L 7 AS 3791/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 3765/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3791/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 9. September 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der in 1971 geborene ledige Kläger leidet an einer Störung des zentralen Nervensystems in Form einer fokalen Epilepsie sowie an einer spastischen Paraplegie; ferner besteht eine Lernbehinderung. Nach dem Hauptschulbesuch absolvierte der Kläger zunächst zwei Praktika im Gastronomie- und Metallbereich, bevor er von September 1992 bis August 1994 eine zweijährige Berufsausbildung zum Teilezurichter durchlief. Vom 15. September bis 7. Oktober 1994 war er für rund drei Wochen in einem Druckhaus in L. als Arbeiter im Servicebereich beschäftigt. Seitdem ging der Kläger keiner regelhaften beruflichen Tätigkeit mehr nach. In der Zeit vom 11. Oktober 1994 bis 31. Dezember 2004 erhielt er von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen wegen Arbeitslosigkeit; während dieser Zeit fanden verschiedene mehrwöchige Weiterbildungslehrgänge und Trainingsmaßnahmen statt. Ab Januar 2005 stand der Kläger durchgehend im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte ihm dem Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 2013 die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. August 2013 bis 31. Juli 2014 in Höhe des Regelbedarfs von monatlich 382,00 Euro; ab dem 1. Januar 2014 wurde der Regelbedarf auf 391,00 Euro angepasst.

Während des Bezugs von lebensunterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II nahm der Kläger in den Zeiträumen vom 29. Juni bis 28. Dezember 2006, vom 29. Dezember 2006 bis 28. März 2007 und vom 29. März bis 28. Juni 2007 auf der Grundlage von befristeten Verträgen an dem "Projekt Gemeinwohlarbeit" der Neuen Arbeit L. gGmbH (i.F.: NAL) sowie vom 29. Juni 2007 bis 28. Juni 2010 an dem "Projekt Gemeinwohlarbeit mit langer Laufzeit für psychisch Beeinträchtigte" der NAL teil, das in der Folgezeit zunächst bis zum 28. Juni 2012 und danach nochmals bis zum 29. März 2013 verlängert wurde. Im Rahmen dieser Arbeitsgelegenheiten war der Kläger u.a. ab 1. April 2012 in der Arbeitstherapeutischen Werkstatt der NAL als Helfer für niederschwellige Tätigkeiten wie Kleinmontage, Sortierarbeiten und Recyclingprojekte eingesetzt, wobei sich die wöchentliche Arbeitszeit vereinbarungsgemäß auf bis zu 30 Stunden belaufen sollte. Während der vorgenannten Zeiträume zahlte der Beklagte dem Kläger eine Entschädigung für Mehraufwendungen von 1,00 Euro je Stunde. Auf Grund der in der Zeit vom 13. bis 17. Mai 2013 bei einem Bildungsinstitut durchgeführten Eignungsfeststellung im Aufgabenbereich Lager wurden einfache Lagertätigkeiten für denkbar erachtet. Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie K. hielt bei dem Kläger eine ausschließlich stehende Tätigkeit "durchaus" für möglich, nicht dagegen eine sitzende Tätigkeit (Stellungnahme vom 17. Juni 2013).

Der Beklagte zog in der Folgezeit zur Abklärung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bei dessen Hausärztin, der Ärztin für Allgemeinmedizin T., die dort vorhandenen ärztlichen Unterlagen bei. Infolge der Empfehlung des Gesundheitsamtsarztes R., der die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit durch einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie für notwendig erachtete, veranlasste der Beklagte sodann eine Begutachtung des Klägers durch den Neurologen und Psychiater Dr. B ... Auf Grund der Untersuchung des Klägers im Januar 2014 kam Dr. B., dem auch die von der Hausärztin übermittelten Arztberichte vorlagen, im Gutachten vom 20. Januar 2014 - bei den Diagnosen einer Epilepsia (ICD 10 G40.9), einer spastischen Paraparese (G82.13) sowie einer Intelligenzminderung (F79.9), ferner bei Hinweisen auf eine frühkindliche Hirnschädigung und Verdacht auf Hydrozephalus (G91.9) - zum Ergebnis, dass der Kläger allenfalls leichte körperliche Arbeiten unter anhaltender Anleitung und Aufsicht verrichten könne; die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, wie sie üblicherweise auf dem ersten Arbeitsmarkt gefordert würden, könne von ihm nicht ausgefüllt werden. Dem Gutachten folgend, sah der Beklagte eine Erwerbsfähigkeit des Klägers gemäß § 8 Abs. 1 SGB II im Schreiben vom 5. März 2014 an den Beigeladenen für nicht gegeben; hiergegen legte der Beigeladene Widerspruch ein. Der Beklagte wandte sich darauf gemäß § 44a Abs. 1 Satz 5 SGB II an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg, welche nach Beiziehung des Gutachtens des Dr. B. sowie weiterer Arztunterlagen die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. Z. vom 14. April 2014 erhob, der die Leistungsfähigkeit des Klägers auch für körperlich leichte Tätigkeiten auf unter drei Stunden täglich seit Geburt einschätzte, wobei eine Besserung unwahrscheinlich sei. Die DRV Baden-Württemberg teilte dem Beklagten anschließend in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 23. April 2014 mit, dass der Kläger seit dem 23. Oktober 1971 unabhängig von der Arbeitsmarktlage auf Dauer voll erwerbsgemindert sei; eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II liege nicht vor. Einen vom Kläger auf Veranlassung des Beklagten im März 2014 gestellten Rentenantrag lehnte die DRV Baden-Württemberg mangels Erfüllung der Wartezeit ab (Bescheid vom 16. Juni 2014). Seit dem 1. Juni 2014 bezieht der Kläger von dem Beigeladenen laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (vgl. u.a. Bescheide vom 5. und 12. Juni 2014, 8. Dezember 2014, 5. Mai 2015, 8. Dezember 2015 und 10. Januar 2017).

Mit Bescheid vom 21. Mai 2014 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2013 für die Zeit ab dem 1. Juni 2014 gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf, weil der Kläger nicht erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dem Gutachten des Dr. B. könne nicht gefolgt werden. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie K. gehe in seiner Stellungnahme vom 17. Juni 2013 davon aus, dass ihm auf Grund seiner neurologischen Erkrankung eine Tätigkeit in ausschließlich stehender Haltung durchaus möglich sei. Außerdem habe er bei der NAL zuletzt täglich sechs Stunden gearbeitet. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2014 unter Verweis auf die gutachterliche Stellungnahme der DRV Baden-Württemberg vom 23. April 2014 sowie das nervenärztliche Gutachten vom 20. Januar 2014 zurück.

Deswegen hat der Kläger am 12. August 2014 Klage zum Sozialgericht F. (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgebracht, die Ansicht, dass er erwerbsunfähig sei, sei durch eine täglich bis zu 6,5-stündige Arbeit bei der NAL widerlegt. Bei der NAL habe er die Tätigkeit des Kolbenziehens durchgeführt; insoweit habe es sich um Vorarbeiten für die in L. ansässige Firma INA gehandelt, welche er überwiegend im Sitzen habe verrichten können. Das SG hat den Neurologen und Psychiater K. und die Allgemeinmedizinerin T. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Der behandelnde Neurologe hat im Schreiben vom 10. August 2015 seine Auffassung mitgeteilt, dass die von ihm erhobenen Befunde die Verrichtung von leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von drei Stunden nicht ausschlössen; Erschwernisse bestünden beim Gehen und Stehen sowie beim Bewältigen von Gehstrecken über 50 m, weshalb eine überwiegend sitzende Tätigkeit zu empfehlen sei. Hausärztin T. hat den Kläger für Tätigkeiten ohne Klettern und Steigen sowie ohne weite Gehstrecken mindestens drei Stunden täglich "belastbar" gehalten (Schreiben vom 10. September 2015). Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der gutachterlichen Stellungnahme der DRV Baden-Württemberg vom 23. April 2014 sowie dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. B. sei größeres Gewicht beizumessen als den Äußerungen der als sachverständige Zeugen vernommenen Ärzten.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. September 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es unter Bezugnahme auf die Begründung im Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2014 ergänzend ausgeführt, der Beklagte sei gemäß § 44a Abs. 2 SGB II an die Feststellung des Rentenversicherungsträgers gebunden. Eine Veränderung habe es zeitlich nach der gutachterlichen Stellungnahme der DRV Baden-Württemberg bis zu dem bei der vorliegend statthaften Anfechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids nicht gegeben. Das sei im Rahmen der gerichtlichen Ermittlungen durch die befragten Ärzte insoweit bestätigt worden, als beide von einer seit 2013 bzw. 2014 unveränderten Befundlage berichtet hätten. Ihre inhaltlich abweichende Leistungsbeurteilung sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

Gegen diesen den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. September 2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Oktober 2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung. Zur Begründung hat der Kläger auf die vom SG erhobenen sachverständigen Zeugenauskünfte des Neurologen K. und der Allgemeinmedizinerin T. vom 10. August und 10. September 2015 verwiesen. Demnach sei er der Auffassung, dass er zumindest "teilerwerbsfähig" im Sinne des SGB II sei und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 9. September 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Der Beigeladene (Beladungsbeschluss vom 22. Dezember 2016) hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Der Senat hat von der DRV Baden-Württemberg die über den Kläger geführten Akten angefordert; diese hat entsprechende Auszüge übersandt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf die beigezogenen Akten der DRV Baden-Württemberg, die Verwaltungsakten des Beklagten (3 Bde.) und des Beigeladenen (1 Bd.), die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist unter Beachtung der Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 SGG nicht eingreifen. In Anbetracht des Werts des Beschwerdegegenstandes von 782,00 Euro (2 x 391,00 Euro) ist die erforderliche Berufungssumme von mehr als 750,00 Euro (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten.

2. a) Gegenstand des Verfahrens (§ 95 SGG) ist der Bescheid vom 21. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2014, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 30. Juli 2013 (mit nachfolgender Anpassung des Regelbedarfs ab dem 1. Januar 2014) für die Zeit ab dem 1. Juni 2014 aufgehoben hat. In dem letztgenannten Bescheid hatte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 382,00 Euro für die Zeit vom 1. August 2013 bis 31. Juli 2014 bewilligt; ab dem 1. Januar 2014 zahlte der Beklagte entsprechend der Fortschreibung der Regelbedarfe 391,00 Euro monatlich. Streitig ist mit Blick auf die ursprünglich bis zum 31. Juli 2014 befristete Bewilligungsentscheidung allein die bis dahin ab dem 1. Juni 2014 verstrichene Zeit. Statthafte Klageart ist, wie bereits vom SG erkannt, die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG); dem hat der Kläger im Berufungsverfahren durch seinen Sachantrag in der Berufungsschrift vom 12. Oktober 2016 Rechnung getragen.

b) Der Klage ist auch sonst zulässig; insbesondere mangelt es nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dies ergibt sich bei Klageerhebung schon aus dem Umstand, dass das von dem Beklagten bewilligte Arbeitslosengeld II mit zuletzt ab 1. Januar 2014 monatlich 391,00 Euro (Regelbedarfsstufe 1) höher gewesen ist als die von dem Beigeladenen mit dem Bescheid vom 12. Juni 2014 bewilligten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII, denen seinerzeit zunächst die Regelbedarfsstufe 3 zugrunde gelegt worden war. Dessen ungeachtet kann dem Kläger ein rechtlich schützenswertes Interesse an der gerichtlichen Klärung, welche der beiden Leistungen ihm zustehen, bereits mit Blick auf die hieran geknüpften Fernwirkungen nicht abgesprochen werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 7 Nr. 30 (Rdnr. 12)). Denn der Bezug von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II als Zuschuss führt zu Anrechnungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Halbs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung durch das Haushaltbegleitgesetz 2011 vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1885)). Darüber hinaus besteht im Fall des Bezugs von Arbeitslosengeld II Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)) und in der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a des Elften Buches Sozialgesetzbuch).

c) Die Notwendigkeit der Beiladung des Landkreises O.kreis als Sozialhilfeträger ergibt sich aus § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG. Der Beiladung steht nicht entgegen, dass der Landkreis als nach § 6a Abs. 1 SGB II zugelassener kommunaler Träger zugleich Rechtsträger der Leistungen nach dem SGB II ist (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 48 (Rdnrn. 42 f.); vgl. zum Ganzen auch Blüggel in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 44a Rdnr. 100)).

3. a) Die angefochtenen Bescheide sind nicht bereits aus formellen Gründen rechtswidrig. Die erforderliche Anhörung (§ 24 SGB X) ist spätestens im Widerspruchsverfahren wirksam nachgeholt worden (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der seit 1. April 2011 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, BGBl. I S. 850)) i.V.m. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X).

b) Ferner sind die angefochtenen Bescheide inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BSG SozR 4-1300 § 33 Nr. Rdnr. 16; BSGE 114, 188 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 62 (jeweils Rdnr. 15)). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Aufhebungsbescheid vom 21. Mai 2014 bezeichnet in seinem Verfügungssatz eine konkrete Bewilligungsentscheidung mit ihrem Datum, die wegen der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werde; damit entfalle für die Zeit ab dem 1. Juni 2014 der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Dass in dem Aufhebungsbescheid vom 21. Mai 2014 ausdrücklich lediglich der Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2013 benannt ist, nicht dagegen die Änderungsentscheidung ab dem 1. Januar 2014, ist im vorliegenden Fall bei zutreffender Auslegung des Bescheids unschädlich. Maßstab für die Auslegung von Verwaltungsakten ist der objektive Empfängerhorizont, wobei die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) Anwendung finden. Insoweit ist über den bloßen Wortlaut hinaus auf den objektiven Sinngehalt des Verwaltungsakts abzustellen, also darauf, wie der Empfänger dessen Inhalt (Verfügungssatz und Begründung) bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen konnte und musste. Die Auslegung hat sich nach dem Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten zu richten, der alle Begleitumstände und Zusammenhänge (Vorgeschichte, Anträge, Begleitschreiben, Situation des Adressaten, genannte Rechtsnormen, auch Interesse der Behörde) berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr. 6 Rdnr. 15; BSG SozR 4-1300 § 45 Nr. 19 (Rdnrn. 21 ff.) (beide m.w.N.)). Die hiernach vorzunehmende Auslegung ergibt vorliegend aus objektiver Empfängersicht unzweideutig, dass von dem Aufhebungsbescheid vom 21. Mai 2014 nicht nur der ausdrücklich erwähnte Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2013, sondern auch die der Höhe nach den Regelbedarf wegen Fortschreibung ab dem 1. Januar 2014 abändernde Bewilligung für die Zeit ab dem 1. Juni 2014 vollumfänglich erfasst sein sollte. Dass der Kläger dies im Übrigen auch selbst so gesehen hat, zeigt seine gesamte argumentative Vorgehensweise während des Widerspruchsverfahrens und des Gerichtsverfahrens.

4. Rechtliche Grundlage der Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 a.a.O.) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach gilt: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Vorschrift des § 48 SGB X ist - in Abgrenzung zu § 45 SGB X - anzuwenden, wenn die Regelung in einem Dauerverwaltungsakt durch eine nachträgliche Entwicklung nach Bekanntgabe dieses begünstigenden Verwaltungsakts rechtswidrig wird (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BSGE 74, 20, 23 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 32; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 48/07 R - (juris Rdnr. 16)). Eine wesentliche Änderung, die einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nachträglich rechtswidrig werden lässt, liegt vor, wenn die Änderung im Vergleich zur Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass dazu führt, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Bescheid nicht hätte erlassen dürfen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22; BSG SozR 4-1300 § 33 Nr. 1 (Rdnr. 24); ferner BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 24 (jeweils Rdnr. 10)).

a) Die Aufhebungsentscheidung des Beklagten ist zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BSGE 79, 223, 225 f. = SozR 3-1300 § 48 Nr. 56; BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr. 3 (jeweils Rdnr. 15); BSG (Rdnrn. 25, 41 f.), also des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2014, materiell rechtmäßig. Denn der Kläger hat zu dem für die gerichtliche Prüfung relevanten Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids für den gesamten Zeitraum ab dem 1. Juni 2014 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, weil eine der Grundvoraussetzungen für den Anspruch, nämlich die Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II), in dieser Zeit nicht gegeben war. Bis zum Eingang der gutachterlichen Stellungnahme der DRV Baden-Württemberg vom 23. April 2014 bei dem Beklagten (30. April 2014) hatte eine (endgültige) Zahlungspflicht des Beklagten als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II auf Grund der Regelung in § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 a.a.O.)) bestanden, welche eine Erwerbsfähigkeit fingiert (vgl. hierzu auch BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 (jeweils Rdnrn. 19 f.); BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr. 3 (jeweils Rdnr. 49); Blüggel in Eicher/Luik, a.a.O., § 44a Rdnrn. 62 ff.; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII (Stand: 06/16), § 21 (Rdnrn. 104 ff).). Damit korrespondierend hatte der Kläger bis dahin einen Leistungsanspruch allein nach dem SGB II (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, § 21 Abs. 1 SGB XII). Ein "Wahlrecht", ob er Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII beanspruchen möchte, hatte er seinerzeit nicht; eines solches ist aber auch für die nachfolgende Zeit nicht gegeben.

Mit dem Eingang der gutachterlichen Stellungnahme der DRV Baden-Württemberg bei dem Beklagten am 30. April 2014 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und den rechtlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten, die beim Erlass des Bewilligungsbescheids vom 30. Juli 2014 - eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - noch nicht vorgelegen hatten (vgl. auch Blüggel, a.a.O., § 44a Rdnr. 77). Deshalb hat der Beklagte die Leistungsbewilligung auf Grund des Wegfalls der Erwerbsfähigkeitsfiktion des § 44 Abs. 1 Satz 7 SGB II zu Recht mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Dass dem Kläger der Aufhebungsbescheid vom 21. Mai 2014 noch im Monat Mai 2014, und zwar spätestens am 28. Mai 2014, zugegangen und damit bekanntgegeben worden ist (§ 37 SGB X), ist durch den mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 28. Mai 2014 eingelegten Widerspruch belegt.

b) Jedenfalls in der hier nachprüfbaren Zeit ab dem 1. Juni 2014 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids sind die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II bei dem Kläger, der ledig und alleinstehend ist, nicht gegeben. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 a.a.O.)) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht vollendet haben (1.), die erwerbsfähig sind (2.) und hilfebedürftig sind (3.) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (4.). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 SGB II haben hier zwar vorgelegen; einer Leistungsberechtigung des Klägers hat in der zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Zeit jedoch entgegengestanden, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht erwerbsfähig war. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit (gemeint ist "auf nicht absehbare Zeit"; vgl. BSGE 105, 201 = SozR 4-4200 § 8 Nr. 1 (jeweils Rdnr. 15); Blüggel in Eicher/Luik, a.a.O., § 8 Rdnr. 29) außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Eine Erwerbsfähigkeit des Klägers hat in der zu überprüfenden Zeit nicht vorgelegen. Die Definition der Erwerbsfähigkeit in § 8 Abs. 1 SGB II lehnt sich sprachlich eng an die Definition der vollen Erwerbsminderung in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI (in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007 (BGBl I S. 554)) an, wobei in der Grundsicherung für Arbeitsuchende freilich die für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung im SGB VI entwickelten Kriterien für eine sog. Arbeitsmarktrente wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ohne Bedeutung sind (BSGE 105, 201 = SozR 4-4200 § 8 Nr. 1 (jeweils Rdnr. 15); ferner BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 (jeweils Rdnr. 18)). Maßgeblich nach dem SGB II ist vielmehr allein der zeitliche Umfang, in dem eine Tätigkeit entsprechend dem positiven und dem negativen Leistungsbild (noch) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden kann (BSGE 105, 201 = SozR 4-4200 § 8 Nr. 1 (jeweils Rdnr. 15); ferner Blüggel in Eicher/Luik, a.a.O., § 8 Rdnrn. 42 ff.; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II (Stand 12/16), § 8 Rdnrn. 24, 49; Armborst in LPK-SGB II, 6. Auflage 2017, § 8 Rdnrn. 6, 10). Zu klären ist im Rahmen des § 8 Abs. 1 SGB II mithin, ob noch eine Leistungsfähigkeit des Betroffenen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens drei Stunden arbeitstäglich besteht. Ist sein Leistungsvermögen dagegen auf unter drei Stunden täglich gesunken und/oder lässt es krankheits- oder behinderungsbedingt eine Tätigkeit unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen im Umfang von mindestens drei Stunden täglich nicht zu, ist eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II zu verneinen. Diese Voraussetzungen sind von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eigenständig zu prüfen; eine Bindung an die gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers, wie sie für die Träger der Grundsicherung nach dem SGB II und dem SGB XII normiert ist (vgl. § 44a Abs.1 Satz 6, Abs. 2 SGB II, § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB XII i.V.m. § 109a Abs. 3 SGB VI), besteht nicht (vgl. BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr. 6 (jeweils Rdnr. 16); BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 19/10 R - (juris Rdnr. 11); ferner Blüggel in Eicher/Luik, a.a.O., § 44a Rdnr. 60).

c) Dem Kläger war in dem hier zu überprüfenden Zeitraum zur Überzeugung des Senats auf Grund der bei ihm auf unabsehbare Zeit vorhandenen gesundheitlichen und behinderungsbedingten Beeinträchtigungen eine Tätigkeit unter arbeitsmarktsmarktüblichen Bedingungen nicht möglich. Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" war ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (vgl. etwa § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes, § 119 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III), seit 1. April 2012 § 138 Abs. 5 SGB III) verwendet und später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung (vgl. jetzt § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) übertragen worden. Damit hatte der Gesetzgeber gleichzeitig die höchstrichterliche Rechtsprechung aufgegriffen, wonach für den Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch als verschlossen angesehen wurde, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (vgl. hierzu BSG SozR 4-2600 § 43 Nr. 18 (Rdnr. 17)). Diese zur gesetzlichen Rentenversicherung und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auch auf die Bestimmung des § 8 Abs. 1 SGB II übertragbar (vgl. Blüggel in Eicher/Luik, a.a.O., § 8 Rdnrn. 33 ff.; Valgolio in Hauck/Noftz, a.a.O., § 8 Rdnrn. 39 ff.; Armborst in LPK-SGB II, a.a.O., § 8 Rdnrn. 13 ff.; Hackethal in jurisPK-SGB II (Stand 10.03.2015), § 8 Rdnrn. 21 ff.; J. Neumann in Beck’scher Online-Kommentar (49. Edition, Stand 01.06.2018), § 8 Rdnrn. 13 ff.; ferner zu § 41 Abs. 3 SGB XII Senatsurteil vom 23. Februar 2017 - L 7 SO 284/13 - (n.v.); LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Januar 2008 - L 15 SO 195/06 - (juris Rdnr. 39)). Nicht unter den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fassen sind Sonderarbeitsmärkte, wie z.B. die Werkstätten für behinderte Menschen (vgl. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI und BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr. 6 (jeweils Rdnrn. 14, 16)) oder Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II (Armborst, a.a.O., Rdnr. 13; Blüggel, a.a.O., Rdnr. 41).

Unter den "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt (BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 16 (jeweils Rdnr. 29)). Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Tätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (BSG a.a.O.). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG SozR Nr. 12 zu § 76 AVAVG; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr. 17). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist dagegen regelmäßig nicht mehr gegeben, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder aber eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt; von einer ausreichenden Anzahl von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann in diesen Fällen nicht ausgegangen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136). Als eine solche schwere spezifische gesundheitliche Einschränkung sind von der Rechtsprechung etwa besondere Schwierigkeiten der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz erachtet worden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; BSG SozR 4-2600 § 44 Nr. 1; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr. 18 (Rdnr. 28)). Eine schwere Leistungseinschränkung stellt ferner das fehlende Vermögen dar, eine Wegstrecke von über 500 m zu Fuß mit zumutbarem Zeitaufwand (innerhalb von etwa 20 Minuten) viermal täglich zurückzulegen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; BSGE 110, 1 = SozR 4-2600 § 43 Nr. 17 (jeweils Rdnrn. 18 ff.)).

d) Die bei dem Kläger vorhandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen berühren vorwiegend das neurologisch-psychiatrische Gebiet. Beim Kläger bestehen Störungen des zentralen Nervensystems; es liegen eine fokale Epilepsie und spastische Paraplegie, außerdem eine geistige Einbuße in Form einer Lernbehinderung vor. Diese Feststellungen trifft der Senat unter Würdigung des gesamten Akteninhalts einschließlich des von dem Beklagten eingeholten Gutachtens des Dr. B. vom 20. Januar 2014, das der Senat - ebenso wie die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. Z. vom 14. April 2014 - urkundenbeweislich zu verwerten hat (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87 - (juris Rdnr. 17); BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 38 (juris Rdnr. 16)), sowie der Äußerungen der sachverständigen Zeugen T. und K. nebst dessen aktenkundigen Arztberichten und Stellungnahmen vom 22. Juni und 13. September 2010, 17. April, 31. Juli und 27. November 2012, 19. Februar, 27. Mai, 17. Juni und 4. Dezember 2013 sowie 10. März 2014. Dr. B., an dessen fachlicher Qualifikation als therapeutisch tätiger Arzt und zertifizierter Gutachter der Deutschen Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB) keinerlei Zweifel bestehen, hat die Auffassungsgabe des Klägers im Gutachten vom 20. Januar 2014 als zwar formal geordnet, jedoch im begrifflichen Denken hochgradig beeinträchtigt beschrieben. Demgegenüber hatte der den Kläger behandelnde Neurologe und Psychiater K. in seinem Arztbrief vom 13. September 2010 sogar inhaltliche Denkstörungen angeführt. Das auffallende Äußere mit hoher Stirn weist nach den Ausführungen des Gutachters Dr. B. auf eine frühkindliche Hirnschädigung bei Hydrozephalus hin. Von einer frühkindlichen Hirnschädigung sowie einem Hydrozephalus wird im Übrigen auch in den Äußerungen der behandelnden Ärzte des Klägers K. und T. sowie in den Berichten der Neurologischen Klinik des O.-Klinikums vom 15. April und 15. November 2011 sowie 13. Januar 2012 gesprochen. Bei spastischer Tonuserhöhung der Beine besteht ein sog. Scherengang sowie eine Fehlstatik, insbesondere in den Knien, mit gestörter Feinmotorik. Hinsichtlich des zerebralen Anfallsleidens im Sinne einer Epilepsie ist die Anfallsfrequenz unter aktueller Medikation derzeit gering.

Auf Grund der bei dem Kläger dauerhaft vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist Dr. B. zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger nur noch körperlich leichte Tätigkeiten ohne überwiegendes Stehen verrichten kann und ihm auch solche Arbeiten nur unter anhaltender Anleitung und Aufsicht möglich sind, wobei der Gutachter die für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erforderliche Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit verneint hat. In Auswertung dieses Gutachtens hat auch der Sozialmediziner Dr. Z. in seiner Stellungnahme vom 14. April 2014 bei dem Kläger lediglich körperlich leichte Arbeiten für möglich erachtet und dessen Leistungsfähigkeit in einer dem Leistungsbild entsprechenden Tätigkeit auf unter drei Stunden täglich eingeschätzt.

Den Leistungsbeurteilungen des Dr. B. und des Dr. Z. schließt sich der Senat an. Sie sind in Anbetracht der beim Kläger auf Dauer vorhandenen krankheits- und behinderungsbedingten Beeinträchtigungen schlüssig und nachvollziehbar. Die mangelnde Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit des Klägers hat eine Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in der hier zu überprüfenden Zeit nicht zugelassen. Diese auf medizinischen Gründen beruhende Beurteilung wird im Tatsächlichen durch den Umstand belegt, dass der Kläger seit Beendigung seiner Ausbildung zum Teilezurichter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht hat Fuß fassen können. Die im September 1994 aufgenommene Tätigkeit als Arbeiter im Servicebereich eines Druckhauses musste der Kläger bereits nach rund drei Wochen wieder beenden; seitdem ist er keiner regelhaften beruflichen Tätigkeit mehr nachgegangen. Der Einwand des Klägers, dass er im Rahmen der Arbeitsgelegenheit bei der NAL täglich bis zu 6,5 Stunden gearbeitet habe, widerlegt das Ergebnis nicht. Denn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat er sich insoweit nicht betätigt; seine Helfertätigkeiten u.a. ab dem 1. April 2012 im geschützten Rahmen der Arbeitstherapeutischen Werkstatt der NAL waren niederschwellig angelegt. Die Tests während der in der Zeit vom 13. bis 17. Mai 2013 bei dem Bildungsinstitut f.f.w. Berufliche Bildung GmbH durchgeführten Eignungsfeststellung haben Ergebnisse erbracht, die trotz hoher Zuverlässigkeit, Motivation und Lernbereitschaft des Klägers nur mit intensiver Betreuung erreicht werden konnten und damit letztlich nicht brauchbar waren. Deshalb ist auch die dortige Empfehlung einer einfachen Lagertätigkeit im Helferbereich nicht nachvollziehbar.

Sogar der behandelnde Neurologe und Psychiater K. hatte den Kläger schon in seiner zur Vorlage bei dem Beklagten bestimmten Stellungnahme vom 22. Juni 2010 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für "nicht vermittelbar" gehalten. Soweit der Arzt dem Kläger nunmehr in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 10. August 2015 körperlich leichte Tätigkeiten im Umfang von drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat zutrauen möchten, lässt sich dies mit seiner vorbezeichneten früheren Einschätzung nicht in Einklang bringen. Widersprüchliche Äußerungen sind dem Behandler im Übrigen auch sonst entgegenzuhalten. Denn während der Arzt in seiner Stellungnahme vom 17. Juni 2013 eine stehende Tätigkeit bei dem Kläger "durchaus" für möglich gehalten hat, nicht dagegen eine Tätigkeit im Sitzen, hat er in seinem Schreiben an das SG vom 10. August 2015 gerade eine überwiegend sitzende Tätigkeit empfohlen. Die aufgezeigten inkonsistenten Äußerungen des Neurologen und Psychiaters lassen an eine subjektive Einstellung als Behandler des Klägers denken; von einer für die Leistungsbeurteilung zu fordernden Neutralität kann bei dem sachverständigen Zeugen nicht ausgegangen werden. Dies gilt im Übrigen auch für die Hausärztin T., die den Kläger im Schreiben vom 10. September 2015 bei Vermeidung von Tätigkeiten mit Klettern auf Leitern sowie von weiten Gehstrecken auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für drei Stunden täglich "belastbar" gehalten hat. Denn abgesehen davon, dass die bei dem Kläger ganz im Vordergrund stehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen das neurologisch-psychiatrische und damit nicht ihr Fachgebiet als Allgemeinmedizinerin betreffen, kann auch bei ihr als Hausärztin eine gewisse Subjektivität nicht ausgeschlossen werden.

e) Nach allem lässt das bei dem Kläger krankheits- und behinderungsbedingt deutlich eingeschränkte Leistungsvermögen zur Überzeugung des Senats Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens drei Stunden arbeitstäglich nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der von den sachverständigen Zeugen angesprochenen Wegstrecken - Neurologe und Psychiater K. hat in seiner Zeugenauskunft vom 10. August 2015 Schwierigkeiten beim Bewältigen von Gehstrecken über 50 m erwähnt - auch die (gemäß der von der Rechtsprechung zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung entwickelte) Wegefähigkeit des Klägers eingeschränkt wäre. Die Kläger war jedenfalls bereits auf Grund seiner herabgesetzten Leistungsfähigkeit von weniger als drei Stunden täglich in der vorliegend zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Zeit ab dem 1. Juni 2014 erwerbsunfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II. Von Seiten des Beigeladenen werden ihm deshalb auch seit dem 1. Juni 2014 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII gewährt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Eine Kostenerstattung mit Bezug auf den Beigeladenen kommt nicht in Betracht, weil dieser nicht zum Personenkreis des § 183 SGG gehört (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 193 Rdnr. 11a); ohnehin hat dieser sich am Verfahren nicht beteiligt und keine Anträge gestellt.

6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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