S 5 KN 58/98 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KN 58/98 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.10.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.05,1998 verurteilt, bei dem Kläger ab 24.02. 1997 den Versicherungsfall der BKNr. 4111 anzusehen und dem Kläger Rente nach einer MdE vom 20 vH, ab 12.10.1998 nach einer MdE vom 30 vH zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Rente wegen einer Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) - Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren (mg/m3 x Jahre) - nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert ab dem 24.02.1997 und nach einer MdE von 30 vom Hundert ab dem 12.10.1998 zusteht. Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist von Beruf Bergmann. Er arbeitete von 1948 bis 1977 unter Tage als Schlepper, Hauer und Bandmeister. Im Juli 1996 erstattete der behandelnde Arzt, Dr. O., ärztliche Anzeige wegen Verdachts auf Lungenemphysem bei Silikose. Die Beklagte zog Krankenblattunterlagen der Bundesknappschaft, Befundberichte und Röntgenaufnahmen bei. Nach einer Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 07.10.1996 war der Kläger zwischen 1948 und 1977 einem Feinstaubsummenwert von 137 mg Feinstaubjahren ausgesetzt; damit seien die beruflichen Voraussetzungen für die Entstehung einer obstruktiv chronischen Bronchitis erfüllt. In einem von der Beklagten veranlaßten internistischen Gutachten vom 24.02.1997 gelang Dr. J. zu dem Ergebnis, bei dem Kläger liege sowohl eine chronische Bronchitis als auch ein Lungenemphysem vor. Die MdE vom 20 vom Hundert schätzte er ab 23. 11.1993, die MdE von 30 vom Hundert ab dem 24.02.1997. In einer ergänzenden Stellungnahme gelang der beratende Arzt, Dr. T. zu der Auffassung, dass der Versicherungsfall bereits am 18.02.1990 eingetreten sei. Bereits 1969 habe Prof, Dr. X. ein Lungenemphysem angenommen und nach dem Röntgenbild vom 18.01.1990 sei ein mäßiges Lungenemphysem diagnostiziert worden. Gestützt auf diese Beurteilung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.10.1997 es ab, die Erkrankung wie eine Berufskrankheit zu entschädigen. Im Vorgriff auf den Entwurf zur Neuordnung der Berufskrankheitenverordnung verwies sie auf die dortige Rückwirkungsklausel. Der Widerspruch des Klägers wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 13.05.1998 zurückgewiesen. Der Kläger hat am 10.06.1998 Klage erhoben. Der Kläger trägt vor, dass er an einem deutlichen Lungenemphysem leide, und dass dies Folge seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit im Untertagebergbau sei. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.10.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.05.1998 zu verurteilen, beim Kläger ab 24.02.1997 den Versicherungsfall der Berufskrankheit Nr. 4111 anzunehmen und dem Kläger Rente nach einer MdE von 20 vom Hundert, ab 12.10.1998 nach einer MdE von 30 vom Hundert zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Das Gericht hat zu der Frage, ob bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 vorliegen, Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens von Prof. Dr. T. vom 12.10.1998 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 30.03.1999. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des Sach- und Streitstandes im einzelnen verweist die Kammer auf die Gerichtsund Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet und der Kläger ist durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtswidrig beschwert, denn bei ihm liegt eine Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 der Anlage 1 BKVO - Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren (mg/m3 x Jahr) - nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vom Hundert (v.H.) ab dem 24.02.1997 vor, ab dem 12.10.1998 nach einer MdE von 3 0 vom Hundert. Nach § 7 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (Gesetzliche Unfallversicherung) - SGB VII - gilt als Arbeitsunfall, der nach §§ 56 ff. durch die Zahlung von Rente zu entschädigen ist, auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind nach § 9 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des. Bundesrates bezeichnet oder die ein Versicherter bei einer der in den §§2,3 oder 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet. Mit der am 01.12.1997 in Kraft getretenen Berufskrankheiten-Verordnung ist die BK-Liste um die Nr. 4111 erweitert worden. Die von dem Kläger geltend gemachte Berufskrankheit gemäß Nr. 4111 erfaßt die chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren (mg/m3 x Jahre). Die Feststellung der Berufskrankheit hat zur Voraussetzung, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen dieser Berufskrankheit in der Person des Klägers gegeben sind, zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (Beschluss LSG NRW L 17 U 116/96 vom 03.03.1997 mit weiteren Nachweisen) wesentlich ursächlich auf die berufliche Tat. Die beruflichen Voraussetzungen für die Entstehung einer chronisch obstruktiven Bronchitis oder eines Lungenemphysems sind erfüllt, nach der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 07. 10.1996 war der Kläger zwischen 1948 und 1977 einem Feinstaubsummenwert von 137 mg Feinstaubjahren ausgesetzt. Die Kammer ist dem medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Smidt gefolgt, dass bei dem Kläger ab dem 24.02.1997 die Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 4111 der Anlage 1 zu § 1 der Berufskrankheitenverordnung in Form eines deutlichen Lungenemphysems mit Rückwirkung des respiratorischen Gasaustausch vorliegen, was ab diesem Zeitpunkt eine MdE von 20 vom Hundert bedingt und ab dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Prof. Dr. Smidt eine MdE von 30 vom Hundert. Hierzu hat Prof, Dr. Smidt in seinem Gutachten vom 12.10. 1998 ausgeführt, dass bei dem Kläger ein deutliches Lungenemphysem mit Rückwirkung auf den respiratorischen Gasaustausch vorliegt und das dieses Lungenemphysem wesentlich im ursächlichen Zusammenhang mit der vom Kläger bis 1977 verrichteten Untertagetätigkeit steht, auch wenn der Kläger früher geraucht hat. Prof. Dr. Smidt setzt sich mit der Argumentation von Dr. J. und Dr. T. auseinander und vertritt die Ansicht, dass aus den Befunden von 1990 die von Herrn Dr. Eggerath erstellt worden sind, ohne funktionsanalytische Stütze nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die Diagnose eines Lungenemphysems bereits zu dem damaligen Zeitpunkt 1990 gestellt werden kann. Prof. Dr. T. vertritt die Auffassung, dass der Versicherungs- und der Leistungsfall durch ein Lungenemphysem gemäß Ziffer 4111 erst ab der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. J. am 24.02.1997 gegeben ist. Dementsprechend schätzt er die MdE ab diesem Zeitpunkt mit 20 vom Hundert ein und ab dem Zeitpunkt der Untersuchung bei ihm mit 30 vom Hundert. In der gutachtlichen Stellungnahme vom 22.02.1999 vertritt Prof ... Dr. T.-X. die Ansicht, aus dem Gutachten von Prof. Dr. X. vom 08.08.1969 ergebe sich, dass zu diesem Zeitpunkt Versicherungs- und Leistungsfall eingetreten seien. Damals habe eine chronische obstruktive Bronchitis und ein Lungenemphysem vorgelegen, Husten und Auswurf sowie Belastungsluftnot seien seit 1969 belegt. Eine obstruktive Ventilationstörung sei erstmals durch Prof. Dr. X. am 08.08.1969 schriftlich festgehalten worden, ebenso ein Lungenemphysem. Prof. Dr. T.-X. bemängelt weiterhin, dass Prof. Dr. T. die Resultate der Lungenfunktionsprüfung nicht in Prozenten der Sollwerte angegeben habe. Er könne die Stellungnahme von Prof. Dr. T. umso weniger ver-stehen, als Prof. Dr. T. selbst am 08.08.1969 bereits einen Lungenfunktionsbefund unterzeichnet habe, der für das Vorliegen geringfügiger obstruktiver Ventialationsstörungen sprach. Die Auffassung, dass die Erkrankung vor dem 01.01.1993 begonnen habe, werde auch durch den Röntgenbefund von Dr. F. vom 18.01.1990 gestützt. Im übrigen hätten derartig ausgeprägte Funktionsstörungen naturgemäß eine erhebliche Vorlaufzeit mit zunehmenden Funktionsausfällen und stützten damit die Annahme eines Erkrankungsbeginns Jahre zuvor. Prof. Dr. Smidt hat sich in seiner Stellungnahme vom 30.03.1999 mit der Argumentation von Prof. Dr. T.-X. auseinander gesetzt. Er verweist darauf, dass er bekanntlich das Resultat der Lungenfunktionsprüfung nicht in Prozenten der Sollwerte angeben, sondern der Übersicht wegen, die Angabe der Sollgrenze bevorzugt, damit man sofort sieht, ob der Meßwert diese über- bzw. unterschreitet. Der Sachverständige hält es für unwahrscheinlich, dass bereits 1969 eine chronische obstruktive Bronchitis Vorgelegen hat, da danach bis heute bei später erfolgten Funktionsanalysen keine erhöhte Resistance mehr dokumentiert wurde. Er ist sich bewußt, dass die Obstruktion bei einer chronischen Bronchitis zwar nicht bei jeder Gelegenheit belegt sein muß, hält es aber im Fall des Klägers, bei dem nach dem 08.08.1969 keine Atemwegsobstruktion mehr dokumentiert ist, für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass dieser vor 30 Jahren einmalig leicht erhöhter Atemwegswiderstand schon zur Annahme einer chronischen obstruktiven Bronchitis zum damaligen Zeitpunkt herangezogen werden kann. Er hält.es eher für

wahrscheinlich, dass dieser damals erhobene Befund nur als grenzwertig einzuordnen ist, zumal gleichzeitig die Vitalkapazität und die 1-Sekundenkapazität noch weitgehend normal waren. Da weder die damaligen Röntgenaufnahmen, die bei Prof. Dr. X. erstellt worden sind, noch die Röntgenaufnahme von Dr. F. vom 18,01.1990 existieren, läßt sich auch zum Zeitpunkt des 18.01,1990 das Vorliegen eines Lungenemphysems nicht bestätigen. Die Kammer folgt dem Gutachten von Prof. Dr. T, trotz der Einwände der Beklagten, dass eine chronische obstruktive Bronchitis und ein Lungenemphysem bereits seit dem 08.08.1969 bestanden habe mit der Folge, dass wegen der Stichtagsregelung zum 01.01.1993 eine Anerkennung der Berufskrankheit nicht in Betracht komme. Zum einen ist die Argumentation überzeugend, dass für die Diagnose eines Lungenemphysems röntgenologische Hinweise und stützende funktionsanalytische Hinweise gefordert werden. Zum anderen überzeugt das Argument, dass von der Schwere der Funktionsausfälle ein Rückschluß auf den Versicherungsfall nicht möglich ist, sondern nur zu Spekulationen führt. Die Kammer ist daher dem Sachverständigen gefolgt, wonach Versicherungs- und Leistungsfall erst ab der Untersuchung bei Dr. J. am 24.02.1997 gegeben sind und zwar zu-nächst in Höhe einer MdE von 20 vom Hundert und ab 12.10.1998 nach einer MdE von 30 vom Hundert. Der Klage war antragsgemäß stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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