahmenfrist (§ 143 Abs. 1 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Diese Voraussetzung kann nur durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt werden, welches bei der Klägerin nicht im erforderlichen Umfang der Fall ist. Die Rahmenfrist reicht gemäß § 143 Abs. 2 SGB III nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der die Arbeitslose die Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Sie dauerte hiernach, wie vom SG zutreffend entschieden worden ist, vom 23. Dezember 2015 bis 8. Juni 2017. Die Klägerin stand indes innerhalb dieser Rahmenfrist nicht zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis, sondern, wie ebenfalls zutreffend entschieden worden ist, lediglich an 154 Tagen, bzw., wenn insoweit der der Berechnung des SG gefolgt wird, was dahinstehen kann, an höchstens 165 Tagen. Die übrigen Zeiten ihrer – überwiegend nur tageweisen – Beschäftigungen sind nicht zu berücksichtigen, weil es sich hierbei um zur Bundesagentur für Arbeit versicherungsfreie Zeiten gemäß § 27 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 SGB III (zur Anwendbarkeit dieser Norm im Rahmen der Anwartschaftszeit vgl. § 142 Abs. 2 Satz 2 SGB III) handelte. Danach sind Personen in einer unständigen Beschäftigung, die sie berufsmäßig ausüben, versicherungsfrei. Nach der Legaldefinition in § 27 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 SGB III ist eine Beschäftigung unständig, die auf weniger als eine Woche der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch Arbeitsvertrag beschränkt ist. So liegt es hier in Bezug auf die überwiegend an einzelnen Tagen ausgeübten Beschäftigungen der Klägerin, d.h. mit Ausnahme der von der Beklagten berücksichtigen Beschäftigungen vom 1. bis 31. Juli 2016, vom 9. September bis 4. Oktober 2016 und vom 5. Oktober bis 23. November 2016 sowie vom 21. März bis 6. Mai 2017. Bei den von der Klägerin in der Rahmenfrist lediglich an Einzeltagen ausgeübten Beschäftigungen als Maskenbildnerin bei unterschiedlichen Arbeitgebern handelte es sich hingegen um arbeitsvertraglich befristete kurzzeitige Beschäftigungen. Dem steht auch ihr wiederholtes Tätigwerden für einzelne Unternehmen (insbesondere die Deutsche Oper Berlin) nicht entgegen, weil selbst eine Aneinanderreihung unständiger Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber, die hier nicht gegeben ist, noch kein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis begründet. Letzteres erfordert vielmehr eine – wofür hier keinerlei Anhaltspunkte bestehen – ununterbrochen anhaltende Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Betroffenen (vgl. Bundessozialgericht [BSG), Urteil vom 27. April 2016 – B 12 KR 16/14 R – juris Rn. 38 m.w.N.). Zwar ist keine unständige Beschäftigung anzunehmen, wenn die einzelnen Beschäftigungen sich vereinbarungsgemäß in regelmäßigen Abständen wiederholen oder wenn sogenannte Kettenverträge zur Umgehung einer ständigen Beschäftigung geschlossen werden. Entsprechende Umstände sind hier jedoch weder von der Klägerin vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Von solcherart (ggf. Rahmen-)Verträgen zu unterscheiden sind Beschäftigungen, die, wie im Fall der Klägerin, sich nicht aufgrund einer schon vorher getroffenen Abrede wiederholen und dann Ausfluss eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses sind, sondern sich lediglich tatsächlich entsprechend einem für den ausgeübten Beruf typischerweise nicht voraussehbaren Arbeitsbedarf und einer entsprechend schwankenden Auftragslage mehr oder weniger lückenlos aneinanderreihen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 1983 – 12 RK 23/81 – juris Rn. 11).

Nach der Rechtsprechung des BSG ist sodann für das Vorliegen "unständiger" Beschäftigung neben der in § 27 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 SGB III (vgl. auch § 163 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) ausdrücklich genannten Befristung der einzelnen Beschäftigungen ein "berufsmäßiges" Tätigwerden des Betroffenen erforderlich (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 S. 40; grundlegend BSGE 36, 262, 265 = SozR Nr. 8 zu § 441 RVO S Aa 12). Voraussetzung ist, dass es sich um Personen handelt, deren Hauptberuf zwar die "Lohnarbeit" bildet, die aber ohne festes Arbeitsverhältnis bald hier, bald dort, heute mit dieser, morgen mit jener Arbeit beschäftigt sind; gerade diese Beschäftigungen müssen zeitlich oder wirtschaftlich den Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit bilden (so auch z.B. BSG Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R [Freelancer], Juris Rn. 25 unter Hinweis auf BSGE 36 a.a.O). Für die Prüfung der Berufsmäßigkeit von unständiger Beschäftigung muss mithin – ähnlich der Prüfung von "Hauptberuflichkeit" in anderen rechtlichen Kontexten – festgestellt werden, ob die auf weniger als eine Woche befristeten Beschäftigungen nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und von ihrem zeitlichen Aufwand her die übrigen "Erwerbstätigkeiten" zusammen deutlich übersteigen (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 5 Nr. 26 LS 2 und Rn. 16 unter Hinweis auf BSG SozR 3-5420 § 3 Nr. 3 S 17 ff). Dies war im Fall der Klägerin ausweislich ihres Vortrags in tatsächlicher Hinsicht, insbesondere unter Berücksichtigung der tabellarischen Übersicht vom 10. Oktober 2017 sowie den vorliegenden Abrechnungsunterlagen für die jeweiligen Beschäftigungen in Bezug auf die Erwerbstätigkeiten in der Rahmenfrist ausweislich des prägenden Umfangs der überwiegend auf einen Tag befristeten Beschäftigungen der Fall, und zwar prognostisch bereits im Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 1983 – 12 RK 23/81 – juris Rn. Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage 2019, § 27 Rn. 28).

Im Übrigen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (vgl. § 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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