L 1 KR 57/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 37 KR 625/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 57/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. April 2003 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Widerspruchbescheides.

Hinsichtlich des Sachverhalts bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 28. April 2003 verwiesen. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Beklagte sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zur Erteilung eines Widerspruchsbescheides verpflichtet. Zwischen den Beteiligten sei die der Beurteilung in einem Hauptsacheverfahren vorbehaltene Frage streitig, ob die Beklagte den Sachleistungsanspruch der Klägerin vollen Umfangs erfüllt habe. Es könne nicht richtig sein, wenn einem Versicherungsträger die Möglichkeit eingeräumt werde, Widersprüche durch Nichtbescheidung mit der Begründung, sie seien wenig Erfolg versprechend, der gerichtlichen Kontrolle zu entziehen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. April 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2001 zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§143, 144, 151 SGG). Der Wert des Streitgegenstandes ist dabei nicht zu prüfen, denn die Klage auf Bescheidung des Widerspruchs betrifft keinen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Die Berufung ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Untätigkeitsklage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Widerspruch der Klägerin zu bescheiden.

Nach § 88 Abs. 2 iVm Abs. 1 Satz 1 SGG i. d. F. bis zum 1. Januar 2002 ist die Untätigkeitsklage zulässig, wenn in Angelegenheiten der Krankenversicherung seit der Einlegung des Widerspruchs ein Monat vergangen ist, ohne dass die Behörde über den Widerspruch entschieden hat. Wenn die Beklagte – wie hier gegenüber der Klägerin - eindeutig zu erkennen gegeben hat, den Widerspruch nicht zu bescheiden, ist die Untätigkeitsklage auch ohne Einhaltung dieser Frist zulässig (vgl. Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, Rdnr 5b zu § 88 mwN). Sie ist begründet, wenn kein zureichender Grund dafür vorliegt, dass die Beklagte vor Ablauf der Frist von einem Monat über den Widerspruch noch nicht entschieden hat – die Unterlassung also rechtswidrig ist - und die Klägerin dadurch beschwert ist (vgl. Meyer-Ladewig, aaO, Rdnr. 23 zu § 54).

Im vorliegenden Verfahren ist die Untätigkeitsklage unzulässig. Zwar hat die Verwaltung grundsätzlich auch einen unzulässigen Widerspruch zu bescheiden, z.B. Widersprüche, die verfristet sind oder für die kein Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. Ulmer in Hennig, SGG-Kommentar, Rdnr. 22 zu § 88). Die Rechtsprechung hat jedoch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauches Ausnahmen von der Bescheidungspflicht des § 88 SGG zugelassen, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinen denkbaren Umständen bestehen kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht 28.3.1968 – VIII C 22.67, BVerwGE 29, 239, 243f; Landessozialgericht ( LSG ) Bremen 3.7.1996 – L 4 BR 39/95/ S BR 49/95, SGb 1997, 168; LSG Niedersachsen 26.11.1997 – L 4 Kr 99/96, NZS 1998, 448; Binder in Hk-SGG, § 88 Rz 4; Peters-Sautter-Wolff, aaO; offen lassend Bundessozialgericht 11. 11. 2003 – B 2 U 36/02 R, SozR 4-1500 § 88 Nr 1). Es sei zu berücksichtigen, dass das – formelle – Recht auf Bescheidung an sich nicht Selbstzweck sei, sondern immer nur der Durchsetzung materieller Ansprüche diene. Ergebe die Prüfung der Untätigkeitsklage von vornherein, dass das von der Verwaltungsbehörde nicht beschiedene Sachbegehren offensichtlich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könne, weil der mit dem Antrag (bzw. mit dem Widerspruch) geltend gemachte materielle Anspruch tatsächlich nicht bestehe, so könne die Untätigkeitsklage nicht zur Verurteilung der Behörde auf Erteilung eines (in seinem ablehnenden Inhalt feststehenden) Bescheides oder Widerspruchsbescheides führen. Die Untätigkeitsklage unterliege in solchen Fällen vielmehr unmittelbar der Abweisung, weil sich bei der gerichtlichen Prüfung erweise, dass der Kläger durch die Unterlassung des von ihm materiell zu Unrecht begehrten Verwaltungsaktes nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten verletzt sei. Denn es fehle insoweit auch unter Berücksichtigung des Anspruchs des Bürgers auf Bescheidung seines bei der Behörde gestellten Antrags – bzw. erhobenen Widerspruchs – an einem anerkennenswerten Rechtsschutzbedürfnis. An die Stelle der von der Behörde unterlassenen förmlichen Entscheidung trete das gerichtliche Urteil, das einerseits den behördlichen (Widerspruchs-) Bescheid als solchen ersetze und andererseits die Entscheidung der Vorfrage enthalte, dass der materielle Anspruch nicht gegeben sei (vgl. BVerwG, aaO). Deshalb sei eine Untätigkeitsklage z.B. auch dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich als Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ohne eigenen Nutzen und zum Schaden (Kostenlast) für den anderen Beteiligten darstelle (Schikaneverbot, § 226 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Gebühreninteressen des Prozessbevollmächtigten könnten dabei nicht als eigene Interessen des Klägers berücksichtigt werden (vgl. LSG Bremen, aaO).

Der Senat hält bei aller angebrachten Zurückhaltung im vorliegenden Fall– wie auch das Sozialgericht - die Voraussetzungen der Rechtsmissbräuchlichkeit für gegeben. Der Klägerin wurde die begehrte Leistung, nämlich das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe, vollständig gewährt. Diese Strümpfe wurden ihr durch den Pflegedienst morgens angezogen und zur Nachtruhe wieder ausgezogen. Eine weiteres An- oder Ausziehen kommt nicht in Betracht und wurde weder verordnet noch begehrt. Selbst der Pflegedienst dürfte kaum vorgehabt haben, der Klägerin morgens die Kompressionsstrümpfe an- und (gleich wieder) auszuziehen und diesen sinnlosen Vorgang abends zu wiederholen. Lediglich dem Pflegedienst geht es um die Frage, welche Gebühr er von der Beklagten für seine Tätigkeit bekommt. Ein eigenes Interesse der Klägerin an der Klärung dieser Frage ist weder vorgetragen noch überhaupt denkbar. Die Berufung auf das formelle Bescheidungsrecht eines Widerspruchs durch die Klägerin allein mit dem Ziel, die (wirtschaftliche) Situation eines Dritten zu verbessern, ist rechtsmissbräuchlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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