L 3 R 266/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 21 R 6124/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 266/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt – als Rechtsnachfolger der verstorbenen vormaligen Klägerin - von der Beklagten die Neufeststellung von deren Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis ihres verstorbenen Ehemannes unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten von April 1944 bis Mai 1944 nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der Kläger ist israelischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Israel. Er ist der Sohn und alleinige Erbe der verstorbenen vormaligen Klägerin (nachfolgend: Witwe). Bei dieser handelt es sich um die am 30. Oktober 1928 geborene Witwe – B G - des am 24. März 1927 in Visna-Bistra (damals Tschechoslowakei) geborenen und am 19. Oktober 2008 verstorbenen L A G (im Folgenden: Versicherter). Beide waren seit dem 04. November 1947 verheiratet.

Der Versicherte gehörte zum Personenkreis der Verfolgten nach § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Er bezog aus nachentrichteten Beiträgen eine Altersrente von der Beklagten, bei deren Berechnung der Zeitraum vom 05. April 1944 bis zum 28. April 1945 als Ersatzzeit berücksichtigt wurde. Während des Nachentrichtungsverfahrens hatte der Versicherte bei der Beklagten seine schriftliche Erklärung vom 14. Oktober 1977 vorgelegt, in der er versicherte, die Wahrheit zu sagen, und angab: " 1 ... 4. In den 9, 10, 11, und 12-en Klassen habe ich in Wolowa im Gymnasium gelernt. 5. Am Ende des 12-ten Schuljahres wurden wir in Konzentrationslager deportiert, bevor ich es geschafft habe die Maturaprüfung zu schreibe. 6 ..."

Die Beklagte bewilligte der Witwe mit Bescheid vom 15. Mai 2009 eine große Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten ab dem 01. November 2008 ohne Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten (monatlicher Zahlbetrag ab dem 01. Juli 2009: 423,18 EUR). In Israel bezog die Witwe eine Altersrente von dem National Insurance Institut.

Am 28. Dezember 2009 beantragte die Witwe bei der Beklagten die Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG und trug vor, ihr Ehemann habe sich in der Zeit von April 1944 bis Mai 1944 in den Ghettos Iza und Huszt (damals Ungarn) aufgehalten und dort Reinigungsarbeiten ausgeführt.

Auf Anfrage der Beklagten übersandte das Bundesamt für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) zum Aktenzeichen AG Unterlagen aus dem dortigen Verwaltungsverfahren, in dem der Versicherte im Januar 2008 einen Antrag auf eine "Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Getto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist", gestellt hatte. Zur Verwaltungsakte der Beklagten gelangten auf diesem Wege der vom Versicherten mit dem Datum des 31. Dezember 2007 in jenem Verfahren ausgefüllte und unterzeichnete Antragsvordruck, in welchem er durch Ankreuzen erklärt hatte, dass er als Verfolgter im Sinne von § 1 BEG vom Bundesministerium der Finanzen anerkannt sei, sich 1944 im Ghetto Huszt befunden und sich Arbeit innerhalb oder außerhalb des Ghettos selbst gesucht habe.

Weiterhin zog die Beklagte die Verwaltungsakte des Amtes für Wiedergutmachung Saarburg zum Aktenzeichen VA 817829 Pe bei, bei dem der Versicherte im Dezember 1953 Entschädigungsleistungen nach dem BEG beantragt hatte. Aus dieser Verwaltungsakte nahm die Beklagte einen Teil (nur Seite 2) der eidesstattlichen Erklärung des Versicherten vom 24. Oktober 1955 in Kopie zu ihrer Verwaltungsakte, in der der Versicherte ausgeführt hatte: "Im April 1944 wurde ich, wegen Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse, von der ungarischen Polizei verhaftet und mit meinen Eltern und Geschwistern in das Ghetto Iza eingeliefert. Hier waren wir ca. eine Woche und überführte man uns dann in das Ghetto Huszt. Wir trugen Zivilkleidung mit dem Judenstern auf der Brust. Ich habe nicht gearbeitet, da ich noch zu jung war. Das Ghetto war mit Stacheldraht umzäunt und wurde von ungarischer Polizei bewacht. Im Mai 1944 kam ich mit einem Waggontransport in das KZ Auschwitz. " Im Weiteren führte der Versicherte in dieser Erklärung aus, dass er danach in das Konzentrationslager (KZ) Birkenau gekommen sei und dort in der Lagerküche gearbeitet habe, im Juli 1944 sei er in das KZ Warschau verbracht worden, wo er Aufräumungsarbeiten verrichtet habe, im Oktober 1944 in das KZ Dachau, dann in das KZ Mühlendorf-Waldlager, wo er außerhalb des Lagers im Eisenkommando gearbeitet habe, im Dezember 1944 in das KZ Mühldorf-Stadtlager, wo er bei der Hauptbaustelle arbeitete. Sein Bruder sei im März 1945 an Typhus gestorben, er sei im April 1945 befreit worden. Den Rest in der Familie habe er nie wieder gesehen. Die Richtigkeit seiner Aussage werde "bei Gott beschworen".

Die Beklagte erinnerte die Witwe im Februar 2011 an die Übersendung des ZRBG- Antragsvordrucks, welcher am 08. März 2013 ausgefüllt und von der Witwe am 04. März 2013 unterschrieben einging. In diesem erklärte sie, dass der Versicherte von April bis Mai 1944 im Ghetto Huszt zu Reinigungsarbeiten auf der Straße durch den Judenrat angestellt worden sei. In der Folgezeit trug sie vor, wegen seines jungen Alters habe der Versicherte keine Zwangsarbeit leisten können, sich aber anderweitig Arbeit gesucht.

Zudem nahm die Beklagte Auszüge aus der Ghettoliste der ZRBG-Lenkungsgruppe zur Akte, worin ein Ghetto im Ort Iza (Ungarn, Operationszone I; heute Ukraine) in der Zeit vom 16. April bis zum 13. Juli 1944 und ein Ghetto im Ort Khust (Chust, Huszt), Transkarpatien (am 19. März 1944 als Teil Ungarns von deutschen Truppen besetzt) vom 16. April bis zum 13. Juli 1944 aufgeführt werden.

Mit Bescheid vom 24. Mai 2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Ghetto- Beitragszeiten ab. Die Arbeitszeit des Versicherten von April 1944 bis Mai 1944 in den Ghettos Iza und Huszt sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Arbeit im Ghetto müsse zwar nicht bewiesen werden, es genüge, wenn sie unter Berücksichtigung aller vorhandenen Kenntnisse überwiegend wahrscheinlich sei. Der Versicherte habe allerdings im Entschädigungsverfahren erklärt, dass er nicht gearbeitet habe, da er noch zu jung gewesen sei. Diese im Entschädigungsverfahren abgegebene ‚"bei Gott beschworene" Erklärung sei eindeutig und differenziere zwischen dem Aufenthalt im Ghetto und dem späteren Aufenthalt im Konzentrationslager.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2013 als unbegründet zurück.

Mit der dagegen am 28. Oktober 2013 beim Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Witwe ihr Anliegen weiterverfolgt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass der Versicherte im Ghetto Huszt von April bis Mai 1944 Reinigungsarbeiten für die Ghettoverwaltung gegen zusätzliche Lebensmittel als Entlohnung ausgeübt habe. Sie habe die Tätigkeit des Versicherten eidesstattlich versichert, der Versicherte habe ihr darüber erzählt. Widersprüchliche Angaben im Entschädigungsverfahren sollten nicht anspruchsvernichtend sein. An die Beurteilung der ZRBG-Sachverhalte seien keine strengen Maßstäbe anzusetzen. Verbleibende Zweifel seien daher unschädlich.

Nachdem die Beteiligten zuletzt mit schriftlichen Erklärungen vom 13. Mai 2014 und 28. Oktober 2016 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hatten, hat das SG mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 16. März 2017 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2013 sei rechtmäßig und verletze die Witwe nicht in ihren Rechten. Diese habe keinen Anspruch auf Neufeststellung ihrer Witwenrente unter Berücksichtigung der geltend gemachten Ghetto-Beitragszeit. Die dafür erforderlichen Ghetto-Beitragszeiten nach § 55 Abs. 1 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), § 2 Abs. 1 ZRBG habe der Versicherte nicht erworben. Zwar genüge es für die Feststellung der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und b) ZRBG erforderlichen Tatsachen, wenn sie glaubhaft gemacht seien. Die Witwe habe jedoch für den streitigen Zeitraum eine Beschäftigung ihres verstorbenen Ehemannes nicht glaubhaft machen können. Es werde insoweit auf die ausführliche Begründung der Beklagten im Bescheid vom 24. Mai 2013 verwiesen, der die Kammer vollumfänglich folge (vgl. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Ausgangspunkt einer Glaubhaftmachung sei eine nachvollziehbare und in sich schlüssige Darstellung eines Antragstellers. Erforderlich sei diesbezüglich ein durchgängig stimmiges eigenes Vorbringen, beginnend mit den ersten festgehaltenen Angaben, auch im Entschädigungsverfahren. Im vorliegenden Fall fehle es aber schon an jeglichen Angaben des Verstorbenen im Hinblick auf eine von ihm durchgeführte Arbeit im Ghetto. In der persönlichen Einlassung des Verstorbenen im Rahmen des Entschädigungsverfahrens habe dieser ausführlich und detailliert sein Verfolgungsschicksal geschildert. Er sei mit seinen Eltern und Geschwistern für ca. eine Woche in das Ghetto Iza verbracht worden und danach in das Ghetto Huszt. Dort habe er Zivilkleidung getragen mit dem Judenstern auf der Brust und er habe nicht gearbeitet, da er noch zu jung gewesen sei. Diese Angaben seien detailliert und ausführlich. Die Angaben der Witwe, die Kenntnis der Umstände nur vom Hörensagen haben könne, hätten schon grundsätzlich einen schwächeren Beweiswert. Bestünden Zweifel, wie die Einlassungen des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren zu werten gewesen wären, könnten auch Angaben vom Hörensagen zur Sachverhaltsaufklärung beitragen und seien zu berücksichtigen. Die Angaben der Witwe besagten vorliegend aber genau das Gegenteil der einzig noch vorhandenen persönlichen Einlassung des verstorbenen Versicherten. Von einer Glaubhaftmachung der geltend gemachten Beitragszeit könne daher nicht aus gegangen werden.

Gegen das der Witwe am 22. März 2017 zugestellte Urteil hat sie am 23. März 2017 Berufung eingelegt. Sie habe eidesstattlich versichert, dass der Versicherte von April bis Mai 1944 im Ghetto Huszt freiwillig Reinigungsarbeiten verrichtet habe. Dies sei für die nur erforderliche Glaubhaftmachung ihres Anspruches ausreichend, zumal sie sich aufgrund des Todes des Versicherten in unverschuldeter Beweisnot befinde. Zu bedenken sei, dass der Versicherte 1944 bereits 17 Jahre als gewesen sei und nach historischen Erkenntnissen eine Arbeitspflicht bereits ab dem 12. Lebensjahr bestanden habe. Daher sei die Aussage des Versicherten im Entschädigungsverfahren, er sei zu jung zum Arbeiten gewesen, nach ihrer Ansicht nicht zutreffend, zumal sich die Aussagen des Versicherten in dem Verfahren auf ein paar Zeilen ohne genauere Einzelheiten beschränkten.

Die Witwe ist am 26. Juli 2017 verstorben. Ihr Sohn und alleiniger Erbe, Zvi G (Kläger) führt das Verfahren unter Nachweis der Rechtsnachfolge fort.

Der Kläger beantragt sinngemäß:

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm als Rechtsnachfolger der verstorbenen Witwe des Versicherten A G höhere Witwenrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten des Versicherten von April bis Mai 1944 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat die Akten des Landesamtes für Finanzen Rheinland-Pfalz – Amt für Wiedergutmachung – Saarburg zum Aktenzeichen VA 817829 Pe beigezogen. In dieser befindet sich die vollständige mit "G L A" unterzeichnete eidesstattliche Erklärung des Versicherten vom 24. Oktober 1955 sowie eine weitere eidesstattliche Erklärung des Versicherten vom 08. September 1957 (betreffend eine Deportierung in den Jahren 1941 bis 1942). Zudem befindet sich eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen N J, geboren am 18. August 1912 in Maidan (CSR), vom 02. November 1955 in dieser Verwaltungsakte in der er berichtet: "Ich habe den G schon vor dem Kriege gekannt. Im April 1944 wurde ich ins Ghetto Huszt eingewiesen, wo ich den G wieder getroffen habe. Ich habe dort gelegentlich gearbeitet, er hat, wegen seiner Jugend, nicht gearbeitet. Wir trugen Zivilkleidung mit dem Judenstern auf der Brust. Im Mai 1944 transportierte man uns zusammen ins KZ Auschwitz Nach einigen Tagen wurden wir in das KZ Warschau überführt ... Wir wurden bei Aufräumungsarbeiten beschäftigt und hatten Häftlingskleidung und Häftlingsnummer ... " Mit dem Versicherten, so die weiteren Ausführungen des Zeugen, sei er in das KZ Mühlendorf-Waldlager gekommen und habe dort mit dem Versicherten im Eisenkommando gearbeitet.

Des Weiteren hat der Senat die Akte des BADV, Aktenzeichen AG AfG-O 1470 - 14910/08, beigezogen. Der dortige Antrag des Versicherten vom 30. Januar 2008 auf Anerkennungsleistung wurde mit Bescheid vom 31. Oktober 2013 abgelehnt. In der Begründung heißt es, dass der Versicherte zwar im Ghetto K untergebracht gewesen sei, jedoch aus den beigezogenen Unterlagen des früheren Entschädigungsverfahrens hervorgehe, dass der Versicherte dort nicht gearbeitet habe, da er noch zu jung gewesen sei. Im Widerspruchsverfahren hierzu gelangte eine "Erklärung" der Witwe 14. Mai 2013 zur Akte in der es heißt: "Mein Ehemann G A befand sich in April-Mai 1944 im Ghetto Chust, Ukraine. Es ist wahr, dass wir haben am 04.11.1947 geheiratet. Es ist nicht viel Zeit nach dem Krieg vergangen. Alles war noch frisch im Gedächtnis. Mein Ehemann hat mir immer erzählt, was im Ghetto und später in Auschwitz geschah. Er erzählte, dass im Ghetto hat er gearbeitet und nämlich Straßenreinigungsarbeiten erfüllt und sagte, dass es materielle Hilfe für ihn war."

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 04. Juni sowie 04. Juli 2018 ihr Einverständnis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Akten, die bei Entscheidungsfindung vorlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig.

Der Kläger ist klagebefugt (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG), weil die Möglichkeit besteht, dass ihm als Rechtsnachfolger (§ 58 SGB I i.V.m. § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB) der vormaligen Klägerin (Witwe des verstorbenen Versicherten) der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Jedoch ist die Berufung unbegründet. Das Urteil des SG Berlin vom 16. März 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2013 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Witwenrente unter Berücksichtigung der Monate April und Mai 1944 als Ghetto-Beitragszeiten nach dem ZRBG neu festgestellt wird.

Nach §§ 46 Abs. 2, 63 Abs. 1 SGB VI richtet sich die Höhe der (Witwen-) Rente vor allem nach der Höhe der während des Arbeitslebens des Versicherten durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VI wird das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in Entgeltpunkte umgerechnet. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden. Danach zu berücksichtigende Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (vgl. Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rdn. 1, Stand IV/2009). Eine gesetzliche Fiktion in diesem Sinne enthält § 2 Abs. 1 ZRBG, wonach für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten. Die Vorschrift lautet:

§ 2 Fiktion der Beitragszahlung

(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar

1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).

(2) Zusätzliche Entgeltpunkte für Beitragszeiten außerhalb des Bundesgebiets sind auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht zu ermitteln.

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,

soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird ...

Der Zeitraum von April bis Mai 1944 ist nicht als Ghetto-Beitragszeit des verstorbenen Versicherten anzuerkennen, da eine (entgeltliche) Beschäftigung im Ghetto Iza bzw. im Ghetto Huszt im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG nicht glaubhaft gemacht ist.

Der Versicherte war - dies ist unstreitig - Verfolgter im Sinne des § 1 BEG. Auch hielt er sich nach Überzeugung des Senats zwangsweise in den Ghettos Iza und Huszt in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs auf. In diesem Punkt entspricht die Bewertung des Senates jener des BADV im Bescheid vom 31. Oktober 2013. Ausweislich der in den Verwaltungsakten der Beklagten befindlichen Auszüge aus der Ghettoliste der ZRBG-Lenkungsgruppe befanden sich in der Zeit vom 16. April bis zum 13. Juli 1944 Ghettos in den Orten Iza und Khust (Huszt).

Eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung des Versicherten in den Ghettos Iza und Huszt ist jedoch nicht glaubhaft gemacht.

Für die Feststellung der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZRBG erforderlichen Tatsachen genügt es nach § 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 in der ab dem 01. Januar 1992 geltenden Fassung (WGSVG), wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 2 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01. September 2006, L 4 R 145/05, in juris).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 SGG) hält der Senat es nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass der Versicherte während des nur kurzen Aufenthaltes in den Ghettos Iza und Huszt eine Beschäftigung bei der Straßenreinigung ausgeübt hat.

