S 7 R 7366/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Stuttgart (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 7366/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Rahmen der Statusfeststellung ist eine Elementenfeststellung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zulässig, wenn im Falle von Versicherungsfreiheit wegen Entgeltgeringfügigkeit ein Pauschalbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist.

2. Erhebungsbeauftragte nach § 14 BStatG sind regelmäßig nicht abhängig beschäftigt.
Der Bescheid vom 31.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 wird aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit als Preisermittlerin beim Kläger seit dem 01.05.2011 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt.

Die Kosten des Rechtsstreits, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit der Beigeladenen als Preisermittlerin für ihn seit dem 01.05.2011 im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens.

Am 23.12.2015 reichte die Beigeladene bei der Beklagten den Antragsvordruck auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status ein und teilte mit, dass dieser für das Jobcenter beantwortet werden solle, um den internen Systemaufwand bezüglich vorläufiger und abschließender Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit zu regulieren. Sie gab darin an, seit Mai 2011 in der Preiserhebung/-ermittlung der Verbraucherpreisstatistik beim Statistischen Landesamt des Klägers tätig zu sein. Zudem legte sie die Vereinbarung vom 05.04.2011 vor, worin sie sich verpflichtete, im Rahmen der Verbraucherpreisstatistik als Preiserheberin tätig zu sein. Für die Preisermittlung seien zwei Tage veranschlagt. Die Preisermittlertätigkeit werde entsprechend dem Befragungs- und Erfassungsaufwand gemäß den Angaben in dem Muster "Berechnung der Aufwandsentschädigung" (Statistik der Verbraucherpreise) vergütet. Das Landesamt übernehme keine Haftung für Schäden, die der Preisermittler verursache, und für Schäden, die ihm entstünden. Es behalte sich vor, im Falle unvollständiger bzw. fehlerhaft bearbeiteter Unterlagen die vereinbarte Vergütung entsprechend zu kürzen. Im Übrigen würden für das Vertragsverhältnis die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Werkvertrag (§§ 631 ff.) gelten. Die Preisermittler seien für eine ordnungsgemäße Versteuerung der gezahlten Aufwandsentschädigung selbst verantwortlich. In einem darüber hinaus beigefügten Schreiben vom 21.06.2011 teilte das Landesamt der Beigeladenen mit, dass ein Arbeitsverhältnis aus dieser Tätigkeit nicht begründet werde. Für die derzeit veranschlagten zwei Erhebungstage würde eine monatliche Grundvergütung von 84,00 Euro gezahlt werden.

Die Beigeladene beantwortete eine Anfrage der Beklagten über ihre Tätigkeit, worin sie u.a. ausführte, dass sie als Arbeitsmittel einen Kugelschreiber benötige, vom Auftraggeber eine Schreibmappe mit Klemmbrett, Berichtstabellen und portofreie Rückumschläge gestellt erhalte, sozusagen als Mitarbeiter des Auftraggebers mit einem Ausweis auftrete, selbst hingegen nicht unternehmerisch auftrete und kein Unternehmerrisiko trage, weil sie kein Kapital einsetze. Aus der beigefügten "Bescheinigung über Aufwandsentschädigung" vom 06.03.2015 ergab sich, dass der Kläger an die Beigeladene für das Jahr 2014 insgesamt 1.256,49 Euro gezahlt hatte, wobei pro Monat je zwei Erhebungstage angefallen waren, die jeweils mit 42,00 Euro vergütet worden waren und eine Vergütung für zusätzliche Arbeiten in monatlich unterschiedlicher Höhe von 5,65 Euro bis zu 90,63 Euro gewährt worden war. Mit Schreiben vom 28.04.2016 hörte die Beklagte sowohl den Kläger als auch die Beigeladene zum beabsichtigten Erlass eines Bescheides über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung an.

Mit Bescheid vom 31.05.2016 stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen beim Kläger seit dem 01.05.2011 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Als Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis führte die Beklagte an: Die Beigeladene erhalte fachliche Weisungen in Form von Erfassungsbögen und eines Handbuches. Der Ort der Preisermittlung werde vorgegeben. Es würden feste Ermittlungszeiträume vorgegeben werden, in denen die Ermittlung stattfinden müsse. Die Tätigkeit werde im Namen des Klägers ausgeübt. Ein entsprechender Ausweis werde erstellt. Ein unternehmerisches Risiko sei nicht erkennbar. Eigene Arbeitsmittel in größerem Umfang würden nicht eingesetzt werden. Die Tätigkeit werde persönlich ausgeübt. Die Rücksendung der Ermittlungsbögen erfolge in vom Kläger vorfrankierten Umschlägen. Vor Beginn der Tätigkeit erfolge eine Schulung beim Kläger als Auftraggeber. Bei Verhinderung habe sich die Beigeladene beim Kläger zu melden.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den er damit begründete, dass im Rahmen der Gesamtschau die Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit überwiegen würden. Insbesondere erhalte die Beigeladene keine erfolgsunabhängige Vergütung, sondern eine Pauschale von 42,00 Euro für die Ermittlung von ca. 100 Preisen sowie Zahlungen für zusätzliche Arbeiten, die monatlich ausgezahlt würden. Die Bezahlung hänge also davon ab, ob sie die vereinbarten Preise korrekt ermittelt und wie viele zusätzliche Arbeiten sie ausgeführt habe. Sofern in einem Monat keine Preise ermittelt würden, erfolge auch keine Bezahlung. Ein fachliches Weisungsrecht aufgrund vertraglicher Abmachungen bestehe nicht, die inhaltlichen Festlegungen zu den Erhebungstätigkeiten ergäben sich vielmehr direkt aus den gesetzlichen Vorgaben zur Verbraucherpreisstatistik. Eine Eingliederung in die betriebliche Struktur des Statistischen Landesamtes erfolge nicht. Die Beigeladene sei weder in die Organisations- noch Dienstpläne eingeordnet und verfüge auch über keinen Arbeitsplatz im Landesamt. Darüber hinaus verwies der Kläger auf Bescheide der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Rechtsvorgängerin der Beklagten), in denen die Tätigkeit als Erhebungsbeauftragter als selbstständig eingeordnet worden war, sowie auf ein Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg, wonach es sich bei dieser Tätigkeit nicht um ein Arbeitsverhältnis handele.

Mit Bescheid vom 14.09.2016 nahm die Beklagte den Bescheid vom 31.05.2016 hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zurück und stellte fest, dass in der zu beurteilenden Beschäftigung Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung und keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung bestehe, weil sie nur in geringfügigem Umfang (geringfügig entlohnt) ausgeübt werde. Eine geringfügig entlohnte Beschäftigung liege vor, da das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400,00 Euro nicht übersteige. Dem Widerspruch sei damit teilweise abgeholfen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2016 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Die Beigeladene trage keinerlei Unternehmerrisiko und habe keinen Gestaltungsspielraum in inhaltlicher Hinsicht. Bei den in der Widerspruchbegründung genannten Entscheidungen handele es sich nicht um die hier streitgegenständliche Tätigkeit als Preiserheberin. Sie seien auf den jeweiligen Einzelfall ausgerichtet und nicht übertragbar. Der Vergleich mit einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung gehe ins Leere, weil zwischen den Rechtsinstituten des Arbeitsrechts und des Sozialrechts keine vollständige Deckungsgleichheit bestehe. Eine Erstreckung der für ein Rechtsgebiet getroffenen Entscheidung auf andere Rechtsgebiete sei wegen der Unterschiede im jeweiligen Schutzzweck ausgeschlossen.

Am 29.12.2016 hat der Kläger zum Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben und sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 31.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit als Preisermittlerin beim Kläger nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses seit dem 01.05.2011 ausübt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass ihre Entscheidung rechtmäßig sei und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid.

Mit Beschluss vom 08.02.2017 hat das Gericht die Beigeladene zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene

stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Zwar hat die Beklagte mit Bescheid vom 14.09.2016 festgestellt, dass die Beigeladene in der streitgegenständlichen Tätigkeit beim Kläger aufgrund von Entgeltgeringfügigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) versicherungsfrei ist in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gemäß § 27 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) und keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) besteht. Der Kläger ist aber dennoch klagebefugt, weil er wie von § 54 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorausgesetzt behaupten kann, durch den Widerspruchsbescheid beschwert zu sein. Denn jedenfalls setzt diese Entscheidung den Rechtsschein einer eigenständigen Feststellung von abhängiger Beschäftigung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.07.2017 – L 11 R 3643/16, juris, Rn. 33), sodass die dagegen erhobene Anfechtungsklage schon aus diesem Grund gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 F. 1 SGG statthaft ist.

Die Klage ist darüber hinaus aber auch als ausnahmsweise zulässige Elementenfeststellungsklage statthaft, soweit der Kläger zudem die Feststellung begehrt, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit als Preisermittlerin bei ihm nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses seit dem 01.05.2011 ausübt. Zwar ermächtigt § 7a SGB IV grundsätzlich nicht zur Elementenfeststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.2009 – B 12 R 11/07 R, juris), allerdings bestimmt § 249b S. 1 SGB V, dass der Arbeitgeber einer Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV für Versicherte, die in dieser Beschäftigung versicherungsfrei oder nicht versicherungspflichtig sind, einen Beitrag in Höhe von 13 vom Hundert des Arbeitsentgelts dieser Beschäftigung zu tragen hat. Auch bei der vorliegend festgestellten Versicherungsfreiheit der Beigeladenen in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Entgeltgeringfügigkeit bleibt der Kläger also durch die gerade aufgrund dessen eintretende Pflicht zur Tragung des Pauschalbeitrags beschwert. Eine endgültige Streitbeilegung kann insoweit nur durch die gerichtliche Feststellung herbeigeführt werden, ob überhaupt eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Denn nur ohne eine solche würde auch keine Pauschalbeitragspflicht zur Krankenversicherung bestehen. Der Kläger hat damit ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG.

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 31.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beigeladende ist seit dem 01.05.2011 in der streitgegenständlichen Tätigkeit als Preisermittlerin beim Kläger nicht abhängig beschäftigt.

Nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der nach § 7a Abs. 1 S. 3 SGB IV zuständigen Beklagten beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt. Diese entscheidet aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs. 2 SGB IV). Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 14.03.2018 – B 12 KR 3/17 R, juris, Rn. 12 m.w.N.) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit: BVerfG, Beschluss vom 20.05.1996 – 1 BvR 21/96, juris). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, Urteil vom 24.01.2007 – B 12 KR 31/06 R, juris, Rn. 16).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 24.01.2007 – B 12 KR 31/06 R, juris, Rn. 17 m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die streitgegenständliche Tätigkeit der Beigeladenen beim Kläger als Preisermittlerin seit dem 01.05.2011 nicht als abhängige Beschäftigung einzustufen.

Das Gesamtbild der Tätigkeit der Beigeladenen beim Kläger spricht nicht für eine abhängige Beschäftigung. Maßgeblich hierfür ist die fehlende Eingliederung der Beigeladenen in das Landesamt. Sie ist weder in die Organisations- noch Dienstpläne eingeordnet und verfügt dort auch über keinen Arbeitsplatz. Sie hat keine dienstlich zur Verfügung gestellte E-Mail-Adresse oder Ähnliches, nimmt nicht an Betriebsausflügen, Weihnachtsfeiern oder Ähnlichem teil, erhält weder Urlaub noch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und wird auch nicht etwa fortlaufend in Schulungen fortgebildet, sondern vielmehr einmal vor Beginn der Tätigkeit über ihre Rechten und Pflichten als Erhebungsbeauftragte belehrt, wie es gesetzlich in § 14 Abs. 4 Bundesstatistikgesetz (BStatG) vorgeschrieben ist.

Das Verhältnis zwischen Kläger und Beigeladener ist zudem insgesamt gesetzlich durch § 14 BStatG vorgegeben. So sind Erhebungsbeauftragte nach § 14 Abs. 3 S. 1 BStatG verpflichtet, die Anweisungen der Erhebungsstellen zu befolgen. Diese Vorschrift definiert ein öffentlich-rechtliches Weisungsverhältnis als Ausfluss der Bestellung des Erhebungsbeauftragten, der im Falle von Erhebungen mit bestehender Auskunftspflicht (§ 15 BStatG) wie ein Beliehener hoheitlich tätig wird (vgl. Dorer/Mainusch/Tubies, BStatG, 1988, § 14, Rn. 5). Die in diesem Statusverhältnis bestehende Weisungsbefugnis besteht gerade unabhängig vom Weisungsrecht eines Arbeitgebers und kann somit nicht herangezogen werden, um eine abhängige Beschäftigung zu begründen. Gleiches gilt für ein Auftreten im Namen des Landesamtes durch Vorzeigen eines entsprechenden Ausweises. Denn gemäß § 14 Abs. 3 S. 2 BStatG haben Erhebungsbeauftragte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ihre Berechtigung nachzuweisen. Allein hierfür dient der Ausweis. Eine darüber hinausgehende Funktionalität hat er hingegen nicht und verschafft z.B. keine Zutrittsmöglichkeit zu den Räumlichkeiten des Landesamtes, sodass auch von daher eine Eingliederung der Beigeladenen in das Landesamt ausscheidet.

Nur soweit das Verhältnis zwischen Beigeladener und Kläger nicht bereits gesetzlich durch das BStatG geregelt ist, wird es ergänzend durch die Vereinbarung vom 05.04.2011 bestimmt. Dieser lassen sich keine prägenden arbeitsvertraglichen Elemente entnehmen, sondern im Gegenteil werkvertragliche. Neben den – wiederum von § 14 BStatG so vorgeschriebenen – Verpflichtungen der Klägerin zur Verschwiegenheit und dazu ausfüllend Verpflichtungen zum Umgang mit den Erhebungsunterlagen enthält die Vereinbarung einen Haftungsausschluss des Landesamtes, den Vorbehalt, die vereinbarte Vergütung im Falle unvollständiger bzw. fehlerhaft bearbeiteter Unterlagen zu kürzen und den Hinweis, dass die Preisermittler für eine ordnungsgemäße Versteuerung der gezahlten Aufwandsentschädigung selbst verantwortlich sind (und somit also gerade nicht wie bei einer abhängigen Beschäftigung Steuern vom Arbeitgeber abgeführt werden). Ausdrücklich verweist die Vereinbarung für das Vertragsverhältnis im Übrigen auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Werkvertrag (§§ 631 ff.). Die Beteiligten haben damit deutlich ihren Willen zum Ausdruck gebracht, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu begründen, was in der Gesamtabwägung ebenfalls ein erhebliches Indiz ist, da die tatsächlichen Verhältnisse dem nicht offensichtlich widersprechen und dies im Gegenteil durch weitere Aspekte gestützt wird (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, juris, Rn. 26 m.w.N.).

So hat der Kläger die Beigeladene über die gesetzlichen Vorgaben hinaus insbesondere keinem weiteren Weisungsregime unterworfen. Hinsichtlich der Auswahl der Erhebungsorte ist mit der Beigeladenen Rücksprache gehalten worden und sie konnte diese selbstbestimmt und mit freier Zeiteinteilung aufsuchen. Auch im Hinblick auf die konkrete Ausführung der Tätigkeiten hat der Kläger nicht mehr verlangt als die Einhaltung des Gesetzes. Er war nach seiner Einlassung im Termin zur mündlichen Verhandlung insoweit auch bereit, Erhebungsergebnisse zu akzeptieren, bei denen von der Verwendung von Vorlagen und Vordrucken – die er lediglich zur Vereinfachung zur Verfügung stellte – abgesehen worden war, solange die gesetzlichen Vorgaben inhaltlich eingehalten wurden.

Schließlich ist auch die Vergütung nicht als Arbeitsentgelt ausgestaltet, sondern als bloße Aufwandsentschädigung, wie sie in den Bestätigungen des Klägers im Übrigen auch bezeichnet wird. Eine Bezahlung von 42,00 Euro für einen Erhebungstag ist ersichtlich nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt, sondern soll mit der Erhebungstätigkeit verbundene Aufwände abgelten. Die Finanzverwaltung geht daher von einer Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 12 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) aus, wonach Bezüge steuerfrei sind, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, dass sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen. Die Preisermittler sind nach Auffassung der Finanzverwaltung dabei aufgrund der eigenverantwortlichen Organisation und Durchführung der Erhebungen im Übrigen selbstständig tätig (Finanzministerium Baden-Württemberg, 15.12.2009, 3 S 233.7/66, FMNR452050009, juris).

Die Beigeladene hat exemplarisch im Jahr 2014 insgesamt 1.256,49 Euro erhalten, wobei pro Monat je zwei Erhebungstage angefallen waren und eine Vergütung für zusätzliche Arbeiten in monatlich unterschiedlicher Höhe von 5,65 Euro bis zu 90,63 Euro gewährt worden war (Bescheinigung über Aufwandsentschädigung vom 06.03.2015). Der Kläger geht deshalb wie von ihm in der mündlichen Verhandlung dargelegt zu Recht davon aus, dass die Tätigkeit als Preisermittler aufgrund der Geringfügigkeit der Vergütung für gewöhnlich als Nebentätigkeit ausgeübt wird und daneben eine Haupttätigkeit besteht. Ob – und ggf. welche – andere Tätigkeiten die Erhebungsbeauftragten noch ausüben, ist für den Kläger daher unerheblich, soweit keine Pflichtverletzung nach § 14 Abs. 1 BStatG droht. Ein Arbeitsverhältnis, mit dem typischerweise ein substantieller Teil des Lebensunterhalts verdient wird und in dem ein ebenso substantieller Teil der Arbeitskraft eingesetzt wird, ist in der Tätigkeit als Erhebungsbeauftragter daher schon grundsätzlich nicht zu erkennen, in der konkreten Ausgestaltung der von der Beigeladenen ausgeübten Tätigkeit somit aber erst recht nicht.

Die Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder sie noch der Kläger zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind ihr nicht aufzuerlegen, weil diese keine Anträge gestellt und damit auch kein Prozessrisiko auf sich genommen hat (§ 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Rechtskraft
Aus
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