Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 500/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 282/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 13.017,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 31. August 2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 13.017,88 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Vergütungsanspruch der Klägerin, die Apothekerin und Inhaberin einer Apotheke ist, wegen der Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte der Beklagten.
Die Beklagte beglich die Arzneimittelabrechnung der Klägerin für den Juli 2010 nur teilweise, da sie in Höhe von 13.803,23 Euro mit – nach ihrer Rechtsauffassung – mit einem Rückzahlungsanspruch wegen Beanstandung früherer Abrechnungen der Klägerin (sog. Taxbeanstandung) aufrechnete.
Dieser Taxbeanstandung liegt – neben einem zweiten, der Höhe nach vergleichsweise weniger bedeutsamen Vorgang (dazu Anlage K7 und K8) – zugrunde, dass die Beklagte bemängelte, die Klägerin habe auf ein sog. T-Rezept – also ein Sonderformular für die Verordnung von thalodomid- oder lenalidomidhaltigen Arzneimitteln – Arzneimittel abgegeben, obwohl das entsprechende T-Rezept nicht ordnungsgemäß ausgefüllt worden sei. Daher habe sie 13.017,88 Euro (Rezeptbetrag 13.712,80, abzgl. Zuzahlung 20,00 Euro und Rabatt 674,92 Euro, also i.E. 13.017,88 Euro, dazu Anlage K 8) zu Unrecht abgerechnet.
Mit dem betreffenden T-Rezept vom 9. April 2009 verordnete der behandelnde Arzt des bei der Beklagten versicherten C. C. diesem das Medikament Revlimid. Der Versicherte legte dieses Rezept in der klägerischen Apotheke am 14. April 2009 vor. Dort war der Versicherte nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin seit Anfang des Jahres 2008 Zeit persönlich bekannt und mehrfach mit Revimid versorgt worden – zuletzt vor der Vorlage des Rezepts vom 9. April 2009 aufgrund eines Rezepts vom 19. Februar 2009 – sowie wegen dieser besonderen Medikation auch registriert. Die Beklagte hatte im Übrigen unter dem 2. Juli 2008 eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung für den Zeitraum von sechs Monaten abgegeben.
Bei dem T-Rezept vom 9. April 2009 fehlte eine der nach § 3a Abs. 2 Arzneimittelverschreibeverordnung (AMVV) vorgesehenen Bestätigungen auf dem Rezept, nämlich diejenige hinsichtlich der Übergabe von Informationsmaterial an den Patienten. Der Versicherte war indes bereits über das Medikament und dessen Nebenwirkungen aufgeklärt und ihm waren bereits entsprechenden Unterlagen bei vorangegangener Rezeptausstellung ausgehändigt worden.
Die Beklagte beanstandete mit Schreiben vom 29. Januar 2010 die erfolgte Abrechnung des genannten Rezepts. Ein Einspruch hiergegen unter Befassung des Hess. Apothekerverbandes und des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) blieb im Ergebnis erfolglos. Die Beklagte setzte den nach ihrer Auffassung aufgrund der bemängelten unvollständigen Rezeptausstellung bestehenden Rückzahlungsanspruch wie bereits ausgeführt durch, indem sie die Arzneimittelabrechnung der Klägerin für den Monat Juli 2010 teilweise – insoweit in Höhe von 13.017,88 Euro – unbezahlt ließ.
Die Klägerin hat am 27. September 2012 durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Klagebegründung ist im Wesentlichen angeführt worden, der geltend gemachte Vergütungsanspruch bestehe nach § 129 SGB V i.V.m. dem Rahmenvertrag bzw. dem Arzneilieferungsvertrag. Die Beklagte sei zwar zur Prüfung berechtigt, habe aber die Arzneimittelausgabe aufgrund des T-Rezepts zu Unrecht beanstandet, so dass auch die Aufrechnung unberechtigt sei. Das Unterbleiben des Ankreuzens des zweiten Formularfeldes auf dem T-Rezept stehe dem diesbezüglichen Vergütungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Dies ergebe sich aus der entsprechenden Bekanntmachung des genannten Bundesinstitutes zu § 3a AMVV. Im Übrigen sei der Fehler des Nichtankreuzens des zweiten Formularfeldes wenige Wochen nach Einführung der neuen gesetzlichen Regelung zur Arzneimittelverordnung erfolgt. Auf diesen bloßen Formfehler sei von der Beklagten unangemessen reagiert worden. Absetzungen von Vergütungen müssten indes den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen. Hier sprächen mehrere Gesichtspunkte gegen die Verhältnismäßigkeit. Es sei eine vollständige Kürzung vorgenommen worden, obwohl nur ein Formfehler vorliege, der im Übrigen auch nur kurz nach Neueinführung des § 3a AMVV erfolgt sei. Das Arzneimittel sei wie verordnet ausgegeben worden, wobei es sich außerdem um eine wiederholte Abgabe an den Versicherten gehandelt habe. Es habe keine Gefährdung aufgrund des Alters und Geschlechts des Versicherten vorgelegen. Die Klägerin habe gewusst, dass der Versicherte informiert und aufgeklärt gewesen sei, der Versicherte sei der Klägerin persönlich bekannt und mit der Medikamentierung registriert gewesen, die auch stets von demselben Arzt verordnet worden sei (Prof. Dr. D.). Nach § 3a AMVV sei nur zu gewährleisten, dass vor Beginn der Behandlung Informationsunterlagen ausgehändigt werden. Bei einer Dauerbehandlung wie vorliegend müsse dies indes nicht bei jedem Rezept erneut erfolgen. Der Sanktionszweck einer Vergütungsabsetzung könne daher vorliegend nicht erreicht werden. Die Nichtvergütung einer im Ergebnis korrekten Arzneimittelversorgung sei unverhältnismäßig und nicht durch Gemeinwohlgründe gerechtfertigt. Für die Vollabsetzung der Vergütung bestehe keine Rechtsgrundlage.
