L 7 SO 3196/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 4244/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3196/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 25. April 2018 abgeändert und der Beklagte verurteilt, über den Antrag des Klägers vom 26. April 2017 zu entscheiden.

Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.
Im Übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der Kläger befindet sich seit mehreren Jahren in Strafhaft, zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt (JVA) O ... Er wird voraussichtlich am 7. November 2018 entlassen.

Der Kläger beantragte am 26. April 2017 beim E. die Gewährung von Leistungen nach §§ 67 ff. SGB XII.

Der E. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 6. November 2017 mit, dass er nach Prüfung der örtlichen Zuständigkeit zu dem Ergebnis gekommen sei, dass während der Zeit der Inhaftierung in der JVA O. der Beklagte für ihn der örtlich zuständige Sozialhilfeträger sei. Aufgrund seiner Flucht vom 24. Oktober 2014 bis Anfang Dezember 2014 habe er zum einen seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in E. aufgegeben, zum anderen sei die Einrichtungskette unterbrochen worden. Er habe daher den Antrag vom 26. April 2017 an den Beklagten weitergeleitet. Dort ist der weitergeleitete Antrag am 8. November 2017 eingegangen.

Der Kläger hat am 13. November 2017 beim Sozialgericht F. (SG) Klagen u. a. gegen den Beklagten erhoben. Er hat insofern schriftsätzlich beantragt, festzustellen, dass der Beklagte und der E. für seine Anträge im Sinne des SGB II und SGB XII örtlich zuständig seien und diese sachlich bescheiden müssten, ferner den Beklagten und den E. zu verurteilen, die mit Antrag vom 26. April 2017 beantragten Leistungen zu gewähren. Außerdem hat er beantragt, u.a. den Beklagten zu verurteilen, ihm ab dem 1. Mai 2017 bis zum Haftende täglich 100,00 Euro immateriellen Schadensersatz zu bezahlen und alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen. Er könnte seit Anfang Juli 2017 täglich entlassen werden, wenn der Beklagte und der E. nicht die gemäß §§ 67 ff. SGB XII geschuldete Wohnung und Arbeitsvermittlung verweigern würden. Er habe Anfang 2017 Anträge an den Beklagten gerichtet, der behauptet habe, der E. sei zuständig. Am 26. April 2017 habe er sich an den E. gewandt, der behaupte, der Beklagte sei zuständig. Dieser Streit sei seines Erachtens unerheblich, weil klar geregelt sei, dass die angegangene Behörde innerhalb angemessener Frist Leistungen erbringen müsse. Die Frage, wer wirklich örtlich zuständig sei, sei alleine aufgrund § 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) uninteressant. Anträge könnten gemäß § 18 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) formlos gestellt werden. Der Beklagte und der E. hätten die Sache auch klären müssen.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klage sei weder zulässig noch begründet. Der Antrag des Klägers vom 26. April 2017 sei ihm am 8. November 2017 durch den E. übermittelt worden. Eine Entscheidung sei bis zur Klageerhebung deshalb nicht möglich gewesen. Es fehle demnach bereits an einem mit Rechtsbehelf angegriffenen Verwaltungsakt, so dass die Klage schon deshalb unzulässig sei. Auch die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage lägen nicht vor, da weder innerhalb von sechs Monaten über einen Antrag seinerseits noch innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden sei.

