Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 4/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 59/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.11.2014 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, über den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 03.01.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Die Beklagte trägt die Kosten auch im Berufungsverfahren. Der Streitwert wird auf 34.690,50 Euro festgesetzt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Erlass von Säumniszuschlägen auf Rentenversicherungsbeiträge für Zivildienstleistende für die Jahre 2005 bis 2009.
Die Klägerin war nach der RV-Wehr- und Zivildienstpauschalbeitragsverordnung (RVWZPauschBeitrV) verpflichtet, Rentenversicherungsbeiträge für Zivildienstleistende zu berechnen und diese an den jeweils berechtigten Rentenversicherungsträger zu leisten.
Mit Schreiben vom 10.03.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sich auf Grund der Neuberechnung der Beiträge für die Jahre 2005 bis 2008 sowie der Berechnung der Beiträge für das Jahr 2009 ein Betrag in Höhe von 3.469.097,29 Euro ergebe. Die Bundeskasse Trier sei beauftragt worden, diesen Betrag bis zum 31.03.2010 zu überweisen. Die Wertstellung auf dem Konto der Beklagten erfolgte am 01.04.2010.
Mit Schreiben vom 19.10.2011 hörte die Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Erhebung von Säumniszuschlägen in Höhe von 34.690,50 Euro an. Der am 31.03.2010 fällige Betrag sei erst am 01.04.2010 und damit verspätet gezahlt worden.
Die Klägerin hielt die Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) für unzulässig und beantragte vorsorglich den Erlass der in Aussicht gestellten Säumniszuschläge. Ein Erlass sei in analoger Anwendung von Ziff 7 der "Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV im Rahmen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ab 01.01.1995" (Gemeinsame Verlautbarung) möglich. Die Klägerin habe die Rentenversicherungsbeiträge bisher immer pünktlich gezahlt. Die Überweisung selbst sei rechtzeitig am 10.03.2010 mit dem Zahlungsziel 31.03.2010 veranlasst worden. Nur aufgrund einer nicht ausdrücklich aktivierten Terminüberweisung im Zentralkassensystem habe sich der Überweisungszeitlauf unvorhersehbar um einen Kalendertag verlängert. Dabei handele es sich um ein offenbares Versehen, da die zum gleichen Zeitpunkt veranlassten Zahlungen an die übrigen Rentenversicherungsträger rechtzeitig ausgeführt worden seien.
Mit Bescheid vom 05.06.2012 erhob die Beklagte Säumniszuschläge in Höhe von 34.690,50 Euro. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei zwingend und liege nicht im Ermessen des Rentenversicherungsträgers. Die Forderung der Säumniszuschläge sei auch nicht unbillig. Ein offenbares Versehen könne nur angenommen werden, wenn die Klägerin die Terminüberweisung aus Unkenntnis nicht aktiviert und die Zahlung dadurch verspätet vorgenommen worden wäre. Dies sei jedoch gerade nicht der Fall, da Zahlungen an die anderen Rentenversicherungsträger nach den Angaben der Klägerin pünktlich erfolgt seien. Allein die ansonsten pünktliche Zahlung der Vorschüsse und Unterschiedsbeträge in der Vergangenheit könne einen Erlass der Säumniszuschläge nicht rechtfertigen.
In dem nachfolgenden Klageverfahren (Az.: S 30 R 1001/12 SG Köln) verurteilte das Sozialgericht die Beklagte zur Neubescheidung des Antrages auf Erlass der Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Zwar habe die Beklagte die Säumniszuschläge zu Recht erhoben, jedoch habe sie im Hinblick auf deren Erlass das ihr obliegende Ermessen nicht ausgeübt.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 04.12.2013 lehnte die Beklagte wiederum den Erlass der Säumniszuschläge ab, da deren Einziehung nicht unbillig sei. Nach der "Gemeinsamen Verlautbarung" sei ein Erlass wegen Unbilligkeit möglich, wenn z.B. einem bisher pünktlichen Beitragszahler ein offenbares Versehen unterlaufen sei. Ein offenbares Versehen sei ein einfacher Bearbeitungsfehler, der durch das Hinzutreten außergewöhnlicher, schwerwiegender oder atypischer Umstände gekennzeichnet sei. Eine schlichte Fehlbearbeitung wie vorliegend reiche zur Begründung eines offenbaren Versehens nicht aus. Allein die ansonsten pünktliche Zahlung der Vorschlüsse und Unterschiedsbeträge sei kein Grund für einen Erlass. Auch die Tatsache, dass die Beiträge lediglich einen Tag zu spät gezahlt worden seien, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Gesetz sehe die Erhebung von Säumniszuschlägen bereits vom ersten Tag nach Fälligkeit an vor. Die Vorschrift diene darüber hinaus dazu, Druck auf den Beitragsschuldner auszuüben, damit dieser die Beiträge (zukünftig) rechtzeitig zahle. Der Umstand, dass aktuell keine laufenden Beitragszahlungen für Zivildienstleistende mehr zu leisten seien, sei unerheblich. Maßgebend für die Beurteilung sei die zum Zeitpunkt der verspäteten Beitragszahlung im April 2010 geltende Rechtslage. Zum damaligen Zeitpunkt seien weitere vierteljährliche Abschlagszahlungen und im Folgejahr 2012 eine sog. Spitzabrechnung zu erwarten gewesen. Nach Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft an einem finanziellen Ausgleich für die verspätete Beitragszahlung und an einem Druckmittel für künftige pünktliche Beitragszahlung mit den Interessen der Klägerin sei den schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft Vorrang vor den Interessen der Klägerin einzuräumen. Eine Gefährdung des wirtschaftlichen Fortbestehens oder des notwendigen Lebensunterhalts des Beitragsschuldners sei nicht erkennbar.
Die Klägerin hat am 02.01.2014 Klage erhoben und geltend gemacht, die Beklagte habe das ihr obliegende Ermessen pflichtwidrig ausgeübt. Mit der Durchsetzung der festgesetzten Säumniszuschläge könne kein Druck mehr auf sie als Beitragsschuldnerin für Rentenversicherungsbeiträge von Zivildienstleistenden ausgeübt werden, da der Zivildienst im Jahr 2011 ausgelaufen sei. Die letzte Schlussrechnung für Rentenversicherungsbeiträge von Zivildienstleistenden habe das Jahr 2011 betroffen und sei mit Schreiben vom 18.12.2013 zum 31.03.2012 erfolgt. Die Ausführungen der Beklagten zum Nichtvorliegen eines "offenbaren Versehens" im Hinblick auf die nicht veranlasste Terminüberweisung zum 31.03.2010 überzeugten nicht. Die Überweisung der Rentenversicherungsbeiträge sei rechtzeitig am 10.03.2010 veranlasst worden. Es sei lediglich das für die Terminüberweisung auszufüllende Datenfeld in der Zahlungsanordnung nicht ausgefüllt worden, da der mit der Sache befasste Mitarbeiter gerade neu eingearbeitet worden sei. Die Klägerin habe ihre Beiträge in der Vergangenheit immer pünktlich überwiesen. Die ebenfalls unter dem 10.03.2010 angewiesenen Rentenversicherungsbeiträge an 15 andere Sozialversicherungsträger seien pünktlich zum 31.03.2010 überwiesen worden.
Durch Urteil vom 13.11.2014 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 04.12.2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Antrag der Klägerin vom 03.01.2012 auf Erlass von Säumniszuschlägen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Die Entscheidung sei nicht ermessensfehlerfrei ergangen. Ein Ermessensfehler ergebe sich aus der fehlerhaften Erwägung der Beklagten, es komme bei der Entscheidung über den Erlass auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Verstoßes der Klägerin an. Es sei zwischen der Entscheidung über die Festsetzung von Säumniszuschlägen und der Entscheidung über ihren Erlass zu differenzieren. Für den Erlass komme es darauf an, ob die Durchsetzung der bereits festgestellten Säumniszuschläge im Zeitpunkt des Erlasses noch dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspräche. Demnach sei zu beurteilen gewesen, ob die bereits mit Bescheid vom 05.06.2012 festgestellten Säumniszuschläge am 04.12.2013 hätten erlassen werden können, da ihre Durchsetzung nicht mehr dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprochen habe. Im Dezember 2013 sei möglicherweise nicht mehr unbedingt erforderlich gewesen, die Säumniszuschläge vollständig durchzusetzen, da ein weiterer Verstoß der Klägerin mangels Fortbestehens des Zivildienstes seit Juli 2011 zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht gekommen sei. Auch seien die Säumniszuschläge unbillig, weil die um einen Tag verspätet erfolgte Überweisung auf einem offenbaren Versehen beruhe. Die Klägerin habe ihre Beiträge in der Vergangenheit immer pünktlich an die Beklagte abgeführt. Die Zahlung sei um einen Tag verspätet erfolgt, weil in dem der Anweisung zugrunde liegenden Formular die für eine Terminüberweisung erforderliche Angabe unausgefüllt geblieben sei. Das Formular sei rechtzeitig am 10.03.2010 ausgefüllt und auf den Weg gebracht worden. Dem zuständigen Mitarbeiter der Klägerin sei offenbar ein Versehen unterlaufen. Die Klägerin habe bei der drei Wochen im Voraus veranlassten Überweisung davon ausgehen dürfen, dass der angewiesene Betrag auch bei normalem Gang der Dinge rechtzeitig eingehen werde. Hinzu komme, dass die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 10.03.2010 angekündigt habe, sie habe die ausstehenden Beiträge für die Jahre 2005 bis 2009 angewiesen. Die Beklagte sei also darüber informiert gewesen, dass die Klägerin das Erforderliche veranlasst habe. Vor diesem Hintergrund erscheine es unbillig, wenn die Beklagte eineinhalb Jahre später im Juni 2012 Säumniszuschläge in Höhe von 34.690,50 Euro für einen Tag Verspätung erhebe und durchsetze.
Gegen das ihr am 27.11.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.12.2014 Berufung eingelegt. Unzutreffend sei, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass der Säumniszuschläge die vollständige Durchsetzung der Säumniszuschläge nicht mehr dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprochen habe. Eine letztmalige Jahresabrechnung sei mit Datum vom 18.12.2013 erstellt worden - also nach Erteilung des hier streitgegenständlichen Bescheides. Die noch nachzuzahlenden Beträge seien bis zum 31.01.2014 zu überweisen gewesen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlassantrag am 04.12.2013 sei somit noch eine Zahlung zu erwarten gewesen. Die Durchsetzung der Säumniszuschläge sei auch nicht unbillig. Es bleibe jedem Beitragsschuldner unbenommen, die geschuldeten Beiträge erst zum letztmöglichen Zeitpunkt zu überweisen. Führten in diesem Falle bereits kleine Bearbeitungsfehler zu einem verspäteten Zahlungseingang, habe dies der Beitragsschuldner zu vertreten. Könne jeder Fehler, der einem Mitarbeiter eines Beitragsschuldners unterlaufe, durch Erlass geheilt werden, wäre die Erhebung von Säumniszuschlägen abgesehen von den Fällen der absichtlichen Beitragshinterziehung letztlich ausgeschlossen. Ermessensentscheidungen wären dann generell nicht erforderlich. Auch der Umstand, dass die Beiträge nur einen Tag zu spät gezahlt worden seien, führe nicht zu einem ganzen oder teilweisen Erlass. Säumniszuschläge seien bereits vom ersten Tag nach Fälligkeit an zu erheben. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass in diesen Fällen keine oder geringere Säumniszuschläge erhoben würden, hätte er eine Übergangsfrist oder anteilige Berechnung in die Regelung aufnehmen können. Für eine Reduzierung des Säumniszuschlages im Rahmen eines Erlasses müssten daher auch hier besondere außergewöhnliche, schwerwiegende oder atypische Umstände hinzutreten. Den schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft sei Vorrang vor den Interessen der Klägerin einzuräumen. Im Ergebnis der beschriebenen Ermessensausübung liege keine sachliche Unbilligkeit vor, so dass ein Erlass der Säumniszuschläge weder ganz noch teilweise in Betracht komme.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.11.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, dass die Druckfunktion des Säumniszuschlages ermessensfehlerhaft in die Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit den Interessen des Bundesamtes einbezogen worden sei. Hätte die Beklagte an dieser Funktion des Säumniszuschlages ein besonderes Interesse gehabt, hätte sie gleich nach der verspäteten Beitragszahlung 2010 tätig werden können und nicht erst im Oktober 2011. Im Nachhinein sei dieses Interesse nicht mehr schutzwürdig, da das Druckmittel, sie zur rechtzeitigen Beitragszahlung anzuhalten, seit der Aussetzung des Zivildienstes ins Leere laufe. Der Fehler des Sachbearbeiters sei bei lebensnaher Betrachtung der typische Fall eines offenbaren Versehens. Der Klägerin könne auch nicht vorgeworfen werden, dass es die Auszahlungen auf den letztmöglichen Zahlungszeitpunkt terminiert habe. Nach dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei sie gehalten, Beträge in Millionenhöhe nicht vorzeitig zu verausgaben. In die Erwägungen seien die bisher pünktliche Beitragszahlung, der Wegfall der Funktion des Säumniszuschlags als Druckmittel und der Umstand, dass die Beiträge nur um einen Tag verspätet eingegangen seien, einzubeziehen. Eine Gesamtabwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit den Interessen des Bundesamtes ergebe, dass die Durchsetzung der Säumniszuschläge unbillig und damit ermessensfehlerhaft sei. Dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einem Ausgleich dafür, dass die Beiträge erst mit einem Tag Verspätung zur Verfügung gestanden hätten, könne u.U. durch eine Zahlung in Höhe von Verzugszinsen Rechnung getragen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Bescheid vom 04.12.2013 aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt.
Allerdings hat es zu Unrecht entschieden, dass die Erhebung und Durchsetzung der Säumniszuschläge unbillig sei. Damit hat das Sozialgericht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Beklagten gesetzt und eine Ermessensreduzierung auf Null liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor.
Nach § 76 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB IV darf ein Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese Vorschrift wurde in Anlehnung an § 227 Abgabenordnung (AO) geschaffen. Die vom Gesetzgeber angestrebte Gleichbehandlung des Erlasses von Forderungen im Steuer- und dem Beitragsrecht macht es erforderlich, die zu der Vorschrift des § 227 AO im Steuerrecht entwickelten Grundsätze zu beachten. Insoweit ist die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) vom 19. Oktober 1971 (BVerwGE 39, 355 = BFHE 105, 101 = NJW 1972, 1411, 1414 f) zum früheren § 131 AO entsprechend heranzuziehen. Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat entschieden, dass der Begriff der Unbilligkeit nicht losgelöst vom Ermessen der Behörde beurteilt werden könne (BVerwGE aaO). Die unlösbare Verzahnung zwinge zur Annahme einer einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung. Der Begriff "unbillig" ragt danach in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Die Entscheidung über den Erlass ist damit eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den weiten unbestimmten (Rechts-) Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden. Entsprechend ist auch im Rahmen des § 76 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB IV (nur) eine sich am Begriff der Unbilligkeit orientierende Ermessensentscheidung zu treffen und nicht zunächst der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit zu bestimmen und danach in einem zweiten Schritt das Ermessen auszuüben (BSG Urteil vom 04.03.1999 - B 11/10 AL 5/98 R m.w.N.)
Ob das Ermessen zutreffend ausgeübt wurde, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens verletzt ist. Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Ein Ermessensnichtgebrauch, bei dem überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, ist nicht festzustellen. Die Beklagte hat erkannt, dass ihr Ermessen zusteht und sie hat auch davon Gebrauch gemacht.
Als Ermessensfehler kommt vorliegend nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn sie nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat.
Das Sozialgericht hat zu Recht entscheiden, dass die Beklagte ermessensfehlerhaft gehandelt hat, soweit sie hinsichtlich des in die Ermessensausübung einzubeziehende Gesichtspunktes des Sinns und Zwecks auf den Zeitpunkt der Säumnis und nicht auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidung über den Erlass der Säumniszuschläge abgestellt hat.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Frage, ob Säumniszuschläge zu erlassen sind, weil sie ihren Sinn nicht mehr erfüllen, auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass abzustellen (BSG Urteil vom 18.05.2000 - B 11 AL 105/99 R, Rn 24 unter Bezugnahme auf BFH Urteil vom 08.03.1990 - IV R 34/89). Zu dem Zeitpunkt, zu dem über den Erlass von Säumniszuschlägen zu entscheiden ist, können sich die Verhältnisse insoweit geändert haben, dass die Durchsetzung der Forderung nicht mehr dem Sinn und Zweck der Erhebung von Säumniszuschlägen entspricht. In Anbetracht des Umstandes, dass der Zivildienst im Jahr 2011 ausgelaufen ist, besteht die Möglichkeit, dass im Dezember 2013 (Zeitpunkt, zu dem die Beklagte über den Erlass der Säumniszuschläge entschieden hat) das Ziel, auf den Beitragsschuldner dahingehend Druck auszuüben , in Zukunft die Beiträge pünktlich zu zahlen, nicht mehr erreicht werden kann.
Soweit das Sozialgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es vor dem Hintergrund eines offenbaren Versehens der Klägerin unbillig erscheine, wenn die Beklagte eineinhalb Jahre später im Juni 2012 Säumniszuschläge in Höhe von 34.690,50 Euro für einen Tag Verspätung erhebe und durchsetze, hat es in unzulässiger Weise sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung gesetzt. Es hat nicht hinreichend beachtet, dass zwischen dem Begriff "unbillig" und der Folge "können" eine unlösbare Verbindung besteht. Der Begriff "unbillig" ragt in den Ermessensbereich hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung (GmS-OGB a.a.O.) Ist die Durchsetzung der Säumniszuschläge unbillig, ist kein Raum für eine weitere Ermessensausübung. Die Säumniszuschläge wären zu erlassen. Anhaltspunkte, dass vorliegend nur der Erlass der Säumniszuschläge rechtmäßig gewesen wäre, liegen nicht vor.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Umstand, dass die Zahlung mit nur einem Tag Verspätung eingegangen ist, kein Ermessensgesichtspunkt ist, der im Rahmen der Prüfung, ob die Säumniszuschläge zu erlassen sind, einzubeziehen ist. Der Umstand, der zur "Verhängung" der Säumniszuschläge geführt hat, kann nicht dazu führen, dass deren Einforderung unbillig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG).
Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs 1, 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und ergibt sich aus der Höhe der von der Beklagten gegenüber der Klägerin geltend gemachten Säumniszuschläge.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Erlass von Säumniszuschlägen auf Rentenversicherungsbeiträge für Zivildienstleistende für die Jahre 2005 bis 2009.
Die Klägerin war nach der RV-Wehr- und Zivildienstpauschalbeitragsverordnung (RVWZPauschBeitrV) verpflichtet, Rentenversicherungsbeiträge für Zivildienstleistende zu berechnen und diese an den jeweils berechtigten Rentenversicherungsträger zu leisten.
Mit Schreiben vom 10.03.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sich auf Grund der Neuberechnung der Beiträge für die Jahre 2005 bis 2008 sowie der Berechnung der Beiträge für das Jahr 2009 ein Betrag in Höhe von 3.469.097,29 Euro ergebe. Die Bundeskasse Trier sei beauftragt worden, diesen Betrag bis zum 31.03.2010 zu überweisen. Die Wertstellung auf dem Konto der Beklagten erfolgte am 01.04.2010.
Mit Schreiben vom 19.10.2011 hörte die Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten Erhebung von Säumniszuschlägen in Höhe von 34.690,50 Euro an. Der am 31.03.2010 fällige Betrag sei erst am 01.04.2010 und damit verspätet gezahlt worden.
Die Klägerin hielt die Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) für unzulässig und beantragte vorsorglich den Erlass der in Aussicht gestellten Säumniszuschläge. Ein Erlass sei in analoger Anwendung von Ziff 7 der "Gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV im Rahmen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ab 01.01.1995" (Gemeinsame Verlautbarung) möglich. Die Klägerin habe die Rentenversicherungsbeiträge bisher immer pünktlich gezahlt. Die Überweisung selbst sei rechtzeitig am 10.03.2010 mit dem Zahlungsziel 31.03.2010 veranlasst worden. Nur aufgrund einer nicht ausdrücklich aktivierten Terminüberweisung im Zentralkassensystem habe sich der Überweisungszeitlauf unvorhersehbar um einen Kalendertag verlängert. Dabei handele es sich um ein offenbares Versehen, da die zum gleichen Zeitpunkt veranlassten Zahlungen an die übrigen Rentenversicherungsträger rechtzeitig ausgeführt worden seien.
Mit Bescheid vom 05.06.2012 erhob die Beklagte Säumniszuschläge in Höhe von 34.690,50 Euro. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei zwingend und liege nicht im Ermessen des Rentenversicherungsträgers. Die Forderung der Säumniszuschläge sei auch nicht unbillig. Ein offenbares Versehen könne nur angenommen werden, wenn die Klägerin die Terminüberweisung aus Unkenntnis nicht aktiviert und die Zahlung dadurch verspätet vorgenommen worden wäre. Dies sei jedoch gerade nicht der Fall, da Zahlungen an die anderen Rentenversicherungsträger nach den Angaben der Klägerin pünktlich erfolgt seien. Allein die ansonsten pünktliche Zahlung der Vorschüsse und Unterschiedsbeträge in der Vergangenheit könne einen Erlass der Säumniszuschläge nicht rechtfertigen.
In dem nachfolgenden Klageverfahren (Az.: S 30 R 1001/12 SG Köln) verurteilte das Sozialgericht die Beklagte zur Neubescheidung des Antrages auf Erlass der Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Zwar habe die Beklagte die Säumniszuschläge zu Recht erhoben, jedoch habe sie im Hinblick auf deren Erlass das ihr obliegende Ermessen nicht ausgeübt.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 04.12.2013 lehnte die Beklagte wiederum den Erlass der Säumniszuschläge ab, da deren Einziehung nicht unbillig sei. Nach der "Gemeinsamen Verlautbarung" sei ein Erlass wegen Unbilligkeit möglich, wenn z.B. einem bisher pünktlichen Beitragszahler ein offenbares Versehen unterlaufen sei. Ein offenbares Versehen sei ein einfacher Bearbeitungsfehler, der durch das Hinzutreten außergewöhnlicher, schwerwiegender oder atypischer Umstände gekennzeichnet sei. Eine schlichte Fehlbearbeitung wie vorliegend reiche zur Begründung eines offenbaren Versehens nicht aus. Allein die ansonsten pünktliche Zahlung der Vorschlüsse und Unterschiedsbeträge sei kein Grund für einen Erlass. Auch die Tatsache, dass die Beiträge lediglich einen Tag zu spät gezahlt worden seien, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Gesetz sehe die Erhebung von Säumniszuschlägen bereits vom ersten Tag nach Fälligkeit an vor. Die Vorschrift diene darüber hinaus dazu, Druck auf den Beitragsschuldner auszuüben, damit dieser die Beiträge (zukünftig) rechtzeitig zahle. Der Umstand, dass aktuell keine laufenden Beitragszahlungen für Zivildienstleistende mehr zu leisten seien, sei unerheblich. Maßgebend für die Beurteilung sei die zum Zeitpunkt der verspäteten Beitragszahlung im April 2010 geltende Rechtslage. Zum damaligen Zeitpunkt seien weitere vierteljährliche Abschlagszahlungen und im Folgejahr 2012 eine sog. Spitzabrechnung zu erwarten gewesen. Nach Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft an einem finanziellen Ausgleich für die verspätete Beitragszahlung und an einem Druckmittel für künftige pünktliche Beitragszahlung mit den Interessen der Klägerin sei den schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft Vorrang vor den Interessen der Klägerin einzuräumen. Eine Gefährdung des wirtschaftlichen Fortbestehens oder des notwendigen Lebensunterhalts des Beitragsschuldners sei nicht erkennbar.
Die Klägerin hat am 02.01.2014 Klage erhoben und geltend gemacht, die Beklagte habe das ihr obliegende Ermessen pflichtwidrig ausgeübt. Mit der Durchsetzung der festgesetzten Säumniszuschläge könne kein Druck mehr auf sie als Beitragsschuldnerin für Rentenversicherungsbeiträge von Zivildienstleistenden ausgeübt werden, da der Zivildienst im Jahr 2011 ausgelaufen sei. Die letzte Schlussrechnung für Rentenversicherungsbeiträge von Zivildienstleistenden habe das Jahr 2011 betroffen und sei mit Schreiben vom 18.12.2013 zum 31.03.2012 erfolgt. Die Ausführungen der Beklagten zum Nichtvorliegen eines "offenbaren Versehens" im Hinblick auf die nicht veranlasste Terminüberweisung zum 31.03.2010 überzeugten nicht. Die Überweisung der Rentenversicherungsbeiträge sei rechtzeitig am 10.03.2010 veranlasst worden. Es sei lediglich das für die Terminüberweisung auszufüllende Datenfeld in der Zahlungsanordnung nicht ausgefüllt worden, da der mit der Sache befasste Mitarbeiter gerade neu eingearbeitet worden sei. Die Klägerin habe ihre Beiträge in der Vergangenheit immer pünktlich überwiesen. Die ebenfalls unter dem 10.03.2010 angewiesenen Rentenversicherungsbeiträge an 15 andere Sozialversicherungsträger seien pünktlich zum 31.03.2010 überwiesen worden.
Durch Urteil vom 13.11.2014 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 04.12.2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Antrag der Klägerin vom 03.01.2012 auf Erlass von Säumniszuschlägen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Die Entscheidung sei nicht ermessensfehlerfrei ergangen. Ein Ermessensfehler ergebe sich aus der fehlerhaften Erwägung der Beklagten, es komme bei der Entscheidung über den Erlass auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Verstoßes der Klägerin an. Es sei zwischen der Entscheidung über die Festsetzung von Säumniszuschlägen und der Entscheidung über ihren Erlass zu differenzieren. Für den Erlass komme es darauf an, ob die Durchsetzung der bereits festgestellten Säumniszuschläge im Zeitpunkt des Erlasses noch dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspräche. Demnach sei zu beurteilen gewesen, ob die bereits mit Bescheid vom 05.06.2012 festgestellten Säumniszuschläge am 04.12.2013 hätten erlassen werden können, da ihre Durchsetzung nicht mehr dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprochen habe. Im Dezember 2013 sei möglicherweise nicht mehr unbedingt erforderlich gewesen, die Säumniszuschläge vollständig durchzusetzen, da ein weiterer Verstoß der Klägerin mangels Fortbestehens des Zivildienstes seit Juli 2011 zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht gekommen sei. Auch seien die Säumniszuschläge unbillig, weil die um einen Tag verspätet erfolgte Überweisung auf einem offenbaren Versehen beruhe. Die Klägerin habe ihre Beiträge in der Vergangenheit immer pünktlich an die Beklagte abgeführt. Die Zahlung sei um einen Tag verspätet erfolgt, weil in dem der Anweisung zugrunde liegenden Formular die für eine Terminüberweisung erforderliche Angabe unausgefüllt geblieben sei. Das Formular sei rechtzeitig am 10.03.2010 ausgefüllt und auf den Weg gebracht worden. Dem zuständigen Mitarbeiter der Klägerin sei offenbar ein Versehen unterlaufen. Die Klägerin habe bei der drei Wochen im Voraus veranlassten Überweisung davon ausgehen dürfen, dass der angewiesene Betrag auch bei normalem Gang der Dinge rechtzeitig eingehen werde. Hinzu komme, dass die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 10.03.2010 angekündigt habe, sie habe die ausstehenden Beiträge für die Jahre 2005 bis 2009 angewiesen. Die Beklagte sei also darüber informiert gewesen, dass die Klägerin das Erforderliche veranlasst habe. Vor diesem Hintergrund erscheine es unbillig, wenn die Beklagte eineinhalb Jahre später im Juni 2012 Säumniszuschläge in Höhe von 34.690,50 Euro für einen Tag Verspätung erhebe und durchsetze.
Gegen das ihr am 27.11.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.12.2014 Berufung eingelegt. Unzutreffend sei, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass der Säumniszuschläge die vollständige Durchsetzung der Säumniszuschläge nicht mehr dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprochen habe. Eine letztmalige Jahresabrechnung sei mit Datum vom 18.12.2013 erstellt worden - also nach Erteilung des hier streitgegenständlichen Bescheides. Die noch nachzuzahlenden Beträge seien bis zum 31.01.2014 zu überweisen gewesen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlassantrag am 04.12.2013 sei somit noch eine Zahlung zu erwarten gewesen. Die Durchsetzung der Säumniszuschläge sei auch nicht unbillig. Es bleibe jedem Beitragsschuldner unbenommen, die geschuldeten Beiträge erst zum letztmöglichen Zeitpunkt zu überweisen. Führten in diesem Falle bereits kleine Bearbeitungsfehler zu einem verspäteten Zahlungseingang, habe dies der Beitragsschuldner zu vertreten. Könne jeder Fehler, der einem Mitarbeiter eines Beitragsschuldners unterlaufe, durch Erlass geheilt werden, wäre die Erhebung von Säumniszuschlägen abgesehen von den Fällen der absichtlichen Beitragshinterziehung letztlich ausgeschlossen. Ermessensentscheidungen wären dann generell nicht erforderlich. Auch der Umstand, dass die Beiträge nur einen Tag zu spät gezahlt worden seien, führe nicht zu einem ganzen oder teilweisen Erlass. Säumniszuschläge seien bereits vom ersten Tag nach Fälligkeit an zu erheben. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass in diesen Fällen keine oder geringere Säumniszuschläge erhoben würden, hätte er eine Übergangsfrist oder anteilige Berechnung in die Regelung aufnehmen können. Für eine Reduzierung des Säumniszuschlages im Rahmen eines Erlasses müssten daher auch hier besondere außergewöhnliche, schwerwiegende oder atypische Umstände hinzutreten. Den schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft sei Vorrang vor den Interessen der Klägerin einzuräumen. Im Ergebnis der beschriebenen Ermessensausübung liege keine sachliche Unbilligkeit vor, so dass ein Erlass der Säumniszuschläge weder ganz noch teilweise in Betracht komme.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13.11.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, dass die Druckfunktion des Säumniszuschlages ermessensfehlerhaft in die Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit den Interessen des Bundesamtes einbezogen worden sei. Hätte die Beklagte an dieser Funktion des Säumniszuschlages ein besonderes Interesse gehabt, hätte sie gleich nach der verspäteten Beitragszahlung 2010 tätig werden können und nicht erst im Oktober 2011. Im Nachhinein sei dieses Interesse nicht mehr schutzwürdig, da das Druckmittel, sie zur rechtzeitigen Beitragszahlung anzuhalten, seit der Aussetzung des Zivildienstes ins Leere laufe. Der Fehler des Sachbearbeiters sei bei lebensnaher Betrachtung der typische Fall eines offenbaren Versehens. Der Klägerin könne auch nicht vorgeworfen werden, dass es die Auszahlungen auf den letztmöglichen Zahlungszeitpunkt terminiert habe. Nach dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei sie gehalten, Beträge in Millionenhöhe nicht vorzeitig zu verausgaben. In die Erwägungen seien die bisher pünktliche Beitragszahlung, der Wegfall der Funktion des Säumniszuschlags als Druckmittel und der Umstand, dass die Beiträge nur um einen Tag verspätet eingegangen seien, einzubeziehen. Eine Gesamtabwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit den Interessen des Bundesamtes ergebe, dass die Durchsetzung der Säumniszuschläge unbillig und damit ermessensfehlerhaft sei. Dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einem Ausgleich dafür, dass die Beiträge erst mit einem Tag Verspätung zur Verfügung gestanden hätten, könne u.U. durch eine Zahlung in Höhe von Verzugszinsen Rechnung getragen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Bescheid vom 04.12.2013 aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt.
Allerdings hat es zu Unrecht entschieden, dass die Erhebung und Durchsetzung der Säumniszuschläge unbillig sei. Damit hat das Sozialgericht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Beklagten gesetzt und eine Ermessensreduzierung auf Null liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor.
Nach § 76 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB IV darf ein Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese Vorschrift wurde in Anlehnung an § 227 Abgabenordnung (AO) geschaffen. Die vom Gesetzgeber angestrebte Gleichbehandlung des Erlasses von Forderungen im Steuer- und dem Beitragsrecht macht es erforderlich, die zu der Vorschrift des § 227 AO im Steuerrecht entwickelten Grundsätze zu beachten. Insoweit ist die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) vom 19. Oktober 1971 (BVerwGE 39, 355 = BFHE 105, 101 = NJW 1972, 1411, 1414 f) zum früheren § 131 AO entsprechend heranzuziehen. Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat entschieden, dass der Begriff der Unbilligkeit nicht losgelöst vom Ermessen der Behörde beurteilt werden könne (BVerwGE aaO). Die unlösbare Verzahnung zwinge zur Annahme einer einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung. Der Begriff "unbillig" ragt danach in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Die Entscheidung über den Erlass ist damit eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den weiten unbestimmten (Rechts-) Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden. Entsprechend ist auch im Rahmen des § 76 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB IV (nur) eine sich am Begriff der Unbilligkeit orientierende Ermessensentscheidung zu treffen und nicht zunächst der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit zu bestimmen und danach in einem zweiten Schritt das Ermessen auszuüben (BSG Urteil vom 04.03.1999 - B 11/10 AL 5/98 R m.w.N.)
Ob das Ermessen zutreffend ausgeübt wurde, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens verletzt ist. Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Ein Ermessensnichtgebrauch, bei dem überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, ist nicht festzustellen. Die Beklagte hat erkannt, dass ihr Ermessen zusteht und sie hat auch davon Gebrauch gemacht.
Als Ermessensfehler kommt vorliegend nur eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung in Betracht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn sie nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat.
Das Sozialgericht hat zu Recht entscheiden, dass die Beklagte ermessensfehlerhaft gehandelt hat, soweit sie hinsichtlich des in die Ermessensausübung einzubeziehende Gesichtspunktes des Sinns und Zwecks auf den Zeitpunkt der Säumnis und nicht auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidung über den Erlass der Säumniszuschläge abgestellt hat.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist für die Frage, ob Säumniszuschläge zu erlassen sind, weil sie ihren Sinn nicht mehr erfüllen, auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass abzustellen (BSG Urteil vom 18.05.2000 - B 11 AL 105/99 R, Rn 24 unter Bezugnahme auf BFH Urteil vom 08.03.1990 - IV R 34/89). Zu dem Zeitpunkt, zu dem über den Erlass von Säumniszuschlägen zu entscheiden ist, können sich die Verhältnisse insoweit geändert haben, dass die Durchsetzung der Forderung nicht mehr dem Sinn und Zweck der Erhebung von Säumniszuschlägen entspricht. In Anbetracht des Umstandes, dass der Zivildienst im Jahr 2011 ausgelaufen ist, besteht die Möglichkeit, dass im Dezember 2013 (Zeitpunkt, zu dem die Beklagte über den Erlass der Säumniszuschläge entschieden hat) das Ziel, auf den Beitragsschuldner dahingehend Druck auszuüben , in Zukunft die Beiträge pünktlich zu zahlen, nicht mehr erreicht werden kann.
Soweit das Sozialgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es vor dem Hintergrund eines offenbaren Versehens der Klägerin unbillig erscheine, wenn die Beklagte eineinhalb Jahre später im Juni 2012 Säumniszuschläge in Höhe von 34.690,50 Euro für einen Tag Verspätung erhebe und durchsetze, hat es in unzulässiger Weise sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung gesetzt. Es hat nicht hinreichend beachtet, dass zwischen dem Begriff "unbillig" und der Folge "können" eine unlösbare Verbindung besteht. Der Begriff "unbillig" ragt in den Ermessensbereich hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung (GmS-OGB a.a.O.) Ist die Durchsetzung der Säumniszuschläge unbillig, ist kein Raum für eine weitere Ermessensausübung. Die Säumniszuschläge wären zu erlassen. Anhaltspunkte, dass vorliegend nur der Erlass der Säumniszuschläge rechtmäßig gewesen wäre, liegen nicht vor.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Umstand, dass die Zahlung mit nur einem Tag Verspätung eingegangen ist, kein Ermessensgesichtspunkt ist, der im Rahmen der Prüfung, ob die Säumniszuschläge zu erlassen sind, einzubeziehen ist. Der Umstand, der zur "Verhängung" der Säumniszuschläge geführt hat, kann nicht dazu führen, dass deren Einforderung unbillig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG).
Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs 1, 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und ergibt sich aus der Höhe der von der Beklagten gegenüber der Klägerin geltend gemachten Säumniszuschläge.
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