L 4 KR 111/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 KR 253/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 111/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für eine In-Vitro-Fertilisation.

Die 1965 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin ist rechtskräftig geschieden und betreibt nach ihren Angaben eine Annulierung ihrer kirchlich geschlossenen Ehe durch die R ... Sie lebt seit 1997 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Im Attest vom 02.10.2001 stellte Prof.Dr.A. (Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe) fest, bei der Klägerin sei im Dezember 2000 eine ausgedehnte Endometriose operiert worden; angesichts des Ausmaßes der Operation sei mit intensiven Verwachsungen zu rechnen, weshalb ein spontaner Schwangerschaftseintritt kaum zu erreichen sei. In solchen Fällen empfehle sich die Durchführung einer In-Vitro-Fertilisation.

Mit Bescheid vom 11.10.2001 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine In-Vitro-Fertilisation mit der Begründung ab, die Klägerin sei nicht verheiratet. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein; sie könne aus beruflichen Gründen nicht wieder heiraten, ohne ihre kirchlich geschlossene Ehe annuliert zu haben. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer könne eine In-Vitro-Fertilisation auch bei einer auf Dauer angelegten Partnerschaft durchgeführt werden.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2002 den Widerspruch zurück. Eine Kostenübernahme für Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft setze u.a. voraus, dass ausschließlich Ei- und Samenzellen des Ehegatten verwendet werden und dass die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiraten seien. Da diese Voraussetzungen nicht gegeben seien, dürfe die Kasse auch keine Kosten übernehmen.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 05.04.2002 beim Sozialgericht München (SG) geltend gemacht, sie würde ihre Arbeitsstelle in einem katholischen Kindergarten verlieren, wenn sie ohne die kirchliche Ehenichtigkeitserklärung wieder heiraten würde. Bestünde dieses Ehehindernis nicht, hätten sie und ihr Lebenspartner geheiratet. Eine Ausnahme vom Gebot der Eheverbindung zwischen beiden Elternteilen sei nach der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion bei einer auf Dauer angelegten Partnerschaft möglich. Es sei auch zu berücksichtigen, dass seit 01.07.1978 Väter nichtehelicher Kinder Träger des Elternrechts sein könnten. Die Beklagte habe auch in anderen Fällen einer nicht bestehenden Ehe die Kosten der künstlichen Befruchtung übernommen.

Das SG hat mit Urteil vom 26.03.2003 die Klage abgewiesen. Sowohl die gesetzliche Vorschrift als auch die Richtlinien über künstliche Befruchtung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sähen vor, dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nur dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen zählen würden, wenn sie im homologen System durchgeführt würden, wenn also die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet seien. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Es sei unerheblich, aus welchen Gründen von einer Eheschließung abgesehen werde bzw. ob eine solche in Zukunft beabsichtigt sei. Ausschlaggebend sei die Situation im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Eine Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit dem Institut der Ehe sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. Das Bundessozialgericht habe festgestellt, dass die gesetzliche Regelung Verfassungsrecht nicht verletze, soweit sie die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung auf Leistungen im homologen System beschränke.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 09.05. 2003, mit der sie weiterhin geltend macht, da Väter nichtehelicher Kinder Träger des Elternrechts seien, sei die Absicht des Gesetzgebers zu erkennen, rechtliche Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern abbauen zu wollen und auch einer Lebensgemeinschaft, deren Intensität der einer Ehe gleich komme, gleiche Wertigkeit in vielfacher Hinsicht beimessen wolle. Die Gleichstellung eheähnlicher Gemeinschaften mit der Ehe komme in bestimmten Regelungen des AFG und BSHG zum Ausdruck. Das SG hätte wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz das Verfahren aussetzen und die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen; dies sei im Berufungsverfahren nachzuholen.

Im Übrigen beantragt die Klägerin, das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.03.2003 und den zu Grunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 11.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine In-Vitro-Fertilisation zu übernehmen, hilfsweise dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Vorschrift des § 27 a Abs.1 Nr.3 SGB V in Einklang mit den Grundrechten der Klägerin steht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Wert des Beschwerdegegenstandes (Kosten der In-Vitro-Fertilisation) übersteigt nach der Kenntnis des Senats aus früheren Verfahren 1.000,00 DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG a.F.).

Die Berufung ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten gemäß § 27a Sozialgesetzbuch V (SGB V) in der im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides (07.03.2002) geltenden Fassung (Gesetz vom 26.06.1990 BGBl I S.1211). Nach Abs.1 dieser gesetzlichen Vorschrift umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,

2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird,

3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,

4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und

5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt unter den weiteren dort genannten Voraussetzungen haben beraten lassen.

Das Gesundheits-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I S.2190), das zum 01.01.2004 in Kraft getreten ist, hat durch eine Ergänzung des § 27 a Abs.1 Nr.2 SGB V den Leistungsumfang insoweit eingeschränkt, als eine hinreichende Aussicht nicht mehr besteht, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Außerdem sind Altersgrenzen eingeführt worden (§ 27 a Abs.3 SGB V).Das Erfordernis der Ehe hat der Gesetzgeber bei der Änderung der gesetzlichen Regelung jedoch nicht beseitigt. Damit geht der Hinweis der Klägerin auf eine Einbeziehung nichtehelicher Lebensgemeinschaften in anderen gesetzlichen Regelungen in Leere.

Einer Kostenübernahme durch die Beklagte steht im vorliegenden Fall entgegen, dass die Klägerin und ihr Lebenspartner nach ihren Angaben nicht miteinander verheiratet sind. Aus § 27a Abs.1 Nr.3 und 4 SGB V ist zu schließen, dass die Leistung sich auf Ehepaare beschränkt. Der Gesetzgeber hat diese Beschränkung mit der staatlichen Pflicht zur Förderung von Ehe und Familie gerechtfertigt (Kasseler Kommentar-Höfler, § 27a SGB V, Rdnr.9 mit Hinweis auf BR-Drucksache 65/90 S.35). Damit können nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht gleichgestellt werden.

Diese Beschränkung verstößt nach der Überzeugung des Senats nicht gegen Verfassungsrecht, weshalb eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art.100 Grundgesetz - GG) nicht in Frage kommt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 09.10.2001 (SozR 3-2500 § 27a Nr.4) festgestellt, die Beschränkung der Leistungspflicht der Krankenversicherung auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit eigenen Ei- und Samenzellen der Ehegatten verletzt kein Verfassungsrecht. Auch wenn dem dort entschiedenen Fall ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt, ist die Feststellung des BSG, dass § 27a Abs.1 Nr.4 SGB V nicht gegen Verfassungsrecht verstößt, auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Denn in beiden Fällen geht es um die künstliche Befruchtung mit dem Samen eines Mannes, mit dem die Versicherte nicht verheiratet ist. Aber auch im Übrigen ist ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art.3 GG) nicht zu erkennen. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass die ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist (z.B. BSG a.a.O.). Die Klägerin wird zwar gegenüber einer Versicherten, bei der der Samen ihres Ehemannes zur künstlichen Befruchtung verwendet wird, benachteiligt. Hierfür besteht aber ein sachlicher Grund. Wie mehrere Landessozialgerichte bereits entschieden haben (LSG Berlin vom 24.06.2003 L 9 KR 28/02-nicht veröffentlicht; LSG Niedersachsen-Bremen vom 07.01.2003, Breithaupt 2003, 785 ff. = SGb 2003, 521; LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.10.2002, NZS 2003, 484; LSG Neubrandenburg vom 15.05.2002 L 4 KR 3/01-nicht veröffentlicht), wird die Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall durch Art.6 Abs.1 GG gerechtfertigt. Danach stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der Staat hat also das Recht und die Pflicht, die Ehe in besonderer Weise zu fördern. Dieser verfassungsrechtliche Auftrag hindert den Gesetzgeber zwar nicht, den nichtehelichen Lebenspartnerschaften Rechte zu gewähren, die denen der Ehe nahekommen. Dennoch bleibt die nichteheliche Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe etwas Anderes, weil sie nicht unter dem besonderen Schutz des Art.6 Abs.1 GG steht (Bundesverfassungsgericht vom 17.07. 2002, BVerfGE 105, 313, 342 ff.; Jarass/Pieroth, GG, 7.Aufl., Art.6, Rn.2 m.w.N.). Der Gesetzgeber war daher nicht gezwungen, die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften im Rahmen des § 27a SGB V den Partnern einer Ehe gleichzustellen. Es ist somit zulässig, dass er im Sozialrecht eine pauschalierende Regelung trifft und als besonders förderungswürdige Lebensgemeinschaft die Ehe ansieht. Da es bei der hier streitigen gesetzlichen Regelung nicht allein um eine Kostenübernahme geht, sondern im Interesse des Kindes eine intakte Familie zu wünschen ist, kann es dem Gesetzgeber nicht verwehrt werden, dass er als eine Leistungsvoraussetzung das Bestehen einer Ehe festlegt. Es ist zwar möglich, dass ein Kind auch in einer festen nichtehelichen Lebensgemeinschaft ebenso ein intaktes Elternhaus hat wie in einer Familie bzw. dass in einer Familie nicht die Verhältnisse vorliegen, die dem Wohl des Kindes dienen. Da sich diese Umstände aber nicht von der Krankenkasse als Träger der Entscheidung im konkreten Einzelfall feststellen lassen bzw. eine derartige Prüfung kaum zu objektivieren ist, war der Gesetzgeber gezwungen, auf Grund einer typisierenden und generalisierenden Betrachtungsweise die Gewährung der Leistung von einem einfach nachzuweisenden Kriterium abhängig zu machen. Ferner ist in diesem Fall noch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Leistung gewähren könnte, wenn die Klägerin ihren Arbeitsplatz wechseln bzw. ihre erste Ehe kirchenrechtlich annulieren und sie mit ihrem Lebensgefährten eine Ehe eingehen oder der Arbeitgeber seine beruflichen Eignungskriterien hintanstellen würde. Dass dies derzeit nicht möglich ist, führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 27 a Abs.1 SGB V.

Ebensowenig ist eine Verletzung des Schutzes der Familie im Sinn von Art.6 Abs.1 Grundgesetz zu erkennen. Familie ist eine umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern (Jarass/ Pieroth, a.a.O., Art.6, Rn.4, m.w.N.) Zum einen lebt die Klägerin nicht in einer ehelichen Gemeinschaft und zum anderen beschränkt sich die Pflicht des Staates zur Förderung der Familie auf bereits bestehende Familien. Art.6 Abs.1 Satz 1 GG verpflichtet den Staat nicht zur Förderung von Maßnahmen, die es erst ermöglichen, eine Familie zu bilden.

Unerheblich ist schließlich der Hinweis der Klägerin, die Beklagte habe in einem gleichgelagerten Fall einer anderen Versicherten die streitige Leistung bewilligt. Denn es gibt keine Gleichheit im Unrecht und damit keinen Anspruch auf Fehlerwiederholung bei der Rechtsanwendung. Die Berufung auf rechtswidrige Parallelfälle ist daher irrelevant (Jarass/Pieroth, a.a.O., Art.3, Rn.36 m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved