Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 1 (42) VG 69/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für Ereignisse, die die Klägerin als Kind im Zeitraum von 1953 bis 1973 und wäh-rend ihrer zweiten Ehe in der Zeit von 1983 bis 1987 erlebt hat.
Die am 00.00.1952 geborene Klägerin beantragte im November 2007 die Gewährung von Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Sie leide unter Angstzuständen, Panikattacken, Albträumen und Depressionen. Als Ursache für diese Erkrankung gab die Klägerin Gewalterfahrungen in ihrer Kind- und Jugendzeit zwischen 1953 und 1973 an. Ebenso sei ihre zweite Ehe von 1983 bis 1987 gewaltbetont gewesen, sodass sie annimmt, dadurch traumatisiert worden zu sein.
In einem Rentenverfahren erstattete unter den 30.01.2007 H ein psychiatrisches Fachgutachten. Dort wird der Klägerin eine "depressive Entwicklung mit Somatisierungs-störung bei dependenter Persönlichkeitsstörung" beschieden. Seit 2000 sei sie nicht mehr in der Lage, gewinnbringend am Erwerbsleben teilzunehmen. Bereits in einem Gutachten vom 11.11.2002 von I wurde bei der Klägerin ein "Borderline-Syndrom" dia¬gnostiziert.
Mit Bescheid vom 17.04.2008 lehnte der Beklagte die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz ab. Die von der Klägerin geschilderten Tathergänge sei-en nicht bewiesen. Die Klägerin habe ausdrücklich darum gebeten ihre Mutter und auch ihren vormaligen Ehemann nicht zu den Geschehnissen zu befragen.
Der Widerspruch der Klägerin gegen diese Entscheidung wurde mit Widerspruchsbe¬scheid vom 08.05.2008 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 13.06.2008 erho¬bene Klage der Klägerin, mit der sie weiterhin Beschädigtenversorgung nach dem Opfe-rentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) begehrt. Ihr früherer Ehemann habe schon seine erste Frau geschlagen. So sei auch ihre eheliche Beziehung gewaltbetont gewesen. Hierin läge der wesentliche Grund für ihre jet-zigen psychiatrischen Erkrankungen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2008 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2008 zu verurteilen, ihr wegen erlittener Gewalttaten Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz insbesondere in Form einer Versorgungsrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu Gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung zutreffend und rechtmäßig gewesen ist. Der wesentliche Teil der Ursache für die heute bei ihr bestehen-den Erkrankungen sei weder die Gewaltbeziehung von 1983 bis 1987 gewesen, noch die als gewalttätig erlebte Kind- und Jugendzeit von 1953 bis 1973.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Frau Q-U. Die Psychiaterin und Psychotherapeutin erstatte ihr Gutachten unter dem 29.07.2009. Dort wurden folgende Diagnosen gestellt:
1. rezidivierende Depression mit somatischen Symptomen (ICD-10 F 33.1) 2. Angsterkrankung mit Panikanfällen, Verlustängsten und verstärktem Sicherungsbe-dürfnis (ICD-10 F 41.3) 3. kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und narzisstischen Anteilen (ICD-10 F 60.8) 4.
Die durch die Diagnosen beschriebene Erkrankung habe sich weit in der Kindheit zurück-liegend entwickelt. Heute vorherrschend seien Verlustängste in Bezug auf den Sohn. Ob-wohl eine Reihe von Traumatisierungen im Leben der Klägerin stattgefunden hätten, läge eine posttraumatische Belastungsstörung heute sicher nicht vor.
Die Depression und die Angststörung seien als reaktive Erkrankungen zu verstehen, die auf der Gesamtheit der biographischen Belastungsfaktoren in der Kindheit und Jugend ba-sierten. Darüber hinaus könnten für die kombinierte Persönlichkeitsstörung genetische Faktoren eine Rolle spielen.
Gewalterlebnisse könnten grundsätzlich eine Schädigung verursachen. Zum Zeitpunkt der Traumatisierung durch den zweiten Ehemann, habe aber bereits seit mindestens 1982 eine komplexe psychiatrische Erkrankung vorgelegen, die als psychosomatische und de-pressive Erkrankung bereits im Kindes- und Jugendalter begonnen habe. Die Angsterkran-kung sei zwar durch die körperliche Misshandlung in den Jahren von 1983 bis 1987 in ge-wisser Weise verschlimmert worden. Der überwiegende Anteil auch bezogen auf die Ver-schlimmerung stelle jedoch die Grunderkrankung der Klägerin dar.
Damit läge eine Erkrankung, die überwiegend durch die angeschuldigten Ereignisse verur-sacht worden sei, nicht vor.
Auf den Vorhalt der Klägerin, dass ihre gewaltbetonte zweite Ehe von 1982 bis 1987 die wesentliche Ursache für ihre Erkrankung darstelle, hat das Gericht die Sachverständige um eine ergänzende Stellungnahme gebeten. Unter dem 11. September 2009 hat die Sachverständige erneut Stellung genommen und ihre Einschätzung erhärtet, dass die ge-waltbetonte Ehe von 1982 bis 1987 nicht die wesentliche Ursache für die jetzt bestehen-den Erkrankungen darstelle, sondern die in ihrem Gutachten beschriebene psychiatrische Grunderkrankung.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, sowie auf den Inhalt der beigezogenen Prozessakten in dem Verfahren S 26 R 33/06 des Sozialgerichts Düsseldorf, die Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtene Entscheidung vom 17.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2008 nicht in ihren Rechten beschwert. Die Entscheidung ist rechtmäßig. Zu Recht hat der Beklagte es abge-lehnt der Klägerin Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG insbesondere in Form einer Versorgungsrente zu gewähren. Denn ein Anspruch auf Versorgung nach dem OEG steht der Klägerin nicht zu.
Wer im Geltungsbereich des Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luft¬fahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädi¬gung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf An¬trag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungs¬gesetzes.
Gemäß § 9 Nr. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält ein Beschädigter Beschädigten-rente. Gemäß § 31 Abs. 1 BVG wird eine Beschädigtenrente ab einem Grad der Schädi-gungsfolgen von 30 gewährt. Der Grad der Schädigungsfolgen wird nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben be-messen. Dabei sind seelische Begleiterscheinungungen und Schmerzen zu berücksichti-gen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen auf Er-werb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Fol-gen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt sind. Das schädi-gende Ereignis selbst und das Vorliegen bestimmter Schädigungsfolgen müssen dabei im Sinne des Vollbeweises erwiesen sein. Hinsichtlich der Kausalität zwischen dem schädi-genden Ereignis und dem Eintritt einer bestimmten Schädigungsfolge und dem dadurch verursachten GdS gilt hingegen das Kausalitätsprinzip der überwiegenden Wahrscheinlich-keit. Ursächlich in diesem Sinne ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophi-schen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt we-sentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen und wie Ursachen zu werten, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annä-hernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine Über-ragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrech-tes.
Nach den Einlassungen der Klägerin und den Feststellungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen geht die Kammer von folgendem Lebenssachverhalt aus:
Die Klägerin entstammt einer unerwünschten Schwangerschaft. Ab dem ersten Lebensjahr hielt sie sich für ein Jahr in einem Heim auf. Nachdem sie wieder bei der Mutter war, kam es zu regelmäßigen körperlichen Züchtigungen durch die Mutter. Es kam zu einer Unsi¬cherheit in der Partnerwahl mit zwei alkoholkranken Partnern. Teilweise konnte sie sich adäquat schützen, indem sie die erste Ehe von sich aus löste. In der zweiten Ehe war die Klägerin jedoch entsprechend ihren Beziehungsunsicherheiten mit Spaltung hochambiva¬lent zwischen Versöhnungen und Trennungswünschen. Seit der Trennung 1987 besteht eine chronisch depressive Erkrankung fort, auch die Ängste sind eher chronifiziert, eine gute Regulierung des Selbstgefühls ist über die Beziehung zum Sohn möglich.
Soweit in diesen Geschehensabläufen Tatbestände zu erkennen sind, die als schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 OEG erfasst werden können, so liegen hierin jedenfalls nicht die wesentlichen Ursachen für das Entstehen und Fortbestehen der diagnostizierten psychiatrischen Erkrankungen der Klägerin.
Zu dieser Auffassung kommt die Kammer auf der Basis des medizinischen Sachverständi-gengutachtens von Frau Q-U vom 29.07.2009. Die Sachverständige stellt in ih¬rem Gutachten überzeugend dar, dass es in der Lebensbiographie zwar zu Traumatisie¬rungen gekommen sei, diese von ihrer Art und schwere her eine posttraumatische Belas-tungsstörung sicher nicht hervorgerufen haben können. So wirkte die Trennung der Kläge-rin im ersten Lebensjahr von der Mutter sicherlich traumatisierend. Auch die in der Folge ent¬wickelte äußerst schwierige und belastende Mutterbeziehung hat traumatisierend ge-wirkt. Ebenso auch die körperlichen Übergriffe der Mutter, sowie zwei problematische Part¬nerschaften, die mehr oder weniger schwer als körperlich übergrifflich erlebt wurden. Kei¬nes der von der Klägerin beschriebenen Ereignisse waren geeignet eine posttraumatische Be¬lastungsstörung im Sinne der ICD-10 Nomenklatur auszulösen. Demnach hätte die be¬troffene Person eine Situation erleben, beobachten oder mit einem oder mehreren Ereig¬nissen konfrontiert gewesen sein müssen, die den tatsächlichen oder den drohenden Tot oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Versehrtheit der eigenen Person oder ande¬rer Personen beinhaltet. Dabei hätte die Reaktion intensive Furcht, Hilf¬losigkeit oder Ent¬setzen umfassen müssen. Eine Solche gravierende Erlebnissituation hat die Sachverstän¬dige trotz intensiver Exploration bei der Klägerin nicht feststellen können.
Gleichwohl stellt sich die Erkrankung der Klägerin als reaktive Störung dar. Als auslösende Faktoren, die auch Tatbestände im Sinne des § 1 OEG sind, kommen nur die körperlichen Züchtigungen durch die Mutter und die tatsächlich ausgeübte Gewalt durch den zweiten Ehemann in Betracht. Die wesentlichen Ursachen für die heute bestehenden Erkrankun-gen der Klägerin liegen aber nicht innerhalb dieser beiden Tatkomplexe.
Die rezidivierenden Depressionen mit somatischen Symptomen haben ihre Genese weit in der Kindheit zurückliegend und sind sicher mitbegründet durch eindeutige biogra-phische Belastungsfaktoren. Die Mutter wurde als ungerecht, strafend und auch schlagend erlebt. Es bestand eine gegenseitige Hassbeziehung. Somatische Symptome mit Magen¬beschwerden und rezidivierende Magengeschwüren reichen bis in die Kindheit (10. Le¬bensjahr) zurück. Ebenso lassen sich eindeutig depressive Symptome bis in die Kindheit zurückverfolgen. Aus dieser anhaltenden und chronifizierten Depression mit schlechter Selbstwertregulierung und gestörtem Selbstbewusstsein, hat sich eine Reihe von Bezie¬hungskonflikten und eine Einschränkung der Beziehungsgestaltung entwickelt. Diese spie¬geln sich sowohl in der Partnerwahl wieder, als auch in Arbeitssituationen, in denen die Klägerin sich häufig ausgenutzt, benachteiligt oder ungerecht Behandelt fühlte.
Der Beginn der daneben bestehenden Angststörung mit Panikzuständen und spezifi-schen Ängs¬ten ist schwer auszumachen. Die Klägerin selbst gibt Ängste mit verstärktem Sicherheits¬bedürfnis seit der Trennung 1987 an. Dabei ist die Intensität und die Qualität dieser Ängste schwer auszumachen. Eindeutig handelte es sich auch um Verlustängste in Bezug auf den Sohn, der als idealisiertes und bestätigendes Objekt in der Selbstwertregu-lierung eine große Rolle spielt. In wieweit tatsächlich ein deutlich verstärktes Sicherungs-bedürfnis in der Öffentlichkeit und in der Wohnung besteht bleibt etwas im Unklaren. Zu-mindest spre¬chen der psychopathologische Befund und die eher geringe affektive Beteili-gung bei der Schilderung der Ängste, eher gegen das Vorhandensein einer verstärkten Schreckhaftig¬keit, eines signifikant verstärkten Sicherungsbedürfnisses.
Ferner besteht mit großer Wahrscheinlichkeit eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dependenten und auch narzisstischen Anteilen. Auch diese Persönlichkeitsstörung hat sich mit Si¬cherheit früh, in den ersten Lebensjahren entwickelt. Aufgrund der unter-schiedlichen bio¬graphischen Belastungsfaktoren, auch genetische Faktoren können eine Rolle spielen. Ab¬hängige, ambivalente Beziehungsstrukturen durchziehen die Biographie der Klägerin. Bei¬de Ehepartner hatten eine Suchterkrankung. Auch die Beziehung zum Sohn ist durch Ab¬hängigkeit, Verlustängste und ein hohes Maß an Aufopferung bestimmt. So die Ausführun¬gen der Sachverständigen in ihrem Gutachten, denen sich die Kammer anschließt.
In der Abwägung der verschiedenen Ursachenfaktoren kommt die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass weder die tatsächliche Gewalterfahrungen im Sinne des § 1 OEG in der Kindheit wie auch in der zweiten Ehe nicht die wesentliche Ursache für das heute be-stehende Krankheitsbild sind und damit eine Ursächlichkeit im Sinne eines Versorgungs-anspruchs nicht wahrscheinlich gemacht werden kann. Vielmehr liegt die Ursache in den anderen, nicht unter das OEG fallenden Faktoren, in der kindlichen Biographie der Kläge-rin. Die körperlichen Traumatisierungen während der Kindheit sind zwar glaubhaft, sie sind aber Traumatisierungen unter anderen wesentlichen und die psychosozialer Entwicklung behindernden Belastungsfaktoren wie unerwünschte Schwangerschaft, emotionale Kühle, nicht erreichbare und letztlich gehasste Mutter, passiv abwartender Vater, frühe Tren-nungserlebnisse durch Heimaufenthalt und Unterbringung bei der Großmutter usw ... Inso-fern besteht bei der Klägerin eine komplexe Traumatisierung, weshalb auch die Entwick-lung einer ungünstigen komplexen Persönlichkeitsstörung insgesamt wahrscheinlich er-scheint und auch die jetzige depressive Erkrankung ebenso wie die Ängste durch diese vorliegende Persönlichkeitsstörung ungünstig und chronisch verlaufen sind.
Zum Zeitpunkt der Gewalteinwirkung in der zweiten Ehe, bestand bei der Klägerin bereits eine komplexe psychiatrische Erkrankung. Die als psychosomatische und depressive Er-krankung bereits im Kindes- und Jugendalter begonnen hatte und auch schon zu mehre-ren Therapien ab 1971 und dem Abbruch der Lehre geführt hatten. Damit mögen die er-lebten körperlichen Misshandlungen innerhalb der zweiten Ehe zu einer gewissen Ver-schlimmerung der Angsterkrankung geführt haben. Die wesentliche Ursache der Sympto-matik liegt aber in der psychiatrischen Grunderkrankung der Klägerin die in ihrer frühen Kindheit entstanden ist.
Die Kostenentscheidung basiert auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für Ereignisse, die die Klägerin als Kind im Zeitraum von 1953 bis 1973 und wäh-rend ihrer zweiten Ehe in der Zeit von 1983 bis 1987 erlebt hat.
Die am 00.00.1952 geborene Klägerin beantragte im November 2007 die Gewährung von Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Sie leide unter Angstzuständen, Panikattacken, Albträumen und Depressionen. Als Ursache für diese Erkrankung gab die Klägerin Gewalterfahrungen in ihrer Kind- und Jugendzeit zwischen 1953 und 1973 an. Ebenso sei ihre zweite Ehe von 1983 bis 1987 gewaltbetont gewesen, sodass sie annimmt, dadurch traumatisiert worden zu sein.
In einem Rentenverfahren erstattete unter den 30.01.2007 H ein psychiatrisches Fachgutachten. Dort wird der Klägerin eine "depressive Entwicklung mit Somatisierungs-störung bei dependenter Persönlichkeitsstörung" beschieden. Seit 2000 sei sie nicht mehr in der Lage, gewinnbringend am Erwerbsleben teilzunehmen. Bereits in einem Gutachten vom 11.11.2002 von I wurde bei der Klägerin ein "Borderline-Syndrom" dia¬gnostiziert.
Mit Bescheid vom 17.04.2008 lehnte der Beklagte die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz ab. Die von der Klägerin geschilderten Tathergänge sei-en nicht bewiesen. Die Klägerin habe ausdrücklich darum gebeten ihre Mutter und auch ihren vormaligen Ehemann nicht zu den Geschehnissen zu befragen.
Der Widerspruch der Klägerin gegen diese Entscheidung wurde mit Widerspruchsbe¬scheid vom 08.05.2008 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 13.06.2008 erho¬bene Klage der Klägerin, mit der sie weiterhin Beschädigtenversorgung nach dem Opfe-rentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) begehrt. Ihr früherer Ehemann habe schon seine erste Frau geschlagen. So sei auch ihre eheliche Beziehung gewaltbetont gewesen. Hierin läge der wesentliche Grund für ihre jet-zigen psychiatrischen Erkrankungen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2008 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2008 zu verurteilen, ihr wegen erlittener Gewalttaten Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz insbesondere in Form einer Versorgungsrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu Gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung zutreffend und rechtmäßig gewesen ist. Der wesentliche Teil der Ursache für die heute bei ihr bestehen-den Erkrankungen sei weder die Gewaltbeziehung von 1983 bis 1987 gewesen, noch die als gewalttätig erlebte Kind- und Jugendzeit von 1953 bis 1973.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Frau Q-U. Die Psychiaterin und Psychotherapeutin erstatte ihr Gutachten unter dem 29.07.2009. Dort wurden folgende Diagnosen gestellt:
1. rezidivierende Depression mit somatischen Symptomen (ICD-10 F 33.1) 2. Angsterkrankung mit Panikanfällen, Verlustängsten und verstärktem Sicherungsbe-dürfnis (ICD-10 F 41.3) 3. kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und narzisstischen Anteilen (ICD-10 F 60.8) 4.
Die durch die Diagnosen beschriebene Erkrankung habe sich weit in der Kindheit zurück-liegend entwickelt. Heute vorherrschend seien Verlustängste in Bezug auf den Sohn. Ob-wohl eine Reihe von Traumatisierungen im Leben der Klägerin stattgefunden hätten, läge eine posttraumatische Belastungsstörung heute sicher nicht vor.
Die Depression und die Angststörung seien als reaktive Erkrankungen zu verstehen, die auf der Gesamtheit der biographischen Belastungsfaktoren in der Kindheit und Jugend ba-sierten. Darüber hinaus könnten für die kombinierte Persönlichkeitsstörung genetische Faktoren eine Rolle spielen.
Gewalterlebnisse könnten grundsätzlich eine Schädigung verursachen. Zum Zeitpunkt der Traumatisierung durch den zweiten Ehemann, habe aber bereits seit mindestens 1982 eine komplexe psychiatrische Erkrankung vorgelegen, die als psychosomatische und de-pressive Erkrankung bereits im Kindes- und Jugendalter begonnen habe. Die Angsterkran-kung sei zwar durch die körperliche Misshandlung in den Jahren von 1983 bis 1987 in ge-wisser Weise verschlimmert worden. Der überwiegende Anteil auch bezogen auf die Ver-schlimmerung stelle jedoch die Grunderkrankung der Klägerin dar.
Damit läge eine Erkrankung, die überwiegend durch die angeschuldigten Ereignisse verur-sacht worden sei, nicht vor.
Auf den Vorhalt der Klägerin, dass ihre gewaltbetonte zweite Ehe von 1982 bis 1987 die wesentliche Ursache für ihre Erkrankung darstelle, hat das Gericht die Sachverständige um eine ergänzende Stellungnahme gebeten. Unter dem 11. September 2009 hat die Sachverständige erneut Stellung genommen und ihre Einschätzung erhärtet, dass die ge-waltbetonte Ehe von 1982 bis 1987 nicht die wesentliche Ursache für die jetzt bestehen-den Erkrankungen darstelle, sondern die in ihrem Gutachten beschriebene psychiatrische Grunderkrankung.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, sowie auf den Inhalt der beigezogenen Prozessakten in dem Verfahren S 26 R 33/06 des Sozialgerichts Düsseldorf, die Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtene Entscheidung vom 17.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2008 nicht in ihren Rechten beschwert. Die Entscheidung ist rechtmäßig. Zu Recht hat der Beklagte es abge-lehnt der Klägerin Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG insbesondere in Form einer Versorgungsrente zu gewähren. Denn ein Anspruch auf Versorgung nach dem OEG steht der Klägerin nicht zu.
Wer im Geltungsbereich des Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luft¬fahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädi¬gung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf An¬trag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungs¬gesetzes.
Gemäß § 9 Nr. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält ein Beschädigter Beschädigten-rente. Gemäß § 31 Abs. 1 BVG wird eine Beschädigtenrente ab einem Grad der Schädi-gungsfolgen von 30 gewährt. Der Grad der Schädigungsfolgen wird nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben be-messen. Dabei sind seelische Begleiterscheinungungen und Schmerzen zu berücksichti-gen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen auf Er-werb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Fol-gen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt sind. Das schädi-gende Ereignis selbst und das Vorliegen bestimmter Schädigungsfolgen müssen dabei im Sinne des Vollbeweises erwiesen sein. Hinsichtlich der Kausalität zwischen dem schädi-genden Ereignis und dem Eintritt einer bestimmten Schädigungsfolge und dem dadurch verursachten GdS gilt hingegen das Kausalitätsprinzip der überwiegenden Wahrscheinlich-keit. Ursächlich in diesem Sinne ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophi-schen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt we-sentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen und wie Ursachen zu werten, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annä-hernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine Über-ragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrech-tes.
Nach den Einlassungen der Klägerin und den Feststellungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen geht die Kammer von folgendem Lebenssachverhalt aus:
Die Klägerin entstammt einer unerwünschten Schwangerschaft. Ab dem ersten Lebensjahr hielt sie sich für ein Jahr in einem Heim auf. Nachdem sie wieder bei der Mutter war, kam es zu regelmäßigen körperlichen Züchtigungen durch die Mutter. Es kam zu einer Unsi¬cherheit in der Partnerwahl mit zwei alkoholkranken Partnern. Teilweise konnte sie sich adäquat schützen, indem sie die erste Ehe von sich aus löste. In der zweiten Ehe war die Klägerin jedoch entsprechend ihren Beziehungsunsicherheiten mit Spaltung hochambiva¬lent zwischen Versöhnungen und Trennungswünschen. Seit der Trennung 1987 besteht eine chronisch depressive Erkrankung fort, auch die Ängste sind eher chronifiziert, eine gute Regulierung des Selbstgefühls ist über die Beziehung zum Sohn möglich.
Soweit in diesen Geschehensabläufen Tatbestände zu erkennen sind, die als schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 OEG erfasst werden können, so liegen hierin jedenfalls nicht die wesentlichen Ursachen für das Entstehen und Fortbestehen der diagnostizierten psychiatrischen Erkrankungen der Klägerin.
Zu dieser Auffassung kommt die Kammer auf der Basis des medizinischen Sachverständi-gengutachtens von Frau Q-U vom 29.07.2009. Die Sachverständige stellt in ih¬rem Gutachten überzeugend dar, dass es in der Lebensbiographie zwar zu Traumatisie¬rungen gekommen sei, diese von ihrer Art und schwere her eine posttraumatische Belas-tungsstörung sicher nicht hervorgerufen haben können. So wirkte die Trennung der Kläge-rin im ersten Lebensjahr von der Mutter sicherlich traumatisierend. Auch die in der Folge ent¬wickelte äußerst schwierige und belastende Mutterbeziehung hat traumatisierend ge-wirkt. Ebenso auch die körperlichen Übergriffe der Mutter, sowie zwei problematische Part¬nerschaften, die mehr oder weniger schwer als körperlich übergrifflich erlebt wurden. Kei¬nes der von der Klägerin beschriebenen Ereignisse waren geeignet eine posttraumatische Be¬lastungsstörung im Sinne der ICD-10 Nomenklatur auszulösen. Demnach hätte die be¬troffene Person eine Situation erleben, beobachten oder mit einem oder mehreren Ereig¬nissen konfrontiert gewesen sein müssen, die den tatsächlichen oder den drohenden Tot oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Versehrtheit der eigenen Person oder ande¬rer Personen beinhaltet. Dabei hätte die Reaktion intensive Furcht, Hilf¬losigkeit oder Ent¬setzen umfassen müssen. Eine Solche gravierende Erlebnissituation hat die Sachverstän¬dige trotz intensiver Exploration bei der Klägerin nicht feststellen können.
Gleichwohl stellt sich die Erkrankung der Klägerin als reaktive Störung dar. Als auslösende Faktoren, die auch Tatbestände im Sinne des § 1 OEG sind, kommen nur die körperlichen Züchtigungen durch die Mutter und die tatsächlich ausgeübte Gewalt durch den zweiten Ehemann in Betracht. Die wesentlichen Ursachen für die heute bestehenden Erkrankun-gen der Klägerin liegen aber nicht innerhalb dieser beiden Tatkomplexe.
Die rezidivierenden Depressionen mit somatischen Symptomen haben ihre Genese weit in der Kindheit zurückliegend und sind sicher mitbegründet durch eindeutige biogra-phische Belastungsfaktoren. Die Mutter wurde als ungerecht, strafend und auch schlagend erlebt. Es bestand eine gegenseitige Hassbeziehung. Somatische Symptome mit Magen¬beschwerden und rezidivierende Magengeschwüren reichen bis in die Kindheit (10. Le¬bensjahr) zurück. Ebenso lassen sich eindeutig depressive Symptome bis in die Kindheit zurückverfolgen. Aus dieser anhaltenden und chronifizierten Depression mit schlechter Selbstwertregulierung und gestörtem Selbstbewusstsein, hat sich eine Reihe von Bezie¬hungskonflikten und eine Einschränkung der Beziehungsgestaltung entwickelt. Diese spie¬geln sich sowohl in der Partnerwahl wieder, als auch in Arbeitssituationen, in denen die Klägerin sich häufig ausgenutzt, benachteiligt oder ungerecht Behandelt fühlte.
Der Beginn der daneben bestehenden Angststörung mit Panikzuständen und spezifi-schen Ängs¬ten ist schwer auszumachen. Die Klägerin selbst gibt Ängste mit verstärktem Sicherheits¬bedürfnis seit der Trennung 1987 an. Dabei ist die Intensität und die Qualität dieser Ängste schwer auszumachen. Eindeutig handelte es sich auch um Verlustängste in Bezug auf den Sohn, der als idealisiertes und bestätigendes Objekt in der Selbstwertregu-lierung eine große Rolle spielt. In wieweit tatsächlich ein deutlich verstärktes Sicherungs-bedürfnis in der Öffentlichkeit und in der Wohnung besteht bleibt etwas im Unklaren. Zu-mindest spre¬chen der psychopathologische Befund und die eher geringe affektive Beteili-gung bei der Schilderung der Ängste, eher gegen das Vorhandensein einer verstärkten Schreckhaftig¬keit, eines signifikant verstärkten Sicherungsbedürfnisses.
Ferner besteht mit großer Wahrscheinlichkeit eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dependenten und auch narzisstischen Anteilen. Auch diese Persönlichkeitsstörung hat sich mit Si¬cherheit früh, in den ersten Lebensjahren entwickelt. Aufgrund der unter-schiedlichen bio¬graphischen Belastungsfaktoren, auch genetische Faktoren können eine Rolle spielen. Ab¬hängige, ambivalente Beziehungsstrukturen durchziehen die Biographie der Klägerin. Bei¬de Ehepartner hatten eine Suchterkrankung. Auch die Beziehung zum Sohn ist durch Ab¬hängigkeit, Verlustängste und ein hohes Maß an Aufopferung bestimmt. So die Ausführun¬gen der Sachverständigen in ihrem Gutachten, denen sich die Kammer anschließt.
In der Abwägung der verschiedenen Ursachenfaktoren kommt die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass weder die tatsächliche Gewalterfahrungen im Sinne des § 1 OEG in der Kindheit wie auch in der zweiten Ehe nicht die wesentliche Ursache für das heute be-stehende Krankheitsbild sind und damit eine Ursächlichkeit im Sinne eines Versorgungs-anspruchs nicht wahrscheinlich gemacht werden kann. Vielmehr liegt die Ursache in den anderen, nicht unter das OEG fallenden Faktoren, in der kindlichen Biographie der Kläge-rin. Die körperlichen Traumatisierungen während der Kindheit sind zwar glaubhaft, sie sind aber Traumatisierungen unter anderen wesentlichen und die psychosozialer Entwicklung behindernden Belastungsfaktoren wie unerwünschte Schwangerschaft, emotionale Kühle, nicht erreichbare und letztlich gehasste Mutter, passiv abwartender Vater, frühe Tren-nungserlebnisse durch Heimaufenthalt und Unterbringung bei der Großmutter usw ... Inso-fern besteht bei der Klägerin eine komplexe Traumatisierung, weshalb auch die Entwick-lung einer ungünstigen komplexen Persönlichkeitsstörung insgesamt wahrscheinlich er-scheint und auch die jetzige depressive Erkrankung ebenso wie die Ängste durch diese vorliegende Persönlichkeitsstörung ungünstig und chronisch verlaufen sind.
Zum Zeitpunkt der Gewalteinwirkung in der zweiten Ehe, bestand bei der Klägerin bereits eine komplexe psychiatrische Erkrankung. Die als psychosomatische und depressive Er-krankung bereits im Kindes- und Jugendalter begonnen hatte und auch schon zu mehre-ren Therapien ab 1971 und dem Abbruch der Lehre geführt hatten. Damit mögen die er-lebten körperlichen Misshandlungen innerhalb der zweiten Ehe zu einer gewissen Ver-schlimmerung der Angsterkrankung geführt haben. Die wesentliche Ursache der Sympto-matik liegt aber in der psychiatrischen Grunderkrankung der Klägerin die in ihrer frühen Kindheit entstanden ist.
Die Kostenentscheidung basiert auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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