S 8 U 185/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 185/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 99/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung weiterer Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom ... umstritten.

Der am ... geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt am ... als Musiker im Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr ... tätig, als er beim Weg zum Treffen des Spielmannszuges einen Motoradunfall erlitt. Am ... stellte er sich bei Dipl.-Med .../Dr ... vor. Er habe sich multiple Abschürfungen zugezogen. Bisher sei die Behandlung wegen einer fraglichen versicherten Tätigkeit zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt worden. Die Feuerwehr teilte mit, der Kläger sei ausschließlich Mitglied des Spielmannszuges. Eine Feuerwehrausbildung besitze er nicht. Der Kläger sei auf dem Weg zur musikalischen Begleitung des Maibaumaufstellens gewesen. Diese Termine seien Bestandteil des Dienstplanes der Freiwilligen Feuerwehr. Der Kläger selbst erklärte, er habe Schürfwunden an Armen und Beinen erlitten.

Am ... wurde ein CT des linken Kniegelenks durchgeführt. Dabei zeigten sich ein ausgeprägtes Spongioseödem zum Teil posttraumatisch im Rahmen eines bone bruise, zum Teil wahrscheinlich auf reaktiv bei ausgeprägter angrenzender Chondropathie sowie ein Meniskusschaden, ein Korbhenkelriss des Außenmeniskus, ein Riss im Hinterhorn des Innenmeniskus, eine diffuse Chondropathie, deutliche Zeichen einer Zerrung des lateralen Kollateralbandes, ein deutlicher Gelenkerguss und eine Baker-Zyste.

Die Beklagte befragte ihren Beratungsarzt, den Facharzt für Chirurgie Dr ..., der unter dem ... ausführte, über Abschürfungen hinaus seien strukturelle Verletzungen nicht gesichert worden. Dem CT seien unfallbedingte Kniebinnenschäden nicht zu entnehmen.

Mit Bescheid vom ... erkannte die Beklagte das Ereignis vom ... als Arbeitsunfall an. Folge des Unfalls seien Abschürfungen der Streckseite beider Arme und Beine. Keine Unfallfolge sei der nachfolgend diagnostizierte Kniebinnenschaden am linken Bein. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten bis zum ... bestanden. Auf den Widerspruch des Klägers zog die Beklagte medizinische Unterlagen zusammen und ließ den Direktor der Klinik für Unfallchirurgie der Medizinischen Fakultät der ...Universität ... Prof ... das Gutachten vom ... erstatten. Dieser führte aus, aus dem MRT vom ..., vier Monate nach dem Unfall, hätten sich eine Innen- und Außenmeniskusläsion, ein Knorpelschaden in den Femurkondylen und Tibiaplateau sowie ein Verdacht auf eine hintere Kreuzbandruptur ergeben. Auf den Bildern vom Unfalltag zeige sich eine Prellmarke im Bereich des Tibiakopfes, so dass davon ausgegangen werden könne, dass es sich um ein dashboard injury handele und dies könne als Ursache für eine Verletzung des hinteren Kreuzbandes angesehen werden. Keine Unfallfolge seien die Meniskusverletzungen. Die MdE betrage 10 v.H. (Beweglichkeit in beiden Kniegelenken 0/0/140).

Die Beklagte befragte ihren Beratungsarzt Dr ..., der unter dem ... ausführte, dem Gutachten von Prof ... könne nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Grundsätzlich liege ein geeigneter Unfallhergang vor. Als verdächtig gelte eine Prellmarke über der Schienbeinrauigkeit, die nach Angabe des Gutachters vom Kläger dokumentiert worden sei. Als weiterer Hinweis gelte ein Bluterguss im Bereich der Kniekehle, der jedoch nicht dokumentiert sei. Nach dem MRT-Befund könne eine partielle Läsion des hinteren Kreuzbandes nicht sicher ausgeschlossen werden. Im Gegensatz hierzu sei im Operationsbericht der Arthroskopie vom ... ein regelrecht ansetzendes hinteres Kreuzband beschrieben worden, wobei das hintere Kreuzband arthroskopisch allerdings nur schwer zu erkennen sei. Eine hintere Kreuzbandverletzung habe daher nicht sicher objektiviert werden können. Es werde eine MRT-Kontrolle empfohlen. Bei den Veränderungen am Außen- und Innenmeniskus sowie am Gelenkknorpel handele es sich um Zufallsbefunde.

