Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 42 SB 2286/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 SB 149/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.02.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die Beklagte stellte bei der am 00.00.1966 geborenen Klägerin aufgrund eines Hirnanfallsleidens und eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms sowie eines Schulter-Arm-Syndroms mit Bescheid vom 25.02.2011 einen GdB von 30 fest.
Am 06.03.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung eines höheren GdB. Die Beklagte holte zunächst aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und veranlasste eine versorgungsärztliche Stellungnahme. In dieser ging der beratende Arzt der Beklagten von Funktionsbeeinträchtigungen durch ein Hirnanfallsleiden (GdB 30) und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom und Schulter-Arm-Syndrom (GdB 20) aus. In der Gesamtschau empfahl er die Feststellung eines GdB von weiterhin 30.
Mit Bescheid vom 15.04.2014 lehnte die Beklagte die Feststellung eines höheren GdB ab. Dem widersprach die Klägerin und trug vor, ihre gesundheitlichen Leiden seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Durch die regelmäßig auftretenden Krampfanfälle sei sie nicht mehr in eine Arbeitsstelle vermittelbar und in allen Bereichen des Lebens stark beeinträchtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin nach Einholung einer erneuten ärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2014, der Klägerin zugestellt am 13.11.2014, als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 12.12.2014 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund des Anfallsleidens sei ein höherer GdB gerechtfertigt. Überdies sei bei ihr noch ein Aneurysma im Gehirn festgestellt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2014 zu verpflichten, bei der Klägerin ab Änderungsantragstellung einen Grad der Behinderung von mehr als 30 festzustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin seien zutreffend festgestellt worden. Es sei nicht objektiviert nachgewiesen, dass das Hirnanfallsleiden der Klägerin tatsächlich in dem Ausmaß vorliege, wie die Klägerin es darstelle.
Zur Stützung ihres Vortrags hat die Klägerin unter dem 26.03.2015 sowie dem 06.01.2017 einen "Anfallskalender" und ärztliche Berichte vorgelegt, u.a. des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. H vom 08.08.2014, 03.02.2015 und 17.02.2017. Dieser hat über Behandlungen der Klägerin u.a. in 07/15, 11/15 und 03/16 berichtet, in der die Klägerin ihm Anfälle geschildert habe sowie über eine Medikamentenumstellung und eine im März 2016 avisierte Vorstellung in der Epileptologie der Uniklinik C. Das SG hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, u.a. des Dr. H vom 02.06.2015. Sodann hat das SG von Amts wegen weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. H und eines orthopädischen Gutachtens von Dr. E. Der Hauptsachverständige Prof. Dr. H ist unter Berücksichtigung des orthopädischen Zusatzgutachtens zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 60 angemessen sei. Der Zusatzgutachter Dr. E hat festgestellt, dass die orthopädischen Beeinträchtigungen (Funktionssysteme "Wirbelsäule" wegen Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, "Obere Extremitäten" wegen Funktionseinschränkung der rechten Schulter und einer operativ behandelten Verletzung am rechten Handgelenk und "Untere Extremitäten" wegen knorpeligen Verschleißveränderungen am Kniescheibengleitlager rechts ) links) jeweils keinen höheren GdB als 10 verursachten. Prof. Dr. H hat ausgeführt, dass das Anfallsleiden der Klägerin als ein solches mit mittlerer Anfallshäufigkeit einzustufen sei. Dies bedinge nach Ziffer B 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB-Rahmen von 60-80. Bei der Klägerin lägen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Anfälle vom Grand-mal-Typ, also große Anfälle vor, diese träten im Durchschnitt 3 x monatlich bzw. nach dem von der Klägerin seit Mitte 2014 geführten Anfallskalender 1 - 3 x monatlich auf. Aufgrund der bei der Klägerin in der Regel nachts auftretenden Anfälle sei ein Verbleiben am unteren Rahmen mit 60 seiner Auffassung nach ausreichend.
Die Beklagte hat dem Sachverständigen Prof. Dr. H nicht zu folgen vermocht und bemängelt, dessen Aussagen beruhten im Wesentlichen auf den subjektiven Angaben der Klägerin und könnten nicht objektiviert werden. Daher könne die Beklagte mit den darauf basierenden Schlussfolgerungen nicht übereinstimmen und weiterhin keinen höheren GdB anerkennen. Die einzige Möglichkeit, die Angaben der Klägerin zu objektivieren, sei ein Langzeit-Monitoring.
Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. H hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 10.01.2016 dargelegt, dass selbst bei ungünstigster Betrachtungsweise für die Klägerin (4 Anfälle / Jahr) seiner Auffassung nach zumindest ein GdB von 50 bestehe.
Das SG hat des Weiteren ein Sachverständigengutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. G vom 25.07.2015 aus einem Verfahren der Klägerin gegen die DRV Rheinland (SG Düsseldorf, Az. S 44 R 8/15) beigezogen. Dr. G ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Epilepsie-Syndrom mit vorwiegend schlafgebundenen Grand-Mal-Anfällen vorliege. Er hat angegeben, ein Anfallstagebuch der Klägerin nicht gesehen zu haben. Er hat darauf hingewiesen, dass er dringend eine intensivierte Diagnostik bzw. Anpassung der antikonvulsiven Medikation zwecks besserer Kontrolle des Epilepsie-Syndroms empfehle.
Nach weiterer Diagnostik durch Prof. Dr. F, Direktor der Klinik für Epileptologie der Universitätsklinik C wurde am 29.06.2016 eine Umstellung der Medikation der Klägerin durchgeführt. Die Klägerin hat angegeben, seit der Wirkung der medikamentösen Umstellung anfallsfrei zu sein. Allerdings leide sie unter starken Nebenwirkungen wie erheblichem Gewichtsverlust, Asthenie, Somnolenz und Amnesie.
Mit Urteil vom 22.02.2017 hat das SG die Beklagte verurteilt, bei der Klägerin unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide einen GdB von 60 ab Antragstellung festzustellen. Die Klägerin habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere der Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. H und Dr. E, einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 60. Zu berücksichtigen sei dabei das Hirnanfallsleiden mit einem Einzel-GdB von 60. Nach Auffassung der Kammer stelle sich das bei der Klägerin vorhandene Leiden als ein solches mittlerer Häufigkeit gemäß Ziffer B 3.1.2 der versorgungsmedizinischen Grundsätze dar und sei mithin innerhalb des Rahmens von 60-80 zu bewerten. Das Gericht stelle dabei, ebenso wie der Sachverständige Prof. Dr. H, auf die seitens der Klägerin eingereichten Unterlagen bezüglich der Dokumentation ihrer Anfälle ab. Der Sachverständige komme nach Auswertung des seit Mitte 2014 seitens der Klägerin geführten Anfallskalenders zu dem Ergebnis, dass monatlich jeweils 1-3 große Anfälle aufträten. Selbst bei nur jeweils einem großen Anfall pro Monat lägen zwischen den großen Anfällen folglich nur Wochen, so dass sich die Kategorie der mittleren Häufigkeit ergebe und der Rahmen für die Vergabe des GdB von 60-80 öffne. Der Sachverständige argumentiere, dass durch das fast ausschließliche Auftreten der Anfälle während der Nacht die Beeinträchtigung der Klägerin eher geringer sei und daher der untere Rahmen angemessen sei. Wenngleich die Kammer auch nächtliche Anfälle als sehr einschränkend beurteile, sei dem Sachverständigen im Vergleich zu den tagsüber auftretenden Anfällen zuzustimmen. Darüber hinaus sei die Kammer der Auffassung, dass die Häufigkeit der Anfälle bei der Klägerin sich ebenfalls im unteren Bereich der mittleren Häufigkeit befinde, so dass auch der untere Grenzwert des Rahmens ausreichend sei. Die Kammer teile indes nicht die Zweifel der Beklagten, dass die vorstehend geschilderten Umstände nicht zutreffend sein könnten bzw. nicht ausreichend objektiviert seien. Die Auflistung der Klägerin sowie ihre diesbezüglichen Beschreibungen seien ausreichend, um das Vorliegen der Epilepsie in dem beschriebenen Ausmaß nachzuweisen. Es sei nach Dafürhalten der erkennenden Kammer nicht notwendig, nach jedem Anfall den Rettungsdienst zu rufen bzw. den Hausarzt aufzusuchen, um eine Objektivierbarkeit der Anfälle herbeizuführen. Die Klägerin, welche seit 1998 unter der Epilepsie leide, kenne die Situation und habe ihre eigenen Strategien zur Bewältigung entwickelt. Nach einem stattgehabten Anfall könnten auch weder der Rettungsdienst noch der behandelnde Arzt etwas an der Situation ändern oder behandeln. Auch das im Rentenverfahren von Dr. G erstellte Gutachten führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Umstand, dass der Sachverständige kein Anfallstagebuch der Klägerin gesehen habe, könne nicht dazu führen, dass das ins hiesige Verfahren eingeführte Anfallstagebuch nicht zu verwerten wäre. Im Übrigen lasse sich aus seinen deutlichen Empfehlungen zur weiteren Diagnostik bzw. Umstellung der Medikation erkennen, dass er durchaus davon ausgehe, dass das Anfallsleiden bei der Klägerin in erheblichem Ausmaß vorliege. Er stelle lediglich fest, dass die Genese nicht eindeutig geklärt sei und gebe seine Einschätzung wieder, dass durch eine Anpassung der Medikation möglicherweise sogar ein dauerhaft besserer Zustand erreicht werden könne. Die im laufenden Klageverfahren erfolgte bzw. begonnene Behandlung in der Uni-Klinik C stütze die Ausführungen des Gerichts ebenso. Auch die dort tätigen Ärzte seien offensichtlich von einer (hohen) Anfallshäufigkeit, jedenfalls aber vorkommenden Anfällen bei der Klägerin ausgegangen und hätten die Medikation der Klägerin umgestellt. Die Klägerin sei nach eigenen Angaben mittlerweile anfallsfrei. Sollte die Anfallsfreiheit persistieren, werde zu gegebener Zeit über die Absenkung auf einen GdB von 30 nachzudenken sein. Aus dem Umstand, dass die Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vorsehe, dass ein GdB von 30 bei Anfallsfreiheit unter fortdauernder antikonvulsiver Behandlung zu vergeben sei, sehe das Gericht seine Einschätzung zusätzlich gestützt. Die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren einen GdB von 30 für das Anfallsleiden zuerkannt, was folglich den Zustand der Anfallsfreiheit bedeute. Die Kammer halte es jedoch für ausgeschlossen, dass bei der Klägerin vor Umstellung der Medikation im Juni 2016 Anfallsfreiheit vorgelegen habe. Unabhängig von der Einstufung in selten / mittel / häufig bzw. der ganz exakten Anzahl der Anfälle, ergebe sich nach Auffassung des Gerichts durch den Vortrag der Klägerin, durch die eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie durch die Sachverständigengutachten zweifelsfrei, dass die Klägerin in dem streitigen Zeitraum unter epileptischen Anfällen gelitten habe. Dementsprechend könne die Einschätzung der Beklagten eines GdB von 30, welche dem angegriffenen Bescheid zugrunde liegt, nur unzutreffend sein. Die orthopädischen Leiden der Klägerin erreichten jeweils keinen höheren GdB als 10 und führten demgemäß nicht dazu, dass der führende GdB von 60 für das Anfallsleiden noch weiter angehoben werden müsse bzw. könne.
Gegen das ihr am 06.04.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.05.2017 Berufung eingelegt. Das Urteil des SG verstoße gegen die VersMedV und leide an Verfahrensfehlern. Der Sachverhalt sei nicht ausreichend ermittelt worden, die Beweiswürdigung sei unzureichend. Grundlage der Feststellungen des Urteils seien maßgeblich subjektive Angaben der Klägerin. Im Übrigen habe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unstreitig Anfallsfreiheit vorgelegen, was nur unzureichend berücksichtigt worden sei. Insbesondere in Anbetracht der Anfallsfreiheit ab 2016 habe eine genaue Bewertung von Art und Ausmaß der Epilepsie unter Berücksichtigung der neuen Therapieform berücksichtigt werden müssen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das SG die aktuelle Situation der Klägerin (Anfallsfreiheit) hinsichtlich möglicher Folgen nicht weiter aufgeklärt und stattdessen zu erkennen gegeben habe, zu gegebener Zeit sei über eine Absenkung des GdB auf 30 nachzudenken. Ebenso habe es einer weiteren Objektivierung der Befunde bedurft. Cerebrale Anfälle seien von der Klägerin lediglich anamnestisch angegeben, jedoch nicht ausreichend ärztlich beobachtet worden und durch objektive klinische und apparative Untersuchungen nicht hinreichend nachgewiesen worden. Es sei auch keine hinreichende Begründung erkennbar, die es der Klägerin unmöglich gemacht habe, ein Anfallsgeschehen ärztlich dokumentieren zu lassen. Auch der Wirkstoffspiegel der verordneten Antikonvulsiva zur Überprüfung der Therapieinsuffizienz liege nicht vor. Die Klägerin habe ganz nahliegende, ihr ärztlich angeratene Möglichkeiten zur Objektivierung ihrer Krankheit nicht genutzt. Von "regelmäßig auftretenden Krampfanfällen" bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG sei jedenfalls nicht auszugehen. Auch der von der Klägerin vorgelegte Anfallskalender habe nicht ohne weiteres zur Grundlage der Entscheidungsfindung des SG gemacht werden dürfen, es stelle sich die naheliegende Frage, ob das "Anfallstagebuch" verfahrensangepasst vorgelegt worden sei. Zu den Daten der Anfälle seien von dem Bevollmächtigten, der Klägerin selber sowie dem behandelnden Facharzt unterschiedliche Angaben gemacht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.02.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie meint, hinsichtlich der Beurteilung der Anfälle komme es auf die Antragstellung im Jahr 2014 an, nicht auf die Anfallsfreiheit im Jahr 2017. Im Übrigen leide sie unter erheblichen Nebenwirkungen der ab August 2016 verordneten Medikamente. In der akuten Anfallssituation bzw. unmittelbar danach werde ihr von ihrem Mann bzw. dem Sohn Hilfestellung geleistet, ärztliche Inanspruchnahme sei nicht erforderlich, ein Arzt könne immer erst da sein, wenn der wenige Minuten dauernde Anfall schon vorüber sei.
Der Senat hat aktuelle Befundberichte eingeholt des Neurologen und Psychiaters Dr. H sowie der Hausärztin Dr. T. Dr. H hat berichtet, seit Juni 2016 bzw. August 2016 sei es nach Aussage der Klägerin zu keinen weiteren epileptischen Krampfanfällen gekommen. Ein Anfallskalender liege ihm nicht vor, anamnestisch bestünden epileptische Anfälle seit 1998, bis 2013 seien diese anamnestisch ca. 30 mal aufgetreten, bis 2013 höchstens 3-4 x im Jahr. 2014 sei über Anfälle berichtet worden 1-2 x im Monat, auch 2016 über einen GM-Anfall pro Monat. Im Januar 2017 habe die Klägerin seit Medikamentenumstellung Anfallsfreiheit seit ca. August 2016 angegeben. Dr. T hat eine Besserung der Epilepsie nach Anpassung der Medikation angegeben.
Die Klägerin hat aktuelle Arztberichte zu den Akten gereicht. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L hat unter dem 16.08.2018 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und Epilepsie diagnostiziert, wobei die Klägerin angegeben habe, seit 2 Jahren anfallsfrei zu sein. Bei dem Internisten und Rheumatologen Dr. W hat sich die Klägerin am 18.07.2018 vorgestellt, dort wurden zum Ausschluss einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis Untersuchungen vorgenommen und Laborbefunde erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der medizinischen Berichte und Gutachten sowie der weiteren Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 22.02.2017 ist zulässig (§ 143 SGG), aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 1 S. 2 SGG. Zu Recht hat das SG einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 60 ab dem 06.03.2014 bejaht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen sind die seit dem 01.01.2009 geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (- VG - Anlage zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234), heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist der Senat, ebenso wie bereits das SG, überzeugt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von zumindest 60 zu bewerten sind. Dies ergibt sich bereits unter Berücksichtigung einer Epilepsie als im Wesentlichen relevanter Gesundheitsstörung der Klägerin.
Die VersMedV B 3.1.2 sieht für epileptische Anfälle folgendes vor:
"Epileptische Anfälle je nach Art, Schwere, Häufigkeit und tageszeitlicher Verteilung sehr selten
(generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von mehr als einem Jahr; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten) ...40 selten (generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen) ... 50-60
mittlere Häufigkeit
(generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen) ... 60-80
häufig
(generalisierte [große] oder komplex-fokale Anfälle
wöchentlich oder Serien von generalisierten Krampfanfällen, von fokal betonten oder von multifokalen Anfällen; kleine und einfach-fokale Anfälle täglich) ...90-100
nach drei Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung ...30
Ein Anfallsleiden gilt als abgeklungen, wenn ohne Medikation drei Jahre Anfallsfreiheit besteht. Ohne nachgewiesenen Hirnschaden ist dann kein GdS mehr anzunehmen."
Der Senat geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass bei der Klägerin seit Antragstellung im Jahr 2014 bis zumindest Juni 2016 epileptische Anfälle vom Grand Mal-Typ mit Pausen von Wochen bis wenigen Monaten vorlagen. Hinsichtlich der Bewertung der Anfälle als solche vom Grand Mal-Typ folgt der Senat dem Sachverständigen Prof. Dr. H sowie dem im Rentenverfahren gehörten Dr. G, welche beide die Anfälle aufgrund der vorgelegten Befundberichte und den Schilderungen der Klägerin als solche eingeordnet haben. Hinsichtlich der Anfallshäufigkeit geht der Senat davon aus, dass die Klägerin seit der Antragstellung bis Juni 2016 zumindest im Abstand von wenigen Monaten unter diesen Anfällen gelitten hat. Zwar hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum seit 2014 kein epileptischer Anfall bei der Klägerin ärztlich beobachtet worden ist. Sämtliche Angaben hierzu beruhen allein auf den Schilderungen der Klägerin. Für die Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben zu den zwischen 2014 und 2016 gehäuft aufgetretenen Anfällen sprechen nach Auffassung des Senats insbesondere die Berichte des behandelnden Neurologen Dr. H und der Universitätsklinik C sowie die von den behandelnden Ärzten gesehene Notwendigkeit einer mehrfachen Medikamentenumstellung, ferner die Angaben der Klägerin gegenüber den Sachverständigen. Die Glaubhaftigkeit der Schilderungen wird zudem maßgeblich gestützt durch die angegebene Anfallsfreiheit seit der letzten Medikamentenumstellung im Juni 2016. Die konsultierten Ärzte haben den Beschwerdevortrag der Klägerin nicht in Zweifel gezogen und entsprechende Behandlungen durchgeführt. So ergibt sich aus den Berichten des Dr. H vom 08.08.2014, 03.02.2015 und 02.06.2015, dass die Klägerin noch im November 2013 über höchstens drei bis vier Anfälle im Jahr berichtet hatte, der letzte sei jedoch erst wenige Wochen her. Im August 2014 wurde durch Dr. H eine gesteigerte Anfallshäufigkeit dokumentiert mit ein bis zwei nächtlichen Grand-Mal-Anfällen monatlich. Im Oktober 2014 gab die Klägerin gegenüber Dr. H an, seit vier Wochen anfallsfrei zu sein, im März 2015 berichtete sie, den letzten Anfall Ende Februar 2015 erlitten zu haben. Dr. H konnte am 08.08.2014 und 10.03.2015 auch jeweils einen suffizienten Wirkspiegel des verordneten antikonvulsiven Medikaments im Blut der Klägerin nachweisen. In seinem für das SG erstatteten Befundbericht vom 02.06.2015 geht Dr. H von einer mittleren Anfallshäufigkeit aus bei generalisierten großen Anfällen mit Pausen von Wochen bis maximal wenigen Monaten. In seinem Bericht vom 17.02.2017 hat Dr. H schließlich über weitere Vorstellungen der Klägerin im Juli und November 2015 sowie März 2016 berichtet, anlässlich welcher die Klägerin über weitere Anfälle berichtete. Eine erste Medikamentenumstellung ist durch Dr. H im November 2015 vorgenommen worden, im März 2016 hat der behandelnde Neurologe schließlich die Vorstellung der Klägerin in der Universitätsklinik C veranlasst. Auch dort hat die Klägerin anlässlich ihrer Vorstellung am 29.06.2016 berichtet, ein- bis zweimal monatlich unter Anfällen zu leiden. Anhaltspunkte für eine Diskrepanz zwischen tatsächlich vorliegenden Beschwerden und subjektiven Angaben der Klägerin lassen sich den Berichten nicht entnehmen. Auch der im Rentenverfahren beauftragte Sachverständige Neurologe Dr. G hat die Angaben der Klägerin zu den Grand-Mal-Anfällen für glaubhaft gehalten und dringend eine Medikamentenumstellung angeregt. Schließlich lassen sich die Aufzeichnungen der Klägerin selbst in dem von ihr vorgelegten Anfallskalenders mit den Angaben gegenüber Dr. H und Dr. G zu den stattgehabten Anfällen zeitlich in Einklang bringen. So hat die Klägerin auch gegenüber Dr. G von epileptischen Anfällen ein- bis zweimal monatlich berichtet und konkret als letztes Anfallsdatum vor der Begutachtung den 13.08.2015 benannt. Dieses Datum findet sich auch in dem am 06.01.2017 vorgelegten Anfallstagebuch wieder. Der Senat verkennt nicht, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 17.09.2014 Daten zu Anfällen aufgeführt hat, welche nicht mit dem Anfallstagebuch übereinstimmen. Die Herkunft dieser Daten konnte auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufgeklärt werden. Gleichwohl misst der Senat den konsistenten Angaben der Klägerin selber und den Aufzeichnungen der behandelnden Ärzte im vorliegenden Fall den größeren Beweiswert zu. Die Angaben der Klägerin bei Ihren Ärzten waren zur Überzeugung des Senats nicht verfahrens- sondern behandlungsorientiert, wie sich wiederum (vgl. oben) insbesondere aus ihrer Mitwirkung bei der mehrfachen Änderung der nebenwirkungsreichen Medikation und der Angabe von Anfallsfreiheit seit Juni 2016 ergibt.
Ausgehend von einer mittleren Anfallshäufigkeit ist nach Ziffer 3.2 der VersMedV für die Epilepsie ein GdB von mindestens 60 zugrunde zu legen. Da allein die Beklagte Berufungsführerin ist, kann der Senat eine noch höhere Bewertung des GdB - ggf. unter Einschluss weiterer Gesundheitsstörungen - dahinstehen lassen.
Soweit die Beklagte rügt, dass die Anfallsfreiheit der Klägerin seit Juni 2016 nicht beachtet worden sei, hat das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der VersMedV erst nach drei Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung eine Herabsetzung des GdB auf 30 in Betracht kommt. Nach dem Vorstehenden geht der Senat davon aus, dass die Klägerin erst seit der Medikamentenumstellung durch die Universitätsklinik C anfallsfrei ist. Da der Drei-Jahres-Zeitraum im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verstrichen ist, ist der GdB allein wegen der Epilepsieerkrankung der Klägerin weiterhin mit 60 zu bemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 193 SGG.
Anlass zur Revisionszulassung besteht nicht, da die gemäß § 160 Abs. 2 SGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die Beklagte stellte bei der am 00.00.1966 geborenen Klägerin aufgrund eines Hirnanfallsleidens und eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms sowie eines Schulter-Arm-Syndroms mit Bescheid vom 25.02.2011 einen GdB von 30 fest.
Am 06.03.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung eines höheren GdB. Die Beklagte holte zunächst aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und veranlasste eine versorgungsärztliche Stellungnahme. In dieser ging der beratende Arzt der Beklagten von Funktionsbeeinträchtigungen durch ein Hirnanfallsleiden (GdB 30) und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom und Schulter-Arm-Syndrom (GdB 20) aus. In der Gesamtschau empfahl er die Feststellung eines GdB von weiterhin 30.
Mit Bescheid vom 15.04.2014 lehnte die Beklagte die Feststellung eines höheren GdB ab. Dem widersprach die Klägerin und trug vor, ihre gesundheitlichen Leiden seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Durch die regelmäßig auftretenden Krampfanfälle sei sie nicht mehr in eine Arbeitsstelle vermittelbar und in allen Bereichen des Lebens stark beeinträchtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin nach Einholung einer erneuten ärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2014, der Klägerin zugestellt am 13.11.2014, als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 12.12.2014 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, aufgrund des Anfallsleidens sei ein höherer GdB gerechtfertigt. Überdies sei bei ihr noch ein Aneurysma im Gehirn festgestellt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2014 zu verpflichten, bei der Klägerin ab Änderungsantragstellung einen Grad der Behinderung von mehr als 30 festzustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin seien zutreffend festgestellt worden. Es sei nicht objektiviert nachgewiesen, dass das Hirnanfallsleiden der Klägerin tatsächlich in dem Ausmaß vorliege, wie die Klägerin es darstelle.
Zur Stützung ihres Vortrags hat die Klägerin unter dem 26.03.2015 sowie dem 06.01.2017 einen "Anfallskalender" und ärztliche Berichte vorgelegt, u.a. des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. H vom 08.08.2014, 03.02.2015 und 17.02.2017. Dieser hat über Behandlungen der Klägerin u.a. in 07/15, 11/15 und 03/16 berichtet, in der die Klägerin ihm Anfälle geschildert habe sowie über eine Medikamentenumstellung und eine im März 2016 avisierte Vorstellung in der Epileptologie der Uniklinik C. Das SG hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, u.a. des Dr. H vom 02.06.2015. Sodann hat das SG von Amts wegen weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. H und eines orthopädischen Gutachtens von Dr. E. Der Hauptsachverständige Prof. Dr. H ist unter Berücksichtigung des orthopädischen Zusatzgutachtens zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 60 angemessen sei. Der Zusatzgutachter Dr. E hat festgestellt, dass die orthopädischen Beeinträchtigungen (Funktionssysteme "Wirbelsäule" wegen Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, "Obere Extremitäten" wegen Funktionseinschränkung der rechten Schulter und einer operativ behandelten Verletzung am rechten Handgelenk und "Untere Extremitäten" wegen knorpeligen Verschleißveränderungen am Kniescheibengleitlager rechts ) links) jeweils keinen höheren GdB als 10 verursachten. Prof. Dr. H hat ausgeführt, dass das Anfallsleiden der Klägerin als ein solches mit mittlerer Anfallshäufigkeit einzustufen sei. Dies bedinge nach Ziffer B 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB-Rahmen von 60-80. Bei der Klägerin lägen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Anfälle vom Grand-mal-Typ, also große Anfälle vor, diese träten im Durchschnitt 3 x monatlich bzw. nach dem von der Klägerin seit Mitte 2014 geführten Anfallskalender 1 - 3 x monatlich auf. Aufgrund der bei der Klägerin in der Regel nachts auftretenden Anfälle sei ein Verbleiben am unteren Rahmen mit 60 seiner Auffassung nach ausreichend.
Die Beklagte hat dem Sachverständigen Prof. Dr. H nicht zu folgen vermocht und bemängelt, dessen Aussagen beruhten im Wesentlichen auf den subjektiven Angaben der Klägerin und könnten nicht objektiviert werden. Daher könne die Beklagte mit den darauf basierenden Schlussfolgerungen nicht übereinstimmen und weiterhin keinen höheren GdB anerkennen. Die einzige Möglichkeit, die Angaben der Klägerin zu objektivieren, sei ein Langzeit-Monitoring.
Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. H hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 10.01.2016 dargelegt, dass selbst bei ungünstigster Betrachtungsweise für die Klägerin (4 Anfälle / Jahr) seiner Auffassung nach zumindest ein GdB von 50 bestehe.
Das SG hat des Weiteren ein Sachverständigengutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. G vom 25.07.2015 aus einem Verfahren der Klägerin gegen die DRV Rheinland (SG Düsseldorf, Az. S 44 R 8/15) beigezogen. Dr. G ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Epilepsie-Syndrom mit vorwiegend schlafgebundenen Grand-Mal-Anfällen vorliege. Er hat angegeben, ein Anfallstagebuch der Klägerin nicht gesehen zu haben. Er hat darauf hingewiesen, dass er dringend eine intensivierte Diagnostik bzw. Anpassung der antikonvulsiven Medikation zwecks besserer Kontrolle des Epilepsie-Syndroms empfehle.
Nach weiterer Diagnostik durch Prof. Dr. F, Direktor der Klinik für Epileptologie der Universitätsklinik C wurde am 29.06.2016 eine Umstellung der Medikation der Klägerin durchgeführt. Die Klägerin hat angegeben, seit der Wirkung der medikamentösen Umstellung anfallsfrei zu sein. Allerdings leide sie unter starken Nebenwirkungen wie erheblichem Gewichtsverlust, Asthenie, Somnolenz und Amnesie.
Mit Urteil vom 22.02.2017 hat das SG die Beklagte verurteilt, bei der Klägerin unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide einen GdB von 60 ab Antragstellung festzustellen. Die Klägerin habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere der Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. H und Dr. E, einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 60. Zu berücksichtigen sei dabei das Hirnanfallsleiden mit einem Einzel-GdB von 60. Nach Auffassung der Kammer stelle sich das bei der Klägerin vorhandene Leiden als ein solches mittlerer Häufigkeit gemäß Ziffer B 3.1.2 der versorgungsmedizinischen Grundsätze dar und sei mithin innerhalb des Rahmens von 60-80 zu bewerten. Das Gericht stelle dabei, ebenso wie der Sachverständige Prof. Dr. H, auf die seitens der Klägerin eingereichten Unterlagen bezüglich der Dokumentation ihrer Anfälle ab. Der Sachverständige komme nach Auswertung des seit Mitte 2014 seitens der Klägerin geführten Anfallskalenders zu dem Ergebnis, dass monatlich jeweils 1-3 große Anfälle aufträten. Selbst bei nur jeweils einem großen Anfall pro Monat lägen zwischen den großen Anfällen folglich nur Wochen, so dass sich die Kategorie der mittleren Häufigkeit ergebe und der Rahmen für die Vergabe des GdB von 60-80 öffne. Der Sachverständige argumentiere, dass durch das fast ausschließliche Auftreten der Anfälle während der Nacht die Beeinträchtigung der Klägerin eher geringer sei und daher der untere Rahmen angemessen sei. Wenngleich die Kammer auch nächtliche Anfälle als sehr einschränkend beurteile, sei dem Sachverständigen im Vergleich zu den tagsüber auftretenden Anfällen zuzustimmen. Darüber hinaus sei die Kammer der Auffassung, dass die Häufigkeit der Anfälle bei der Klägerin sich ebenfalls im unteren Bereich der mittleren Häufigkeit befinde, so dass auch der untere Grenzwert des Rahmens ausreichend sei. Die Kammer teile indes nicht die Zweifel der Beklagten, dass die vorstehend geschilderten Umstände nicht zutreffend sein könnten bzw. nicht ausreichend objektiviert seien. Die Auflistung der Klägerin sowie ihre diesbezüglichen Beschreibungen seien ausreichend, um das Vorliegen der Epilepsie in dem beschriebenen Ausmaß nachzuweisen. Es sei nach Dafürhalten der erkennenden Kammer nicht notwendig, nach jedem Anfall den Rettungsdienst zu rufen bzw. den Hausarzt aufzusuchen, um eine Objektivierbarkeit der Anfälle herbeizuführen. Die Klägerin, welche seit 1998 unter der Epilepsie leide, kenne die Situation und habe ihre eigenen Strategien zur Bewältigung entwickelt. Nach einem stattgehabten Anfall könnten auch weder der Rettungsdienst noch der behandelnde Arzt etwas an der Situation ändern oder behandeln. Auch das im Rentenverfahren von Dr. G erstellte Gutachten führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Umstand, dass der Sachverständige kein Anfallstagebuch der Klägerin gesehen habe, könne nicht dazu führen, dass das ins hiesige Verfahren eingeführte Anfallstagebuch nicht zu verwerten wäre. Im Übrigen lasse sich aus seinen deutlichen Empfehlungen zur weiteren Diagnostik bzw. Umstellung der Medikation erkennen, dass er durchaus davon ausgehe, dass das Anfallsleiden bei der Klägerin in erheblichem Ausmaß vorliege. Er stelle lediglich fest, dass die Genese nicht eindeutig geklärt sei und gebe seine Einschätzung wieder, dass durch eine Anpassung der Medikation möglicherweise sogar ein dauerhaft besserer Zustand erreicht werden könne. Die im laufenden Klageverfahren erfolgte bzw. begonnene Behandlung in der Uni-Klinik C stütze die Ausführungen des Gerichts ebenso. Auch die dort tätigen Ärzte seien offensichtlich von einer (hohen) Anfallshäufigkeit, jedenfalls aber vorkommenden Anfällen bei der Klägerin ausgegangen und hätten die Medikation der Klägerin umgestellt. Die Klägerin sei nach eigenen Angaben mittlerweile anfallsfrei. Sollte die Anfallsfreiheit persistieren, werde zu gegebener Zeit über die Absenkung auf einen GdB von 30 nachzudenken sein. Aus dem Umstand, dass die Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vorsehe, dass ein GdB von 30 bei Anfallsfreiheit unter fortdauernder antikonvulsiver Behandlung zu vergeben sei, sehe das Gericht seine Einschätzung zusätzlich gestützt. Die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren einen GdB von 30 für das Anfallsleiden zuerkannt, was folglich den Zustand der Anfallsfreiheit bedeute. Die Kammer halte es jedoch für ausgeschlossen, dass bei der Klägerin vor Umstellung der Medikation im Juni 2016 Anfallsfreiheit vorgelegen habe. Unabhängig von der Einstufung in selten / mittel / häufig bzw. der ganz exakten Anzahl der Anfälle, ergebe sich nach Auffassung des Gerichts durch den Vortrag der Klägerin, durch die eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie durch die Sachverständigengutachten zweifelsfrei, dass die Klägerin in dem streitigen Zeitraum unter epileptischen Anfällen gelitten habe. Dementsprechend könne die Einschätzung der Beklagten eines GdB von 30, welche dem angegriffenen Bescheid zugrunde liegt, nur unzutreffend sein. Die orthopädischen Leiden der Klägerin erreichten jeweils keinen höheren GdB als 10 und führten demgemäß nicht dazu, dass der führende GdB von 60 für das Anfallsleiden noch weiter angehoben werden müsse bzw. könne.
Gegen das ihr am 06.04.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.05.2017 Berufung eingelegt. Das Urteil des SG verstoße gegen die VersMedV und leide an Verfahrensfehlern. Der Sachverhalt sei nicht ausreichend ermittelt worden, die Beweiswürdigung sei unzureichend. Grundlage der Feststellungen des Urteils seien maßgeblich subjektive Angaben der Klägerin. Im Übrigen habe im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unstreitig Anfallsfreiheit vorgelegen, was nur unzureichend berücksichtigt worden sei. Insbesondere in Anbetracht der Anfallsfreiheit ab 2016 habe eine genaue Bewertung von Art und Ausmaß der Epilepsie unter Berücksichtigung der neuen Therapieform berücksichtigt werden müssen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das SG die aktuelle Situation der Klägerin (Anfallsfreiheit) hinsichtlich möglicher Folgen nicht weiter aufgeklärt und stattdessen zu erkennen gegeben habe, zu gegebener Zeit sei über eine Absenkung des GdB auf 30 nachzudenken. Ebenso habe es einer weiteren Objektivierung der Befunde bedurft. Cerebrale Anfälle seien von der Klägerin lediglich anamnestisch angegeben, jedoch nicht ausreichend ärztlich beobachtet worden und durch objektive klinische und apparative Untersuchungen nicht hinreichend nachgewiesen worden. Es sei auch keine hinreichende Begründung erkennbar, die es der Klägerin unmöglich gemacht habe, ein Anfallsgeschehen ärztlich dokumentieren zu lassen. Auch der Wirkstoffspiegel der verordneten Antikonvulsiva zur Überprüfung der Therapieinsuffizienz liege nicht vor. Die Klägerin habe ganz nahliegende, ihr ärztlich angeratene Möglichkeiten zur Objektivierung ihrer Krankheit nicht genutzt. Von "regelmäßig auftretenden Krampfanfällen" bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG sei jedenfalls nicht auszugehen. Auch der von der Klägerin vorgelegte Anfallskalender habe nicht ohne weiteres zur Grundlage der Entscheidungsfindung des SG gemacht werden dürfen, es stelle sich die naheliegende Frage, ob das "Anfallstagebuch" verfahrensangepasst vorgelegt worden sei. Zu den Daten der Anfälle seien von dem Bevollmächtigten, der Klägerin selber sowie dem behandelnden Facharzt unterschiedliche Angaben gemacht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.02.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie meint, hinsichtlich der Beurteilung der Anfälle komme es auf die Antragstellung im Jahr 2014 an, nicht auf die Anfallsfreiheit im Jahr 2017. Im Übrigen leide sie unter erheblichen Nebenwirkungen der ab August 2016 verordneten Medikamente. In der akuten Anfallssituation bzw. unmittelbar danach werde ihr von ihrem Mann bzw. dem Sohn Hilfestellung geleistet, ärztliche Inanspruchnahme sei nicht erforderlich, ein Arzt könne immer erst da sein, wenn der wenige Minuten dauernde Anfall schon vorüber sei.
Der Senat hat aktuelle Befundberichte eingeholt des Neurologen und Psychiaters Dr. H sowie der Hausärztin Dr. T. Dr. H hat berichtet, seit Juni 2016 bzw. August 2016 sei es nach Aussage der Klägerin zu keinen weiteren epileptischen Krampfanfällen gekommen. Ein Anfallskalender liege ihm nicht vor, anamnestisch bestünden epileptische Anfälle seit 1998, bis 2013 seien diese anamnestisch ca. 30 mal aufgetreten, bis 2013 höchstens 3-4 x im Jahr. 2014 sei über Anfälle berichtet worden 1-2 x im Monat, auch 2016 über einen GM-Anfall pro Monat. Im Januar 2017 habe die Klägerin seit Medikamentenumstellung Anfallsfreiheit seit ca. August 2016 angegeben. Dr. T hat eine Besserung der Epilepsie nach Anpassung der Medikation angegeben.
Die Klägerin hat aktuelle Arztberichte zu den Akten gereicht. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L hat unter dem 16.08.2018 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und Epilepsie diagnostiziert, wobei die Klägerin angegeben habe, seit 2 Jahren anfallsfrei zu sein. Bei dem Internisten und Rheumatologen Dr. W hat sich die Klägerin am 18.07.2018 vorgestellt, dort wurden zum Ausschluss einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis Untersuchungen vorgenommen und Laborbefunde erhoben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der medizinischen Berichte und Gutachten sowie der weiteren Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 22.02.2017 ist zulässig (§ 143 SGG), aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 15.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 1 S. 2 SGG. Zu Recht hat das SG einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 60 ab dem 06.03.2014 bejaht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen sind die seit dem 01.01.2009 geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (- VG - Anlage zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234), heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist der Senat, ebenso wie bereits das SG, überzeugt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von zumindest 60 zu bewerten sind. Dies ergibt sich bereits unter Berücksichtigung einer Epilepsie als im Wesentlichen relevanter Gesundheitsstörung der Klägerin.
Die VersMedV B 3.1.2 sieht für epileptische Anfälle folgendes vor:
"Epileptische Anfälle je nach Art, Schwere, Häufigkeit und tageszeitlicher Verteilung sehr selten
(generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von mehr als einem Jahr; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten) ...40 selten (generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen) ... 50-60
mittlere Häufigkeit
(generalisierte [große] und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen) ... 60-80
häufig
(generalisierte [große] oder komplex-fokale Anfälle
wöchentlich oder Serien von generalisierten Krampfanfällen, von fokal betonten oder von multifokalen Anfällen; kleine und einfach-fokale Anfälle täglich) ...90-100
nach drei Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung ...30
Ein Anfallsleiden gilt als abgeklungen, wenn ohne Medikation drei Jahre Anfallsfreiheit besteht. Ohne nachgewiesenen Hirnschaden ist dann kein GdS mehr anzunehmen."
Der Senat geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass bei der Klägerin seit Antragstellung im Jahr 2014 bis zumindest Juni 2016 epileptische Anfälle vom Grand Mal-Typ mit Pausen von Wochen bis wenigen Monaten vorlagen. Hinsichtlich der Bewertung der Anfälle als solche vom Grand Mal-Typ folgt der Senat dem Sachverständigen Prof. Dr. H sowie dem im Rentenverfahren gehörten Dr. G, welche beide die Anfälle aufgrund der vorgelegten Befundberichte und den Schilderungen der Klägerin als solche eingeordnet haben. Hinsichtlich der Anfallshäufigkeit geht der Senat davon aus, dass die Klägerin seit der Antragstellung bis Juni 2016 zumindest im Abstand von wenigen Monaten unter diesen Anfällen gelitten hat. Zwar hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum seit 2014 kein epileptischer Anfall bei der Klägerin ärztlich beobachtet worden ist. Sämtliche Angaben hierzu beruhen allein auf den Schilderungen der Klägerin. Für die Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben zu den zwischen 2014 und 2016 gehäuft aufgetretenen Anfällen sprechen nach Auffassung des Senats insbesondere die Berichte des behandelnden Neurologen Dr. H und der Universitätsklinik C sowie die von den behandelnden Ärzten gesehene Notwendigkeit einer mehrfachen Medikamentenumstellung, ferner die Angaben der Klägerin gegenüber den Sachverständigen. Die Glaubhaftigkeit der Schilderungen wird zudem maßgeblich gestützt durch die angegebene Anfallsfreiheit seit der letzten Medikamentenumstellung im Juni 2016. Die konsultierten Ärzte haben den Beschwerdevortrag der Klägerin nicht in Zweifel gezogen und entsprechende Behandlungen durchgeführt. So ergibt sich aus den Berichten des Dr. H vom 08.08.2014, 03.02.2015 und 02.06.2015, dass die Klägerin noch im November 2013 über höchstens drei bis vier Anfälle im Jahr berichtet hatte, der letzte sei jedoch erst wenige Wochen her. Im August 2014 wurde durch Dr. H eine gesteigerte Anfallshäufigkeit dokumentiert mit ein bis zwei nächtlichen Grand-Mal-Anfällen monatlich. Im Oktober 2014 gab die Klägerin gegenüber Dr. H an, seit vier Wochen anfallsfrei zu sein, im März 2015 berichtete sie, den letzten Anfall Ende Februar 2015 erlitten zu haben. Dr. H konnte am 08.08.2014 und 10.03.2015 auch jeweils einen suffizienten Wirkspiegel des verordneten antikonvulsiven Medikaments im Blut der Klägerin nachweisen. In seinem für das SG erstatteten Befundbericht vom 02.06.2015 geht Dr. H von einer mittleren Anfallshäufigkeit aus bei generalisierten großen Anfällen mit Pausen von Wochen bis maximal wenigen Monaten. In seinem Bericht vom 17.02.2017 hat Dr. H schließlich über weitere Vorstellungen der Klägerin im Juli und November 2015 sowie März 2016 berichtet, anlässlich welcher die Klägerin über weitere Anfälle berichtete. Eine erste Medikamentenumstellung ist durch Dr. H im November 2015 vorgenommen worden, im März 2016 hat der behandelnde Neurologe schließlich die Vorstellung der Klägerin in der Universitätsklinik C veranlasst. Auch dort hat die Klägerin anlässlich ihrer Vorstellung am 29.06.2016 berichtet, ein- bis zweimal monatlich unter Anfällen zu leiden. Anhaltspunkte für eine Diskrepanz zwischen tatsächlich vorliegenden Beschwerden und subjektiven Angaben der Klägerin lassen sich den Berichten nicht entnehmen. Auch der im Rentenverfahren beauftragte Sachverständige Neurologe Dr. G hat die Angaben der Klägerin zu den Grand-Mal-Anfällen für glaubhaft gehalten und dringend eine Medikamentenumstellung angeregt. Schließlich lassen sich die Aufzeichnungen der Klägerin selbst in dem von ihr vorgelegten Anfallskalenders mit den Angaben gegenüber Dr. H und Dr. G zu den stattgehabten Anfällen zeitlich in Einklang bringen. So hat die Klägerin auch gegenüber Dr. G von epileptischen Anfällen ein- bis zweimal monatlich berichtet und konkret als letztes Anfallsdatum vor der Begutachtung den 13.08.2015 benannt. Dieses Datum findet sich auch in dem am 06.01.2017 vorgelegten Anfallstagebuch wieder. Der Senat verkennt nicht, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 17.09.2014 Daten zu Anfällen aufgeführt hat, welche nicht mit dem Anfallstagebuch übereinstimmen. Die Herkunft dieser Daten konnte auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufgeklärt werden. Gleichwohl misst der Senat den konsistenten Angaben der Klägerin selber und den Aufzeichnungen der behandelnden Ärzte im vorliegenden Fall den größeren Beweiswert zu. Die Angaben der Klägerin bei Ihren Ärzten waren zur Überzeugung des Senats nicht verfahrens- sondern behandlungsorientiert, wie sich wiederum (vgl. oben) insbesondere aus ihrer Mitwirkung bei der mehrfachen Änderung der nebenwirkungsreichen Medikation und der Angabe von Anfallsfreiheit seit Juni 2016 ergibt.
Ausgehend von einer mittleren Anfallshäufigkeit ist nach Ziffer 3.2 der VersMedV für die Epilepsie ein GdB von mindestens 60 zugrunde zu legen. Da allein die Beklagte Berufungsführerin ist, kann der Senat eine noch höhere Bewertung des GdB - ggf. unter Einschluss weiterer Gesundheitsstörungen - dahinstehen lassen.
Soweit die Beklagte rügt, dass die Anfallsfreiheit der Klägerin seit Juni 2016 nicht beachtet worden sei, hat das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der VersMedV erst nach drei Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung eine Herabsetzung des GdB auf 30 in Betracht kommt. Nach dem Vorstehenden geht der Senat davon aus, dass die Klägerin erst seit der Medikamentenumstellung durch die Universitätsklinik C anfallsfrei ist. Da der Drei-Jahres-Zeitraum im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verstrichen ist, ist der GdB allein wegen der Epilepsieerkrankung der Klägerin weiterhin mit 60 zu bemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 193 SGG.
Anlass zur Revisionszulassung besteht nicht, da die gemäß § 160 Abs. 2 SGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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