Der E. ist der Klage ebenfalls entgegengetreten. Der Kläger sei aus der JVA U. am 24. Oktober 2014 geflohen. Auf seiner Flucht habe er sich im Raum B. und P. in verschiedenen Hotels eingemietet. Anfang Dezember 2014 sei er wieder festgenommen und in der JVA P. inhaftiert worden. Von dort sei er in die JVA U. und anschließend in die JVA O. verlegt worden. Der Kläger halte sich seit seiner Untersuchungshaft in Einrichtungen zum Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung auf. Daher sei für die Bestimmung des örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers § 98 Abs. 2 SGB XII heranzuziehen. Danach sei der Sozialhilfeträger örtlich zuständig, in dessen Bereich der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung oder in den zwei Monaten davor zuletzt gehabt habe. Nach den Angaben des Klägers habe er vor der Untersuchungshaft in E. im E. gewohnt. Hierzu liefen noch Ermittlungen, denn nach seiner Kenntnis sei der Kläger mit Haftbefehl gesucht worden, was darauf hindeuten könne, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in E. bereits vor der Inhaftierung aufgegeben habe. Davon ausgehend, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt bis zur Inhaftierung in E. gehabt habe, sei er – der E. – der örtlich zuständige Sozialhilfeträger gewesen. Auch durch die Übertritte in die anderen Justizvollzugsanstalten hätte sich an der örtlichen Zuständigkeit nichts geändert, da der gewöhnliche Aufenthalt entscheidend sei, der für die erste Einrichtung maßgeblich sei. Die Einrichtungskette sei jedoch durch die Flucht des Klägers am 24. Oktober 2014 unterbrochen worden. Spätestens dann, wenn nicht schon vor der Inhaftierung habe der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im E. beendet. Für die Bestimmung des derzeit örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers sei somit auf die erneute Inhaftierung Anfang Dezember 2014 in die JVA P. abzustellen. Entweder habe der Kläger im Raum B./P. oder wo auch immer er sich aufgehalten habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet; dann sei der dortige Sozialhilfeträger zuständig. Oder der Kläger habe während seiner Flucht keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet; dann sei der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Kläger tatsächlich aufgehalten habe. Der Kläger halte sich derzeit tatsächlich in der JVA O. auf. Somit sei der Landkreis O. der zuständige Sozialhilfeträger. Im Übrigen seien die Justizvollzugsanstalten bis zur Haftentlassung für die Umsetzung der im Vollzugsplan beschriebenen Maßnahmen bis zur Entlassvorbereitung verantwortlich. Der Vollzugsplan werde von den Justizvollzugsanstalten erstellt und beinhalte für die Entlassungsvorbereitung vor allem die Bereiche Unterkunft, Arbeit, Sozialleistungen, finanzielle Absicherung, Nachsorge und Schulden. Für den Anspruch auf immateriellen Schadensersatz gebe es im SGB XII keine Rechtsgrundlage.

Das SG hat mit Beschluss vom 2. Januar 2018 von dem Rechtsstreit die Klage abgetrennt, soweit sie sich gegen die Stadt O. richtet und der Kläger beantragt, die Stadt O. zu verurteilen, die Meldung des Klägers am Haftort nach dem BMG aufzuheben, ferner soweit sie sich gegen die Gemeinde E. richtet und der Kläger beantragt, die Gemeinde E. zu verurteilen, ihn in E. zu melden und ihm Zugang zur Mietsache zu verschaffen, hilfsweise eine Wohnung zuzuweisen und hat die Klage abgetrennt, soweit der Kläger beantragt, u.a. den Beklagten zu verurteilen, ihm immateriellen Schadensersatz zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des SG vom 2. Januar 2018 mit Beschluss vom 3. April 2018 verworfen (L 2 SO 915/18 B).

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. April 2018 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Soweit der Kläger beantrage, dass Schreiben des E.es vom 6. November 2017 mit der Mehrfertigung des Schreibens des E.es an den Beklagten vom 6. November 2017 aufzuheben, sei die Klage unzulässig, da es sich bei dem angefochtenen Schreiben nicht um einen Verwaltungsakt handle. Soweit der Kläger die Feststellung begehre, dass der Beklagte und der E. für seine Anträge im Sinne von SGB II und SGB XII örtlich zuständig seien und diese sachlich bescheiden müssten, fehle es an einem Feststellungsinteresse. Der Beklagte prüfe seine Zuständigkeit noch; es sei nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass er seine Zuständigkeit bejahe. Ein rechtliches Interesse des Klägers, vor Abschluss dieser Prüfung eine gerichtliche Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zu erhalten, sei nicht gegeben. Soweit der Kläger die Verurteilungen des Beklagten und des E.es zur Erbringung von Leistungen gemäß einem Antrag vom 26. April 2017 begehre, fehle es an der Klagebefugnis. Der zuständige Sozialleistungsträger habe über das Begehren noch nicht entschieden. Verstehe man die Klage als Untätigkeitsklage, sei diese ebenfalls unzulässig, da die Frist von sechs Monaten nach § 88 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seit der Übermittlung des Schreibens an den Beklagten am 8. November 2017 noch nicht verstrichen sei.

Gegen den ihm am 30 April 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 8. Mai 2018 Berufung eingelegt. Das Schreiben (vom 6. November 2017) sei ein Verwaltungsakt. Die Landratsämter führten die Untätigkeit fort. Der Kläger hat später vorgetragen, dass Streitgegenstand "wohl" nur die Zusage für die "R." L. sei.

Der Senat hat von dem Rechtstreit die Klage gegen den Beklagten mit Beschluss vom 6. September 2018 abgetrennt; die Klage gegen den Beklagten ist nun allein Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Der Kläger beantragt bei sachgerechter Auslegung,

den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts F. vom 25. April 2018 zu verurteilen, über seinen Antrag von 26. April 2017 zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass eine Entscheidung über den weitergeleiteten Antrag des Klägers vom 26. April 2017 entbehrlich sei, da keine Änderung der Sach- oder Rechtslage seit der erstmaligen Antragstellung und Ablehnung eingetreten sei. Es handele sich um einen schlichten Wiederholungsantrag, der in der gleichen Form bereits zuvor gestellt und abgelehnt worden sei. Er verweise auf den (nicht vorgelegten) Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 und das deswegen anhängige Klageverfahren. Unabhängig davon sei der E. nicht zur Weiterleitung des Antrages berechtigt gewesen. Er – der Beklagte – sei nicht der zuständige Sozialhilfeträger.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat konnte trotz Abwesenheit des Klägers und trotz dessen Verlegungsantrag entscheiden, nachdem der Kläger in der Ladung, die ihm ausweislich der zur Akte gelangten Postzustellungsurkunde am 10. September 2018 zugestellt worden ist, hierauf hingewiesen worden ist (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG), der Kläger keinen nachvollziehbaren Grund für seinen Verlegungsantrag angegeben und dem Kläger mit Schreiben vom 20. September 2018 und Beschluss des Vorsitzenden vom 20. September 2018 mitgeteilt wurde, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung aufrechterhalten bleibt.

Die derzeitige Inhaftierung des Klägers als solche stellt im Übrigen keinen Verlegungsgrund dar (vgl. Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 7 SO 4541/15 – n.v.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Juli 2015 – L 8 U 633/15 – juris Rdnr. 49; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Oktober 2015 – L 8 U 3679/15 – juris Rdnr. 14 – auch zum Folgenden). Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er Ausgang oder Urlaub aus der Haft (§ 36 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz [StVollzG]) oder eine Ausführung (§ 36 Abs. 2 Satz 1 StVollzG) erfolglos beantragt habe. Es ist Sache des Gefangenen, durch entsprechende Anträge bei der Strafvollzugsbehörde für seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung Sorge zu tragen (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 31. Oktober 2005 – B 7a AL 14/05 B – juris Rdnr. 5; Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 7 SO 4541/15 – n.v.). Erscheint der Gefangene nicht zum Termin zur mündlichen Verhandlung, so wird er – sofern das persönliche Erscheinen nicht angeordnet ist – wie jeder andere Prozessbeteiligte behandelt, dem das Erscheinen zur mündlichen Verhandlung freigestellt worden ist (BSG, Urteil vom 21. Juni 1983 – 4 RJ 3/83 – juris Rdnr. 12; BSG, Beschluss vom 30. August 2018 – B 2 U 231/17 B – juris Rdnr. 5). Auch besteht kein Anspruch auf Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers durch den Vorsitzenden des Senats. Erst wenn der Strafgefangene alles ihm Zumutbare unternommen hat, um im Termin zur mündlichen Verhandlung erscheinen zu können, die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gleichwohl nur durch eine rechtlich zulässige Mitwirkung des Prozessgerichts erreicht werden kann, ist dieses verpflichtet – sofern es Kenntnis der Hinderungsgründe hat – durch entsprechende Maßnahmen die Teilnahme zu ermöglichen (BSG, Beschluss vom 30. August 2018 – B 2 U 231/17 B – juris Rdnr. 5). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger alles ihm Zumutbare unternommen hat, um zur mündlichen Verhandlung erscheinen zu können. Er hat zwar mitgeteilt, dass ihm Sonderausgang verweigert worden sei. Er hat aber weder die Beantragung des Sonderausgangs und dessen Ablehnung noch die Unmöglichkeit, auf anderem Wege – etwa in Form des Einzel- oder Sammeltransportes – zum Gerichtssitz zu gelangen, glaubhaft gemacht. Insofern hat er lediglich sinngemäß behauptet, aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Gerichtssitz für ihn am Tag der mündlichen Verhandlung im Wege des Sammeltransportes nicht erreichbar sei.

Das persönliche Erscheinen des Klägers war auch nicht aus anderen Gründen anzuordnen. Denn vorliegend ist eine reine Rechtsfrage streitig, zu der der Kläger bereits zu den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten vorgetragen hat. Der Kläger hat nicht deutlich gemacht, dass eine Anhörung in der mündlichen Verhandlung ihn zu weiterem, neuem Vortrag veranlassen könnte, so dass auch trotz seiner Abwesenheit in der mündlichen Verhandlung sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt ist. Deshalb musste der Vorsitzende auch die Vorführung aus der Justizvollzugsanstalt nicht anordnen bzw. beim Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalt nach § 36 Abs. 2 Satz 2 StVollzG darum ersuchen. Ein solches Ersuchen war auch zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht erforderlich.

2. Gegenstand des Verfahrens ist bei sachgerechter Auslegung jedenfalls im Berufungsverfahren und nach Abtrennung des Verfahrens durch den Senat von den gegen andere Beklagte geführten Klagen allein noch das Begehren des Klägers, den Beklagten zu verurteilen, über seinen Antrag von 26. April 2017 zu entscheiden. Dies entnimmt der Senat dem fragmentarischen Vorbringen des Klägers, der im Berufungsverfahren keinen Antrag formuliert hat. Ein Leistungsbegehren ist bei sachgerechter Auslegung nicht (mehr) Gegenstand des Verfahrens, weil eine Leistungsklage mangels vorheriger Verwaltungsentscheidung offensichtlich unzulässig wäre.

3. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger jedenfalls bei Einlegung der Berufung Leistungen von mehr als 750,00 EUR begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) hat; spätere Änderungen des Streitgegenstandes – etwa durch die Abtrennung – sind für die Frage der Zulassungsbedürftigkeit einer Berufung unbeachtlich.

4. Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Zwar hat das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; die Klage ist allerdings inzwischen begründet.

a) Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Die Untätigkeitsklage ist dann auf Verurteilung zur Bescheidung gerichtet, nicht auf ein Sachbegehren.

b) Die Untätigkeitsklage ist begründet, da der Beklagte bislang über den Antrag des Klägers vom 26. April 2017, der nach Weiterleitung durch den E. am 8. November 2017 bei ihm einging, noch nicht entschieden hat. Ein zureichender Grund für die mangelnde sachliche Bescheidung ist nicht ersichtlich; auch der Beklagte konnte einen solchen Grund nicht benennen. Während der Beklagte während des Verfahrens in erster Instanz noch zu Recht darauf hinweisen konnte, dass ihm aufgrund des Zeitablaufs eine Entscheidung noch nicht möglich war, greift dieses Argument mittlerweile nicht mehr durch. Der Beklagte hat im Berufungsverfahren entsprechend auch nicht mehr hierauf rekurriert, sondern die Auffassung vertreten, dass eine Entscheidung über den Antrag entbehrlich sei, da keine Änderung der Sach- oder Rechtslage seit der erstmaligen Antragstellung und Ablehnung eingetreten sei. Es handele sich um einen schlichten Wiederholungsantrag, der in der gleichen Form bereits zuvor gestellt und abgelehnt worden sei; er verweise auf den (nicht vorgelegten) Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017. Damit bringt der Beklagte zum Ausdruck, dass er nicht willens ist, überhaupt über den Antrag des Klägers zu entscheiden. Indes rechtfertigen weder der Umstand, dass ein gleichgerichteter Antrag bereits einmal gestellt worden wäre, noch eine etwaige örtliche Unzuständigkeit des Beklagten oder die fehlenden Erfolgsaussichten eines Antrages die Nichtentscheidung über einen Antrag. Grundsätzlich hat ein Antragsteller auch einen Anspruch, dass – nach Auffassung der Behörde – unzulässige oder unbegründete Anträge beschieden werden; dies gilt schon deshalb, weil ihnen nur so der durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gewährleistete Zugang zur gerichtlichen Überprüfung behördlicher Entscheidungen ermöglicht wird. Ob die Bescheidung von Anträgen entbehrlich ist, wenn es sich um offensichtlich rechtsmissbräuchliche Anträge handelt, bedarf hier keiner Entscheidung, denn es ist weder ersichtlich noch vom Beklagten behauptet, dass dies hier der Fall wäre.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Untätigkeitsklage zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht begründet war.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht bestehen.
Rechtskraft
Aus
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