Die Beklagte ließ das MRT vom ... erstellen. Danach hätten die Kollateral- und Kreuzbänder keine pathologischen Auffälligkeiten aufgewiesen. Im Vordergrund ständen degenerative Veränderungen des gesamten Kniehauptgelenkes als Gonarthrose Grad III nach Kellgren mit Knorpelschaden am Innen- und Außenmeniskus. Dr ... führte hierzu unter dem ... auch nach nochmaliger Durchsicht der MRT-Aufnahmen vom ... deren Beurteilung durch einen massiven Korbhenkelriss erschwert seien, aus, er gehe von einer oberschenkelnahen Schädigung des hinteren Kreuzbandes durch den Unfall aus. Isolierte Rupturen hätten ein gutes Heilungspotential, so dass dies den MRT-Befund vom ... erkläre. Er empfehle die Anerkennung einer Verletzung des hinteren Kreuzbandes in Verbindung mit dem Unfallereignis vom ...

Mit teilweisem Abhilfe- und Widerspruchsbescheid vom ... änderte die Beklagte den Bescheid vom ... insofern ab, als dass zusätzlich eine oberschenkelnahe Schädigung des hinteren Kreuzbandes am linken Knie anerkannt werde. Im Übrigen werde der Widerspruch zurückgewiesen. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bestünden über den ... hinaus nicht. Die Veränderungen im Außen- und Innenmeniskus seien keine Unfallfolge. Die Beklagte übernehme 1/3 der Kosten des Verfahrens. Rechtsmittel sei die Klage. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom ..., eingegangen bei der Beklagten am ... Der Bescheid sei unrichtig. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass der Widerspruchsausschuss nicht mehr zuständig sei.

Das Verfahren, das zwischenzeitlich Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens S 8 U 45/15 wurde, entwickelte sich wie folgt weiter:

Der Kläger verstand die Ausführung der Beklagten im Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid, die Beklagte übernehme 1/3 der Kosten des Verfahrens, so, dass 1/3 der Behandlungskosten übernommen würden und beantragte am ... die Übernahme. Die Beklagte befragte Dr ..., der unter dem ... ausführte, am ... seien nur Behandlungen an Veränderungen am Meniskus sowie Knorpelglättungen durchgeführt worden; diese seien unfallfremd.

Mit Bescheid vom ... lehnte es die Beklagte ab, aufgrund des anerkannten Arbeitsunfalls Leistungen zu gewähren. Die Arbeitsunfähigkeit ab dem ... erkläre sich durch die Behandlung der unfallfremden Meniskusschäden. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom ... als unbegründet zurück. Der Bescheid vom ... enthalte im Rechtsbehelf den Hinweis auf eine Klage. Dies sei nicht erfolgt. Somit sei der Bescheid bindend geworden. Er könne gegen den Bescheid vom ... weiterhin Klage erheben, die allerdings unzulässig sei.

Die hiergegen erhobene Klage mit dem Ziel des Klägers die Beklagte zu verpflichten, Heilbehandlung aufgrund der hinteren Kreuzbandruptur zu gewähren, endete in einem gerichtlichen Vergleich vom ... mit folgendem Inhalt:

Die Beklagte erkennt an, dem Kläger aufgrund der anerkannten Unfallfolge der oberschenkelnahen Schädigung des hinteren Kreuzbandes am linken Knie Heilbehandlung zu gewähren.

Diese Heilbehandlung steht aber nicht im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung vom ... bis zum ...

Weitere Ansprüche macht der Kläger in diesem Verfahren nicht mehr geltend.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Damit ist der Rechtstreit erledigt.

Gleichzeitig hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Kläger am ... (Eingang des Schreibens vom ...) gegen den Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom ... Klage erhoben hat (§ 91 SGG), die Beklagte diese Klage indes nicht an das Gericht weitergeleitet hat. Ziel dieser Klage ist es, Veränderungen im Außen- und Innenmeniskus als Unfallfolge anzuerkennen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom ..., abgeändert durch Bescheid vom ... in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ... abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Veränderungen im Innen- und Außenmeniskus des linken Kniegelenks als Folge des anerkannten Arbeitsunfalls vom ... anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Noch in der mündlichen Verhandlung am ... haben die Beteiligten entsprechende Anträge gestellt und sich mit einer Entscheidung des durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden und damit zulässig. Die Klage ist am ... schriftlich bei der Beklagten erhoben worden (§ 91 Abs. 1 SGG), aber von dieser nicht an das Sozialgericht Magdeburg weitergeleitet worden (entgegen § 91 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist aber nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, Veränderungen im Innen- und Außenmeniskus des linken Kniegelenks als Folge des anerkannten Arbeitsunfalls vom ... anzuerkennen.