Der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 13.017,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 31. August 2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung im Wesentlichen angeführt, das Ankreuzen des zweiten Formularfeldes sei erforderlich, der Wortlaut sei zwingend. Es sei möglich, dass die Verordnungen von unterschiedlichen Apotheken geliefert werden, die keine Kenntnis über vorangegangene Verordnungen bzw. die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen haben. Es komme nicht darauf an, ob der Apotheker im Einzelfall Kenntnis habe. Die Klägerin habe gegen das Abgabeverbot nach § 17 Abs. 5 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO) verstoßen. Eine nachträgliche Heilung der Verletzung von Abgabe-bestimmungen sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht möglich.
Hinsichtlich des sonstigen umfangreichen Vorbringens der Beteiligten wird auf deren schriftsätzliche Ausführungen und im Übrigen auf die Inhalte der Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Die Klage, die als Leistungsklage statthaft (vgl. SG Hannover, Urteil vom 29. Januar 2016, S 86 KR 383/11, juris; SG Braunschweig, Urteil vom 19. Juni 2015, S 6 KR 428/12, juris) und auch im Übrigen zulässig ist, ist begründet.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf vollständige Vergütung der Arzneimittelabrechnung für den Monat Juli 2010 zu, d.h. ohne Abzug aufgrund einer Aufrechnung mit dem von der Beklagten angenommenen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 13.017,88 Euro wegen der vermeintlich zu Unrecht erbrachten Zahlung dieses Betrages im Jahr 2009 aufgrund der von der Beklagten bemängelten Ausstellung des T-Rezeptes vom 9. April 2009 in Bezug auf das Medikament Revlimid. Die unstreitig entstandene Forderung der Klägerin für den Monat Juli 2010 ist nicht durch die Aufrechnung mit dem von der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch betreffend die Verordnung vom 9. April 2009 erloschen, da die geltend gemachte Gegenforderung der Beklagten nicht besteht. Auch der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ist – in der zuletzt beantragten Höhe – begründet.
Für den Vergütungsanspruch der Klägerin gilt Folgendes (BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 16/11 R – juris):
"Ansprüche der Apotheker für die von ihnen an Versicherte der Beklagten abgegebenen Arzneimittel ergeben sich aus § 129 SGB V (idF durch Art 1 Nr. 95 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.4.2007) in Verbindung mit den hierfür geltenden vertraglichen Regelungen des Leistungserbringungsrechts. Nach § 129 SGB V geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge (§ 129 Abs. 2 und Abs. 5 S 1 SGB V, vgl. auch § 2 Abs. 2 S 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der GKV ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKn, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (stRspr, vgl. z.B. BSG Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 14/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, RdNr. 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 5, RdNr. 15)."
Der Vergütungsanspruch der Klägerin in Bezug auf den Monat Juli 2010 entspricht unstreitig diesen Voraussetzungen, wobei sich vorliegend die konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen aus dem zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) und dem Deutschen Apothekerverband e.V. abgeschlossenen Arzneilieferungsvertrag (ALV) vom 21. August 2008 ergeben.
Der Anspruch ist auch nicht dadurch erloschen, dass die Beklagte analog § 387 BGB gegen die Vergütungsforderung der Klägerin in Höhe von 13.017,88 Euro aufgerechnet hat. Denn die Voraussetzungen des von der Beklagten geltend gemachten Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung (vgl. zu einer solchen Aufrechnung allgemein etwa BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 15/11 R – juris m.w.N.) waren bzw. sind nicht gegeben. Der Beklagten stand kein Gegenanspruch aus öffentlich-rechtlicher Erstattung zu. Der insoweit geltend gemachte Rückzahlungsanspruch bestand nicht, weil die Beklagte der Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ohne Rechtsgrund 13.017,88 Euro aufgrund der Abrechnung von März/April 2009 geleistet hat. Vielmehr ist diese Zahlung in Bezug auf die Ausgabe des Medikaments Revlimid an den genannten Versicherten aufgrund des T-Rezeptes vom 9. April 2009 zutreffend erfolgt. Es bestand insoweit ein Vergütungsanspruch der Klägerin trotz der Nichtausfüllung des zweiten Formularfeldes auf dem entsprechenden Rezept.
Nach § 1 Nr. 1 ALV regelt der Arzneilieferungsvertrag unter anderem die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten der Ersatzkassen mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln aufgrund vertragsärztlicher oder vertragszahnärztlicher Verordnung. Die Rechnungen der Apotheken oder der von diesen beauftragten externen Abrechnungsstellen werden gemäß § 12 Abs. 1 ALV innerhalb von zehn Tagen nach Eingang der Rechnung nach § 11 ALV bei den von den Ersatzkassen genannten Stellen beglichen. Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden gemäß § 17 Abs. 1 ALV von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgt. Hierzu gehören neben den rechnerischen und sonstigen offenbaren Unrichtigkeiten auch Taxdifferenzen und die Summe zurückgegebener Rezepte. Das vertraglich eingeräumte Recht der Krankenkassen zur Rechnungs- und Taxberichtigung in den Landesverträgen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dabei umfassend und erfasst alle Fehler und Beanstandungen (SG Hannover, Urteil vom 29. Januar 2016, S 86 KR 383/11, juris unter Verweis auf BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R –, juris).
Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin einen Vergütungsanspruch für die aufgrund der ärztlichen Verordnung vom 9. April 2009 erfolgte Ausgabe des Medikaments Revlimid an den bei der Beklagten krankenversicherten C. C. Demgegenüber waren bzw. sind die Anforderungen an eine Retaxierung durch die Beklagten nach § 17 AMV nicht erfüllt.
Der Vergütungsanspruch der Apotheke für die Abgabe eines Medikaments an einen Versicherten setzt nach § 129 SGB V i.V.m. den genannten vertraglichen Regelungen voraus, dass ein Vertragsarzt das Medikament auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt verordnet hat (BSG, Urteil vom 17. Januar 1996 – 3 RK 26/94 – juris; SG Hannover a.a.O.; SG Braunschweig, Urteil vom 19. Juni 2015, S 6 KR 428/12). Insofern gilt Folgendes (SG Hannover a.a.O.):
"Nach § 4 Abs. 1 S. 1 ALV erfolgt die Abgabe aufgrund einer ordnungsgemäß ausgestellten vertragsärztlichen Verordnung. § 4 Abs. 1 S. 2 ALV trifft nähere Regelungen zum Inhalt einer ordnungsgemäßen Verordnung. Zwar enthält die Vorschrift keine Angaben zur Einhaltung der Abgabebestimmungen bei T Rezepten; dass die Apotheken darüber hinaus ihr spezifisches Berufsrecht beachten müssen, wird im ALV jedoch als selbstverständlich vorausgesetzt (BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 3/10 R –, BSGE 106, 303-313, SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 26). Diesbezüglich bestimmt § 17 Abs. 5 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO), dass die abgegebenen Arzneimittel den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des SGB V zur Arzneimittelversorgung entsprechen müssen. Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. Solche Bedenken wären bei einem Verstoß gegen § 3a AMVV zu bejahen."
§ 3a AMVV enthält Vorkehrungen in Bezug auf Medikamente mit dem Wirkstoff Lenalidomid, der mit dem Wirkstoff Thalidomid strukturverwandt ist. Der Wirkstoff Thalidomid wurde in den 1950er und 1960er Jahren unter dem Handelsnamen Contergan vertrieben und hat eine hochgradig fruchtschädigende Wirkung. Um solche Wirkungen zu vermeiden, werden erhöhte Anforderungen an eine Verordnung von Arzneimitteln mit diesen Wirkstoffen gestellt (BR-Drucksache 789/08, S. 1 f.; SG Hannover a.a.O.). Nach § 3a Abs. 1 AMVV darf eine Verschreibung von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Lenalidomid oder Thalidomid nur auf einem nummerierten zweiteiligen Vordruck (Original und Durchschrift) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erfolgen. Gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 AMVV müssen Verschreibungen nach Abs. 1 die Bestätigung der ärztlichen Person enthalten, dass die Sicherheitsmaßnahmen gemäß der aktuellen Fachinformation des entsprechenden Fertigarzneimittels eingehalten werden, insbesondere, dass erforderlichenfalls ein Schwangerschafts-Präventionsprogramm durchgeführt wird und dass der Patientin oder dem Patienten vor Beginn der medikamentösen Behandlung geeignete medizinische Informationsmaterialien und die aktuelle Gebrauchsinformation des entsprechenden Fertigarzneimittels ausgehändigt wurden. Ferner muss nach § 3a Abs. 2 Satz 2 AMVV auf der Verschreibung vermerkt sein, ob eine Behandlung innerhalb oder außerhalb der jeweils zugelassenen Anwendungsgebiete erfolgt.
Vorliegend ist der Sicherheitszweck des § 3a AMVV bei der Arzneimittelabgabe nicht gefährdet worden. Die Retaxierung, insbesondere die vorliegende Null-Retaxierung ist daher unverhältnismäßig, so dass kein Erstattungsanspruch der Beklagten besteht.
