S 18 U 170/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 18 U 170/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 U 65/19
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 56 SGB VII ist nicht identisch mit dem Begriff der Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch. Der Begriff der Erwerbsminderung im Sinne des § 56 SGB VII folgt grundsätzlich einem strengeren Maßstab (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 27. April 1973, Aktenzeichen 5 RKnU 27/71).

2. Die in Bezug auf den Begriff der Erwerbsminderung entwickelte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei aufgehobener Wegefähigkeit lässt sich nicht auf den Begriff der Erwerbsminderung nach § 56 SGB VII übertragen.

3. Es ist bei Renten- und Zusammenhangsbegutachtungen im Bereich des SGB VII grundsätzlich zulässig, wenn der gewählte orthopädisch – unfallchirurgische Gutachter einen Teil der Begutachtung (hier Anamnese und körperliche Untersuchung) auf eine in diesem Fachgebiet hinreichend qualifizierte Hilfskraft delegiert. Voraussetzung hierfür ist, dass der Gutachter die Hilfsperson namhaft machen, den Umfang ihrer Tätigkeit angeben und das Gutachten insbesondere bezüglich der Beantwortung der Beweisfragen persönlich verantworten und persönlich zeichnen muss.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagte hat 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Verletztenrente des Klägers.

Der am XX. XX 1960 geborene Kläger ist gelernte Maurer und Putzer. Bis in das Jahr 1999 war der Kläger als abhängig beschäftigter Maurer berufstätig, seit dem Jahr 2000 war der Kläger als selbständiger Maurer berufstätig. Im Jahr 2014 musste der Kläger diesen Beruf gesundheitsbedingt nach vorangegangenen längeren Arbeitsunfähigkeiten endgültig aufgeben. Der Kläger bezog im Anschluss zunächst eine teilweise Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit von der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 14. Februar 2019 bewilligte die gesetzliche Rentenversicherung dem Kläger eine zeitlich befristete volle Erwerbsminderungsrente unter Annahme des Tages des Antrages des Klägers für die Gewährung einer Vollrente vom 8. Oktober 2018 als Leistungsfall und Rentenbeginn der vollen Erwerbsminderungsrente ab dem 1. Mai 2019.

Bereits am 25. Juni 1981 hatte der Kläger auf Grund eines Wegeunfalls einen anerkannten Arbeitsunfall mit offener Sprunggelenksfraktur rechts erlitten, die operativ versorgt werden musste. Es kam zur Bildung einer Sprunggelenksarthrose rechts. Auf Grund dieses Arbeitsunfalls bezog der Kläger laufend eine Unfallrente nach dem Recht der DDR nach einem Körperschaden von 20%, welche er nach der Wiedervereinigung als Verletztenrente zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 von Hundert weiter bezog. Der Kläger war zunächst wieder in der Lage, seiner bisherigen Berufstätigkeit nachzugehen.

Seit dem Jahr 2008 kam es zu vermehrten Beschwerden. Am 19. Juni 2013 erstellten Herr Dr. T und Herr Dr. M ein Rentengutachten zur Nachprüfung der MdE des Klägers. In diesem stellten die Gutachter fest, dass unfallbedingt im Bereich des rechten Unterschenkels des Klägers ein massives Lymphödem einschließlich des Sprunggelenks, eine eingeschränkte Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks in der Dorsalextension um 10 Grad und der Plantarflexion um 20 Grad, eine weitgehende Versteifung des linken Sprunggelenks und eine aufgehoben Zehenbeweglichkeit, bei Bestehen einer ausgeprägten posttraumatische destruierenden Arthrose des oberen Sprunggelenks rechts bestehe. Die MdE schätzten Dr. T und Dr. M um 30 von Hundert ein. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2013 die Verletztenrente des Klägers ab dem 9. Februar 2013 nach einer MdE von 30 von Hundert.

Am 7. März 2014 stellte der Kläger einen Antrag auf "Neueinstufung seines Behinderungsgrades". Zur Begründung führte der Kläger aus, dass er beruflich nicht mehr einsatzfähig sei. Körperliche Arbeit verursache in allen Körperhaltungen Schmerzen. Er könne weder lange Strecken laufen, länger stehen noch unter höherer Belastung arbeiten. Auch ständiges Sitzen sei mit Schmerzen verbunden. Er bitte daher um Einstufung der Behinderung mit 60 von Hundert.

Am 17. November 2014 fand bei dem Kläger rechtsseitig eine Operation zur Versteifung des rechten Sprunggelenks statt. Nach anfangs komplikationslosem Verlauf wurde im Juli 2015 erstmals eine Lockerung des eingebrachten Nagels festgestellt. Im Verlauf der weiteren Kontrollen wurde eine weitere Lockerung der Verriegelungsschrauben und des Nagels sowie eine fortschreitende Schädigung der umgebenden knöchernen Strukturen festgestellt, was eine weiteren intensive Behandlung erforderlich machte.

Am 3. Juni 2016 erstellten Herr Dr. F und Herr Dr. T ein Rentengutachten zur Nachprüfung der MdE. Die Gutachter stellten fest, dass bei dem Kläger unfallbedingt eine Wackelsteife nach dem Versuch einer Arthrodese des oberen und unteren Sprunggelenks rechts bei initial osteosynthetisch versorgter bimalleolären Fraktur mit posttraumatisch destruierender Arthrose mit Charcot Arthropathie und Notwendigkeit der dauerhaften Nutzung eines orthopädischen Feststellabrollschuhes zum Laufen sowie ein ausgeprägtes Lymphödem des rechten Unterschenkels und Sprunggelenks vorliegen. Die MdE schätzten die Gutachter weiterhin mit 30 von Hundert ein.

Mit Bescheid vom 4. August 2016 lehnte die Beklagte die Erhöhung der Verletztenrente des Klägers ab.

Mit Schreiben vom 15. August 2016 legte der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass er sich nicht vorstellen könne, dass der Oberarzt Dr. F ihn begutachten dürfe. Ferner habe Herr Prof. Dr. W. im Juli 2015 im Beisein seiner Rehaberaterin gesagt, dass eine erhebliche Verschlimmerung eingetreten sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Herr Dr. T habe sich in nicht zu beanstandender Weise Herrn Dr. F als Hilfsperson bei der Erstellung des Gutachtens bedient. Dieses sei von ihm unterschrieben worden. Eine wesentliche Verschlimmerung der unfallbedingten Einschränkungen sei im Vergleich zum Vorgutachten von Dr. M. nicht festzustellen.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21. Dezember 2016 hat der Kläger gegen die vorgenannte Entscheidung der Beklagten Klage erhoben. Zur Begründung führte dieser aus, dass die Verletzungssituation im Bereich des rechten Sprunggelenks eine Verschlechterungstendenz aufweise, was bereits im Gutachten von Dr. T / Dr. M zum Ausdruck komme. Am 17. November 2014 habe sich der Kläger auf Anraten der behandelnden Ärzte einer Versteifungsoperation unterzogen. Diese sei fehlgeschlagen und habe zu einer weiteren Verschlechterung geführt. Es sei zu einer deutlichen und bleibenden Deformierung des Fußes im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenks, einer Reduktion des Fußlängsgewölbes und zu einer prominenten Darstellung des zur Sprunggelenksversteifung verwendeten Nagels an der Fußsohle gekommen. Der Arthrose - Nagel und die verwendeten Schrauben hätten sich gelockert und seien nicht eingewachsen. Auch funktionell habe sich der Zustand im Vergleich zum Jahr 2013 wesentlich verschlechtert. So habe sich die auf einmal zurücklegbare Wegstrecke von rund 1000 Metern auf nur noch 100 bis 150 Meter verkürzt. Ferner bestehe nunmehr eine vollständige Sprunggelenksversteifung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfte dieses zu einer aufgehobenen Wegefähigkeit und damit zu einem vollständigen Verlust der Erwerbsfähigkeit führen.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat zur weiteren Sachverhaltsaufklärung ein Gesamtleistungsverzeichnis der gesetzlichen Krankenkasse des Klägers sowie weitere Behandlungsunterlagen des Klägers beigezogen. Hieraus ergab sich insbesondere, dass im November 2017 eine Entfernung des bis dahin noch einliegenden Implantatmaterials und eine operative Versorgung der Weichteile im Bereich der rechten Fußes und Unterschenkels des Klägers stattfanden. Das Gericht hat ferner die Erstellung eines Gutachtens auf dem orthopädisch – unfallchirurgischen Fachgebiet durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H veranlasst.

Dr. H stellte in seinem Gutachten vom 24. April 2018 fest, dass bei dem Kläger eine hochgradige posttraumatische Arthrose des rechten oberen und unteren Sprunggelenks mit weitgehender Zerstörung der knöchernen Strukturen, eine Osteomyelitis von Knöchel und Fuß rechts sowie eine Charcot – Erkrankung beider Füße vorliege. Die weitgehende Zerstörung des Sprunggelenks und des Rückfußes sei zu gleichen Teilen Folge der unfallunabhängigen Charcot – Erkrankung und der in Folge des Unfallereignisses aufgetretenen hochgradigen posttraumatische Arthrose mit Nagelarthrodese und postoperativem chronischen Infekt. Als Folge hieraus bestehen eine erhebliche Gehbeeinträchtigung und eine aufgehobene Beweglichkeit des oberen und unteren Sprunggelenks sowie der Zehen wie auch eine massive Schwellung im Bereich von Unterschenkel und Fuß.

Die MdE des Klägers schätzte Dr. H ab dem 26. Februar 2016 mit 40 von Hundert ein. Zu diesem Zeitpunkt seien erstmalig umfassend die zunehmenden funktionellen Einschränkungen von Gehstrecke, Gangbild und Bewegungseinschränkungen wie auch der radiologische Befund dokumentiert worden. Der heutige Zustand mit Zerstörung der knöchernen Strukturen des rechten Sprunggelenks und der Ferse bedingen eine weitgehende Belastungsunfähigkeit der rechten unteren Extremität.

Mit der Einschätzung von Dr. F und Dr. T stimme er nicht überein, da im Vergleich zum Jahr 2013 zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die vorgenannten Gutachter bereits eine erhebliche Verschlechterung eingetreten sei, sowohl bezüglich der Zunahme der lymphödematösen Schwellung als auch bezüglich des radiologischen Befundes. Daher sehe er im Vergleich mit der Begutachtungsliteratur bereits zum Untersuchungszeitpunkt für die Begutachtung im Jahr 2016 eine MdE von 40 von Hundert als gerechtfertigt an.

Mit dem Teilanerkenntnis vom 4. Juli 2018 hat die Beklagte den Bescheid vom 4. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 aufgehoben und sich verpflichtet, die Verletztenrente des Klägers ab dem 1. März 2016 nach einer MdE von 40 von Hundert zu gewähren sowie 80 Prozent der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Dieses Teilanerkenntnis hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in dessen Namen angenommen und den Rechtstreit im Übrigen fortgeführt.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2018 hat die Beklagte in Umsetzung dieses Teilanerkenntnisses die Verletztenrente des Klägers beginnend ab dem 1. März 2016 nach einer MdE von 40 von Hundert gewährt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30. Juli 2018 zu verurteilen, seine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 60 von Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. März 2019, die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Der Kläger hat die Klage in zulässiger Weise als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs.1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben.

II. 1. Die Klage ist nach Abgabe und Umsetzung des Teilanerkenntnisses vom 4. Juli 2018 der Beklagten mit Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 40 von Hundert ab dem 1. März 2016 nicht mehr begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente als die ihm in diesem Moment gewährte, so dass die Leistungsablehnung des Beklagten im Übrigen rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 54 Abs.2 SGG).

Die Kammer stellt zunächst fest, dass der Kläger schon seit vielen Jahren dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach § 56 Abs.1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) hat und eine solche auch von der Beklagten bezieht, da die Folgen der am 25. Juni 1981 erlittenen Sprunggelenksverletzung den Kläger im rentenberechtigenden Maß mit einer MdE von mindestens 20 von Hundert dauerhaft einschränken.

Der Kläger leidet gemäß den für die Kammer schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des unfallchirurgisch – orthopädischen Fachgutachters Dr. H unter folgenden Gesundheitsstörungen:

- hochgradige posttraumatische Arthrose des rechten oberen und unteren Sprunggelenks mit weitgehender Zerstörung der knöchernen Strukturen insbesondere im Bereich des Sprunggelenks und des Rückfußes - Osteomyelitis von Knöchel und Fuß rechts

Unfallunabhängig besteht beidseits eine Charcot – Erkrankung, die auf innere Ursachen, im Fall des Klägers nach den vorliegenden Befundunterlagen möglicherweise auf einen übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen ist. Auf Grund der unfallbedingten Beschwerden bestehen eine erhebliche Gehminderung des Klägers, eine aufgehobene Beweglichkeit des rechten oberen und unteren Sprunggelenks sowie der Zehen wie auch eine massive Schwellung im Bereich von Unterschenkel und Fuß rechts. Der Kläger schildert für die Kammer nachvollziehbar, dass er sich nur noch mit zwei Gehstützen fortbewegen kann. Die Strecke, die der Kläger hierbei zurücklegen kann, ist schmerzbedingt auf rund 150 Meter beschränkt. Der Kläger kann mit Rücksicht auf die auch am Sitzungstag gut einsehbare enorme Ummantelung des rechten Fußes keinen PKW mehr selbständig führen, sondern nur noch als Beifahrer längere Strecken zurücklegen. Eine Fortbewegung mit dem Rollstuhl ist dem Kläger möglich. Der Kläger kann auch noch kleinere Treppen überwinden, insbesondere kann er innerhalb seiner Häuslichkeit vom Erdgeschoss in die erste Etage steigen und zurückkehren. Der Kläger bewegt sich innerhalb seiner Häuslichkeit im Erdgeschoss mit einem Rollstuhl. Diesen kann er allerdings nicht selbständig über Treppen mitführen, insbesondere kann er nicht ohne Hilfe mit seinem Rollstuhl das Haus verlassen, da er auch hierbei Treppenstufen überwinden muss.

Diese Gesundheitsstörungen bestehen in Art und Ausmaß der geschilderten Funktionseinschränkungen zur Überzeugung der Kammer mit Vollbeweis für ihre Existenz und ihr Ausmaß spätestens seit dem Tag der ambulanten Untersuchung für die Begutachtung durch Dr. T und Dr. F am 26. Februar 2016. Insoweit schließt sich die Kammer der Einschätzung von Dr. H an. Zwar war bereits seit dem 1. Juli 2015 zu beobachten, dass sich der eingebrachte Nagel zur Fixierung des rechten Sprunggelenks des Klägers mit der Zeit zunehmend löste und die umgebenden Knochenstrukturen schädigte, was auch eine damit einhergehende Beschwerdezunahme nahelegt. Der notwendige Vollbeweis und in Bezug auf Art und Ausmaß der funktionellen Auswirkungen die hierdurch hervorgerufenen wesentlichen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers ist jedoch erst mit der vorgenannten Untersuchung erbracht.

Die Kammer kann das Gutachten von Dr. T und Dr. F zur Entscheidung in diesem Verfahren auch verwerten. Dass der ausgewählte Gutachter Dr. T sich bei der körperliochen Untersuchung und Anamneseerhebung der Mitwirkung von Frau Dr. F bedient hat, ist unschädlich. Die Mitwirkung von Hilfskräften ist zulässig, wobei der Sachverständige die mitarbeitende Person namhaft machen, den Umfang ihrer Tätigkeit angeben und das Gutachten insbesondere bezüglich der Beantwortung der Beweisfragen persönlich verantworten und persönlich zeichnen muss (M-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar SGG, 12. Aufl. 2017, § 118 Rn 11g). Dieses hat Dr. T getan, der die Mitarbeit von Dr. F kenntlich gemacht, eine eigenständige Bewertung der von Dr. F vorgenommen Befunden vorgenommen und durch seine Unterschrift die Verantwortung für die Erstellung des Gutachtens übernommen hat. Im Rahmen eines orthopädisch – unfallchirurgischen Fachgebiets ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Befunderhebung an einen fachärztlichen Kollegen vom (Haupt-)Gutachter delegiert wird. Denn es geht dabei um die Bewertung objektiver Befunde, so dass dem persönlichen Eindruck des Gutachters in der Begutachtungssituation nur eine untergeordnete Rolle zukommt.

Weiterhin hat die Kammer keine Zweifel daran, dass die vorgenannten Funktionseinschränkungen auf die vorgenannten unfallbedingte Gesundheitsstörungen als wesentliche Ursache zurückzuführen sind. Dieses dürfte zwischen den Beteiligten unbestritten sein. Im Streit steht lediglich die Bewertung der unfallbedingten Gesundheitsstörungen und funktionellen Einschränkungen durch Vergabe einer entsprechenden MdE.

Gemäß § 56 Abs.2 S.1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Auf den bisherigen Beruf und die Situation des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt kommt es dabei grundsätzlich nicht an, so dass die gleichen Verletzungen mit den gleichen Funktionsstörungen grundsätzlich zu den gleichen Entschädigungen führen – für Berufstätige wie auch für Rentner und Kinder (vgl. Ricke in Kassler Kommentar zu § 56 Rn 16). Gemäß § 56 Abs.2 S.3 SGB VII werden allerdings in Ausnahmefällen unter Abweichung der vorgenannten Grundsatzes bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Nachteile berücksichtigt werden, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

Gesundheitsstörungen und Funktionseinschränkungen sind anhand der im Unfallversicherungsrecht gegebenen Erfahrungswerte zu messen, um die Einstufung der für diese Unfallfolgen anzuerkennenden Minderung der Erwerbsfähigkeit vornehmen zu können. Denn für die Messung der MdE haben sich in der Rechtsprechung und Praxis der Unfallversicherungsträger Grundlagen gebildet, die im einschlägigen Schrifttum (vgl. Mehrhoff/ Ekkernkamp / Wich, Unfallbegutachtung 14. Auflage 2019; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017) zusammengefasst sind. Diese Grundlagen sind zu beachten, weil sie sich aufgrund ihrer immer wiederkehrenden Bestätigung durch Gutachter, Unfallversicherungsträger, Gerichte sowie ihrer Annahme durch die Betroffenen als Wirklichkeits- und Maßstabsgerecht erwiesen haben. Es sind Erfahrungswerte, die nicht zuletzt einer weitgehenden Gleichbehandlung aller Verletzten dienen (vgl. BSG vom 7.9.1976 - 8 RU 14/76 = BSGE 43, 53, 54; vgl. BSG vom 26.6.1985 - 2 RU 60/84 = SozR 2200 § 581 Nr 23). Grundsätzlich gilt hierbei, dass gleich schwerwiegende Funktionseinschränkungen auch bei der MdE gleich zu bewerten sind (vgl. SG Gießen, Urteil vom 27. April 2012, Aktenzeichen S 1 U 29/09, Randnummer 19, zu recherchieren unter www.juris.de).

Weiterhin ist als Grundsatz zu beachten, dass der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 56 SGB VII nicht identisch ist mit dem Begriff der Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung und insbesondere die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente mit Rücksicht auf die individuell zu bestimmende Verschlossenheit des Arbeitsmarkts – im Fall des Klägers wahrscheinlich wegen aufgehobener Wegefähigkeit – lassen keinen Rückschluss auf das Vorliegen einer MdE von 100 im Sinne des § 56 SGB VII. Die Anforderung an die MdE sind im Vergleich zum Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung strenger. So ist von einer MdE von 100 erst dann auszugehen, wenn die Fähigkeit fehlt, trotz Nutzung aller nach den jeweiligen Kenntnissen und Fähigkeiten gegebenen Arbeitsmöglichkeiten im gesamten Wirtschaftsleben noch nennenswerten Verdienst zu erzielen. So wird eine MdE von 100 von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verneint, wenn die Fähigkeit besteht, stundenweise an mehreren Tagen einfache Schreib- oder Büroarbeiten in der Häuslichkeit zu verrichten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. April 1973, Aktenzeichen 5 RKnU 27/71; Ricke, a.a.O. Rn 17f.; Kranig in Hauck / Noftz, Kommentar zum Siebten Buch Sozialgesetzbuch, Werkstand 05/18, Rn 41 m.w.N.). Allein deswegen kommt eine MdE von 100 für den Kläger unter Übernahme der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wegen aufgehobener Wegefähigkeit und Nichtvorhandenseines eines tatsächlich innegehabten beziehungsweise erreichbaren Arbeitsplatzes sowie daraus resultierender Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente nach den Vorgaben des § 43 Abs.2 SGB VI (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 21. März 2006, Aktenzeichen B 5 RJ 51/04 R, Rn 15 m.w.N., zu recherchieren unter www.juris.de) nicht in Betracht, da er sowohl geistig als auch körperlich in der Lage wäre, einfache Schreibarbeiten in seiner Häuslichkeit stundenweise zu verrichten. Erhebliche Einschränkungen der oberen Extremitäten oder geistigen Fähigkeiten des Klägers bestehen nicht.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der die gesetzliche Unfallversicherung beherrschende "Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung" besagt, dass die Entschädigung nach dem Unterschied der auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen ist. Gemäß diesem Grundsatz kommt nicht maßgeblich darauf an, in welchem Umfang der Verletzte in der Ausübung der bisherigen versicherten Tätigkeit beeinträchtigt ist. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Unfallfolgen beziehungsweise die Folgen einer Berufskrankheit eingeschränkt werden, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei sind wie bereits ausgeführt bei der Beurteilung der MdE vor allem die von dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, a.a.O., Urteil vom 24. Juli 2008, Aktenzeichen L 3 U 139/06, Rn 34 m.w.N., zu recherchieren unter www.juris.de).

Die MdE des Klägers für die bei ihm festgestellten Gesundheitsstörungen und Funktionseinschränkungen beträgt nach den einschlägigen Erfahrungswerten 40 von Hundert. Dieses entspricht dem nach den Erfahrungswerten einschlägigen Wert für eine weitgehend belastungsunfähige untere Extremität nach Fersenbein – Ostitis und / oder dystrophem Syndrom beziehungsweise der in den Auswirkungen schlimmsten Form eines Klumpfußes (vgl. Schönberger / Mehrtens / Valentin, a.a.O. Seite 712f.). Dieses entspricht nach gutachterlichen Feststellungen von Dr. H in den funktionellen Auswirkungen den unfallbedingten Gesundheitsstörungen des Klägers mit weitestgehend aufgehobener Funktionalität und Belastbarkeit des rechten Fußes. Eine MdE von mehr als 40 von Hundert sehen die vorgenannten Erfahrungswerte für unfallbedingte Verletzungen im Bereich Sprunggelenk / Fuß für einseitige Verletzungen nicht vor. Auch der vollständige Verlust eines Fußes durch Amputation wäre mit einer MdE von 40 bis maximal 50 zu bewerten (Schönberger / Mehrtens / Valentin, a.a.O., Seite 726). Die vom Kläger mindestens begehrte MdE von mindestens 60 von Hundert würde einen Verlust des Unterschenkels mit gleichzeitiger Versteifung des Kniegelenks voraussetzen (Schönberger / Mehrtens / Valentin, a.a.O.). Hiermit sind die unfallbedingten Einschränkungen des Klägers, auch wenn sie ohne Zweifel gravierend sind, nicht vergleichbar.

Der Kläger kann nicht die Berücksichtigung einer höheren MdE verlangen, weil seine Wegefähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung aufgehoben ist und es ihm daher nicht möglich ist, einen Arbeitsplatz zu erreichen. Wie bereits ausgeführt, stellt die Rechtsprechung im Bereich des § 56 SGB VII strengere Anforderungen an den Begriff der Erwerbsminderung und berücksichtigt in Abgrenzung an die Rechtsprechung des SGB VI zum Beispiel auch die Möglichkeiten der Heimarbeit. Denkbar wäre auch eine Mobilisierung des Klägers durch die Gewährung entsprechender Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – zum Beispiel in Form eines Fahrdienstes. Die bereits zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur vollen Erwerbsminderung wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei aufgehobener Wegefähigkeit kann wie bereits ausgeführt nicht auf das SGB VII übertragen werden. Ferner deutet auch die Norm des § 56 Abs.2 S.3 SGB VII deutlich darauf hin, dass der unfallbedingte Verlust des konkreten Arbeitsplatzes grundsätzlich keine Rolle spielt. Es kommt bei dem Begriff der Erwerbsminderung des § 56 SGB VII nach dem gesetzgeberischen Willen und dem im Unfallrecht herrschenden "Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung" auf die unfallbedingten Einschränkungen der individuelle Gesundheitssituation und ihre Auswirkungen auf dem gesamten Arbeitsmarkt an, nicht jedoch auf die individuelle berufliche Situation des Einzelnen (so zutreffend: Kranig, a.a.O., Rn 34f. m.w.N.). Der Umstand, dass der Kläger wegen Stufen vor seinem Haus dieses nicht mehr mit seinem Rollstuhl ohne fremde Hilfe verlassen kann und die Reduzierung der auf einmal zurücklegbaren Wegstrecke auf 150 Meter spielt daher anders als im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Einschätzung der MdE keine Rolle. Denn dieses würde den vorgenannten Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung und die dadurch beabsichtigt gleiche Entschädigung vergleichbarer unfallbedingter Verletzungen ad absurdum führen. Im Fall des Klägers führt diese Einschätzung auch zu einem angemessenen Ergebnis, da das Risiko des Klägers, seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben zu können und wegen der aufgehobenen Wegefähigkeit zumindest bis zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. in Form von Fahrtkostenübernahmen) keinen konkreten Arbeitsplatz außerhalb der eigenen Häuslichkeit erreichen zu können bestimmungsgemäß ergänzend zu den von der Beklagten gewährten Leistungen von der gesetzlichen Rentenversicherung aufgefangen wird. Der Kläger erhält laufend eine teilweise Erwerbsminderungsrente und ab dem 1. Mai 2019 (vgl. hierzu grade für den Beispielsfall eines auf Grund eines Arbeitsunfalls arbeitslos gewordenen 50 – jährigen Maurers, der auf Grund seiner gesundheitlichen Einschränkungen keine Arbeit mehr finden kann: vgl. Kranig, a.a.O., Rn 7).

Der Kläger hat schließlich auch auf Grundlage des § 56 Abs.2 S.3 SGB VII keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente. Gemäß dieser Norm werden bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Tatsächlich kann der Kläger seine bisherige Berufstätigkeit als Maurer beziehungsweise als selbständiger Inhaber einer privaten Baufirma auch nicht mehr ausüben. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Norm des § 56 Abs.2 S.3 SGB VII als Ausnahme des aus § 56 Abs.2 S.1 SGB VII abgeleiteten Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung als Härtefallklausel eng auszulegen ist. Die Voraussetzungen für die Höherbewertung der MdE liegen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts daher nur bei Versicherten vor, die einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich ausüben. Die Ausübung muss auf Grund der Dauer oder Intensität oder besonderer Begabung nicht nur ein spezielles Fachwissen, sondern auch spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt haben, die die Stellung im Erwerbsleben wesentlich begünstigt haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. September 1974, Aktenzeichen 8 RU 94/73, Rn 28; Urteil vom 23. November 1976; Aktenzeichen 5 RKnU 5/75, Rn 14, zu recherchieren jeweils unter www.juris.de). Hierin müssen die Versicherten infolge der Aufgabe oder erheblicher Einschränkung dieser Tätigkeit beträchtliche Nachteile finanziell-wirtschaftlicher Art treffen (Bundessozialgericht, a.a.O.), die den Rentenbetrag überschreiten (BSG ZfS 1974, Seite 314). Ferner muss eine Umstellung auf andere Tätigkeiten mindestens ganz erheblich schwer fallen (zu allem Ricke in Kassler Kommentar zu § 56 SGB VII Rn 29f.).

Im Fall des Klägers scheitert eine Höherstufung der MdE bereits daran, dass er weder über eine ganz besondere Qualifikation verfügt noch einen Beruf in einem sehr engen Bereich ausgeübt hat. Der erlernte Beruf des Maurers ist eine Tätigkeit die von einer Vielzahl von Personen ausgeübt wird. Die erworbenen Fähigkeiten als Maurer lassen sich auch in vielen anderen verwandten Berufsfeldern nutzen, so dass keine enge Spezialisierung vorliegt. Denkbar wären verwandte Berufstätigkeiten als Polier, Baubetreuer oder Baukalkulator, auch wenn auch diese Berufe, gegebenenfalls mit Ausnahme des Baukalkulators dem Kläger individuell nicht mehr zumutbar möglich wären (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2013, Aktenzeichen L 3 U 77/11, in dem das Landessozialgericht eine Höherstufung nach § 56 Abs.2 S.3 SGB VII für einen gelernten Maurer nicht einmal in Betracht gezogen hat).

Die Rente des Klägers ist bei Feststellung des Vollbeweises der wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen mit einem Anstieg der unfallbedingten MdE um 10 von Hundert zum 26. Februar 2016 gemäß § 73 Abs.1 und 3 SGB VII ab dem 1. März 2016 nach einer MdE von 40 zu gewähren, wie dieses bereits erfolgt ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem von der Beklagten mit Schriftsatz vom 4. Juli 2018 abgegebenen Kostengrundteilanerkenntnis. Die Kammer sieht sich an diese Prozesserklärung gebunden, auch wenn der Erfolg der Klage mit nur rund 1/3 des Klagebegehrens deutlich hinter der von der Beklagten zugesprochenen Quote zurückbleibt.

Rechtsmittelbelehrung
Rechtskraft
Aus
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