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören (§ 105 Abs. 1 SGG). Im vorliegend zu beurteilenden Rechtsstreit bestehen zwischen den Beteiligten hinsichtlich des Sachverhaltes keine diesen Gerichtsbescheid beeinflussenden Differenzen. Die rechtliche Beurteilung enthält keine Schwierigkeiten. Noch in der mündlichen Verhandlung am 6. September 2016 in der Parallelsache haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ausdrücklich einverstanden erklärt.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung des Unfalls des Klägers als Arbeitsunfall ist § 8 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 jeweils RdNr. 5; BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R – RdNr. 10).

Die den Anspruch begründenden Tatsachen, also die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der eingetretene Gesundheitsschaden müssen bewiesen sein. Dies bedeutet, dass das erkennende Gericht zu der vollen Überzeugung hinsichtlich der behaupteten anspruchserheblichen Tatsachen gelangen muss. Erforderlich ist, dass die Kammer die Tatsache mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also in einem so hohen Grad für wahrscheinlich hält, dass keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl., § 118 Rn. 5 m. w. N.).

Die Beurteilung der erforderlichen Ursachenzusammenhänge wird von zwei Faktoren bestimmt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. September 2004 – B 2 U 34/03 R –, abgedruckt unter juris).

Zum einen gilt im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die "Theorie von der wesentlichen Bedingung" (vgl. KassKomm-Ricke, § 8 SGB VII RdNr. 4, 15 m. w. N. und Urteil des BSG vom 7. September 2004, a. a. O., m. w. N.). In Abweichung von der naturwissenschaftlich-philosophischen Betrachtungsweise der Bedingungs- bzw. Äquivalenztheorie ("conditio sine qua non"), bei der jedes Glied einer Ursachenkette die Verursachung bejaht, so dass ein unendlicher Ursachenzusammenhang entsteht, ist im Sozialrecht nur die Bedingung (Unfallereignis/Exposition) kausal und erheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Gesundheitsschaden zu dessen Eintritt "wesentlich" beigetragen hat. Im Fall der haftungsbegründenden Kausalität heißt dies, dass nicht jeder Gesundheitsschaden, der durch ein Ereignis im naturwissenschaftlichen Sinn verursacht wird, im Sozialrecht als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit anerkannt wird, sondern nur derjenige, der "wesentlich" durch das Unfallereignis bzw. die Einwirkung verursacht worden ist. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Haben mehrere Bedingungen den Eintritt des Gesundheitsschadens zusammen verursacht, erlangen bei wertender Betrachtung auch mehrere gleichwertige (Mit-) Ursachen rechtliche Bedeutung, wenn sie jeweils einen wesentlichen Einfluss auf den Eintritt des Gesundheitsschadens des Versicherten gehabt haben. Andere Bedingungen gelten im Übrigen daneben als rechtlich nicht existent.

Zum anderen reicht es für den anzuwendenden Beweismaßstab aus, dass der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. Urteil des BSG vom 7. September 2004, a. a. O., m. w. N.). Dieser Maßstab bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernste Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung reicht nicht. Bei der haftungsbegründenden Kausalität verdichtet sich eine denkbare Möglichkeit erst dann zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen wesentlichen Verursachung ausscheiden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind Veränderungen im Innen- und Außenmeniskus des linken Kniegelenks nicht als Folge des anerkannten Arbeitsunfalls vom ... anzuerkennen. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden Einschätzungen im Gutachten von Prof ... vom ... und in der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr ... vom ... Beide haben übereinstimmend ausgeführt, ein hinterer Kreuzbandschaden sei Unfallfolge, Veränderungen im Innen- und Außenmeniskus hingegen unfallfremd. Angesichts des Ergebnisses des MRT vom ..., in dem degenerative Veränderungen des gesamten Kniehauptgelenkes als Gonarthrose Grad III nach Kellgren mit Knorpelschaden am Innen- und Außenmeniskus beschrieben worden sind, sind diese Einschätzungen von Prof ... und Dr ... auch schlüssig und nachvollziehbar.

Im Ergebnis ist die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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