L 4 KR 929/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1784/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 929/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Überprüfung der rechtskräftigen Ablehnung der Zahlung von Krankengeld vom 11. September 2010 bis 28. Februar 2012.

Die Klägerin war bis 31. August 2010 versicherungspflichtig beschäftigt und deshalb Mitglied der Beklagten. Die Gemeinschaftspraxis der Ärzte für Allgemeinmedizin G. und E. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit mit der Erstbescheinigung vom 31. August 2010 seit diesem Tag bis voraussichtlich Freitag, 10. September 2010 sowie mit der Folgebescheinigung vom Montag, 13. September 2010 bis voraussichtlich 20. September 2010. In der Folgezeit stellte die Gemeinschaftspraxis weitere Folgebescheinigungen aus. Die Beklagte lehnte es ab, Krankengeld zu zahlen (Bescheid vom 21. Oktober 2010). Anspruch auf Krankengeld bestehe ab dem Folgetag nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch den Arzt, im Fall der Klägerin ab dem 1. September 2010. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin durch ihren Arbeitgeber bereits abgemeldet gewesen.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie habe sich bereits am 30. August 2010 um einen Arzttermin in der Gemeinschaftspraxis bemüht, jedoch die Auskunft erhalten, dass ein Termin an diesem Tag nicht mehr möglich sei und wegen der Dringlichkeit erst am darauffolgenden Tag. Sie fügte die Bescheinigung der Psychologischen Psychotherapeutin Gr. vom 27. Oktober 2010 bei. Diese gab an, die Klägerin befinde sich seit 29. Oktober 2007 in verhaltenstherapeutischer Behandlung. Da die Klägerin am 26. August 2010 ohne Abmeldung nicht zum Behandlungstermin erschienen sei, habe sie die Klägerin am 30. August 2010 angerufen und aufgrund deren Äußerungen und ihres telefonischen Eindrucks geraten, sofort einen Arzt wegen einer Krankmeldung aufzusuchen.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2011). Da am 1. September 2010 das Beschäftigungsverhältnis und die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld nicht mehr vorhanden gewesen seien, bestehe kein Anspruch auf Krankengeld. Bei einem Akutereignis stünden die Ärzte in der Sprechstundenzeit ohne Terminvereinbarung zur Verfügung. Sofern der Hausarzt in Urlaub sei, werde für dringende Fälle eine Vertretung sichergestellt. Ferner könnten Akutfälle auch in den Notdiensten der Krankenhäuser vorsprechen.

Die Klägerin erhob Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG; S 12 KR 1027/11). Die Beklagte anerkannte mit dem von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnis einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für die Zeit vom 1. bis 10. September 2010. Das SG wies die (über das Teilanerkenntnis hinausgehende) Klage mit Urteil vom 23. Januar 2013 ab. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg wies die von der Klägerin eingelegte Berufung mit Beschluss vom 19. Mai 2014 (L 5 KR 1029/13) zurück. Zur Begründung führte es aus, das von der Klägerin zur Begründung der Berufung in Bezug genommene Urteil des Senats vom 31. August 2012 (L 4 KR 284/12 – juris) habe das Bundessozialgericht (BSG) aufgehoben (Urteil vom 4. März 2014 – B 1 KR 17/13 R – juris). Es bleibe bei der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach eine nur rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich nicht entstehen lasse. Die Klägerin habe es versäumt, ihre Ärztin vor Ablauf der bis zum 10. September 2010 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erneut aufzusuchen und sich eine Folgebescheinigung ausstellen zu lassen. Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, bei dem die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für einen weiteren Bewilligungsabschnitt ausnahmsweise – rückwirkend auf den letzten Tag des abgelaufenen Bezugs von Krankengeld – hätte nachgeholt werden können, lägen nicht vor. Die Klägerin sei nicht gehindert gewesen, vor Auslaufen der Erstbescheinigung am Freitag, 10. September 2010 ihre Ärztin erneut zur Feststellung der weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit aufzusuchen. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, ein Facharzttermin sei erst für den 13. September 2010 vergeben worden, sei dem entgegenzuhalten, dass sie hierdurch nicht gehindert gewesen sei, bis dahin ihre Hausärztin weiter in Anspruch zu nehmen oder gegebenenfalls den hausärztlichen Notfalldienst. Anderes ergebe sich nicht aus dem Einwand der Klägerin, sie habe sich an die "Vorgaben" ihrer Ärzte gehalten, die keine Kenntnis von der krankengeldrechtlichen Relevanz einer durchgehenden Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit gehabt hätten. Ein nachgehender Leistungsanspruch habe nicht bestanden. Die Klägerin sei ab dem 11. September 2010 nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) versichert gewesen. Das BSG verwarf die von der Klägerin eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 1. September 2014 (B 1 KR 95/14 B) als unzulässig.

Mit Schreiben vom 31. Dezember 2014 bei der Beklagten am 2. Januar 2015 eingegangen, beantragte die Klägerin die Überprüfung ihres Anspruchs auf Krankengeld für die Zeit ab 11. September 2010. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag ab (Bescheid vom 19. Januar 2015). Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. April 2015). Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG gelte die ärztliche Bescheinigung für Krankengeld immer erst für den Folgetag des Arztbesuches. Das rechtskräftige "Urteil" (richtig Beschluss) des LSG Baden-Württemberg vom 19. Mai 2014 habe somit weiterhin Bestand und sei nicht zu beanstanden.

Die Klägerin erhob am 28. Mai 2015 Klage beim SG. Sie legte umfassend dar, weshalb die Rechtsprechung des BSG zu § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V fehlerhaft sei und diese keine Argumente gegen Urteile verschiedener Sozialgerichte und des LSG Nordrhein-Westfalen enthalte, unzutreffende Formulare (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anstelle des so genannten "Auszahlscheins") verwendet worden seien, Arbeitsunfähigkeit ab 31. August 2010 ununterbrochen auf Dauer bestanden habe, Aufklärung und Beratung unterblieben seien sowie alles in ihrer Macht Stehende und Zumutbare getan zu haben, um die zeitgerechte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Nicht geprüft worden sei bislang, ob sie wegen Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit an einer rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gehindert gewesen sei. Ferner verwies sie auf die durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1211) erfolgte Änderung des § 46 Satz 1 SGB V.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 14. Oktober 2016 ab. Zur Begründung verwies es auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 28. April 2015 sowie im Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 19. Mai 2014. Die mit Wirkung zum 23. Juli 2015 erfolgte Änderung des § 46 SGB V habe keinen Einfluss auf die Frage, ob der Klägerin am 11. September 2010 Krankengeld zustehe oder nicht. Unabhängig davon, dass die Klägerin auch bei Anwendung des § 46 Satz 2 und 3 SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld hätte, könne diese Regelung erst zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Wirkungen entfalten.

Gegen das ihr am 21. Oktober 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. November 2016 Berufung eingelegt. Für die Aufrechterhaltung des materiellen Anspruchs auf Krankengeld bis zum Ende der Höchstdauer des Anspruches genüge, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich seit Entstehung des Anspruchs fortbestehe. Nach der Anmerkung von Knispel (NZS 2018, 23) zum Urteil des BSG vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 22/15 R – juris), seien die Formulierungen des BSG zu den Voraussetzungen, in denen dem Anspruch auf Krankengeld eine nachträglich erfolgte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht entgegenstehe (Rn. 34), nicht wörtlich zu verstehen. Für die Zeit vom 30. August 2011 bis 28. Februar 2012 mache sie das Vorliegen von Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit geltend. Die auf den 10. September 2010 befristete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 31. August 2010 stelle eine medizinische Fehleinschätzung dar, weil die Arbeitsunfähigkeit aufgrund unzutreffender ärztlicher Einschätzung lediglich bis zu diesem Tag und nicht länger ausgestellt worden sei. Für ihre Auffassung spreche im Übrigen die beabsichtigte Änderung des § 46 Abs. 2 SGB V im Entwurf des Terminsservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. Oktober 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 21. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2011 teilweise zurückzunehmen und ihr Krankengeld vom 11. September 2010 bis 28. Februar 2012 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die ergangenen Urteile. Die Klägerin sei offensichtlich nicht handlungs- oder geschäftsunfähig gewesen. Sie selbst habe in ihrer Klagebegründung erläutert, noch in der Lage gewesen zu sein, mit ihrer behandelnden Ärztin zu telefonieren und Termine zu vereinbaren.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Senats, des vorangegangen Berufungsverfahrens L 5 KR 1029/13 sowie des SG (S 12 KR 1027/11 und S 2 KR 1784/15) sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung. Denn die Klägerin begehrt Krankengeld für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. April 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte lehnte es zu Recht ab, ihren Bescheid vom 21. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2011 zurückzunehmen und der Klägerin Krankengeld vom 11. September 2010 bis 28. Februar 2012 zu gewähren.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Denn die Beklagte hat weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Bescheid vom 21. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2011 war bei seinem Erlass hinsichtlich des streitigen Zeitraums rechtmäßig.

a) Für die Beurteilung, ob der Bescheid vom 21. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2011 bei seinem Erlass rechtmäßig oder rechtswidrig war, ist maßgeblich das zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgebende Recht.

Nach § 44 Abs. 1 SGB V in der seit 1. Januar 2009 unverändert geltenden Fassung des Art. 2 Nr. 6a Buchst. a Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I, S. 378) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) behandelt werden. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 25/14 R – juris, Rn. 9; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R – juris, Rn. 8; jeweils m.w.N.). Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 SGB V in der vom 1. Januar 1989 bis 22. Juli 2015 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I, S. 2477), die für den streitigen Zeitraum maßgebend ist, bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) von ihrem Beginn an (Nr. 1), im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (Nr. 2). Wird Krankengeld wegen ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes demgemäß grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit folgt (ständige Rechtsprechung zur bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V: BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 25/14 R – juris, Rn. 10 m.w.N.; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R – juris, Rn. 9 m.w.N.). Das BSG hat wiederholt entschieden, dass das Gesetz weder einen Anhalt für das Verständnis des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung als bloßer Zahlungsvorschrift noch dafür, dass der Krankengeldanspruch gemäß § 44 SGB V schon bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entsteht, bietet (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 25/14 R – juris, Rn. 10 m.w.N.; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R – juris, Rn. 9 m.w.N.). Bei der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit handelt es sich um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Regelmäßig ist danach die Regelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V strikt zu handhaben (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris, Rn. 20; BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 – B 1 KR 20/11 R – juris, Rn. 19; BSG, Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 30/04 – juris, Rn. 17).

b) Am 11. September 2010 war die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Die den Anspruch auf Krankengeld vermittelte Versicherung war zunächst die als versicherungspflichtige Beschäftigte (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses zum 31. August 2010 blieb diese Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V wegen des Bezugs von Krankengeld bis 10. September 2010 erhalten.

Am 11. September 2010 bestand die Mitgliedschaft der Klägerin nicht mehr nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fort. Denn sie bezog weder Krankengeld noch hatte sie einen Anspruch auf Krankengeld. Ein Anspruch auf Krankengeld war am 11. September 2010 nicht entstanden. Denn für diesen Tag war eine Arbeitsunfähigkeit nicht ärztlich festgestellt. Die zunächst ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit endete am 10. September 2010. Eine erneute ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgte erst am 13. September 2010. Am 13. September 2010 war die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Es bestand keine Mitgliedschaft, die mit einem Anspruch auf Krankengeld verbunden war. Denn es bestand weder eine Mitgliedschaft als versicherungspflichtig Beschäftigte (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) noch als Bezieherin von Arbeitslosengeld (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) noch als freiwillig Versicherte (§ 9 SGB V) mit Anspruch auf Krankengeld.

c) Auf § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB V in der seit dem 23. Juli 2015 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 15 Buchst. a und b GKV-VSG kann die Klägerin ihren Anspruch nicht stützen, da diese Änderungen erst am 23. Juli 2015 (Art. 20 Abs. 1 GKV-VSG) und damit nach dem hier streitigen Zeitraum in Kraft traten (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris, Rn. 16). Die weitere vom Gesetzgeber beabsichtigte Änderung in § 46 SGB V in Art. 1 Nr. 22 TSVG-Entwurf (Bundestags-Drucksache 19/6337) ist bislang nicht in Kraft getreten.

d) Ein Sachverhalt, bei dem die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für einen weiteren Bewilligungsabschnitt ausnahmsweise hätte nachgeholt werden können, ist vorliegend nicht gegeben. Die Rechtsprechung des BSG hat trotz der gebotenen grundsätzlich strikten Anwendung des § 46 SGB V in engen Grenzen Ausnahmen zugelassen, wenn die ärztliche Feststellung (oder die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind (zusammenfassend m.w.N. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris, Rn. 22). Derartiges hat das BSG bejaht bei Fristversäumnissen wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten, im Falle des verspäteten Zugangs der Meldung der Arbeitsunfähigkeit bei der Krankenkasse aufgrund von Organisationsmängeln, die diese selbst zu vertreten hat, für Fälle einer irrtümlichen Verneinung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten aufgrund ärztlicher Fehlbeurteilung sowie bei einem von der Krankenkasse rechtsfehlerhaft bewerteten Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach Aufgabe des letzten Arbeitsplatzes. In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung hat das BSG außerdem eine Ausnahme anerkannt, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare zur ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit getan hat, daran aber trotz Arzt-Patienten-Kontakts durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung des Arztes, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht auszustellen, gehindert worden ist – unabhängig von den Gründen für das Zustandekommen dieser Fehlentscheidung (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris, Rn. 26). Dem Anspruch auf Krankengeld eines Versicherten steht eine nachträglich erfolgte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen, wenn 1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um a) die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Anspruch auf Krankengeld erfolgt ist, 2. er an der Wahrung der Ansprüche auf Krankengeld durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (z.B. eine irrtümlich nicht erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), und 3. er – zusätzlich – seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (BSG a.a.O., Rn. 34). Keiner der genannten Fälle lag hier vor.

aa) Die Klägerin war nicht handlungs- oder geschäftsunfähig. Sie war trotz der bestehenden Erkrankung in der Lage, dem Rat der Psychologischen Psychotherapeutin Gr. vom 30. August 2010 zu folgen, und sich am darauffolgenden Tag in ärztliche Behandlung zu begeben. Weshalb dies zehn Tage später nicht mehr der Fall gewesen sein sollte, ist nicht erkennbar. Die Klägerin hatte nach ihrem eigenen Vortrag bereits am 31. August 2010 den nächsten Termin am 13. September 2010 vereinbart. Dass sie einen Termin bei der behandelnden Gemeinschaftspraxis nicht bereits auf den 10. September 2010 vereinbarte, beruhte darauf, dass ihr die Notwendigkeit der lückenlosen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit und die daraus ergebenden Folgen nicht bekannt waren.

bb) Eine medizinische Fehleinschätzung hinsichtlich der Dauer der Arbeitsunfähigkeit vermag der Senat nicht festzustellen. Eine Arbeitsunfähigkeit erfolgt immer befristet, auch wenn voraussehbar ist, dass sie über das in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zunächst angenommene voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit hinausgehen wird. Denn nach § 5 Abs. 4 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeit-Richtlinie) soll die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden (Satz 1), wenn es aufgrund der Erkrankung oder eines besonderen Krankheitsverlaufes sachgerecht ist, kann die Arbeitsunfähigkeit bis zu voraussichtliche Dauer von einem Monat bescheinigt werden (Satz 2).

cc) Die Klägerin tat ferner auch nicht alles in ihrer Macht Stehende, um eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erwirken. Aufgrund des eigenen Vortrags der Klägerin bestand am 10. September 2010 kein Arzt-Patienten-Kontakt. Denn sie hatte an diesem Tag keinen Arzt aufgesucht, um die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Dies erfolgte erst am 13. September 2010. Wie bereits im Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 19. Mai 2014 ausgeführt, oblag es der Klägerin selbst, sich rechtzeitig vor Ablauf der festgestellten Arbeitsunfähigkeit zum 10. September 2010 um einen Termin bei einem Arzt spätestens am 10. September 2010 zu kümmern. Soweit Knispel (NZS 2018, 23, 25) meint, die vom BSG formulierte Ausnahmeregelung solle nicht zu eng angewendet werden, folgt der Senat dem nicht. Die Formulierungen des BSG sind eindeutig. Da es sich um Ausnahmen von der strikten Anwendung des § 46 SGB V handelt, können diese nicht großzügig erweitert werden. Die Obliegenheit des Versicherten, die (weitere) Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen, droht ansonsten immer weiter aufgeweicht zu werden.

d) Wie bereits im Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 19. Mai 2014 ausgeführt, kann sich die Klägerin nicht auf eine Verletzung von Beratungspflichten durch die Beklagte berufen, und es bestand auch kein nachgehender Leistungsanspruch für einen Monat nach § 19 Abs. 2 SGB V.

e) Für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2011, mithin vom 11. September bis 31. Dezember 2010, steht der Zahlung von Krankengeld zudem bereits entgegen, dass dieser Zeitraum außerhalb der Vierjahresfrist des § 44 Abs. 4 SGB X liegt. Danach werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist (Satz 1). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (Satz 2). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (Satz 3). Da der Überprüfungsantrag der Klägerin am 2. Januar 2015 bei der Beklagten einging, läuft die Vierjahresfrist vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2014.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

4. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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