L 4 R 697/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 544/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 697/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30. November 2016 hinaus.

Die 1971 geborene Klägerin ist gelernte Einzelhandelskauffrau. 1994/95 absolvierte sie auf Initiative der Arbeitsverwaltung eine Umschulung zur Berufskraftfahrerin. Nach einer kurzzeitigen versicherungspflichtigen Beschäftigung in diesem Beruf folgten Mutterschutz- und Erziehungszeiten. Ab Juli 2001 bezog sie Entgeltersatzleitungen der Arbeitsverwaltung, ab Juli 2002 Arbeitslosenhilfe und seit Januar 2005 Grundsicherung für Arbeitssuchende. Im Jahr 2005 absolvierte sie eine von der Arbeitsverwaltung finanzierte Maßnahme zur Rückkehr in ihren Beruf. Dabei stürzte sie von einem Lkw und musste an der Wirbelsäule operiert werden. Seither war sie arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit war sie zeitweise geringfügig beschäftigt, z.B. von Mai 2006 bis November 2007 drei Stunden täglich in einem Tafelladen sowie seit 2012 mit dem Austragen von Zeitungen (bis Mai 2017 zwei Mal wöchentlich, seither ein Mal wöchentlich zwei bis drei Stunden). Außerdem nahm sie an tagesstrukturierenden Maßnahmen teil (zwei bis drei Mal wöchentlich bis zu drei Stunden). Seit (jedenfalls) 2015 arbeitet sie außerdem ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz.

Von 2008 bis 2016 und seit 2018 ist eine Betreuung der Klägerin für Behördenangelegenheiten angeordnet. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt.

Ab dem 1. November 2006 bezog sie von der Beklagten zunächst befristet bis 30. November 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 17. Dezember 2009). Grundlage war ein im Verfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG; S 2 R 3564/07) eingeholtes Sachverständigengutachten von Dr. N. vom 16. Oktober 2008. Dr. N. stellte darin eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Anpassungsstörung und eine Lumboischialgie fest. Die Klägerin sei nur noch etwa vier Stunden täglich in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Dies begründe sich dadurch, dass sie aufgrund der tieferen Grundstörung der Persönlichkeit und wegen der anhaltenden Schmerzstörung erheblich in ihrem Durchhalte- und Anpassungsvermögen, wie auch Umstellungsvermögen und in ihren sozialen Kompetenzen eingeschränkt sei. Der festgestellte Ausprägungsgrad der Schmerzstörung bestünde seit den Beschwerden infolge der Lendenwirbelsäulenoperation im Jahr 2006. Die im Verfahren auf Weitergewährung der Rente hinzugezogene Gutachterin des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten, Dr. H., Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, bestätigte in ihrem Gutachten vom 2. Dezember 2009 diese Einschätzung.

Die Gewährung der Erwerbsminderungsrente wurde auf Antrag der Klägerin vom 28. Juni 2011 verlängert bis zum 30. November 2014. Eine Nachuntersuchung der Klägerin durch Dr. H. im August 2011 (Gutachten vom 26. August 2011) hatte eine unveränderte Befundsituation ergeben.

Im darauffolgenden Verfahren auf Weitergewährung der Erwerbminderungsrente holte die Beklagte ein Gutachten des Nervenfacharztes Dr. Br. ein. Im Gutachten vom 17. November 2014 stellte der Gutachter fest (1.) ein dysphorisch-gereiztes Zustandsbild bei Persönlichkeitsstörung (mit fehlender Konfliktfähigkeit, auch impulsiven Zügen, bei gleichzeitig massiven Belastungen im psychosozialen/biographischen Hintergrund) einhergehend mit Somatisierung (konversionsneurotischer Färbung), sowie berichteter Agoraphobie und (2.) keine Hinweise für eine organ-neurologisch-begründete Störung bei beklagten Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden. Im Vergleich zur Vorbegutachtung lasse sich eine Stabilisierung der psychischen Funktionsstörungen nicht festmachen. Eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei nicht möglich bzw. ginge mit dem Risiko völliger psychischer Dekompensation einher. Bei Wahrnehmung einer zumutbaren und möglichen Therapie, die bislang nur völlig unzureichend erfolgt sei, sei eine Stabilisierung nicht auszuschließen. Nach Ablauf von zwei Jahren sei deshalb eine Nachuntersuchung durchzuführen. Die Beklagte verlängerte daraufhin die Rentengewährung bis zum 1. November 2016.

Am 24. Juni 2016 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente.

Vom 13. Juli 2016 bis 3. August 2016 absolvierte die Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme auf psychosomatischem Fachgebiet. Im Entlassungsbericht vom 9. August 2016 nannte Prof. Dr. St. die Diagnosen emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsivem Typ, Wirbelsäulensyndrom, Arthrose am oberen Sprunggelenk links, Stimmbandlähmung einseitig und reaktive Depression. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung gab er keine wesentlichen Einschränkungen des Leistungsvermögens an. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr verrichten. Die Fortführung der ambulanten Psychotherapie werde empfohlen. Im Gutachten nach Aktenlage vom 14. September 2016 bestätigte Dr. L., Ärztin für Allgemeinmedizin, diese Leistungsbeurteilung. Dem Entlassungsbericht sei zu entnehmen, dass die Klägerin an den Therapien inkl. einzel- und gruppentherapeutischer Interventionen motiviert und introspektionsfähig teilgenommen habe. Komplikationen seien nicht aufgetreten. Die Klägerin arbeite als Zeitungszustellerin einmal wöchentlich für drei Stunden und ehrenamtlich im Rettungsdienst. Dort könne sie sich auch während der Arbeit in Menschenansammlungen aufhalten. Im psychischen Befund werde die Orientierung, Bewusstseinslage und das formale Denken als ungestört angegeben.

Mit Bescheid vom 27. September 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente ab, weil die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente nicht mehr erfüllt seien.

Hiergegen legte die Klägerin am 10. Oktober 2016 Widerspruch ein. Zur Begründung legte sie eine Stellungnahme ihres behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Th. vom 27. Oktober 2016 vor. Während der Rehabilitationsmaßnahme seien die Erkrankungen der Klägerin, die auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, nicht in vollem Umfang und gemäß dem Schweregrad berücksichtigt worden. Die Integration der Klägerin in eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erscheine aufgrund der reduzierten Belastbarkeit und der sozialen Anpassungsproblematik als nicht möglich.

Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin durch ihren sozialmedizinischen Dienst begutachten. Bei der Untersuchung der Klägerin am 28. Dezember 2016 (Gutachten vom 16. Januar 2017) stellte die Gutachterin Dr. H. ein funktionell leichtgradiges expansiv-thematisch unflexibles beharrendes Syndrom im Rahmen einer gemischten Persönlichkeitsstörung mit unreifen und paranoiden, auch histrionischen Anteilen und Entschädigungswünschen durch eine Rentenzahlung, funktionell leichtgradige rezidivierende Rückenschmerzen ohne radikuläre Ausfälle, auch mehrere LWS-Operationen, funktionell leichtgradige Operation eines Schulter-Impingement-Syndroms links, Kniearthroseschmerzen, Schulterschmerzen rechts und Arthrose im oberen Sprunggelenk links fest. Der psychopathologische Befund habe sich im Vergleich zum Vorgutachten von 2011 gut verbessert. Auch die sozialen Teilhaben seien deutlich erweitert worden. Auf eine gesetzliche Betreuung könne ebenfalls seit einem Jahr verzichtet werden. Beim Nervenarzt stelle sich die Klägerin lediglich quartalsweise vor. Eine Medikation oder Psychotherapie finde nicht statt. Unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen (überwiegend sitzende, gelegentlich gehende, teilweise stehende Tätigkeit, ohne nervliche Anspannung wie Verantwortung, Publikumsverkehr, Teamfähigkeit, Arbeiten in sicherheitsrelevantem Bereich oder berufsmäßige Fahrtätigkeit, ohne Nacht- oder Wechselschicht, ohne häufiges Treppensteigen oder Zwangshaltungen) sei die Klägerin für sechs Stunden und mehr in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück und stützte sich zur Begründung auf das Gutachten von Dr. H ...

Am 21. Februar 2017 erhob die Klägerin beim SG Klage und trug zur Begründung vor, die Leistungseinschätzung im Reha-Entlassungsbericht spiegle nicht ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit wieder. Bei der Rehabilitationsmaßnahme hätten orthopädische Beschwerden im Vordergrund gestanden. Nur zwei psychotherapeutische Kriseninterventionen und eine 30 Minuten andauernde verhaltenstherapeutische Psychotherapie habe stattgefunden. Eine eingehende Auseinandersetzung mit ihren psychischen Beschwerden lasse der Rehabilitationsbericht dementsprechend auch vermissen. Auch das Gutachten von Dr. L. könne nicht überzeugen, weil dieses nur nach Aktenlage erstattet worden sei. Das Gutachten von Dr. H. sei ebenfalls nicht verwertbar. Die gesetzliche Betreuung habe (zwischenzeitlich) nur deshalb geendet, weil sie (die Klägerin) sich mit ihrem Betreuer überworfen habe. Sie habe nach wie vor ihre Impulskontrolle nicht im Griff. Schon daraus ergebe sich, dass sie nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Während der Rehabilitationsmaßnahme habe sie deshalb an vielen Übungen nicht teilnehmen können. Ihre Tätigkeit beim Deutschen-Roten-Kreuz sei nur ehrenamtlich. Sie sei dort mit niederen Hilfsdiensten befasst, wie z.B. dem Fahren des Rettungswagens zu kulturellen Veranstaltungen, Ausfüllen von Formularen oder interne Vereinstätigkeiten. Die Tätigkeiten seien auf ihre psychischen Befindlichkeiten abgestimmt. Darüber hinaus sei sie lediglich in der Lage, einmal in der Woche am Wochenende zwei bis drei Stunden Zeitungen auszutragen, wobei sie sich die Stunden aufteilen könne, um nicht unter Druck zu geraten. Die Gutachtenssituation sei schließlich so belastend gewesen, dass sie sich vom 29. bis 30. Dezember 2016 stationär und vom 3. bis 26. Januar 2017 teilstationär in psychiatrische Behandlung habe begeben müssen. Aus dem Gutachten von Dr. Br. ergebe sich, dass sie erwerbsgemindert sei. Eine Besserung habe sich über die Jahre nicht ergeben. Außer im Rahmen der völlig unzureichenden Rehabilitationsmaßnahme habe seither keine psychotherapeutische Behandlung außer derjenigen bei Arzt Th. stattgefunden. Auch die Agentur für Arbeit halte sie nicht für vermittelbar. Sie habe bis vor kurzem lediglich an tagesstrukturierenden Maßnahmen der Diakonie für zwei bis drei Stunden am Tag teilgenommen. Die dortige Tätigkeit sei ebenfalls nur ehrenamtlich gewesen. Aus finanziellen Gründen seien diese Maßnahmen nicht fortgesetzt worden. Den Gutachten der Sachverständigen Dr. J., Facharzt für Orthopädie, und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie M. (dazu sogleich) könne nicht gefolgt werden. Der nervenfachärztliche Sachverständige verkenne, dass ihr Verhalten während der Untersuchung durch die Krankheit bedingt und nicht steuerbar gewesen sei. Zudem sei die Anreise zur Begutachtung eine hohe Stressbelastung für sie gewesen. Die Begutachtungssituation sei auch nicht vertrauenerweckend gewesen, weil Türen offen gestanden hätten. Außerdem habe der Sachverständige intime Fragen gestellt. Aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse in ihrer Kindheit habe sie die Frage nach ihrer Libido als unerträglich empfunden. Sie habe sich schmutzig und "vergewaltigt" gefühlt. Es sei auch nicht nachvollziehbar, auf welchen Feststellungen das Ergebnis des Sachverständigen M. beruhe. Das Gespräch habe nur eine Stunde gedauert. Testverfahren seien nicht zur Anwendung gekommen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. De., Facharzt für Allgemeinmedizin, teilte im April 2017 mit, dass sich die Klägerin nicht mehr in seiner Behandlung befinde. Orthopäde Dr. Hi. gab im Mai 2017 an, aufgrund einer akuten Verschlechterung der Knieschmerzen rechts sei eine körperliche leichte Tätigkeit im Stehen, Gehen oder Sitzen nicht möglich. Arzt Th. gab im Mai 2017 an, die Klägerin befinde sich seit 2005 in seiner ambulanten Behandlung, im Zeitraum von Juli 2016 bis Mai 2017 an insgesamt sechs Terminen. Während der Behandlung habe sich die Symptomatik hin zur Niedergeschlagenheit und Erschöpfung entwickelt. Nach einer teilstationären Behandlung im Januar 2017 habe sie sich widerwillig auf eine medikamentöse antidepressive Behandlung eingelassen. Aufgrund der psychiatrischen Beeinträchtigung mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, einer rezidivierend depressiven Symptomatik, raschen Überforderung und Einschränkung des Leistungsvermögens bestünde keine berufliche Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von über drei Stunden.

