L 4 R 122/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1999/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 122/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2016.

Der Kläger wurde am 1963 geboren. Seit 1978 war der Kläger in verschiedenen Bereichen als Hilfsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1994 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos und bezieht Sozialleistungen, seit 2005 Arbeitslosengeld II. Von 1999 bis 2001 absolvierte er eine von der Arbeitsverwaltung finanzierte Ausbildung zum Schweißer.

Anträge des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 20. Dezember 1999, 17. April 2003 und 3. Mai 2007 waren erfolglos. Den vom Kläger am 4. Juli 2011 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. August 2011 ab. Den Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2011 zurück. Der Kläger erhob hiergegen Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG; S 2 R 4306/11). Dr. H., Nervenarzt, erstattete auf Veranlassung des SG am 25. September 2012 ein Sachverständigengutachten. Danach erfülle der Kläger die Kriterien einer spezifischen isolierten Phobie in Bezug auf medizinische Maßnahmen wie Blutabnahmen und Anwendungen elektrischen Stroms. Eine depressive Erkrankung sei nicht nachweisebar. Unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen könne der Kläger noch sechs Stunden und mehr täglich dauerhaft arbeiten. Das SG wies daraufhin die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2013 ab. Die vom Kläger hiergegen eingelegte Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 13 R 4000/13) nahm er im Termin zur Erörterung der Rechts- und Sachlage am 8. August 2014 zurück.

Erneut beantragte der Kläger am 20. Dezember 2016 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab er an, er leide seit ca. 10 Jahren an Gelenksschmerzen. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch Unfallchirurgen und Orthopäden Dr. S ... Er stellte im Gutachten vom 27. Januar 2017 aufgrund der Untersuchung des Klägers am 18. Januar 2017 die Gesundheitsstörungen chronische somatoforme Schmerzstörung, Polyarthralgie, Funktionseinschränkung der Schultergelenke, chronisches Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen ohne Ausfallsymptomatik, Tinnitus, Depression (Differenzialdiagnose: Angststörung), Nadel- und Spritzenphobie sowie arterielle Hypertonie, bisher ohne medikamentöse Therapie fest. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne der Kläger noch im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, auf Leitern und auf Gerüsten, Überkopfarbeiten, Arbeiten in Nachtschicht und im Akkord. Die Beklagte veranlasste außerdem eine Begutachtung durch Dr. H., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Im Gutachten vom 24. März 2017 führte er die Gesundheitsstörungen angegebene Somatisierung, angegebene Dysthymie, zahlreiche Fibrome und Naevie auf. Er habe keine fokalneurologischen Defizite mit Relevanz für das Leistungsvermögen feststellen können. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von täglich sechs Stunden und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 6. April 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2017 zurück.

Am 23. Juni 2017 erhob der Kläger beim SG Klage. Sein Anliegen sei immer nur oberflächlich behandelt worden. Auch Dr. H. habe ihn nur unzureichend untersucht und unangemessene Fragen, z.B. nach seinem Sexualleben, gestellt. Zwischenzeitlich sei er außerdem in einer Schmerzklinik zur Behandlung gewesen. Eine Besserung seiner Beschwerden sei dadurch nicht eingetreten.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Dezember 2017 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung stützte es sich auf die Gutachten von Dr. S. und Dr. H ... Danach sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Gegen den ihm am 21. Dezember 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 3. Januar 2018 beim SG, eingegangen beim LSG am 9. Januar 2018, Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, er befinde sich jetzt schon seit 12 Jahren im Krankheitsstand. Seine Beschwerden nähmen ständig zu und auch psychisch sei er angeschlagen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Dezember 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2017 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG und ihre Bescheide für zutreffend. Sie hat außerdem eine sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie Dr. B.-K. vom 11. Juli 2018 vorgelegt.

Der Senat hat den Entlassungsbericht des Chefarztes Dr. K. vom 15. Juli 2016 über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Schmerzklinik vom 29. Juni 2016 bis 15. Juli 2016 (aus schmerztherapeutischer Sicht sei der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in allen körperlich leichten Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne regelmäßiges Heben von Lasten über fünf Kilogramm, ohne große Rumpfrotation und ohne lange Zwangshaltungen sechs bis acht Stunden einsetzbar) beigezogen und die Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Orthopäde Dr. Ke. teilte im April 2018 unter Vorlage radiologischer Befundberichte mit, der Kläger stehe seit 1997 in seiner Behandlung. Er leide an chronischen Wirbelsäulenbeschwerden. Arbeitsunfähigkeit habe er nicht bescheinigt. Facharzt für Allgemeinmedizin C., teilte im Mai 2018 unter Vorlage zahlreicher Arztbriefe mit, er behandele den Kläger sei 1996. Er habe beim Kläger ein höchstgradig chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Ganzkörperschmerz und hochgradiger schmerzbedingter Beeinträchtigung zum Teil durch degenerative Wirbelsäulenveränderungen und Gelenkveränderungen und zum Teil durch ein somatoformes Schmerzsyndrom sowie einen Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, rezidivierende Panikattacken sowie phobische Störungen wie Nadel- und Spritzenphobie, eine chronische Depression infolge des Schmerzsyndroms, ein ausgeprägtes degeneratives Gesamt-Wirbelsäulensyndrom mit rezidivierenden Wurzelreizbeschwerden ohne neurologische Ausfälle, Polyarthrose, Senk-Spreizfüße und Tinnitus festgestellt. Im Lauf der Behandlung sei es zu einer ständigen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes gekommen. Seit 2007 habe er Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.

