L 1 KR 588/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 300/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 588/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer schweren depressiven Episode kann eine tatsächliche Handlungsunfähigkeit vorliegen, aufgrund derer ausnahmsweise die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit rückwirkend nachgeholt werden kann.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juli 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017 hat.

Die 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Ihr wurde ab dem 14. April 2016 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Zum 30. April 2016 wurde nach 25 Jahren ihr Arbeitsverhältnis nach einem langwierigen Konflikt mit dem Vorgesetzten beendet. Die Klägerin ist kinderlos und lebt getrennt von ihrem Ehemann. Die Beklagte gewährte der Klägerin Krankengeld in Höhe von 63 EUR netto täglich.

Am 29. August 2016 stellte sie sich erstmals in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Agaplesion Elisabethenstift Darmstadt vor. In der Zeit vom 31. Oktober 2016 bis 14. November 2016 sowie in der Zeit vom 22. November 2016 bis 19. Dezember 2016 befand sie sich dort in teilstationärer Behandlung (Diagnosen: schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome – F32.2 -, bekanntes Hypophysenadenom). Ihre bereits im Jahr 2003 verstorbene Mutter habe an Depressionen gelitten. Auch ihre Geschwister würden an Depressionen leiden. Ihr Cousin habe sich im Jahr 2015 erhängt. Der Klägerin sei es während der teilstationären Behandlung aufgrund der somatoformen Symptomatik schwer gefallen, die Tagesklinik aufzusuchen (Somatische Anamnese: u.a. Zustand nach Schilddrüsen-Radiojod-Therapie 2002, bekanntes Hypophysenadenom, Zustand nach Cervix-Carcinom 2009). Sie habe immer wieder unter Angabe von diversen körperlichen Beschwerden gefehlt, eine stark reduzierte Belastbarkeit und Ausdauer gezeigt und sei schon nach geringen Anstrengungen schnell erschöpft und frustriert gewesen. Aufgrund der dringenden psychiatrischen Behandlungsnotwendigkeit sei ihr eine Verlegung in die offene allgemeinpsychiatrische Station der Klinik empfohlen worden. Sie sei auf die Warteliste gesetzt und mit dieser Option am 19. Dezember 2016 aufgrund der Erkältungssymptomatik aus der tagesklinischen Behandlung entlassen worden (Befundbericht vom 16. Januar 2017, Bl. 58 der Gerichtsakte). Noch am gleichen Tag bescheinigte Dr. D. der Klägerin Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 26. Dezember 2016 (Diagnose: J20.9G – akute Bronchitis).

Am 29. Dezember 2016 (einem Donnerstag) suchte die Klägerin die Zentrale Notaufnahme des Agaplesion Elisabethenstifts auf. Da die Klägerin "schwer grippal erkrankt mit Krankheitsgefühl und Ansteckungsgefahr" gewesen sei, wurde sie nicht stationär aufgenommen. Ein neuer Termin zur Aufnahme wurde besprochen (Befundbericht vom 29. Dezember 2016).

Die Gemeinschaftspraxis Dres. E. und F. E. (Vertretungspraxis) stellte am 29. Dezember 2016 Arbeitsunfähigkeit seit 27. Dezember 2016 bis 3. Januar 2017 fest (Diagnosen: J20.9G - akute Bronchitis - und F32.9G - depressive Episode). Diese Bescheinigung reichte die Klägerin bei der Beklagten ein und teilte mit, dass sie wegen schwerer Erkältung, Durchfall und Erbrechen am 27. Dezember 2016 und 28. Dezember 2016 nicht habe zum Arzt gehen können. Auch die Klinik habe sie am 29. Dezember 2016 wegen der Erkältung wieder weggeschickt.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nur bis zum 26. Dezember 2016 Anspruch auf Krankengeld habe.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und verwies erneut darauf, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht vor dem 29. Dezember 2016 habe zum Arzt gehen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es liege kein Ausnahmefall vor, bei welchem eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht für einen Krankengeldanspruch notwendig sei. Die Arbeitsunfähigkeit hätte im Rahmen eines ärztlichen Hausbesuches festgestellt werden können.

Am 29. Juni 2017 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass sie an Depression, schwerer Erkältung, Durchfall und Erbrechen gelitten habe und vor dem 29. Dezember 2016 nicht habe zum Arzt gehen können.

Nach mündlicher Verhandlung am 10. Juli 2018 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 12. Juli 2018 die Klage abgewiesen. Gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn – abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung – Krankheit sie arbeitsunfähig mache. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen könnten, bestimme sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für Krankengeld vorliege. An die Stelle des Versicherungsverhältnisses trete bei einem nachgehenden Anspruch die hieraus erwachsene Berechtigung. Der Anspruch entstehe gemäß § 46 Satz 1 SGB V bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge– oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Der Anspruch auf Krankengeld bleibe gemäß Satz 2 jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt werde, wenn diese Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolge. Die Anspruchsvoraussetzungen müssten bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeits-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen. Der Hausarzt der Klägerin habe am 19. Dezember 2016 bis zum 26. Dezember 2016 Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Die nächste Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei erst am 29. Dezember 2016 und damit nicht an dem den 26. Dezember 2016 folgenden Werktag erfolgt. Zwar habe Dr. E. eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 27. Dezember 2016 bescheinigt. Die Feststellung dieser Arbeitsunfähigkeit sei aber erst am 29. Dezember 2016 getroffen worden. Eine anderweitige ärztliche Feststellung, welche die Lücke schließen könne, sei nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Auch im Krankenhaus sei die Klägerin erst am 29. Dezember 2016 vorstellig geworden. Eine Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit, welche von dem Erfordernis einer ärztlichen Feststellung am 27. Dezember 2016 absehen lassen könnte, liege bei einem akuten Infekt und einer nicht näher bezeichneten depressiven Episode nicht vor. Das Gericht könne sich auch nicht vom Vorliegen einer psychischen Erkrankung überzeugen, die einen Zustand der Passivität ausgelöst habe, welcher es der Klägerin unmöglich gemacht habe, zum Arzt zu gehen oder eine Praxis anzurufen. Auch Dr. E. habe bei der Klägerin am 29. Dezember 2016 lediglich eine akute Bronchitis und eine nicht näher bezeichnete depressive Episode festgestellt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst nur vorgetragen habe, an schwerer Erkältung, Erbrechen und Durchfall gelitten zu haben. Erst im Klageverfahren sei die Schwere der psychischen Erkrankung vorgetragen worden. Der Befund des Elisabethenstifts vom 29. Dezember 2016 lasse keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür erkennen, dass es der Klägerin unmöglich gewesen sei, am 27. Dezember 2016 einen Arzt aufzusuchen. An diesem Tag in die Zeit zwischen den Weihnachts- und Neujahrstagen dürfte es zwar schwierig gewesen sein, einen Arzt zu finden, der seine Praxis geöffnet habe. Der von der Klägerin aufgesuchte Vertretungsarzt sei nur ca. 1,1 km von dem Wohnhaus der Klägerin entfernt. Ihn hätte sie auch bereits am 27. Dezember 2016 aufsuchen können. Damit habe die Mitgliedschaft der Klägerin als versicherungspflichtig Beschäftigte mit Krankengeldanspruch am 26. Dezember 2016 geendet. Bei einer freiwilligen Versicherung bestehe kein Krankengeldanspruch. Es bestehe auch kein nachgehender Leistungsanspruch. Ende die Mitgliedschaft eines Versicherungspflichtigen, bestehe gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Der aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz sei gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis (hier der freiwilligen Versicherung) grundsätzlich aber nachrangig.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 18. Juli 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 17. August 2018 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, dass sie sich in der Zeit vor dem 29. Dezember 2016 in einem seelischen und gesundheitlichen Ausnahmezustand befunden habe. Die Weihnachtsfeiertage seien bei der bereits bestehenden Depression für sie zu einer zusätzlichen psychosozialen Belastungssituation geworden, die sie handlungsunfähig gemacht habe. Wegen Erkältung, Durchfall und Erbrechen sei sie wegeunfähig gewesen. Erschwerend sei hinzugekommen, dass ihr vertrauter Hausarzt sich in dieser Zeit im Urlaub befunden habe und sie sich einem fremden Arzt habe anvertrauen müssen.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juli 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie darauf verwiesen, dass die Möglichkeit eines ärztlichen Hausbesuches ggf. durch den ärztlichen Notdienst bestanden hätte. Ferner habe im weiteren Verlauf nach dem 29. Dezember 2016 kein stationärer Aufenthalt stattgefunden.

Dr. E. hat unter dem 4. Februar 2019 mitgeteilt, dass die Klägerin am 29. Dezember 2106 die (Vertretungs-)Praxis aufgesucht habe. Sie habe von Schnupfen, laufender Nase, reichlich produktivem Husten, keinem Fieber aber Frösteln, Gliederschmerzen berichtet. Er, Dr. E., habe Bronchitis und anamnestisch Depression diagnostiziert. Es erscheine plausibel, dass die Klägerin vorher die Praxis nicht habe aufsuchen können.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Beklagten für die Zeit vom 27. Dezember 2016 bis 13. März 2017, weil sie in dieser Zeit arbeitsunfähig war und dies ärztlich festgestellt worden ist. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juli 2018 sowie der Bescheid waren daher aufzuheben und die Beklagte zur Krankengeldzahlung zu verurteilen.

Hinsichtlich der Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Wie vom Sozialgericht ausgeführt, kann ausnahmsweise die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für den weiteren Bewilligungsabschnitt - rückwirkend auf den letzten Tag des abgelaufenen Krankengeld-Bezugs - nachgeholt werden, wenn der Versicherte aufgrund von Geschäfts- oder Handlungsfähigkeit an einer Wiedervorstellung beim Arzt gehindert gewesen ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R, juris Rn. 24 mwN).

Für eine fehlende Geschäftsunfähigkeit liegen im Fall der Klägerin keine Anhaltspunkte vor. Auch eine Handlungsunfähigkeit im rechtlichen Sinne hat nicht vorgelegen. Eine solche wird z.B. angenommen bei Bergunfällen mit Rettung erst nach einigen Tagen oder Ohnmachtsunfällen Alleinstehender mit Auffinden erst Tage später (vgl. Schifferdecker in: KassKomm, § 46 SGB V, Rn. 41). Darüber hinaus kann eine tatsächliche Handlungsunfähigkeit vorliegen, wenn der Versicherte sich in einem gesundheitlichen Ausnahmezustand befindet, der ihn derart lähmt, dass er gerade noch in der Lage ist, sich um die körperlichen Grundbedürfnisse zu kümmern, nicht hingegen einen Arzt aufzusuchen oder anzurufen (SG Aachen, Urteil vom 14. März 2017, S 13 KR 312/16, juris Rn. 26). Dies kann insbesondere beim Vorliegen einer schweren Depression der Fall sein (vgl. Sonnhoff in: jurisPK § 46 SGB V, Rn 42). Bereits bei einer mittelgradigen depressiven Episode hat der Betroffene "meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen". Dies betrifft Betroffene mit einer schweren depressiven Episode in verstärktem Maße. Liegt hingegen lediglich eine leichte depressive Episode (F32.9) vor, sind die Betroffenen "oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen" (s. http://www.icd-code.de/icd/code/F32.2.html), weshalb regelmäßig keine tatsächliche Handlungsunfähigkeit vorliegen wird (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. November 2016, L 5 KR 100/16, juris Rn. 16).

Bei der Klägerin lag hingegen eine schwere depressive Episode (F32.2) vor. Aufgrund dieser schweren psychiatrischen Erkrankung ist sie vom 31. Oktober 2016 bis 14. November 2016 und vom 22. November 2016 bis 19. Dezember 2016 in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Agaplesion Elisabethenstift teilstationär behandelt worden. Diese Klinik hat mit Befundbericht vom 16. Januar 2017 eine dringende psychiatrische Behandlungsnotwendigkeit festgestellt und eine Verlegung in die offene allgemeinpsychiatrische Station empfohlen. Die Entlassung aus der teilstationären Behandlung am 19. Dezember 2016 erfolgte aufgrund der bei der Klägerin vorliegenden Erkältungssymptomatik. Es wurde ferner festgestellt, dass sich bei der Klägerin eine stark reduzierte Belastbarkeit und Ausdauer gezeigt habe. Schon nach geringen Anstrengungen sei sie schnell erschöpft und frustriert gewesen. Es sei ihr schwer gefallen, die Tagesklinik aufzusuchen, weshalb ihr von Seiten der Klinik eine vollstationäre Weiterbehandlung empfohlen wurde. Der entsprechende Befundbericht der Klinik vom 16. Januar 2017 lag weder der Beklagten im Verwaltungsverfahren noch dem Gericht im erstinstanzlichen Verfahren vor und konnte deshalb weder von der Beklagten noch vom Sozialgericht berücksichtigt werden. Diese haben sich vielmehr auf eine nicht näher bezeichnete depressive Episode (F32.9) bezogen.

Zu der schweren psychiatrischen Erkrankung kam hinzu, dass die Klägerin schwer grippal erkrankt war (Befundbericht der Zentralen Notaufnahme des Elisabethenstifts am 29. Dezember 2016) und an Durchfall und Erbrechen litt.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zudem überzeugend dargelegt, dass sie an den Weihnachtsfeiertagen und den Tagen danach schwer depressiv gewesen sei. Hinzu seien der grippale Infekt mit Durchfall und Erbrechen gekommen. Sie habe die Zeit im Bett oder auf der Couch verbracht und allenfalls auf die Toilette gehen können. Ihr Körper habe nicht mehr gewollt. Sie sei in der Zeit wie ausgeblendet gewesen. Sie sei froh gewesen, dass sie diese Zeit überlebt habe.

Zur Überzeugung des Senats war die alleinlebende Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung insoweit handlungsunfähig, als sie nicht in der Lage war, am 27. und 28. Dezember 2016 einen Arzt aufzusuchen bzw. sich anderweitig um eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu kümmern. Aufgrund der schweren depressiven Symptomatik war sie in ihrem Handlungsantrieb stark reduziert. Sie konnte sich gerade noch um ihre notwendigsten körperlichen Bedürfnisse kümmern. Hinzu kamen die körperlichen Beschwerden aufgrund des grippalen Infekts mit Durchfall und Erbrechen, die sie stark beeinträchtigten und am Verlassen der Wohnung hinderten. In diesem Zustand war es ihr nicht möglich, einen - noch dazu ihr fremden - Vertretungsarzt aufzusuchen. Auch war sie nicht in der Lage, diesen zu einem Hausbesuch zu veranlassen bzw. einen ärztlichen Notdienst oder eine Notfallambulanz zu bemühen. Denn hierzu hätte sie die Dringlichkeit ihres Anliegens deutlich machen müssen, wozu sie aufgrund der Antriebsminderung jedoch nicht fähig war. Insoweit ist zu bedenken, dass ein Vertretungsarzt – zumal an den Tagen "zwischen den Jahren" – ohnehin nur wenige Kapazitäten für Hausbesuche haben wird und dies medizinisch dringenden Behandlungsfällen vorbehalten wird. Die Inanspruchnahme eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notfallambulanz hingegen wird regelmäßig die (isolierte) Feststellung der Arbeitsunfähigkeit mangels eines medizinischen Notfalls nicht rechtfertigen (s. Sonnhoff in: jurisPK § 46 SGB V, Rn 43). Unter diesen Umständen fällt es bereits Versicherten ohne psychiatrische Erkrankung schwer, sich um eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen eines Hausbesuchs bzw. durch den ärztlichen Notdienst zu kümmern. Bei einer schweren psychiatrischen Erkrankung wie der bei der Klägerin im streitigen Zeitraum vorliegenden schweren Depression (F32.2) wird es regelmäßig nicht möglich sein, eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen ärztlichen Hausbesuch, einen ärztlichen Notdienst oder eine Notfallambulanz zu erlangen.

Aufgrund der Angaben der allein lebenden Klägerin und der ärztlichen Feststellung (Befundberichte des Elisabethenstifts vom 29. Dezember 2016 und 16. Januar 2017) ist vorliegend davon auszugehen, dass der Klägerin am 27. und 28. Dezember 2016 der hierfür erforderliche Antrieb fehlte. Sie war insoweit handlungsunfähig im tatsächlichen Sinne.

Im Fall der Klägerin lag daher ein Ausnahmefall vor, der es rechtfertigt, dass die am 27. und 28. Dezember 2016 unterbliebene ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise rückwirkend nachgeholt werden konnte. Indem sich die Klägerin am 29. Dezember 2016 in der Notfallklinik sowie bei dem Vertretungsarzt vorgestellt hat, hat sie das ihr Zumutbare getan, um den Krankengeldanspruch über den 26. Dezember 2016 hinaus sicherzustellen. Die Klägerin war darüber hinaus durchgehend bis zum 13. März 2017 arbeitsunfähig und hat dies entsprechend nachgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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