Das SG holte daraufhin ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten mit orthopädischem Zusatzgutachten ein. Dr. J. stellte in seinem Gutachten vom 21. Juli 2017 aufgrund der Untersuchung der Klägerin am 13. Juli 2017 eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule mit muskulärer Dysbalance, eine eingeschränkte Seitneigung des Kopfes beidseits, degenerative Veränderungen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich in der Bildgebung ohne nachweisbare Nervenwurzelkompression, eine endgradige Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks, ein minimales Streckdefizit des linken Ellenbogengelenks, eine geringe Daumensattelgelenksarthrose links ohne Reizzustand oder Funktionseinschränkung, einen leichten bis mäßigen Reizzustand nach aktuell durchgeführter Kniegelenksspiegelung rechts, Knorpelschäden beidseits ohne Reizzustand am linken Kniegelenk bei freier Beweglichkeit, eine diskrete Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk links gegenüber rechts nach durchgeführter Außenknöchelbandplastik sowie einen diskreten Spreizfuß beidseits fest. Unter Beachtung qualitativer Einschränkungen für wiederkehrende Arbeiten in vornübergebeugter Körperhaltung, Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeiten links, Zwangshaltungen des linken Armes, Arbeiten in der Hocke und im Knien sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ebenso Arbeiten in Nässe und Kälte, Heben und Tragen von Lasten über 7 kg und Arbeiten im Gehen auf unebenem Boden könne die Klägerin noch acht Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Arzt M. gab im Sachverständigengutachten vom 28. November 2017 an, die Klägerin leide an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünde ein vollschichtiges Leistungsvermögen im Umfang von täglich sechs Stunden und mehr. Arbeiten mit erhöhtem Anspruch an die emotionale und geistige Flexibilität, Arbeiten mit erhöhtem Anspruch an die Tempoleistung wie Akkordarbeiten, Arbeiten unter Zeitdruck, Arbeiten in Publikumsverkehr sowie Arbeiten in Nachtschicht seien nicht möglich. Diese Einschränkungen seien durch eine intensive ambulante psychotherapeutische Behandlung, die bislang nicht stattgefunden habe, günstig beeinflussbar. Die Persönlichkeitsstörung bestünde durchgehend seit der Jugend der Klägerin.

Mit Urteil vom 15. Januar 2018 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Ermittlungen des Sachverhalts hätten ergeben, dass die Klägerin jedenfalls seit dem 1. Dezember 2016 wieder in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Im Vordergrund stünden die Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Trotz der Erkrankungen könne die Klägerin vollschichtig arbeiten. Die Kammer schließe sich den Gutachten von Dr. L., Dr. H. sowie Arzt M. und Dr. J. an. Bestätigt werde die Leistungseinschätzung von den Ärzten der Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2016. Die Klägerin sei auch in der Lage unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, sie sei nicht in der Lage regelmäßige Arbeitszeiten einzuhalten, könne dies nicht überzeugen. Die Klägerin verteile nach ihrem eigenen Vortrag jedes Wochenende zwei bis drei Stunden Zeitungen. Hierfür stünde ihr nur ein enger zeitlicher Korridor zur Verfügung. Sie könne sich nicht aussuchen, wann sie die Zeitungen verteilen wolle. Dennoch sei sie offensichtlich in der Lage, sich an die Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber zu halten.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigen am 29. Januar 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Februar 2018 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ihre bisherige Argumentation wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen, die bislang vorliegenden sachverständigen Feststellungen erfassten ihren Gesundheitszustand nicht zutreffend. Entgegen der Auffassung des SG stünde sie beim Zeitungsaustragen auch nicht unter Druck. Sie habe das gesamte Wochenende zur Verfügung. Die Tätigkeit im Rahmen der tagesstrukturierenden Maßnahmen habe sie mittlerweile aufgeben müssen, weil sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung mit dem neuen Vorgesetzten nicht zurechtgekommen sei. Aufgrund ihrer Erkrankung sei sie somit nicht in der Lage unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. Zu diesem Ergebnis komme auch die Agentur für Arbeit im Gutachten vom 4. Juli 2017.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Januar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 zu verurteilen, ihr über den 30. November 2016 hinaus Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG und ihre angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Auf Veranlassung der Berichterstatterin hat der Sachverständige M. zu den Einwendungen der Klägerin unter dem 7. März 2018 schriftlich Stellung genommen. Er ist bei seiner Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin geblieben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, denn die Klägerin begehrt Leistungen für mehr als ein Jahr (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 27. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung über den 30. November 2016 hinaus.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Bei einem Antrag, eine befristet bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung weiterzuzahlen, bedarf es keines Nachweises, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen im Sinne von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber denen, die der Bewilligung zugrundelagen, eingetreten ist. Die Entscheidung, ob dem Versicherten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums der Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit zusteht, ist nicht bloß die Verlängerung einer früher bereits dem Grunde nach anerkannten Sozialleistung, sondern stellt die eigenständige und vollinhaltlich erneute ("wiederholte") Bewilligung der beantragten Rente dar. Bei der Zuerkennung einer Rente auf Zeit richtet sich der Wille des Versicherungsträgers von vornherein nur auf die Gewährung von Rente für diese Zeit und es fehlt infolgedessen für die darüber hinausreichende Zeit an jeder für den Versicherten positiven Regelung durch den Versicherungsträger (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. Juni 1990 – 5 RJ 62/89 – juris, Rn. 17).

b) Nach diesen Maßstäben vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin über den 30. November 2016 hinaus voll oder teilweise erwerbsgemindert ist.

Aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vor dem SG sowie im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht zwar zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vorliegen, die ihre berufliche Leistungsfähigkeit in qualitativer Hinsicht mindern. Der Senat vermochte sich aber nicht davon zu überzeugen, dass diese auch ihre berufliche Leistungsfähigkeit in quantitativer Hinsicht insoweit mindern, so dass sie über den 30. November 2016 hinaus zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich nicht verrichten kann.

aa) Bei der Klägerin liegen im Wesentlichen gesundheitliche Beeinträchtigungen auf nervenärztlichem Fachgebiet vor. Die Klägerin leidet an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus. Der behandelnde Psychiater Th. berichtete darüber hinaus von einer rezidivierenden depressiven Symptomatik ab Oktober 2016. Auch im Reha-Entlassungsbericht von August 2016 ist diese Diagnose mit aufgeführt. Bei der Begutachtung im Verwaltungsverfahren durch Dr. H. im Dezember 2016 zeigte sich eine solche jedoch nicht. Auch der Dokumentation zum tagesklinischen Aufenthalt der Klägerin im Psychiatrischen Zentrum N. im Januar 2017 ist keine Erkrankung der Klägerin aus dem depressiven Formenkreis zu entnehmen. Der Sachverständige M. konnte im November 2017 ebenfalls keine akute depressive Symptomatik feststellen. Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass die von Arzt Th. berichtete rezidivierende depressive Symptomatik jeweils nur von kurzer Dauer und schwacher Ausprägung ist. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin Arzt Th. lediglich alle sechs Wochen zu einem Gespräch aufsucht und erst seit November 2017 ein Antidepressivum einnimmt (vgl. S 5 des Gutachtens des Sachverständige M.). Eine Richtlinien-Psychotherapie hat bis zuletzt nicht stattgefunden.

Die in den Gutachten von Dr. N. von 2008 und Dr. Br. von 2014 noch beschriebenen Somatisierungsstörungen in Form einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und Anpassungsstörung bzw. konversionsneurotischen Symptomatik sind den Gutachten und medizinischen Dokumenten aus der hier relevanten Zeit ab Dezember 2016 nicht zu entnehmen, so dass insoweit davon auszugehen ist, dass die Klägerin an diesen Krankheiten nicht mehr leidet.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin an einer leichten Fehlstatik der Wirbelsäule mit muskulärer Dysbalance, einer eingeschränkten Seitneigung des Kopfes beidseits, degenerativen Veränderungen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich in der Bildgebung ohne nachweisbare Nervenwurzelkompression, einer endgradigen Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenks, einem minimalen Streckdefizit des linken Ellenborgengelenks, einer geringen Daumensattelgelenksarthrose links ohne Reizzustand oder Funktionseinschränkung, einem leichten bis mäßigen Reizzustand nach aktuell durchgeführter Kniegelenksspiegelung rechts, Knorpelschäden beidseits ohne Reizzustand am linken Kniegelenk bei freier Beweglichkeit, einer diskreten Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk links gegenüber rechts nach durchgeführter Außenknöchelbandplastik sowie einem diskreten Spreizfuß beidseits.

Auf internistischem Fachgebiet besteht ein im Jahr 2012 diagnostiziertes Schilddrüsenkarzinom, das mittels Radiojodtherapie behandelt wurde und eine Schilddrüsenhormonersatztherapie und Verlaufskontrollen nach sich gezogen hat.

bb) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die festgestellten Gesundheitsstörungen das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht mindern. Wiederkehrende Arbeiten in vornübergebeugter Körperhaltung, Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeiten links, Zwangshaltungen des linken Armes, Arbeiten in der Hocke und im Knien sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ebenso Arbeiten in Nässe und Kälte, Heben und Tragen von Lasten über 7 kg und Arbeiten im Gehen auf unebenem Boden, Arbeiten mit erhöhtem Anspruch an die emotionale und geistige Flexibilität, Arbeiten mit erhöhtem Anspruch an die Tempoleistung wie Akkordarbeiten, Arbeiten unter Zeitdruck, Arbeiten in Publikumsverkehr sowie Arbeiten in Nachtschicht sind nicht möglich.

cc) In quantitativer Hinsicht vermag der Senat jedoch eine Leistungsminderung nicht festzustellen, weil er sich nicht davon überzeugen kann, dass die Klägerin über den 30. November 2016 hinaus nicht in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der folgenden Leistungseinschränkungen sechs und mehr Stunden täglich auszuüben.

Zwar ist davon auszugehen, dass die Persönlichkeitsstörung der Klägerin durchgehend (zumindest) seit Beginn der Erwerbsminderungsrente im November 2006 besteht. Den Gutachten kann jedoch entnommen werden, dass die Beeinträchtigungen durch die Persönlichkeitsstörung mittlerweile weniger schwer wiegen. Im Gutachten von Dr. H. von 2009 (bestätigt auch im Rahmen der Nachuntersuchung im August 2011) wurde der Zustand der Klägerin noch als hochgradig dysphorisch-gereizt und desorganisiert beschrieben. Bei der Untersuchung durch Dr. H. im Dezember 2016 zeigte sich dann lediglich noch eine funktionell leichtgradige expansiv-thematisch unflexibel beharrende Symptomatik. Der psychopathologische Befund hat sich nach den Feststellungen von Dr. H. seit der Vorbegutachtung "gut" verbessert. Ihre soziale Teilhabe konnte die Klägerin im Vergleich deutlich erweitern. Sie geht geringfügigen und ehrenamtlichen Beschäftigungen nach und nimmt an tagesstrukturierenden Maßnahmen der Arbeitsverwaltung teil. Auch die erhobenen Befunde lassen insgesamt den Schluss zu, dass die Klägerin wieder in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr zu arbeiten. Die Stimmung wird als normal beschrieben, der Affekt als mäßig schwingungsfähig und das Antriebsverhalten als normal. Gedächtnis und Konzentration zeigten sich unauffällig.

Hinzu kommt, dass aus den Gutachten und medizinischen Dokumenten aus der hier relevanten Zeit ab Dezember 2016 nicht mehr hervorgeht, dass die Klägerin an einer Somatisierungsstörung leidet. Insgesamt stellt sich die gesundheitliche Situation der Klägerin ab Dezember 2016 somit als wesentlich gebessert dar. Da die Somatisierungsstörung ebenfalls initial für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab November 2006 (vgl. Gutachten Dr. N. von 2006 und auch Dr. Br. von 2014) war, ist die Annahme, dass die Klägerin seit Dezember 2016 wieder sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann, nachvollziehbar.

Für eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation spricht auch, dass 2016 die gesetzliche Betreuung aufgehoben werden konnte, weil – entgegen dem Vortrag der Klägerin – die Voraussetzungen für diese weggefallen waren (vgl. Beschluss des Amtsgerichts Bruchsal vom 10. August 2016). Soweit seit 2018 wieder die Betreuung der Klägerin angeordnet ist, fehlen damit übereinstimmende Befunde, die eine mittlerweile eingetretene Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Klägerin aufzeigen.

Bestätigt wird die Leistungseinschätzung der Gutachterin Dr. H. von dem Sachverständigen M ... Sein Gutachten ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch verwertbar. Die von ihr vorgebrachten Einwendungen zur Begutachtungssituation hat der Sachverständige in seiner Stellungnahme zur Überzeugung des Senats entkräftet. Soweit die Klägerin zuletzt noch einwendet, dass sie vom Sachverständigen nicht darüber aufgeklärt worden sei, warum die Tür zum Sekretariat offenstand, ist nicht ersichtlich, warum ihr dadurch ein Nachteil entstanden sein könnte. Hätte sie sich dadurch gehindert gesehen, frei zu reden, hätte es nahegelegen, dies dem Sachverständigen noch während der Begutachtung mitzuteilen.

Vor diesem Hintergrund kann die Leistungseinschätzung des behandelnden Arztes Th. nicht überzeugen. Sie steht überdies im Widerspruch dazu, dass die Klägerin ihn lediglich etwa alle sechs Wochen zu einem Gespräch aufsucht, auf eine medikamentöse Therapie lange Zeit verzichtet werden konnte und bis zuletzt eine Richtlinien-Psychotherapie nicht stattgefunden hat.

Die orthopädischen Erkrankungen stehen ebenfalls einer zumindest sechsstündigen Erwerbstätigkeit der Klägerin nicht im Weg. Dies entnimmt der Senat dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. J. vom Juli 2017. Die Leistungseinschätzung des behandelnden Orthopäden Dr. Hi. vom Mai 2017 steht dem nicht entgegen, weil die Klägerin damals an einer akuten Verschlechterung der Knieschmerzen litt, die durch die im Juni 2017 erfolgte Kniegelenkspiegelung wesentlich gebessert werden konnten.

Hinsichtlich der Schilddrüsenkrebserkrankung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese einer Erwerbstätigkeit entgegensteht.

dd) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Wie zuvor dargelegt, vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin eine solche Tätigkeit seit dem 1. Dezember 2016 nicht verrichten kann.

ee) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe, auch zum Folgenden: Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar – wie dargelegt – einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R –, in juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden.

ff) Auch ist die Wegefähigkeit der Klägerin gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R –juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R –juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Keiner der medizinischen Sachverständigen hat Befunde erhoben, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit der Klägerin sprechen. Auch hat die Klägerin dies nicht behauptet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved