L 9 AS 579/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 978/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 579/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 1/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 24. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. November 2014 bis zum 30. April 2015. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger über seine Bedürftigkeit ausschließendes Vermögen verfügt.

Der 1966 geborene Kläger verfügte über ein Aktiendepot in Höhe von 18.277,88 Euro zum 31. Dezember 2013. Über das Bestehen dieses Depots informierte der Kläger den Beklagten spätestens im Mai 2011. Dabei teilte er mit Schreiben vom 4. Mai 2011 mit, dass die Wertpapiere ausschließlich der Altersvorsorge dienten und von ihm vor dem Eintritt des Rentenalters nicht angetastet werden würden. Mit Schreiben vom 12. September 2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Vermögenswerte keinen Einfluss auf die Leistungszahlung hätten, da sie der Alterssicherung dienten und unter der Vermögensfreigrenze lägen. Die Angelegenheit habe sich damit erledigt. Der Kläger bezog in der Folgezeit Leistungen nach dem SGB II von dem Beklagten, zuletzt in Höhe von 749,00 Euro monatlich in der Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2014 (Bescheid vom 9. September 2014).

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 15. September 2014 lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag des Klägers für die Zeit ab 1. November 2014 mit der Begründung ab, der Kläger verfüge über verwertbares Vermögen in Höhe von 18.277,88 Euro, welches den Vermögensfreibetrag von 7.950,00 Euro überschreite. Er sei daher nicht hilfebedürftig. Die angerechneten Vermögenswerte seien aufgrund der vorgelegten Unterlagen ermittelt worden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2014 zurück.

Die für Folgezeiträume ab Mai 2015 bis einschließlich Mai 2016 gestellten Anträge auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatten ebenfalls keinen Erfolg (Zeitraum ab Mai 2015: Bescheid vom 3. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2015, Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2016 - S 25 20 AS 946/15 - rechtskräftig; Zeitraum ab Oktober 2015: Bescheid vom 20. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2016, Gerichtsbescheid vom 4. Oktober 2017 - S 25 AS 573/16 -, Berufung anhängig unter dem Az. L 9 AS 522/17; Zeitraum Mai 2016: Bescheid vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2016, Gerichtsbescheid vom 4. Oktober 2017 S 25 AS 574/16 -, Berufung anhängig unter dem Az. L 9 AS 523/17).

Der Kläger hat gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 15. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 am 12. Dezember 2014 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe dem Beklagten schon im Jahre 2011 mitgeteilt, dass sein Aktiendepot für ihn die einzige Alterssicherung sei. Der Beklagte habe ihm damals mitgeteilt, dass das Depot nur dann als Alterssicherung anerkannt werden könne, wenn er schriftlich auf die Verwertung des Depots vor dem Eintritt des Rentenalters verzichten würde. Daraufhin habe der Kläger dem Beklagten die schriftliche Verzichtserklärung vom 4. Mai 2011 eingereicht. Auch in einem weiteren Schreiben aus dem Jahr 2011 habe ihm der Beklagte die Auskunft erteilt, dass die Verzichtserklärung Grundlage dafür sei, dass § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II anwendbar sei und die Vermögensfreigrenze in Höhe von 50.250,00 Euro gelte. Damit sei das Depot als Alterssicherung anerkannt worden. Der Beklagte müsse diese Zusicherung einhalten. Weitere Zukäufe zum Depot seien aufgrund dieser Zusicherung erfolgt. Es handele sich um eine besondere Härte. Der Kläger habe eine Rente von nur 130,80 Euro monatlich zu erwarten. Es bestehe eine Versorgungslücke. Im Alter wäre ohne dieses Vermögen sein Existenzminimum nicht gesichert.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2016 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Bescheid vom 15. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch auf Leistungen scheitere bereits daran, dass der Kläger wegen Vermögens nicht hilfebedürftig sei. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II würden Leistungen nach dem SGB II nur solche Personen erhalten, die hilfebedürftig seien. Nach § 9 Abs. 1 SGB II sei hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalte. Der Kläger verfüge über ausreichendes Vermögen zur Sicherung seines Lebensunterhalts. Sein Aktiendepot mit einem Wert zum 31. Dezember 2013 in Höhe von 18.277,88 Euro stelle grundsätzlich Vermögen im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB II dar. Dieses Vermögen überschreite den Vermögensfreibetrag des Klägers nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II in Höhe von 7.950,00 Euro (48 x 150,00 Euro zuzüglich 750,00 Euro).

Es handele sich auch nicht um geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienten, im Sinne des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II. Nach dieser Vorschrift seien geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienten, soweit die Inhaberin oder der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer unwiderruflichen vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten könnten und der Wert der geldwerten Ansprüche 750,00 Euro je vollendetem Lebensjahr der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person und deren Partnerin oder Partner, höchstens jedoch jeweils den nach Satz 2 maßgebenden Höchstbetrag nicht übersteige, vom Vermögen abzusetzen. Dazu fehle es hier an dem notwendigen Verwertungsausschluss durch unwiderrufliche vertragliche Vereinbarung. Die Verwertbarkeit müsse nämlich durch eine unwiderrufliche Vereinbarung ausgeschlossen sein, die beinhalte, dass das Vermögen vor dem Erreichen des Ruhestandes weder ausgezahlt, übertragen, verpfändet oder sonst wie genutzt werden könne (Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 12 Rn. 89). Der Kläger habe zwar gegenüber dem Beklagten schriftlich erklärt, das Vermögen zur Altersvorsorge nutzen zu wollen, dabei handele es sich aber weder um einen Vertrag noch um eine unwiderrufliche Erklärung. Er sei im Verhältnis zu seiner Bank nicht gehindert, die Aktien zu verkaufen und das Depot aufzulösen. Dass mit der Voraussetzung einer unwiderruflichen Vereinbarung die Altersvorsorge durch eigenen Handel mit Aktien faktisch keine geschützte Altersvorsorge im Sinne des SGB II sein könne, halte das Gericht auch nicht im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für verfassungswidrig. Die Möglichkeit des Abschlusses einer solchen Vereinbarung sei ein sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium.

Ebenso wenig handele es sich um Altersvorsorge in Höhe des nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge geförderten Vermögens nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Dazu sei es erforderlich, dass der Alterssicherung ein nach § 5 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zertifizierte Altersvorsorgevertrag zugrunde liege (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 52/06 R -). Dies sei hier nicht der Fall. Eine verfassungskonforme Auslegung etwa im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 GG sei nicht geboten. Die Differenzierung zwischen staatlich geförderter und sonstiger Altersvorsorge habe ihren Grund darin, dass bei geförderter Altersvorsorge die Bestimmung zur Altersvorsorge nicht ohne weiteres geändert werden könne (BSG, Urteil vom 15. April 2008 s. o.).

Das Vermögen des Klägers sei auch nicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II unberücksichtigt zu lassen. Der Kläger sei nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.

Die Verwertung des Vermögens würde für den Kläger auch keine besondere Härte bedeuten. Eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II setze außergewöhnliche Umstände voraus, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangten als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte, und die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen erfasst würden (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 68/06 R - BSGE 100, 196). Bei Vermögen, das der Alterssicherung dienen solle, sei es für die Annahme einer besonderen Härte erforderlich, dass das Vermögen tatsächlich zur Altersvorsorge bestimmt sei. Hinzutreten müsse, dass eine Versorgungslücke bestehe und die dafür bestimmte Altersvorsorge kurz vor dem Rentenalter für den Lebensunterhalt eingesetzt werden müsse (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 68/06 R -). Hier fehle es jedenfalls an einem kurz bevorstehenden Rentenalter des Klägers. Das wahrscheinliche Angewiesensein auf Grundsicherung im Alter nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) begründe jedenfalls nicht für sich gesehen eine besondere Härte. Wegen des Bestehens dieser Sozialleistung sei auch das Argument des Klägers, ohne das Vermögen sei sein Lebensunterhalt im Alter nicht gesichert, nicht überzeugend. Sein Recht auf das Existenzminimum werde durch die Grundsicherung im Alter gesichert.

Soweit der Kläger meine, das Vermögen könne auch dem Einsatz der Sicherstellung der Kosten eines Begräbnisses dienen, so ändere dies letztlich nichts. Zwar könne die Verwertung eines für diesen Zweck vorgesehenen Vermögens eine Härte darstellen (BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 8/9b SO 9/06 R - BSGE 100, 131), doch bedürfe es dazu jedenfalls einer ausdrücklichen Bestimmung zu diesem Zweck. Eine solche habe der Kläger nicht getroffen. Dies wäre auch nicht widerspruchsfrei möglich gewesen, da er das Vermögen bereits zuvor zur Altersvorsorge bestimmt habe. Auf die Frage, ob Kosten einer Bestattung mit über 17.000,00 Euro tatsächlich angemessen seien, komme es daher nicht mehr an.

Auch führe die mehrjährige ausdrückliche Einstufung als geschütztes Altersvorsorgevermögen durch den Beklagten nicht dazu, dass die Verwertung für den Kläger nunmehr eine Härte darstelle. Im Gegenteil habe der Kläger durch den Fehler des Beklagten die von ihm gewünschte Altersvorsorge deutlich länger weiter betreiben können, als ihm dies bei fehlerfreiem Verhalten des Beklagten möglich gewesen wäre. Wenn dem Kläger dadurch tatsächlich nachweisbar ein Schaden entstanden sein sollte, dann könnte dies nur im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs vor dem Landgericht geltend gemacht werden.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Schreiben des Beklagten vom 12. September 2011. Es handele sich nicht um eine Zusicherung nach § 34 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Diesem Schreiben sei zwar zu entnehmen, dass der Beklagte damals davon ausgegangen sei, dass Vermögen des Klägers sei als Altersvorsorgevermögen geschützt, doch sei ersichtlich, dass damit keine verbindliche Erklärung bezweckt gewesen sei, in Zukunft immer so zu entscheiden. Vielmehr sei es dem Beklagten nur darum gegangen, dem Kläger mitzuteilen, dass die Ermittlungen zu diesem Punkt abgeschlossen worden seien und zu welchem Ergebnis diese Ermittlungen gekommen seien.

Gegen den dem Kläger am 8. Juli 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser durch seine Bevollmächtigten am 20. Juli 2016 beim Sozialgericht Gießen Berufung eingelegt. Zur Begründung haben die Bevollmächtigten vorgetragen, das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 1 BvL 1/09 - und Beschluss vom 12. Mai 2015 - 1 BvR 569/05 -) und des BSG (Urteil vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 35/08 R - und vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 63/06 R -) nicht beachtet. Mit der erzwungenen Verwertung des Altersvorsorge- und Bestattungsvermögens des Klägers bestrafe die Entscheidung des Sozialgerichts den Kläger für jene Fehler, die einzig und allein der Beklagte begangen habe. Der Beklagte hätte den Kläger über das Erfordernis einer unwiderruflichen Vereinbarung zur Einstufung des Vermögens als geschützte Altersvorsorge beraten müssen. Außerdem habe der Beklagte dem Kläger die Einstufung des Vermögens als geschütztes Altersvorsorgevermögen ausdrücklich zugesichert. Es treffe auch nicht zu, dass der Kläger den Beklagten erst im Mai 2011 über das Bestehen des Depots informiert habe. Aus der Akte gehe eindeutig hervor, dass der Kläger vollständige Depotunterlagen bereits am 3. Mai 2005 eingereicht habe. Soweit das Sozialgericht den Kläger darauf verwiesen habe, zunächst sein Vermögen zu verbrauchen und dann im Alter Leistungen nach dem SGB XII zu beziehen, sei dies mit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 7. Mai 2009 s. o.) nicht vereinbar.

Im Hinblick auf die fehlerhafte Beratung durch den Beklagten sei der Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob er richtig beraten worden wäre. Eine Verwertung des Vermögens scheide danach aus.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 24. Juni 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 15. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. November 2014 bis zum 30. April 2015 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte nimmt zur Begründung seines Antrages Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung und den des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts. Außerdem hat er ausgeführt, der Kläger interpretiere in das Schreiben vom 12. September 2011 Dinge, die dort in keiner Weise festgestellt seien. Von einer Auflösung des Depots oder nicht sei in der Mitteilung überhaupt nicht die Rede. Weiterhin sei entscheidend, dass diese Feststellung keine Aussage darüber treffe, wie die Geldanlage in der Zukunft zu bewerten sei. Eine darlehensweise Gewährung von Leistungen habe zu diesem Zeitpunkt nicht zur Debatte gestanden und wäre im Zweifel ungünstiger für den Leistungsempfänger gewesen. Für eine Beratung, wie sie in dem Schriftsatz des Klägers vom 20. September 2016 gefordert sei, dürfte zum damaligen Zeitpunkt keine Veranlassung bestanden haben.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins des Berichterstatters vom 10. November 2017.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 24. Juni 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 15. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 sind rechtmäßig, so dass der Kläger nicht beschwert ist (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 30. April 2015.

Zwar liegen die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 SGB II in der Person des Klägers vor. Der Kläger ist aber in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II gewesen. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Der Kläger verfügte in dem streitgegenständlichen Zeitraum über verwertbares Vermögen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist sein Aktienvermögen weder als Altersvorsorge nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II geschützt noch stellt die Verwertung des Vermögens für den Kläger eine besondere Härte i. S. d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II dar. Geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, sind nur dann vom Vermögen abzusetzen, wenn der Anspruchsinhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer unwiderruflichen vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann. Daran fehlt es hier, denn der Kläger konnte in dem streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 30. April 2015 jederzeit auf sein Aktienvermögen zugreifen. Die Verwertung des Vermögens bedeutet auch keine besondere Härte für den Kläger. Ob von einer besonderen Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II auszugehen ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Maßgebend sind dabei nur außergewöhnliche Umstände, die nicht durch die ausdrücklichen gesetzlichen Freistellungen über das Schonvermögen nach § 12 Abs. 3 Satz 1 SGB II und § 7 Abs. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) sowie die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II setzt daher solche Umstände voraus, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 14 AS 2/09 R - SozR 4-4200 § 12 Nr. 15; kritisch dazu Geiger in: LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 12 Rn. 81: einfache Härte wie in § 90 Abs. 3 SGB XII genügt). In den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1749 S. 32) wird für das Vorliegen eines Härtefalles im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II als Beispielsfall ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger genannt, der kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsse, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweise (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 35/08 R - BSGE 103, 146 m. w. N.). Eine solche Versorgungslücke kann zwar bei dem Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum angenommen werden, da er nach der letzten Auskunft des Rentenversicherungsträgers vom 11. September 2014 bei Renteneintritt lediglich eine Altersrente in Höhe von 130,80 Euro monatlich zu erwarten hat. Der Kläger steht aber nicht kurz vor dem Rentenalter. Angesichts der generell angestrebten Verlängerung der Lebensarbeitszeit kann im Hinblick auf den Altersrentenfall regelmäßig schon nicht davon ausgegangen werden, dass ein 55jähriger Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II kurz vor dem Rentenalter steht (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 s. o.). Der Kläger war aber bei Beginn des Bewilligungsabschnitts erst 48 Jahre alt, so dass bei einer Zeitdauer bis zum Renteneintritt von mehr als 18 Jahren die erforderliche Rentennähe nicht erreicht ist.

Ein eine besondere Härte begründender atypischer Fall ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Absicht des Klägers, sein Aktienvermögen für die Altersvorsorge verwenden zu wollen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG im Rahmen des Härtetatbestands nicht auf den fehlenden Verwertungsausschluss, sondern lediglich entsprechend der früheren Rechtsprechung des BSG zum Recht der Arbeitslosenhilfe darauf abzustellen, ob der Hilfebedürftige das Vermögen nach Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung des Lebensunterhalts für sich verwenden will und eine dieser Bestimmung entsprechende Vermögensdisposition getroffen hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 35/08R - BSGE 103,146 ; BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 56/06 R -; Spellbrink, ZfS 2000, 193, 201 ff.). Dabei ist zwischen objektiver und subjektiver Zweckbestimmung zu unterscheiden. Die subjektive Zweckbestimmung liegt vor, wenn der Hilfebedürftige das Vermögen nach dem Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verwenden will. Die objektive Zweckbestimmung erfordert die Erkennbarkeit des Alterssicherungswillens aus den gesamten objektivierbaren Umständen (vgl. Spellbrink s. o.). Der Kläger hat zwar gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Mai 2011 erklärt, dass die Wertpapiere ausschließlich der Altersvorsorge dienten und von ihm vor dem Eintritt des Rentenalters nicht angetastet werden würden. Die subjektive Zweckbestimmung ist daher zu bejahen. Für die objektive Zweckbestimmung ergeben sich vorliegend allerdings keine Anhaltspunkte. Eine dahingehende Vermögensdisposition ist nicht ersichtlich.

Eine besondere Härte ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, das Geld werde außer für die Altersvorsorge auch noch für die Bestattung und die Grabpflege benötigt. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dem Wunsch des Menschen, für die Zeit nach seinem Tod durch eine angemessene Bestattung und Grabpflege vorzusorgen, Rechnung zu tragen ist (BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 8/9b SO 9/06 R - BSGE 100, 131 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. März 2011 - L 20 SO 6/11 B ER -; vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 5 C 84.02 - FEVS 56, 302). Allerdings bezieht sich diese Rechtsprechung nur auf Vermögen aus einem Bestattungsvorsorgevertrag für eine angemessene Bestattung und für eine angemessene Grabpflege, das als Schonvermögen im Sinne der Härtefallregelungen angesehen wird. Einen solchen Bestattungsvorsorgevertrag hat der Kläger aber nicht abgeschlossen.

Ein Leistungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus einer Zusicherung des Antragsgegners nach § 34 Abs. 1 SGB X, dem Kläger auch künftig Leistungen ohne Anrechnung seines Vermögens zu erbringen. Das Schreiben vom 12. September 2011 bezieht sich ersichtlich nur auf die im damaligen Zeitpunkt vertretene Rechtsauffassung des Antragsgegners. Eine Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen (Zusicherung), kann darin nicht gesehen werden.

Schließlich ergibt sich ein Leistungsanspruch auch nicht daraus, dass es der Beklagte unterlassen hat, den Kläger über die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II, insbesondere die Möglichkeit, einen Verwertungsausschluss zu vereinbaren, zu belehren. Der insoweit in Betracht kommende sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2015 - B 4 AS 22/14 R - NJW 2015, 3803 m. w.N.).

Ungeachtet der Frage, ob dem Beklagten hier ein Beratungsfehler angelastet werden kann, greifen die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aber deshalb nicht ein, weil die Korrektur eines eventuellen Beratungsfehlers nicht durch eine zulässige Amtshandlung möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 63/06 R - SozR 4-1200 § 14 Nr. 10; BSG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 B 4 AS 77/08 B -) an. Danach kann die vertragliche Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über einen Ausschluss der Verwertbarkeit einer Lebensversicherung vor dem Eintritt in den Ruhestand nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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