L 11 SB 237/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 139 SB 4109/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 237/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. November 2017 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin auch deren außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Der Beklagte hatte zugunsten der 1974 geborenen Klägerin mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2013 den GdB mit 40 wegen

- einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei Bandscheibenschäden, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Muskelschwäche am Arm links (Einzel-GdB: 30), - einer Funktionsbehinderung des Schultergelenkes links (Einzel-GdB: 20) und einer - Funktionsbehinderung des Kniegelenkes beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseitig (Einzel-GdB: 10)

festgestellt.

Am 9. Februar 2015 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten einen höheren GdB, was dieser mit Bescheid vom 1. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2015 ablehnte, wobei er zusätzlich zu den bereits anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte einen Tinnitus und psychovegetative Störungen (Einzel-GdB: 20) sowie eine chronische Leberentzündung (Hepatitis), Fettleber (Einzel-GdB: 10).

Hiergegen hat die Klägerin am 14. September 2015 Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat Befundberichte und ein fachorthopädisches/fachchirurgisches Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Dr. T vom 27. Dezember 2016 eingeholt, der die Klägerin am 19. Dezember 2016 ambulant untersucht hat und zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB bei der Klägerin betrage 30 wegen folgender Funktionsbehinderungen und Einzel-GdB:

- Wirbelsäulenleiden (10 bis 20), - psychische Alteration mitsamt Schmerzempfindung und Tinnitus (20), - Steatosis hepatis (Leberverfettung) (maximal 10).

Als Diagnosen genannt hat der Sachverständige

- ein lokales Lendenwirbelsäulen (LWS)-Syndrom bei muskulärer Dysbalance, einen kernspintomografisch im April 2016 diagnostizierten Bandscheibenvorfall L5/S1, klinisch leichte Funktionsstörungen, - ein pseudoradikuläres Halswirbelsäulen (HWS)-Syndrom bei kernspintomografisch im Jahr 2012 diagnostizierten multiplen Bandscheibenprotrusionen, degenerative Veränderungen, klinisch leichte Funktionsstörungen, - eine Schilddrüsenunterfunktion, einen Tinnitus beidseits und leichte Schwerhörigkeit beidseits, Nierensteine rechts mit seltener Symptomatik, eine Leberverfettung ohne nennenswerte Funktionsstörung, Bruxismus (Zähnebeißen nachts), Adipositas, - ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren, Verdacht auf eine rezidivierende depressive Episode.

Funktionsstörungen an den Beingelenken, die einen GdB von mindestens 10 rechtfertigen würden, bestünden nicht. Gleiches gelte für eine Funktionsstörung des linken Schultergelenkes. Die Bewertung des Wirbelsäulenleidens im Jahr 2013 durch den versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten hat der Sachverständige als "sehr großzügig[ ]" bezeichnet. Gleiches gelte für den zuerkannten GdB von 40. Der Sachverständige hat eine Begutachtung auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet empfohlen.

Zu Einwänden der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. T hat das Sozialgericht von diesem eine ergänzende Stellungnahme vom 17. Juli 2017 eingeholt, der im Wesentlichen erklärt hat, an seiner Einschätzung festzuhalten.

Der Empfehlung des Sachverständigen Dr. T folgend hat das Sozialgericht ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten bei dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Arzt für Neurologie Dr. T vom 12. Juni 2017 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 6. Juni 2017 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB bei der Klägerin betrage 40 wegen

- einer seelischen Störung mit depressiven und impulsiven Beschwerden, einer verstärkten Schmerzwahrnehmung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie eines Tinnitus (Einzel-GdB: 30), - eines Wirbelsäulenleidens (Einzel-GdB: 10 bis 20), - Steatosis hepatis (Einzel-GdB: 10).

Im Einzelnen hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt:

Die Schmerzsymptomatik der Klägerin sei heftig, ohne dass seitens des orthopädischen-chirurgischen Fachgebietes ein entsprechendes somatisches Korrelat festgestellt worden sei. Seitens des psychiatrischen Fachgebietes liege ein sehr lang andauerndes Beschwerdebild wechselnder Ausprägung vor. Daneben bestehe ein spezifisches Schmerzerleben im Sinne einer somato-psychischen Verknüpfung. In ihrem lebensgeschichtlichen Verlauf sei die Klägerin mehrfach sowohl kurz dauernd als auch längerfristig psychotherapeutisch behandelt worden. Die jeweiligen Therapiemaßnahmen seien abgeschlossen worden, aktuell erfolge keine psychotherapeutische Intervention, die Klägerin stehe derartigen Maßnahmen eher skeptisch gegenüber. Auf dem Boden lebensgeschichtlicher Belastungen sei es zu einer neurotischen Disposition gekommen, von der ehemals behandelnden Psychotherapeutin werde die Beschwerdebildung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung genannt. Aus gutachterlicher Sicht bestehe tatsächlich eine erhebliche affektive Schwankungsbreite, es komme auch zu passager auftretenden depressiven Stimmungsauslenkungen. Als weitere mit der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin verknüpfte Symptombildung sei eine verstärkte Schmerzempfindung im Sinne einer somatoformen Verknüpfung (anhaltende somatoforme Schmerzstörung) festzustellen. Die intrapsychische Problematik der Klägerin sei vor dem Hintergrund empfindsam-sensibler Strukturanteile einerseits und durchsetzungsstark und angstbehafteter Aspekte andererseits zu beachten, mit der Folge der dargestellten seelischen Beschwerdebildung. Es sei zu einer eher resignativen und unzufriedenen Verfassung gekommen, ohne Erwartung einer Beschwerdelinderung. Aus gutachterlich-therapeutischer Sicht sei die Prognose zur Überwindung der dargestellten Problematik durchaus günstig. Die Klägerin sei zu vielfältiger Kompensation befähigt, sie habe Lebenserfolg erreicht. Den beruflichen Anforderungen werde sie Ihren Angaben zufolge in vollem Umfang gerecht. In ihrer privat-persönlichen Lebensgestaltung erlebe sie seit der Veränderung des Zusammenlebens Zufriedenheit. Sie sei in gesundheitlicher Hinsicht vorrangig von dem Schmerzerleben belastet im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Aus psychiatrisch-gutachterlicher Sicht liege in Übereinstimmung mit der ehemals behandelnden Psychotherapeutin eine stärker behindernde Störung vor mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Eine schwere Störung mit ungünstigen Auswirkungen auf die Berufstätigkeit sei nicht zu bestätigen. Zur Bildung des Gesamt-GdB hat der Sachverständige ausgeführt, diese beruhe darauf, dass sich die in dem orthopädisch-chirurgischen Gutachten festgestellten gesundheitlichen Einbußen mit den seelischen Symptomen überschneiden und somit in ungünstiger Weise verknüpfen würden.

Das Sozialgericht hat der auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 9. Februar 2015 gerichteten Klage durch Urteil vom 17. November 2017 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das psychische Leiden der Klägerin sei entgegen der Auffassung des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten, was sich insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T ergebe. Von den übrigen von dem Beklagten festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen sei entgegen der Auffassung des Sachverständigen Dr. T nicht abzuweichen gewesen. Dass bei der Klägerin seit den Feststellungen des Beklagten im Jahr 2013 eine Verbesserung des Gesundheitszustandes eingetreten wäre, sei nicht ersichtlich.

Gegen das Urteil hat der Beklagte am 23. November 2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er eine fachchirurgische und -psychiatrische Stellungnahme seines versorgungsärztlichen Dienstes zu den Gerichtsakten gereicht. Das Wirbelsäulenleiden sei danach nur unter Berücksichtigung von in den linken Arm ausstrahlenden Beschwerden mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Bewertung des Wirbelsäulenleidens durch den Beklagten im Jahr 2013 müsse als "maximal" angesehen werden, auch hier seien LWS und HWS allenfalls geringgradig in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt gewesen. Es habe insoweit eine Doppelbewertung stattgefunden, als im Wirbelsäulenleiden in den linken Arm ausstrahlende Beschwerden und ein eigenständiges Schulterleiden berücksichtigt worden seien. Im Übrigen liege nur eine leichte psychische Störung vor.

Der Senat hat bei dem Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. A ein fachärztliches Gutachten auf dem Gebiet der Unfallchirurgie und Orthopädie vom 26. Juni 2018 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am selben Tag erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB aufgrund der Funktionsstörungen der Wirbelsäule sei mit 20 zu bewerten. Es bestünden ein chronisch-rezidivierendes HWS- und ein chronisch-rezidivierendes LWS-Syndrom jeweils mit degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. Bei der klinischen Untersuchung habe sich abgesehen von der glaubhaften Angabe der Klägerin, dass sie an Schmerzen leide, keine wesentliche Funktionsstörung im Bereich der Wirbelsäule finden lassen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei in allen Ebenen erhalten. Wesentliche Fehlstellungen fänden sich nicht. Die äußerst geringe Seitverbiegung der Wirbelsäule und die geringe Vermehrung der Brustkyphose (Rundrücken) seien funktionell nicht bedeutend. Die Rückenmuskulatur sei gut entwickelt, Asymmetrien fänden sich nicht. Beim Armvorhalteversuch würden beide Arme seitlich und nach vorne bis etwa zur horizontalen Schulterebene gehoben und nicht weiter, da es hierdurch nach Angaben der Klägerin zu Schmerzen im Nackenbereich komme. Trotz dieser scheinbaren Funktionsstörung ergebe sich in der Summe der Befunde kein Anhalt für eine Funktionsstörung der Schultergelenke. Wesentlich für die Beurteilung von Funktionsstörungen der Wirbelsäule sei ebenfalls die Einordnung, ob über die Schmerzen hinaus nachweisbare Nervenausfälle durch Schäden an der Wirbelsäule vorlägen. Bei der Klägerin fänden sich in der Vorgeschichte, bei der Anamneseerhebung und insbesondere bei der klinischen Untersuchung keine Hinweise auf Nervenausfälle der Arme oder Beine durch Schäden an der HWS oder LWS. Parästhesien oder ein Kribbeln, welches unregelmäßig auftrete und nicht immer bestimmten Dermatomen zuzuordnen sei, könnten als Hinweis für eine pseudoradikuläre Nervenreizung dienen. Es handele sich aber nicht um einen Nervenschaden an der Wirbelsäule. Die von der Klägerin glaubhaft geklagten Beschwerden an der HWS und LWS müssten bei der Bewertung beachtet werden. Aufgrund ihrer Angaben und der vorliegenden Behandlungsgeschichte sei bei der Klägerin nach gutachterlichen Gesichtspunkten von überwiegend niedrigen bis zeitweise mittelstarken Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule auszugehen. Befragt zu der Bewertung des GdB durch den Beklagten im Jahr 2013 hat der Sachverständige ausgeführt, die damalige versorgungsärztliche Einschätzung, wonach der GdB für die Funktionsstörung der Wirbelsäule 30 betrage, werde nicht geteilt. Auch die Bewertung eines Schulterleidens mit einem GdB von 20 sei unzutreffend. Entsprechendes gelte für den Einzel-GdB die unteren Extremitäten betreffend.

Zu neuen Befunden hat Dr. Aunter dem 16. August 2018 ergänzend Stellung genommen und ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine mittlere Funktionsstörung der Wirbelsäule.

Der Beklagte hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme zu den Akten gereicht, ausweislich der im Jahr 2013 das Wirbelsäulenleiden mit keinem Einzel-GdB von 30, sondern allenfalls 20 zu bewerten gewesen sei. Demgemäß habe der Gesamt-GdB nur 30 und nicht wie festgestellt 40 betragen. Der Beklagte meint, dass ungeachtet des rechtswidrig zu hoch festgestellten GdB der Gesamt-GdB nicht 50 betrage, weil das hinzugetretene psychische Leiden mit keinem höheren Einzel-GdB als 20 zu bewerten sei und sich daher nicht erhöhend auswirke.

Der Beklagte beantragt schriftlich,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, zu ihren Gunsten sei der GdB mit 50 festzustellen.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten des Beklagten sind im Zuge der Begutachtung durch Dr. A verloren gegangen. Der Senat hat sich von dem Beklagten dessen Prozesshandakte übersenden lassen, diese kopiert und anhand dessen die Akten rekonstruiert.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 1. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu ihren Gunsten ist mit Wirkung ab dem 9. Februar 2015 der GdB mit 50 festzustellen.

Einleitend ist anzumerken, dass die Feststellung eines GdB von 40 durch Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2013 bestandskräftig ist. Sie ist auch von Anfang an rechtswidrig gewesen. Dass diese Feststellung zu hoch gewesen ist, ergibt sich aus den vorliegenden Sachverständigengutachten auf orthopädischem Gebiet und nimmt nunmehr auch der Beklagte an, dessen versorgungsärztlicher Dienst die Bewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-GdB von 30 im Jahr 2013 als "zweifelsfrei falsch" erachtet (Stellungnahme vom 21. Februar 2019). Das Wirbelsäulenleiden war danach mit einem Einzel-GdB von nur 20 zu bewerten, so dass der festgestellte Gesamt-GdB von 40 schon deshalb rechtswidrig begünstigend gewesen ist und zwar ungeachtet dessen, dass wohl auch das Schulterleiden und Funktionsstörungen der unteren Extremitäten zu hoch bewertet worden sein dürften.

Anzuwenden ist somit hier die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R – juris), der sich der Senat bereits angeschlossen hat (Urteil vom 21. Mai 2014 – L 11 SB 235/12 – juris). Das BSG hat darin klargestellt, dass der Verwaltungsträger, der über die Höhe des GdB entschieden habe, innerhalb des durch § 39 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und § 77 SGG gesetzten Rahmens in seiner Eigenschaft als Träger des Verwaltungsverfahrens gebunden sei.

Das BSG hat in dem genannten Urteil ausgeführt, dass eine ursprünglich unrichtige Entscheidung unter Beachtung ihrer Bestandskraft grundsätzlich nicht korrigiert werden dürfe, vielmehr hierbei die Vorschriften der §§ 48 und 45 SGB X maßgeblich seien. Durch § 48 Abs. 3 SGB X sei die Verwaltung auch im Recht der sozialen Entschädigung und im Recht der Schwerbehinderten ermächtigt worden, anlässlich einer nachträglichen Änderung eines Teils der maßgebend gewesenen Verhältnisse möglicherweise bestandskräftig gewordene Feststellungen über Schädigungsfolgen oder Behinderungen und über ihre Auswirkungen mit der wirklichen Sachlage in Einklang zu bringen. Ein Feststellungsbescheid, der rechtswidrigerweise den GdB zu hoch festgestellt habe, sei entweder nach § 45 SGB X - teilweise - zurückzunehmen, oder könne, wenn dies nicht mehr möglich sei, gemäß § 48 Abs. 3 SGB X "abgeschmolzen" werden. Werde diese Möglichkeit der Abschmelzung nicht wahrgenommen, könne die unterbliebene Abschmelzung nicht bei einer zukünftigen Änderung der Verhältnisse nachgeholt werden. Weiter hat das BSG ausgeführt, dass die Korrektur der Folgen eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 3 SGB X eine entsprechende ausdrückliche Verwaltungsentscheidung voraussetze. Die Vorschrift sei wegen der erforderlichen konstitutiven Feststellung durch die Verwaltung auch nicht eigenständig durch die Gerichte dergestalt anwendbar, dass diese eine Klage auf eine höhere Leistung oder auf Feststellung eines höheren GdB von sich aus unter Hinweis auf § 48 Abs. 3 SGB X abweisen dürften. Dementsprechend dürfe die Verwaltung § 48 Abs. 3 SGB X nicht stillschweigend anwenden, sondern müsse eine förmliche Entscheidung in Gestalt eines Verwaltungsaktes treffen, der seinerseits angefochten werden könne. Konstitutiv für eine Entscheidung nach § 48 Abs. 3 SGB X sei die durch Verwaltungsakt vorzunehmende Feststellung, dass und in welchem Umfang die ursprüngliche Bewilligung oder Feststellung rechtswidrig sei.

Gemessen an den vorstehenden Ausführungen ist der Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2013 bindend. Er ist nicht aufgehoben worden. Seine Aufhebung ist wegen § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ohnehin nicht möglich; dass hier anstelle der Zwei- die Zehn-Jahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X gelten könnte, ist nicht anzunehmen. Ein Abschmelzungsbescheid nach § 48 Abs. 3 SGB X liegt auch nicht vor und auch kein Bescheid über eine Feststellung, dass und in welchem Umfang die ursprüngliche Bewilligung oder Feststellung rechtswidrig sei. Somit ist der Eintritt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ausgehend von dem bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2013 zu bestimmen.

Der bestandskräftig festgestellte GdB von 40 ist wegen des Hinzutretens eines psychischen Leidens mit einem Einzel-GdB von 30 auf 50 zu erhöhen. Dies ergibt sich aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. T. Danach ist hier gemäß Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten ist. Soweit der Beklagte unter Hinweis auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin ohne Arbeitsplatzprobleme, deren stabilisierte Beziehung (nach räumlicher Trennung vom Partner), die gute soziale Einbindung und deren ausgeübte Hobbies (Lesen, Fitness) bei fehlender psychiatrischer und psychopharmakologischer Behandlung von einer nur leichteren psychischen Störung ausgeht, ist dem entgegen zu halten, dass sich die Klägerin ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen in einer resignativen und unzufriedenen Verfassung befindet und die Schmerzsymptomatik von Dr. T als "heftig" bezeichnet wird, so dass dieser eine schmerzbedingt-depressive Verfassung neben erheblichen affektiven Schwankungen, überwiegend angespannt-gereizter Ausprägung geschildert hat. Zudem hat sich die Klägerin durchaus in psychotherapeutischer Behandlung befunden und zwar ab dem 5. November 2015 wöchentlich. Dass sie diese Behandlung Anfang 2016 abgebrochen hat, steht der Annahme einer stärker behindernden psychischen Störung nicht entgegen, zumal in einem Entlassungsbericht über eine vom 8. November bis 6. Dezember 2016 absolvierte stationäre Rehabilitationsmaßnahme eine ambulante Psychotherapie empfohlen wird. Soweit der Beklagte einen nennenswerten Leidensdruck durch Schmerzsymptome auch im Hinblick auf die fehlende Einnahme von Schmerzmitteln anzweifelt, ist anzumerken, dass das Bestehen einer Schmerzerkrankung eigentlich niemand anzweifelt und demgemäß auch in dem bereits genannten Reha-Entlassungsbericht als Diagnose eine chronische Schmerzstörung genannt wird. Dr. A schildert in seinem Gutachten im Übrigen durchaus eine medikamentöse Schmerzbehandlung, die sich etwa auch aus einem aktenkundigen Medikamentenplan der behandelnden Orthopäden vom 16. April 2018 ergibt. Als weitere therapeutische Maßnahmen sind eine manuelle Therapie (Gutachten Dr. T), Injektionsbehandlungen mit Cortison, intermittierend Krankengymnastik, physikalische Anwendungen, Reha-Sport (Gutachten Dr. A) sowie die schon erwähnte stationäre orthopädische Rehabilitationsmaßnahe im November/Dezember 2016 zu nennen. Dass die von der Klägerin im psychiatrisch-schmerztherapeutischen Bereich vorhandenen Schmerzmöglichkeiten möglicherweise nicht ganz ausgeschöpft werden, liegt nach den Ausführungen von Dr. T an der resignativen Stimmung ohne Erwartung einer Beschwerdelinderung und ist damit krankheitsbedingt.

Dass sich das psychische Leiden, namentlich dessen Schmerzkomponente, verstärkend auf die organischen Beschwerden auswirkt, ergibt sich aus den Gutachten sowohl von Dr. T als auch von Dr. T und nimmt auch der Senat nach eigener Prüfung an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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