Vorliegend hatte der ausstellende Arzt Prof. Dr. D. den Versicherten im Rahmen der früheren Verordnungen aufgeklärt und ihm die erforderlichen Informationsunterlagen ausgehändigt. Dies ist unstreitig und im Übrigen durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des genannten Arztes vom 12. April 2010 (Anlage K5) nachgewiesen. Die bereits vor dem erstmaligen Beginn der Behandlung erfolgte Aufklärung und Aushändigung des Informationsmaterials ist darüber hinaus auch durch die vorlegte Checkliste des Arztes vom 9. Januar 2008 nachgewiesen. Die ordnungsgemäße Aufklärung des Versicherten war der Klägerin aufgrund der vorangegangenen Verordnungen von Revlimid auch bekannt. Bei der Ausstellung des vorliegend in Frage stehenden Folgerezepts, des T-Rezepts vom 9. April 2009, ist – nur – das Ausfüllen des zweiten Formularfeldes unterblieben. Weiterhin ist zu beachten, dass das zweite Formularfeld, welches lediglich die Bestätigung über die Aushändigung von Informationsmaterialien betrifft, nur einen bloßen Unterpunkt bei der Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen darstellt. Die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen hat der ausstellende Arzt indes generell bestätigt – nämlich durch Ankreuzen des ersten Formularfeldes: Bestätigung der Einhaltung aller Sicherheitsanforderungen –, so dass die Bestätigung des speziellen Punktes über die Aushändigung von Informationsmaterial als redundant angesehen werden kann (hierzu ausführlich SG Hannover, a.a.O.).
Aber auch wenn das Ankreuzen des zweiten Formularfeldes nicht nur redundant angesehen würde, wäre die Sanktionierung der mangelnden Bestätigung über die Aushändigung des Informationsmaterials bei Einbeziehung der weiteren konkreten Umstände des Einzelfalles unverhältnismäßig. Zwar sieht die Kammer insoweit entgegen der Klägeransicht keine "mildernden Umstände" im Hinblick auf den Gesichtspunkt, dass das Nichtankreuzen des Formularfeldes nur wenige Wochen nach der entsprechenden Bekanntmachung des genannten Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte zu § 3a AMVV erfolgt ist. Denn die Formvorgaben galten zum Zeitpunkt der Rezeptausstellung und mussten von dem Aussteller bzw. der ausgebenden Apotheke gekannt werden. Jedoch begründen weitere auch von der Klägerseite angeführte Gesichtspunkte die Unverhältnismäßigkeit. Das Arzneimittel ist wie verordnet ausgegeben worden und es handelte sich außerdem um eine wiederholte Abgabe an den betreffenden Versicherten. Außerdem lag keine Gefährdung aufgrund des Alters und Geschlechts des Versicherten vor. Weiterhin hat die Klägerin gewusst, dass der Versicherte informiert und aufgeklärt war – der Versicherte war bei der Klägerin persönlich bekannt und mit der Medikamentierung registriert. Die Medikamentierung ist auch stets von demselben Arzt verordnet worden. Weiterhin erfordert § 3a AMVV mit seiner Maßgabe, dass vor Beginn der Behandlung Informationsunterlagen ausgehändigt werden müssen, nicht, dass dem Versicherten bei einer Dauerbehandlung bei jedem Rezept die Unterlagen erneut ausgehändigt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Abstände zwischen den Rezeptausstellungen überschaubar sind.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es sich bei der Abrechnung von Vergütungsansprüchen von Apothekern wegen der Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte um Massenverwaltung handelt, die grundsätzlich eine routinemäßige und am Wortlaut der Vergütungsregelungen und deren Anwendungsregeln orientierte Abwicklung erfordert bzw. die Nichteinhaltung von Formvorgaben grundsätzlich sanktioniert (dazu SG Braunschweig, a.a.O.). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass das vorliegende Abrechnungsverfahren selbst ein Überprüfungs- und Einspruchsverfahren aufweist, das gerade die (Einzelfall-)Prüfung zum Gegenstand hat. Insofern ist dem vorliegenden Abrechnungssystem die mögliche Erschwerung der Abrechnung durch nachträgliche Korrekturen und die hierbei ggf. erforderlichen Ermittlungen immanent (vgl. dazu SG Braunschweig a.a.O.).
Zusammenfassend erscheint die von der Beklagten vorgenommene Sanktion der Nichtvergütung im Hinblick auf den Zweck der in Frage stehenden Regelung nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig.
Der klageweise des Weiteren geltend gemachte (Verzugs-)Zinsanspruch der Klägerin ist ebenfalls begründet. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (hierzu und zum Folgenden SG Hannover a.a.O. m.w.N.). Der Verzugszinsanspruch ist dabei der Höhe nach auf 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz begrenzt, § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB; § 288 Abs. 2 BGB, der bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, eine Verzinsung in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vorsieht, ist nicht anwendbar (dazu näher SG Marburg, Urteil vom 10. September 2014 – S 6 KR 84/14 –, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 13.017,88 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Vergütungsanspruch der Klägerin, die Apothekerin und Inhaberin einer Apotheke ist, wegen der Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte der Beklagten.
Die Beklagte beglich die Arzneimittelabrechnung der Klägerin für den Juli 2010 nur teilweise, da sie in Höhe von 13.803,23 Euro mit – nach ihrer Rechtsauffassung – mit einem Rückzahlungsanspruch wegen Beanstandung früherer Abrechnungen der Klägerin (sog. Taxbeanstandung) aufrechnete.
Dieser Taxbeanstandung liegt – neben einem zweiten, der Höhe nach vergleichsweise weniger bedeutsamen Vorgang (dazu Anlage K7 und K8) – zugrunde, dass die Beklagte bemängelte, die Klägerin habe auf ein sog. T-Rezept – also ein Sonderformular für die Verordnung von thalodomid- oder lenalidomidhaltigen Arzneimitteln – Arzneimittel abgegeben, obwohl das entsprechende T-Rezept nicht ordnungsgemäß ausgefüllt worden sei. Daher habe sie 13.017,88 Euro (Rezeptbetrag 13.712,80, abzgl. Zuzahlung 20,00 Euro und Rabatt 674,92 Euro, also i.E. 13.017,88 Euro, dazu Anlage K 8) zu Unrecht abgerechnet.
Mit dem betreffenden T-Rezept vom 9. April 2009 verordnete der behandelnde Arzt des bei der Beklagten versicherten C. C. diesem das Medikament Revlimid. Der Versicherte legte dieses Rezept in der klägerischen Apotheke am 14. April 2009 vor. Dort war der Versicherte nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin seit Anfang des Jahres 2008 Zeit persönlich bekannt und mehrfach mit Revimid versorgt worden – zuletzt vor der Vorlage des Rezepts vom 9. April 2009 aufgrund eines Rezepts vom 19. Februar 2009 – sowie wegen dieser besonderen Medikation auch registriert. Die Beklagte hatte im Übrigen unter dem 2. Juli 2008 eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung für den Zeitraum von sechs Monaten abgegeben.
Bei dem T-Rezept vom 9. April 2009 fehlte eine der nach § 3a Abs. 2 Arzneimittelverschreibeverordnung (AMVV) vorgesehenen Bestätigungen auf dem Rezept, nämlich diejenige hinsichtlich der Übergabe von Informationsmaterial an den Patienten. Der Versicherte war indes bereits über das Medikament und dessen Nebenwirkungen aufgeklärt und ihm waren bereits entsprechenden Unterlagen bei vorangegangener Rezeptausstellung ausgehändigt worden.
Die Beklagte beanstandete mit Schreiben vom 29. Januar 2010 die erfolgte Abrechnung des genannten Rezepts. Ein Einspruch hiergegen unter Befassung des Hess. Apothekerverbandes und des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) blieb im Ergebnis erfolglos. Die Beklagte setzte den nach ihrer Auffassung aufgrund der bemängelten unvollständigen Rezeptausstellung bestehenden Rückzahlungsanspruch wie bereits ausgeführt durch, indem sie die Arzneimittelabrechnung der Klägerin für den Monat Juli 2010 teilweise – insoweit in Höhe von 13.017,88 Euro – unbezahlt ließ.
Die Klägerin hat am 27. September 2012 durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Klagebegründung ist im Wesentlichen angeführt worden, der geltend gemachte Vergütungsanspruch bestehe nach § 129 SGB V i.V.m. dem Rahmenvertrag bzw. dem Arzneilieferungsvertrag. Die Beklagte sei zwar zur Prüfung berechtigt, habe aber die Arzneimittelausgabe aufgrund des T-Rezepts zu Unrecht beanstandet, so dass auch die Aufrechnung unberechtigt sei. Das Unterbleiben des Ankreuzens des zweiten Formularfeldes auf dem T-Rezept stehe dem diesbezüglichen Vergütungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Dies ergebe sich aus der entsprechenden Bekanntmachung des genannten Bundesinstitutes zu § 3a AMVV. Im Übrigen sei der Fehler des Nichtankreuzens des zweiten Formularfeldes wenige Wochen nach Einführung der neuen gesetzlichen Regelung zur Arzneimittelverordnung erfolgt. Auf diesen bloßen Formfehler sei von der Beklagten unangemessen reagiert worden. Absetzungen von Vergütungen müssten indes den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen. Hier sprächen mehrere Gesichtspunkte gegen die Verhältnismäßigkeit. Es sei eine vollständige Kürzung vorgenommen worden, obwohl nur ein Formfehler vorliege, der im Übrigen auch nur kurz nach Neueinführung des § 3a AMVV erfolgt sei. Das Arzneimittel sei wie verordnet ausgegeben worden, wobei es sich außerdem um eine wiederholte Abgabe an den Versicherten gehandelt habe. Es habe keine Gefährdung aufgrund des Alters und Geschlechts des Versicherten vorgelegen. Die Klägerin habe gewusst, dass der Versicherte informiert und aufgeklärt gewesen sei, der Versicherte sei der Klägerin persönlich bekannt und mit der Medikamentierung registriert gewesen, die auch stets von demselben Arzt verordnet worden sei (Prof. Dr. D.). Nach § 3a AMVV sei nur zu gewährleisten, dass vor Beginn der Behandlung Informationsunterlagen ausgehändigt werden. Bei einer Dauerbehandlung wie vorliegend müsse dies indes nicht bei jedem Rezept erneut erfolgen. Der Sanktionszweck einer Vergütungsabsetzung könne daher vorliegend nicht erreicht werden. Die Nichtvergütung einer im Ergebnis korrekten Arzneimittelversorgung sei unverhältnismäßig und nicht durch Gemeinwohlgründe gerechtfertigt. Für die Vollabsetzung der Vergütung bestehe keine Rechtsgrundlage.
Der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 13.017,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 31. August 2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung im Wesentlichen angeführt, das Ankreuzen des zweiten Formularfeldes sei erforderlich, der Wortlaut sei zwingend. Es sei möglich, dass die Verordnungen von unterschiedlichen Apotheken geliefert werden, die keine Kenntnis über vorangegangene Verordnungen bzw. die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen haben. Es komme nicht darauf an, ob der Apotheker im Einzelfall Kenntnis habe. Die Klägerin habe gegen das Abgabeverbot nach § 17 Abs. 5 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO) verstoßen. Eine nachträgliche Heilung der Verletzung von Abgabe-bestimmungen sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht möglich.
Hinsichtlich des sonstigen umfangreichen Vorbringens der Beteiligten wird auf deren schriftsätzliche Ausführungen und im Übrigen auf die Inhalte der Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Die Klage, die als Leistungsklage statthaft (vgl. SG Hannover, Urteil vom 29. Januar 2016, S 86 KR 383/11, juris; SG Braunschweig, Urteil vom 19. Juni 2015, S 6 KR 428/12, juris) und auch im Übrigen zulässig ist, ist begründet.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf vollständige Vergütung der Arzneimittelabrechnung für den Monat Juli 2010 zu, d.h. ohne Abzug aufgrund einer Aufrechnung mit dem von der Beklagten angenommenen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 13.017,88 Euro wegen der vermeintlich zu Unrecht erbrachten Zahlung dieses Betrages im Jahr 2009 aufgrund der von der Beklagten bemängelten Ausstellung des T-Rezeptes vom 9. April 2009 in Bezug auf das Medikament Revlimid. Die unstreitig entstandene Forderung der Klägerin für den Monat Juli 2010 ist nicht durch die Aufrechnung mit dem von der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch betreffend die Verordnung vom 9. April 2009 erloschen, da die geltend gemachte Gegenforderung der Beklagten nicht besteht. Auch der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ist – in der zuletzt beantragten Höhe – begründet.
Für den Vergütungsanspruch der Klägerin gilt Folgendes (BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 16/11 R – juris):
"Ansprüche der Apotheker für die von ihnen an Versicherte der Beklagten abgegebenen Arzneimittel ergeben sich aus § 129 SGB V (idF durch Art 1 Nr. 95 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007, BGBl I 378 mit Wirkung vom 1.4.2007) in Verbindung mit den hierfür geltenden vertraglichen Regelungen des Leistungserbringungsrechts. Nach § 129 SGB V geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge (§ 129 Abs. 2 und Abs. 5 S 1 SGB V, vgl. auch § 2 Abs. 2 S 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der GKV ab. Diese Vorschrift begründet im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die KKn, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (stRspr, vgl. z.B. BSG Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 14/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; ausführlich BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, RdNr. 12 f; BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 5, RdNr. 15)."
Der Vergütungsanspruch der Klägerin in Bezug auf den Monat Juli 2010 entspricht unstreitig diesen Voraussetzungen, wobei sich vorliegend die konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen aus dem zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) und dem Deutschen Apothekerverband e.V. abgeschlossenen Arzneilieferungsvertrag (ALV) vom 21. August 2008 ergeben.
Der Anspruch ist auch nicht dadurch erloschen, dass die Beklagte analog § 387 BGB gegen die Vergütungsforderung der Klägerin in Höhe von 13.017,88 Euro aufgerechnet hat. Denn die Voraussetzungen des von der Beklagten geltend gemachten Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung (vgl. zu einer solchen Aufrechnung allgemein etwa BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 15/11 R – juris m.w.N.) waren bzw. sind nicht gegeben. Der Beklagten stand kein Gegenanspruch aus öffentlich-rechtlicher Erstattung zu. Der insoweit geltend gemachte Rückzahlungsanspruch bestand nicht, weil die Beklagte der Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ohne Rechtsgrund 13.017,88 Euro aufgrund der Abrechnung von März/April 2009 geleistet hat. Vielmehr ist diese Zahlung in Bezug auf die Ausgabe des Medikaments Revlimid an den genannten Versicherten aufgrund des T-Rezeptes vom 9. April 2009 zutreffend erfolgt. Es bestand insoweit ein Vergütungsanspruch der Klägerin trotz der Nichtausfüllung des zweiten Formularfeldes auf dem entsprechenden Rezept.
Nach § 1 Nr. 1 ALV regelt der Arzneilieferungsvertrag unter anderem die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten der Ersatzkassen mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln aufgrund vertragsärztlicher oder vertragszahnärztlicher Verordnung. Die Rechnungen der Apotheken oder der von diesen beauftragten externen Abrechnungsstellen werden gemäß § 12 Abs. 1 ALV innerhalb von zehn Tagen nach Eingang der Rechnung nach § 11 ALV bei den von den Ersatzkassen genannten Stellen beglichen. Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden gemäß § 17 Abs. 1 ALV von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgt. Hierzu gehören neben den rechnerischen und sonstigen offenbaren Unrichtigkeiten auch Taxdifferenzen und die Summe zurückgegebener Rezepte. Das vertraglich eingeräumte Recht der Krankenkassen zur Rechnungs- und Taxberichtigung in den Landesverträgen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dabei umfassend und erfasst alle Fehler und Beanstandungen (SG Hannover, Urteil vom 29. Januar 2016, S 86 KR 383/11, juris unter Verweis auf BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R –, juris).
Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin einen Vergütungsanspruch für die aufgrund der ärztlichen Verordnung vom 9. April 2009 erfolgte Ausgabe des Medikaments Revlimid an den bei der Beklagten krankenversicherten C. C. Demgegenüber waren bzw. sind die Anforderungen an eine Retaxierung durch die Beklagten nach § 17 AMV nicht erfüllt.
Der Vergütungsanspruch der Apotheke für die Abgabe eines Medikaments an einen Versicherten setzt nach § 129 SGB V i.V.m. den genannten vertraglichen Regelungen voraus, dass ein Vertragsarzt das Medikament auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt verordnet hat (BSG, Urteil vom 17. Januar 1996 – 3 RK 26/94 – juris; SG Hannover a.a.O.; SG Braunschweig, Urteil vom 19. Juni 2015, S 6 KR 428/12). Insofern gilt Folgendes (SG Hannover a.a.O.):
"Nach § 4 Abs. 1 S. 1 ALV erfolgt die Abgabe aufgrund einer ordnungsgemäß ausgestellten vertragsärztlichen Verordnung. § 4 Abs. 1 S. 2 ALV trifft nähere Regelungen zum Inhalt einer ordnungsgemäßen Verordnung. Zwar enthält die Vorschrift keine Angaben zur Einhaltung der Abgabebestimmungen bei T Rezepten; dass die Apotheken darüber hinaus ihr spezifisches Berufsrecht beachten müssen, wird im ALV jedoch als selbstverständlich vorausgesetzt (BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 3/10 R –, BSGE 106, 303-313, SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 26). Diesbezüglich bestimmt § 17 Abs. 5 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO), dass die abgegebenen Arzneimittel den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des SGB V zur Arzneimittelversorgung entsprechen müssen. Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden, bevor die Unklarheit beseitigt ist. Solche Bedenken wären bei einem Verstoß gegen § 3a AMVV zu bejahen."
§ 3a AMVV enthält Vorkehrungen in Bezug auf Medikamente mit dem Wirkstoff Lenalidomid, der mit dem Wirkstoff Thalidomid strukturverwandt ist. Der Wirkstoff Thalidomid wurde in den 1950er und 1960er Jahren unter dem Handelsnamen Contergan vertrieben und hat eine hochgradig fruchtschädigende Wirkung. Um solche Wirkungen zu vermeiden, werden erhöhte Anforderungen an eine Verordnung von Arzneimitteln mit diesen Wirkstoffen gestellt (BR-Drucksache 789/08, S. 1 f.; SG Hannover a.a.O.). Nach § 3a Abs. 1 AMVV darf eine Verschreibung von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Lenalidomid oder Thalidomid nur auf einem nummerierten zweiteiligen Vordruck (Original und Durchschrift) des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erfolgen. Gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 AMVV müssen Verschreibungen nach Abs. 1 die Bestätigung der ärztlichen Person enthalten, dass die Sicherheitsmaßnahmen gemäß der aktuellen Fachinformation des entsprechenden Fertigarzneimittels eingehalten werden, insbesondere, dass erforderlichenfalls ein Schwangerschafts-Präventionsprogramm durchgeführt wird und dass der Patientin oder dem Patienten vor Beginn der medikamentösen Behandlung geeignete medizinische Informationsmaterialien und die aktuelle Gebrauchsinformation des entsprechenden Fertigarzneimittels ausgehändigt wurden. Ferner muss nach § 3a Abs. 2 Satz 2 AMVV auf der Verschreibung vermerkt sein, ob eine Behandlung innerhalb oder außerhalb der jeweils zugelassenen Anwendungsgebiete erfolgt.
Vorliegend ist der Sicherheitszweck des § 3a AMVV bei der Arzneimittelabgabe nicht gefährdet worden. Die Retaxierung, insbesondere die vorliegende Null-Retaxierung ist daher unverhältnismäßig, so dass kein Erstattungsanspruch der Beklagten besteht.
Vorliegend hatte der ausstellende Arzt Prof. Dr. D. den Versicherten im Rahmen der früheren Verordnungen aufgeklärt und ihm die erforderlichen Informationsunterlagen ausgehändigt. Dies ist unstreitig und im Übrigen durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des genannten Arztes vom 12. April 2010 (Anlage K5) nachgewiesen. Die bereits vor dem erstmaligen Beginn der Behandlung erfolgte Aufklärung und Aushändigung des Informationsmaterials ist darüber hinaus auch durch die vorlegte Checkliste des Arztes vom 9. Januar 2008 nachgewiesen. Die ordnungsgemäße Aufklärung des Versicherten war der Klägerin aufgrund der vorangegangenen Verordnungen von Revlimid auch bekannt. Bei der Ausstellung des vorliegend in Frage stehenden Folgerezepts, des T-Rezepts vom 9. April 2009, ist – nur – das Ausfüllen des zweiten Formularfeldes unterblieben. Weiterhin ist zu beachten, dass das zweite Formularfeld, welches lediglich die Bestätigung über die Aushändigung von Informationsmaterialien betrifft, nur einen bloßen Unterpunkt bei der Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen darstellt. Die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen hat der ausstellende Arzt indes generell bestätigt – nämlich durch Ankreuzen des ersten Formularfeldes: Bestätigung der Einhaltung aller Sicherheitsanforderungen –, so dass die Bestätigung des speziellen Punktes über die Aushändigung von Informationsmaterial als redundant angesehen werden kann (hierzu ausführlich SG Hannover, a.a.O.).
Aber auch wenn das Ankreuzen des zweiten Formularfeldes nicht nur redundant angesehen würde, wäre die Sanktionierung der mangelnden Bestätigung über die Aushändigung des Informationsmaterials bei Einbeziehung der weiteren konkreten Umstände des Einzelfalles unverhältnismäßig. Zwar sieht die Kammer insoweit entgegen der Klägeransicht keine "mildernden Umstände" im Hinblick auf den Gesichtspunkt, dass das Nichtankreuzen des Formularfeldes nur wenige Wochen nach der entsprechenden Bekanntmachung des genannten Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte zu § 3a AMVV erfolgt ist. Denn die Formvorgaben galten zum Zeitpunkt der Rezeptausstellung und mussten von dem Aussteller bzw. der ausgebenden Apotheke gekannt werden. Jedoch begründen weitere auch von der Klägerseite angeführte Gesichtspunkte die Unverhältnismäßigkeit. Das Arzneimittel ist wie verordnet ausgegeben worden und es handelte sich außerdem um eine wiederholte Abgabe an den betreffenden Versicherten. Außerdem lag keine Gefährdung aufgrund des Alters und Geschlechts des Versicherten vor. Weiterhin hat die Klägerin gewusst, dass der Versicherte informiert und aufgeklärt war – der Versicherte war bei der Klägerin persönlich bekannt und mit der Medikamentierung registriert. Die Medikamentierung ist auch stets von demselben Arzt verordnet worden. Weiterhin erfordert § 3a AMVV mit seiner Maßgabe, dass vor Beginn der Behandlung Informationsunterlagen ausgehändigt werden müssen, nicht, dass dem Versicherten bei einer Dauerbehandlung bei jedem Rezept die Unterlagen erneut ausgehändigt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Abstände zwischen den Rezeptausstellungen überschaubar sind.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es sich bei der Abrechnung von Vergütungsansprüchen von Apothekern wegen der Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte um Massenverwaltung handelt, die grundsätzlich eine routinemäßige und am Wortlaut der Vergütungsregelungen und deren Anwendungsregeln orientierte Abwicklung erfordert bzw. die Nichteinhaltung von Formvorgaben grundsätzlich sanktioniert (dazu SG Braunschweig, a.a.O.). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass das vorliegende Abrechnungsverfahren selbst ein Überprüfungs- und Einspruchsverfahren aufweist, das gerade die (Einzelfall-)Prüfung zum Gegenstand hat. Insofern ist dem vorliegenden Abrechnungssystem die mögliche Erschwerung der Abrechnung durch nachträgliche Korrekturen und die hierbei ggf. erforderlichen Ermittlungen immanent (vgl. dazu SG Braunschweig a.a.O.).
Zusammenfassend erscheint die von der Beklagten vorgenommene Sanktion der Nichtvergütung im Hinblick auf den Zweck der in Frage stehenden Regelung nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig.
Der klageweise des Weiteren geltend gemachte (Verzugs-)Zinsanspruch der Klägerin ist ebenfalls begründet. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (hierzu und zum Folgenden SG Hannover a.a.O. m.w.N.). Der Verzugszinsanspruch ist dabei der Höhe nach auf 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz begrenzt, § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB; § 288 Abs. 2 BGB, der bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, eine Verzinsung in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vorsieht, ist nicht anwendbar (dazu näher SG Marburg, Urteil vom 10. September 2014 – S 6 KR 84/14 –, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved