L 4 RA 378/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 24 RA 429/01
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 378/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 33/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14.08.2003 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, den Zeitraum vom 01.08.1969 bis zum 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVIwiss) festzustellen.

Der am ...1938 geborene Kläger schloss am 15.07.1963 mit dem akademischen Grad des Diplom-Historikers sein Studium an der K ...-Universität L ... ab. In der Folgezeit arbeitete er am Universitätsarchiv H ... und begann ein Zusatzstudium am Institut für Archivwissenschaft P ..., welches zur H ...-Universität B ... gehörte. Dieses zweite Studium schloss er mit dem akademischen Grad des Diplom-Archivars (vgl. Zeugnis der H ...-Universität B ... vom ...1965) ab. Im Jahr 1972 promovierte er zum Dr. phil. im Fach Geschichte. Der Kläger arbeitete vom 01.01.1965 bis 31.07.1969 als Leiter des Archivs der M ... Universität H ... Er nahm am 01.08.1969 seine Tätigkeit im Staatsarchiv D ... auf und arbeitete dort zunächst als wissenschaftlicher Archivar und ab 01.01.1977 als Diplom-Archivar. Das Beschäftigungsverhältnis dauerte über den 30.06.1990 hinaus fort.

Mit Bescheid vom 24.03.1999 stellte die Beklagte die Zeit vom 01.09.1963 bis zum 31.07.1969 mit einer Unterbrechung vom 06.01.1964 bis zum 31.05.1965, in der der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität H .../W ... gearbeitet hatte, als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVIwiss) fest.

Der Kläger trat zum 01.01.1985 der freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei und entrichtete monatlich auf einen Verdienst von maximal 1.200,00 Mark entsprechende Beiträge. Eine Versorgungszusage ist ihm zu DDR-Zeiten nicht erteilt worden.

Mit Antrag vom 31.05.1999 begehrte der Kläger auch die Feststellung seiner Beschäftigungszeiten beim Staatsarchiv D ... als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der wissenschaftlichen Intelligenz. Mit Ablehnungsbescheid vom 16.02.2001 wies die Beklagte den Antrag zurück. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.04.2001). Für eine Einbeziehung des Klägers im streitigen Zeitraum in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz fehle es an dem hierfür erforderlichen Titel. Eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der wissenschaftlichen Intelligenz nach Anlage 1 Nr. 4 zum AAÜG scheitere daran, dass das Staatsarchiv D ... keine wissenschaftliche Einrichtung im Sinne von § 6 der Verordnung vom 12.07.1951 (GBl. S. 675) gewesen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 16.05.2001 Klage beim Sozialgericht (SG) Dresden erhoben. Er habe seinerzeit willkürlich von der DDR keine Versorgungszusage erhalten, obwohl er sämtliche Anspruchsvoraussetzungen der AVIwiss erfüllt und zwingend einen Anspruch auf Einbeziehung gehabt hätte. Das Staatsarchiv D ... sei eine "wissenschaftliche Einrichtung" gewesen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 14.08.2003 ab. Der Kläger habe gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und 2 AAÜG keinen Anspruch auf die entsprechenden Feststellungen durch die Beklagte. Er unterliege nicht dem Anwendungsbereich des AAÜG, da er am 01.08.1991 keinen Versorgungsanspruch und keine Versorgungsanwartschaft gegen einen Versorgungsträger gehabt habe. Der Kläger habe auf Grund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage auch keinen fiktiven Anspruch in verfassungskonformer Auslegung von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gehabt. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er am 30.06.1990 eine Beschäftigung ausgeübt hätte, auf Grund welcher ihm zwingend eine Versorgungszusage zu erteilen gewesen wäre, die dann - aus bundesrechtlicher Sicht rückschauend - keine rechtsbegründende, sondern nur noch eine rechtsfeststellende Bedeutung gehabt hätte (vgl. Urteile, BSG vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R und B 4 RA 41/01 R -). In Betracht komme vorliegend nur die Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (VO-AVIwiss) vom 12.07.1951 (GBl. S. 675). Der Kläger habe aber am 01.08.1991 (In-Kraft-Treten des AAÜG) keine Versorgungsanwartschaft auf Grund einer "Zugehörigkeit" zum Versorgungssystem der Anlage 1 Nr. 4 zum AAÜG gehabt, weil er nach der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage keinen bundesrechtlichen "Anspruch" auf Versorgungszusage hatte, denn er habe nicht sämtliche Voraussetzungen für die Einbeziehung in die AVIwiss erfüllt. Gemäß § 2 der VO-AVIwiss zählen als Angehörige der wissenschaftlich tätigen Intelligenz: a) hauptberuflich tätige Hochschullehrer, Leiter und hauptberuflich tätige Wissenschaftler an den Akademien, Instituten, wissenschaftlichen Bibliotheken und Museen und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen sowie Verlagsleiter, Chefredakteure, Cheflektoren; ..." Der Begriff "wissenschaftliche Einrichtung" werde in § 6 der AVIwiss näher spezifiziert: "Wissenschaftliche, künstlerische, pädagogische und medizinische Einrichtungen der DDR im Sinne des § 1 dieser Verordnung sind: wissenschaftliche und künstlerische Akademien, Universitäten und Hochschulen, Forschungsinstitute, wissenschaftliche und künstlerische Bibliotheken, Kunstsammlungen und Museen und ihnen entsprechende künstlerisch-wissenschaftliche Einrichtungen, öffentliche Theater- und Kulturorchester, künstlerische Einrichtungen des Films und des Rundfunks in der DDR, alle Einrichtungen des öffentlichen Bildungs- und Erziehungswesens, alle Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens". Zwar könne der Kläger dem versorgungsberechtigten Personenkreis auf Grund seiner beiden Hochschulabschlüsse als hauptberuflich tätiger Wissenschaftler zugerechnet werden. Allerdings gehöre er nicht zum Kreis der obligatorisch ("kraft Gesetzes") in die Verordnungsordnung Einzubeziehenden. Denn aus der Versorgungsordnung ergebe sich nicht zwangsläufig, dass Archive zu den wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR (vgl. § 6 VO-AVIwiss) gehörten. Archive seien in § 6 VO-AVIwiss nicht aufgeführt. Das Archiv ließe sich allenfalls unter den Begriff "entsprechende künstlerisch-wissenschaftliche Einrichtungen" - subsumieren. Allerdings sei auf Grund der sprachlichen Formulierung des Textes bereits zweifelhaft, ob es sich bei den so genannten "entsprechenden" Einrichtungen nicht sowohl um künstlerische als auch wissenschaftliche Einrichtung handeln müsse. Es lasse sich anhand des Verordnungstextes nicht zweifelsfrei erschließen, was die DDR unter "entsprechende" Einrichtungen verstanden habe. Damit werde deutlich, dass eine abstrakt-generelle Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zur AVIwiss nicht möglich sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass den Archivaren in der DDR zum Teil Versorgungszusagen erteilt worden seinen. Denn aus bundesrechtlicher Sicht komme es bei der Auslegung der Versorgungsordnungen weder auf die praktische Handhabung der DDR, noch auf deren Verwaltungspraxis an.

Gegen das am 10.09.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.10.2003 beim LSG Berufung eingelegt. Er vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Staatsarchiv D ... um eine "sonstige wissenschaftliche Einrichtung" im Sinne des § 2 VO-AVIwiss gehandelt habe, und er deshalb auf Gund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage obligatorisch einzubeziehen gewesen wäre. Es sei rechtlich und sachlich nicht nachvollziehbar, warum Wissenschaftler der Staatsarchive mit je zwei Hochschulabschlüssen und besonders vielseitigen und komplizierten Aufgaben gegenüber Bibliotheken, Kunstsammlungen und Museen benachteiligt werden sollten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14.08.2003 sowie den Bescheid vom 16.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 01.08.1969 bis zum 30.06.1990 als weitere Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der wissenschaftlichen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat lagen die Verordnung über das Staatliche Archivwesen vom 11. März 1976 (GBl. I Nr. 10, S. 165) sowie die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über das Staatliche Archivwesen vom 19. März 1976 (GBl. I Nr. 10, S. 169) vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 SGG) ist zulässig, jedoch unbegründet. Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Zeit vom 01.08.1969 bis zum 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVIwiss).

In dem Feststellungsverfahren des Versorgungsträgers nach § 8 AAÜG, das einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähnlich und außerhalb des Rentenfeststellungsverfahrens des Rentenversicherungsträgers durchzuführen ist (stellvertretend BSG, Urteil vom 18.07.1996 SozR 3-8570, § 8 Nr. 2), konnte der Kläger schon deshalb keinen Erfolg haben, weil er vom Anwendungsbereich des AAÜG nicht erfasst wird.

Maßstabsnorm ist insoweit § 1 Abs. 1 AÜÜG. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (=Versorgungsberechtigungen), die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2). Beide Tatbestände erfüllt der Kläger nicht. Er unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG.

Einen Anspruch auf Versorgung (Vollrecht) hatte der Kläger bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 01.08.1991 nicht, da der Leistungsfall (Alter, Invalidität) zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten sei.

Der Kläger war auch nicht Inhaber einer bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 01.08.1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft. Dies beurteilt sich allein nach dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Bundesrecht. Dabei untersagt das bundesrechtliche Neueinbeziehungsverbot, allein auf Grund der von der DDR erlassenen Regelungen ab dem 01.07.1990 neue Versorgungsberechtigungen zu begründen; das ist in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. a Satz 1 Halbsatz 2 zum Einigungsvertrag (EV) vom 31.08.1990 (BGBl. II S. 889) i.V.m. dem am 03.10.1990 zu sekundärem Bundesrecht gewordenen § 22 Abs. 1 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR (RAnglG) vom 28.06.1990 (GBl. I S. 495) niedergelegt. Deshalb ist hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten rückschauend auf den 30.06.1990 abzustellen.

Bei Personen, die am 30.06.1990 in ein Versorgungssystem nicht einbezogen waren, und die nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts einbezogen wurden, ist auf Grund verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob sie aus Sicht des am 01.08.1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30.06.1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R sowie B 4 RA 3/02 R). Dies ist vorliegend zu verneinen. Der Kläger hatte am 01.08.1991 keine Versorgungsanwartschaft.

Dem Kläger war keine Versorgungszusage als nach Art. 19 Satz 1 EV bindend gebliebenem Verwaltungsakt erteilt worden. Er war auch nicht durch Einzelentscheidung der DDR (etwa auf Grund eines Einzelvertrages) einbezogen worden. Eine Rehabilitierungsentscheidung zu seinen Gunsten liegt ebenfalls nicht vor. Der Kläger war auch früher nicht einbezogen worden. Daher kann keine nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EV wegen grober Rechtswidrigkeit unbeachtliche Aufhebung einer solchen Einbeziehung verbunden mit deren Fortwirkung mit Art. 19 Satz 1 EV vorliegen. Ebensowenig konnte deshalb eine frühere Einbeziehung nach den Regelungen der Versorgungssysteme vor Eintritt des Leistungsfalls rechtmäßig entfallen sein und durch eine fingierte Anwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ersetzt werden.

Nach dem am 01.08.1991 gültigen Bundesrecht und auf Grund der am 30.06.1990 gegebenen tatsächlichen Umstände hatte der Kläger aus bundesrechtlicher Sicht auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage. Der fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer solchen Zusage hängt im vorliegenden Fall maßgeblich davon ab, ob eine Einbeziehung in die einzig in Frage kommende Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (VO-AVIwiss) vom 12.07.1951 (GBl. S. 675) in Betracht kommt, d.h. der Kläger einen bundesrechtlichen "Anspruch" auf Versorgungszusage hatte. Der Kläger gehörte jedoch im Hinblick auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit im Staatsarchiv D ... nicht in den Kreis der obligatorisch in die Versorgungsordnung Einzubeziehenden, denn das Staatsarchiv D ... zählte nicht zu den "wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR", da es nicht unter den in § 6 der VO-AVIwiss genannten Einrichtungen aufgeführt ist.

Gem. § 2 VO-AVIwiss gelten als Angehörige der wissenschaftlich tätigen Intelligenz: a) hauptberuflich tätige Hochschullehrer, Leiter und hauptberuflich tätige Wissenschaftler an den Akademien, Instituten, wissenschaftlichen Bibliotheken und Museen und sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen sowie Verlagsleiter, Chefredakteure, Cheflektoren; b) Verwaltungsdirektoren an Akademien, Universitäten, Hochschulen und bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen, Herstellungsleiter in bedeutenden volkseigenen Verlagen; c) besonders qualifizierte Feinmechanikermeister, Präparatoren, Garteninspektoren und Gartenmeister an Unversitäts- und Hochschulinstituten sowie an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen.

Was unter einer "wissenschaftlichen Einrichtung" zu verstehen ist, wird in § 6 VO-AVIwiss näher erläutert:

"Wissenschaftliche, künstlerische, pädagogische und medizinische Einrichtungen der DDR im Sinne des § 1 dieser Verordnung sind: wissenschaftliche und künstlerische Akademien, Universitäten und Hochschulen, Forschungsinstitute, wissenschaftliche und künstlerische Bibliotheken, Kunstsammlungen und Museen und ihnen entsprechende künstlerisch-wissenschaftliche Einrichtungen, öffentliche Theater- und Kulturorchester (einschließlich solcher von Organisationen, soweit sie von der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten anerkannt sind), künstlerische Einrichtungen des Films und des Rundfunks in der DDR, alle Einrichtungen des öffentlichen Bildungs- und Erziehungswesen, alle Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesen."

Die Beschäftigung des Klägers im Staatsarchiv D ... ergibt nach der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage keinen bundesrechtlichen "Anspruch" auf Versorgungszusage, da sie nicht in einer wissenschaftlichen Einrichtung i. S. von § 6 VO-AVIwiss erfolgte. Archive, welcher Art auch immer, sind dort nicht ausdrücklich benannt. Vielmehr heißt es dort "Kunstsammlungen und Museen und ihnen entsprechende künstlerisch-wissenschaftliche Einrichtungen". Ein Archiv ist weder eine Kunstsammlung, noch ein Museum, noch eine diesen Einrichtungen entsprechende künstlerisch-wissenschaftliche Einrichtung. Denn wie sich aus § 6 Abs. 1 der Verordnung über das Staatliche Archivwesen vom 11.03.1976 (GBl. I Nr. 10 S. 165) ergibt, hatte das Staatliche Archivwesen die allseitige Sicherung, wissenschaftliche Bearbeitung und Auswertung der Bestände des staatlichen Archivfonds sowie desjenigen dienstlichen Schriftguts, das für die Aufgabenerfüllung der Staatsorgane, wirtschaftsleitenden Organe, Betriebe, Kombinate und Einrichtungen nicht mehr benötigt werde, zu gewährleisten. Auch konzentrierte sich das Staatliche Archivwesen gem. § 7 der genannten Verordnung mit dem Ziel der weiteren Erhöhung der Effektivität auf die - allseitige Sicherung des dienstlichen Schriftgutes und des Archivgutes einschließlich seiner Verfilmung, Konservierung und Restaurierung, - Bestandsergänzung, Bewertung und Erschließung, - Auswertung von dienstlichem Schriftgut und Archivgut, die Information der Nutzer über Auswertungsmöglichkeiten einschließlich der wissenschaftlichen Benutzerbetreuung und Auskunftserteilung, - Öffentlichkeitsarbeit und Publikationstätigkeit, - Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Archivwissenschaft unter Berücksichtigung der Erkenntnisse und Erfahrungen des Archivwesens der Sowjetunion und der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft, - Rationalisierung und Intensivierung der Leitungs- und Arbeitsprozesse und die Konzentration des Archivgutes in den zuständigen Archiven mit dem Ziel der Herausbildung leistungsfähiger Archive, - Anwendung der modernen Technik zur Erhöhung Effektivität der archivischen Informationsgewinnung.

Bereits aus der Aufgabenzuweisung in §§ 6, 7 der Verordnung über das Staatliche Archivwesen vom 11.03.1976 ist ersichtlich, dass das staatliche Archivwesen keineswegs ausschließlich oder zumindest überwiegend wissenschaftliche Betätigungsfelder hatte, sodass der Hauptzweck des Archivwesens nicht auf die wissenschaftliche Ausrichtung der gesetzlich definierten Aufgaben beschränkt werden kann.

Aus der Ersten Durchführungsbestimmung (1. DB) zur Verordnung über das Staatliche Archivwesen - Zuständigkeit der staatlichen Archive, Bestandsergänzung, Bewertung und Kassation - vom 19.03.1976 (GBl. I Nr. 10 S. 169) ergibt sich, dass auch sprachlich die Staatsarchive nicht zwingend als wissenschaftliche Einrichtungen im Sinne der AVIwiss einbezogen waren. Denn in der 1. DB wird unter Ziff. I. (§§ 1 bis 10) die Zuständigkeit der staatlichen Archive beschrieben. Danach sind die Staatsarchive territorial gegliedert und zuständig für das Archivgut - der Staatsorgane und wirtschaftleitenden Organe der Bezirke und der ihnen nachgeordneten Einrichtungen, der den zentralen Organen und Einrichtungen nachgeordneten Organe und Einrichtungen in den Bezirken und Kreisen und der Vereinigungen volkseigener Betriebe sowie der zentral-und bezirksgeleiteten Kombinate und Betriebe, soweit deren Archive nicht als Endarchiv bestätigt und im zentralen Bestandnachweis des staatlichen Archivfonds (nachfolgend zentraler Bestandsnachweis genannt) registriert sind, - der zentralen regionalen und örtlichen Organe und Einrichtungen ... - der Unternehmen, Betriebe und Einrichtungen der kapitalistischen Wirtschaft mit regionaler Bedeutung und der des Großgrundbesitzes, die in Volkseigentum übergeführt oder aufgelöst wurden (vgl. § 2 der 1. DB).

Dann folgen unter § 3 die Zuständigkeit der Kreisarchive, § 4 die Zuständigkeit der Stadtarchive, § 5 die Zuständigkeit der Betriebsarchive und unter § 6 die Zuständigkeit der Archive wissenschaftlicher Einrichtungen. Hier heißt es: Die Archive der wissenschaftlichen Akademien, Universitäten und Hochschulen und die als Endarchiv bestätigten und im Zentralen Bestandsnachweis registrierten Archive anderer wissenschaftlicher Einrichtungen sind zuständig für das Archivgut dieser Einrichtungen, ihrer Institute und unterstellten Dienststellen sowie für das Archivgut wissenschaftlicher Gesellschaften, Vereinigungen und Stiftungen ihres Bereiches. In dieser Vorschrift ist die Reihenfolge der in § 6 VO-AVIwiss genannten Stellen, d.h. Akademien, Universitäten und Hochschulen sowie wissenschaftlichen Einrichtungen praktisch wortgleich übernommen worden. Die Staatsarchive sind aber unter § 2 und nicht unter § 6, d.h. den Archiven "wissenschaftlicher Einrichtungen" genannt.

Den Gerichten ist es auch nach ständiger Rechtsprechung des BSG versagt, im Wege einer Gesetzes- bzw. Rechtsanalogie das Staatsarchiv D ... einer wissenschaftlichen Einrichtung im Sinne des § 6 der VO-AVIwiss gleichzustellen. Ein solches Analogieverbot ergibt sich zwangsläufig aus dem Neueinbeziehungsverbot des EV (Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Anl. II Kap. VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III Nr. 9 Buchst. a; Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8; EV Nr. 9 Buchst. a Satz 1). Dieses Verbot würde im Fall einer Erweiterung des begünstigten Personenkreises durch Analogie unterlaufen. Eine nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme am 30.06.1990 bestehenden abstrakt-generellen Regelungen der DDR ist bundesrechtlich auch insoweit nicht zulässig, als sie willkürlich sind. Das Verbot der Neueinbeziehung ist verfassungsgemäß. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkür anknüpfen (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R - sowie BSG, Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 62/01 R).

Es kann in diesem Zusammenhang ausdrücklich offen bleiben, ob die Tätigkeit des Klägers als wissenschaftlicher Archivar unter den Anwendungsbereich nach § 2a VO-AVIwiss an einer "entsprechenden wissenschaftlichen Einrichtung" fiele, da das Staatsarchiv D ... jedenfalls keine der genannten wissenschaftlichen Einrichtung im Sinne des § 6 VO-AVIwiss darstellt.

Wie das SG in seinem Urteil zutreffend dargelegt hat, ergibt sich etwas anderes auch nicht daraus, dass nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen den Archivaren in der DDR zum Teil Versorgungszusagen erteilt worden waren. Denn aus bundesrechtlicher Sicht kommt es bei der Auslegung der Versorgungsordnungen weder auf die praktische Handhabung der DDR noch auf deren Verwaltungspraxis an. Damit wird ausgeschlossen, dass beliebige Umstände außerhalb des von den Texten der Versorgungsordnung vorgegebenen Rahmens, die sich mangels gesicherter faktischer Beurteilungsgrundlagen gerade nicht willkürfrei erschließen lassen, bei der Auslegung herangezogen werden. Dies bedeutet zugleich, dass es dem Gericht verwehrt ist, über den Rahmen des § 1 AAÜG hinaus Fallgruppen zu entwickeln, die nicht von dem Sichtungs- und Reinigungsprogramm des AAÜG erfasst sein konnten (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 34/01 R).

Nach alledem ist eine Zugehörigkeit im Sinne einer obligatorischen Einbeziehung des Klägers zur Versorgungsordnung der wissenschaftlichen Intelligenz zu verneinen.

Eine Einbeziehung des Klägers in die zusätzliche Versorgungsordnung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 AAÜG) scheidet aus, da dieser weder den hierzu erforderlichen Titel (Ingenieur oder Techniker) besaß, noch in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder diesem gleichgestellten Betrieb im streitigen Zeitraum beschäftigt war (vgl. dazu BSG, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, 5 bis 8).

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen (§ 160 Abs. 1 SGG), da es zur Frage der wissenschaftlichen Einrichtung im Sinne von § 6 VO-AVIwiss noch keine gefestigte Rechtsprechung des BSG gibt.
Rechtskraft
Aus
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