Der Versicherte hatte in seiner in der Entschädigungsakte befindlichen eidesstattlichen Erklärung vom 24. Oktober 1955, welche mit dem Namen G L A unterzeichnet ist, dort auf Seite 2 angegeben, dass er nach seiner Verhaftung für ca. eine Woche im Getto Iza war und dann ins Ghetto Huszt überführt wurde; dort habe er nicht gearbeitet, da er noch zu jung war. Diese Aussage wird ausdrücklich bestätigt durch den Zeugen N J, der in seiner eidesstattlichen Erklärungvom 02. November 1955 berichtete, den Versicherten im Getto Huszt wieder getroffen zu haben, der dort wegen seiner Jugend nicht gearbeitet habe. Beide Aussagen, die noch zeitnah zu dem zu beurteilenden Sachverhalt (Aufenthalt und Arbeit im Ghetto Huszt im April/Mai 1944) getroffen wurden, stimmen weitgehend überein und überzeugen den Senat. Dies insbesondere deshalb, weil sowohl in der eidesstattlichen Erklärung des Versicherten als auch in jener des Zeugen N J über eine Vielzahl anderer Tätigkeiten an den innerhalb nur eines Jahres (Mai 1944 bis Mai 1945) mehrfach wechselnden Aufenthaltsorten (Arbeit in der Lagerküche im KZ Birkenau, Aufräumungsarbeiten im KZ Warschau, Arbeit im Eisenkommando im KZ Mühlendorf-Waldlager, Arbeit bei der Hauptbaustelle im KZ Mühlendorf-Stadtlager) im Einzelnen berichtet wurde. Auch hatte der Zeuge N Jin seiner eidesstattlichen Erklärungvom 02. November 1955 hervorgehoben, dass er – im Gegensatz zu dem Versicherten – während des Aufenthaltes im Ghetto Huszt gelegentlich gearbeitet habe.

Eine Arbeitstätigkeit des Versicherten im Ghetto Iza hält der Senat schon deshalb nicht für wahrscheinlich, da der Versicherte nach seinen eigenen Angaben direkt von der Schulbank mit seiner Familie ins Ghetto (nach seiner im Nachentrichtungsverfahren vorgelegten wahrheitsgemäßen Erklärung vom 14. Oktober 1977: ins Konzentrationslager) verbracht worden war und nach seiner eidesstattlichen Erklärung vom 24. Oktober 1955 sich dort maximal eine Woche aufgehalten hatte. Abgesehen davon, hatte er Jahre später in dem von ihm am 31. Dezember 2007 im Verfahren beim BDAV ausgefüllten und unterzeichneten Antragsvordruck nur einen Aufenthalt im Ghetto Huszt im Jahre 1944 mitgeteilt.

Soweit der Versicherte unter dem 31. Dezember 2007 in seinem Antrag auf "Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Getto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist" durch Ankreuzen nunmehr erklärt hatte, sich 1944 im Ghetto Huszt befunden und sich Arbeit innerhalb oder außerhalb des Ghettos selbst gesucht zu haben, vermögen diese pauschalen Angaben ohne konkrete Bezeichnung der ausgeübten Tätigkeiten und ohne deren zeitliche Zuordnung vor dem Hintergrund der detaillierteren Angaben des Versicherten aus dem Jahre 1955 im Entschädigungsverfahren nach dem BEG nicht zu überzeugen. Dies gilt auch für die im BADV-Verfahren abgegebene eidesstattliche Erklärung der Witwe vom 14. Mai 2013, wonach ihr Ehemann ihr berichtet haben soll, dass er im Ghetto Chust Straßenreinigungsarbeiten erfüllt habe und es materielle Hilfe für ihn gewesen sei. Denn dies steht - nach Auffassung des Senats - in einem nicht zu überbrückenden Widerspruch zu den eindeutigen eidesstattlichen Erklärungen des Versicherten und des Zeugen N J aus dem Jahre 1955. Auch wenn der Senat zugunsten des Versicherten berücksichtigt, dass im Entschädigungsverfahren nach dem BEG von den verfolgten Versicherten oft nicht zwischen Zwangsarbeit und einer – nach dem ZRBG maßgeblichen - Beschäftigung aufgrund eigenen Willensentschlusses differenziert, sondern pauschal "Zwangsarbeiten" angegeben worden war, vermag dies vorliegend zu keiner anderen Beurteilung führen. Denn hier hatte der Versicherte – bestätigt durch Zeugenerklärungen aus eigenem Erleben – in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 24. Oktober 1955 ausdrücklich jegliche Tätigkeit im Ghetto verneint, dagegen die kurze Zeit später während der Aufenthalte in den verschiedenen Konzentrationslagern ausgeübten Arbeitstätigkeiten im Einzelnen bezeichnet.

Insoweit erscheint es lediglich als möglich, jedoch nicht als überwiegend wahrscheinlich, dass der Versicherte im Ghetto Huszt aufgrund eigenen Willensentschlusses einer Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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