Der Senat hat außerdem Prof. Dr. Sc., Chefarzt einer Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Prof. Dr. Sc. untersuchte den Kläger am 16. Januar 2019. Im Sachverständigengutachten vom 22. Januar 2019 wird ausgeführt, dass der Kläger an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer spezifischen Phobie vom Injektions /Verletzungs-Typ leide. Als nicht krankheitswertige, jedoch gegebenenfalls behandlungsrelevante Besonderheit stellte er eine Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden Zügen fest. Außerdem liege ein Tinnitus beidseitig vor. Körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Arbeiten seien aufgrund der Schmerzerkrankung nicht mehr möglich. Möglich seien dagegen anhaltend körperlich leichte Tätigkeiten mit Heben, Tragen und Bewegen von Lasten von Gegenständen ohne Hilfsmittel bis max. 5 kg und vorübergehend bis max. 10 kg. Überkopfarbeiten, Arbeiten mit häufigem Bücken oder Knien kämen aufgrund der Wirbelsäulenerkrankung nicht mehr in Betracht. Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und an gefährlichen Maschinen seien je nach Medikamentenspiegel zu vermeiden. Aufgrund der spezifischen Phobie seien Tätigkeiten mit Kontakt zu Spritzen zu vermeiden. Aufgrund der Persönlichkeitsvariante seien Tätigkeiten zu meiden, die mit einem erhöhten Risiko herausfordernder zwischenmenschlicher Interaktion einhergingen. Das Ausdauerleistungsvermögen des Klägers sei dagegen nicht herabgesetzt. Er könne sechs Stunden und mehr pro Tag an fünf Tagen pro Woche arbeiten. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakten, die Akten des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG auch nicht der Zulassung, da laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit stehen.

2. Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2016 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist damit der Bescheid vom 6. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2017.

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2016.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Kläger in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen beim Kläger gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern seine berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

(1) Beim Kläger bestehen eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine spezifische Phobie vom Injektions-/Verletzungs-Typ, ein Tinnitus beidseitig, Polyarthralgie, Funktionseinschränkungen der Schultergelenke, ein chronisches Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen ohne neurologische Ausfallsymptomatik und Senk-/Spreizfüße. Als nicht krankheitswertig besteht eine Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden Zügen. Dies entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Sc. und dem Gutachten im Verwaltungsverfahren von Dr. S., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2U 8/07 R – juris, Rn. 51), sowie den Angaben des behandelnden Hausarztes C ... Eine depressive Symptomatik, wie sie im Gutachten im Verwaltungsverfahren von Dr. H. beschrieben wird, konnte Prof. Dr. Sc. nicht feststellen. Die Stimmungslage war bei der Untersuchung des Klägers ausgeglichen, die emotionale Schwingungsfähigkeit war nicht eingeschränkt, der Antrieb situationsadäquat, formalgedankliche oder kognitive Störungen fanden sich nicht. Das Ergebnis des depressionsbezogenen Selbstbeurteilungsbogens (mittelgradig ausgeprägtes depressives Erleben) korrespondierte nicht mit dem Ergebnis der Befunderhebung durch Prof. Dr. Sc ... Eine krankheitswertige Persönlichkeitsstörung konnte der Sachverständige ebenfalls ausschließen. Aufgrund der vom Kläger geschilderten sozialen Integration und der differenzierten Kontaktpflege – er besucht regelmäßig den Tagestreff der Diakonie, empfängt Besuch und geht andere besuchen – sind die Eingangskriterien für eine spezifische oder kombinierte Persönlichkeitsstörung nach der Internationalen Klassifikation der Diagnosen (ICD-10) nicht erfüllt.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers in qualitativer Hinsicht ein. Aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Sc. und dem Gutachten von Dr. S. ergibt sich, dass Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Überkopfarbeiten, Arbeiten mit häufigem Bücken oder Knien, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und an gefährlichen Maschinen, Tätigkeiten mit Kontakt zu Spritzen, Tätigkeiten mit einem erhöhten Risiko herausfordernder zwischenmenschlicher Interaktion einhergehen und Arbeiten in Nachtschicht und im Akkord ausgeschlossen sind.

(3) Die beim Kläger als rentenrelevant zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß; er ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auch insoweit auf die überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. Sc. und Dr. S ...

Prof. Dr. Sc. konnte keine Beeinträchtigung des Ausdauervermögens des Klägers feststellen. Hinweise auf Störungen basaler Motivations- und Antriebsfunktionen (z.B. geminderter Antrieb oder pathologisch erhöhter Ermüdbarkeit) zeigten sich bei der Untersuchung nicht. Schlüssig und für den Senat nachvollziehbar gelangt der Sachverständige deshalb zu dem Ergebnis, dass der Kläger unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr pro Tag an fünf Tagen in der Woche ableisten kann. Auch Dr. S. konnte keine relevante quantitative Leistungseinschränkung feststellen. Mit den genannten qualitativen Einschränkungen kann den Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet hinreichend Rechnung getragen werden.

Bestätigt wird diese Leistungseinschätzung auch von den Bewertungen der Gutachter aus den vergangenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren.

(4) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist hier gegeben.

(6) Auch die Wegefähigkeit des Klägers war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit ist nach den oben genannten Befunden nicht gegeben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved