S 19 R 329/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 19 R 329/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 verurteilt, an den Kläger Übergangsgeld für die Zeit der Rehabilitationsleistung vom 29.05.2017 bis zum 24.11.2017 zu leisten.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf die Gewährung von Übergangsgeld während der vom 29.05.2017 bis 24.11.2017 durchgeführten Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation.

Auf Antrag des Klägers hin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 10.03.2017 eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Friedberg.

Auf den Antrag des Klägers vom 16.05.2017 wurde ihm zuletzt mit Bescheid vom 22.05.2017 in dem Zeitraum vom 16.05.2017 bis 24.05.2017 Arbeitslosengeld I bewilligt. Die Bundesagentur für Arbeit hatte die Befristung des Arbeitslosengeldes I auf Grund der Tatsache vorgenommen, dass der Kläger eine Reha-Maßnahme in Friedberg am 25.05.2017 aufnehmen wollte.

Der Kläger wurde am 29.05.2017 in der Salus Klinik in Friedberg aufgenommen und am 24.11.2017 aus der stationären Adaption entlassen.

Der Kläger beantragte mit undatiertem Schreiben, bei der Bundesagentur für Arbeit am 16.07.2017 eingegangen, Arbeitslosengeld bis zum 29.05.2017. Die ablehnende Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit war Gegenstand des Verfahren S 14 AL 132/17 vor dem Sozialgericht Gießen. Die Klage wurde abgewiesen.

Im Bescheid vom 05.07.2017 lehnte die Beklagte den Anspruch auf Übergangsgeld für die Dauer der gewährten Maßnahme in der Salus Klinik ab, da der Kläger nicht bis unmittelbar vor Beginn der Leistung zur medizinischen Rehabilitation eine der aufgeführten Sozialleistungen bezogen habe.

Hiergegen legte der Kläger am 01.08.2017 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass die kurze Lücke zwischen dem 24.05.2017 und dem 28.05.2017 unerheblich sei. Die Unmittelbarkeit sei gegeben.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 22.08.2017 zurück mit der Begründung, dass eine Unmittelbarkeit nicht gegeben sei. Entscheidend seien die Verhältnisse am letzten Werktag vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Mit der am 29.08.2017 zum Sozialgericht Gießen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Das Tatbestandsmerkmal der "Unmittelbarkeit" sei gewahrt, solange die zeitliche Lücke nicht größer als ein Monat sei. Der Kläger habe kein Geld besessen, um sich zur Einrichtung der medizinischen Rehabilitation in Friedberg zu begeben. Erst nachdem am 26.05.2017 das Arbeitslosengeld I auf seinem Konto eingegangen sei, habe er die finanziellen Mittel besessen um sich dort hin zu begeben. Die Aufnahme sei dann auch am 29.05.2017 erfolgt. Er habe auch keine Mittel besessen, um sich persönlich arbeitslos zu melden.

Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid vom 05.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 aufzuheben und
2. dem Kläger Übergangsgeld für die Zeit der Rehabilitationsleistung vom 29.05.2017 bis zum 24.11.2017 gem. § 20 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Ablehnungs- und Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 05.07.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 ist rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten.

Dem Kläger steht für die Dauer seiner medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld gem. § 20 Abs. 1 Nr. 3 b SGB VI zu.

Nach § 20 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Übergangsgeld, die

1. ( ...)
2. ( ...)
3. bei Leistungen zur Prävention, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Nachsorge oder sonstigen Leistungen zur Teilhabe unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder, wenn sie nicht arbeitsunfähig sind, unmittelbar vor Beginn der Leistungen
a) Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt und im Bemessungszeitraum Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben oder
b) Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Mutterschaftsgeld bezogen haben und für die von dem der Sozialleistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II zuvor aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind.

Streitig ist vorliegend allein die Rechtsfrage, ob der unbestimmte Rechtsbegriff der "Unmittelbarkeit" als Tatbestandsvoraussetzung des Übergangsgeldanspruches gem. § 20 Nr.3 b SGB VI vorliegend gegeben ist, d.h. ob unmittelbar vor Beginn der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Arbeitslosengeld gewährt wurde. Dies ist nach Auffassung der erkennenden Kammer der Fall.

Das Arbeitslosengeld wurde unstreitig bis zum 24.05.2017 gewährt, die medizinische Rehabilitation begann am 29.05.2017. Zwischen dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges und dem Beginn der medizinischen Rehabilitation lagen fünf Tage, davon zwei Werktage, ein Feiertag und ein Wochenende.

Der letzte Werktag vor dem Beginn der medizinischen Rehabilitation war Freitag der 26.05.2017. Zu diesem Zeitpunkt bestand kein Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr. Nach der Rechtsauffassung der Beklagten bestand daher kein Anspruch auf Übergangsgeld mehr.

Die erkennende Kammer schließt sich jedoch der Rechtsauffassung des Klägers an.

Die Vertreterin der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Beklagte selbst ehemals die Ansicht vertrat, dass eine Lücke von bis zu einem Monat noch unter den Begriff der Unmittelbarkeit falle. Von dieser Auslegung wird nunmehr klar Abstand genommen.

Hierzu führt die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 22.08.2017 aus:

" Nach Auffassung der Rentenversicherungsträger (vgl. Gemeinsames Rundschreiben der Rentenversicherungsträger zum Übergangsgeld, Stand – Juli 2016, Punkt 2.3) ist der unbestimmte Rechtsbegriff "unmittelbar" in § 20 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI abweichend von Kater in Kasseler Kommentar, § 20 SGB V, Rn. 11, dahingehend auszulegen, dass die Verhältnisse am letzten Tag vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit bzw. der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation maßgeblich sind. Wurden zwischen dem Ende der Beschäftigung und dem Beginn der Leistung zur medizinischen Rehabilitation nicht alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft um eine nahtlose finanzielle Versorgung zu erhalten, besteht keine Anspruch auf Übergangsgeld. Fällt der letzte Tag vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Leistungen auf ein Wochenende oder einen Feiertag, so ist der letzte davor liegende Werktag maßgebend."

Ein Teil der Literatur stützt die Auffassung der Beklagten und fordert unter Berufung auf das allgemeine Sprachverständnis eine Nahtlosigkeit (Löschau in Löschau, SGB VI, Stand September 2010, § 20 Rz. 40; Zabre in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl. 2013, § 20 Rz. 4). Allerdings sollen auch nach dieser Ansicht zur Vermeidung ungerechtfertigter Härten neben Wochenenden oder Feiertagen pauschal Lücken von drei Tagen unschädlich sein (Löschau, a.a.O.; Jüttner a.a.O., Rn. 29). Die jedoch herrschende Meinung in der Literatur und Rechtsprechung bevorzugt klar die frühere Rechtsauffassung der Beklagten, wonach kein nahtloser Übergang zwischen den Leistungen erforderlich ist. Ein Abstand von einem Monat soll hiernach in Anlehnung an § 19 Abs. 2 SGB V (Haack in jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 20 Rz. 6; Hirsch in LPK-SGB VI, 2. Auflage 2010, § 20 Rz. 6; Kater in KassKomm SGB VI, Stand September 2015, § 20 Rz. 11; KommGRV, SGB VI, Stand Oktober 2006, § 20 Rz. 3) oder von vier Wochen (BSG SozR 2200 § 1240 Nr. 11) unschädlich sein. In der zuletzt genannten Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), die sich auf die Vorschrift des §§ 1241 Abs. 1 Satz 1 und 1241b Reichsversicherungsordnung (RVO) bezog, stellte das BSG im Hinblick auf die Frage der Nahtlosigkeit und der Unmittelbarkeit fest, dass eine Grenzziehung bei zumindest drei bzw. vier Wochen zu ziehen ist. Länger als vier Wochen könne der Zeitraum nicht andauern, weil im Fall des Übergangsgeldes, wie auch in vergleichbaren Fällen, eine längere Frist den Begriff des unmittelbaren Anschlusses nicht mehr erfüllen kann (BSG, Urteil vom 21.06.1983 - 4 RJ 39/82 -Rn. 14 und 15). Zwar enthielt die diesem Urteil des BSG zugrunde liegende Vorschrift noch nicht den Begriff der Unmittelbarkeit, sondern die Formulierung "im Anschluss hieran". Dieser Begriff hat aber im allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung "unmittelbar (da)nach". Die Verwendung des Ausdrucks "unmittelbar anschließend" erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welche dem Ansatz der grammatischen Auslegung folgt, jedoch keinen nahtlosen Übergang (BSG, Senatsurteil vom 29.01.2008 - SozR 4-3250 § 51 Nr. 1 RdNr. 31; BSG SozR 4-3250 § 28 Nr. 3 RdNr. 22; BSG, Urteil vom 07.09.2010 - B 5 R 104/08 R -, SozR 4-3250 § 49 Nr. 1, Rn. 18; Jüttner in: Hauck/Noftz, SGB, 02/16, § 20 SGB VI, Rn. 30). Die Auffassung, welche die weite Auslegung vertritt, ist aus Sicht der Kammer weitaus überzeugender. Unter dem Aspekt einer grammatischen Auslegung des Merkmals der Unmittelbarkeit ist eine Nahtlosigkeit (vgl. BSG SozR 4-3250 § 49 Nr. 1 Rz. 18) auch aus Sicht des Gerichts nicht notwendigerweise erforderlich (SG Augsburg, Urteil vom 11. Mai 2016 – S 18 R 685/15 –, juris). Es ist zu beachten, dass ein vom Gesetzgeber gewählter unbestimmter Rechtsbegriff nicht unter Vernachlässigung des Einzelfalls und des Normzwecks durch ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal ersetzt werden kann (vgl. BSG vom 07.09.2010, B 5 R 104/08 R, Rn. 19). Ausgehend von dem Regelungszweck des § 20 Nr. 3 Buchst. a und b SGB VI ist somit bei der Bestimmung und Festlegung des engen zeitlichen Zusammenhangs in erster Linie maßgeblich, ob sich der Versicherte bzw. der Kläger aufgrund der Dauer der Unterbrechungen zwischenzeitlich eine andere Lebensgrundlage gebildet hat (BSG, a.a.O; Haack in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2.Aufl. 2013, § 20 SGB VI, Rn. 11). Dies kann jedoch bei sachgerechter Betrachtung bei einem zeitlichen Abstand der jeweiligen Leistungen von unter vier Wochen und erst recht bei einem Abstand von zwei Werktagen - wie im vorliegenden Fall - nicht angenommen werden (vgl. Niesel in: KassKomm-SGB, SGB VI, § 20 Rn. 11; Oberscheven in: GK-SGB VI, § 21 Rn. 135. Haack in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 20 SGB VI Rn. 11; A.A. Huber in: Cramer/Fuchs/Hirsch/Ritz, SGB IX, § 49 Rn. 6, der nur eine Unterbrechung für ein Wochenende oder für Feiertage als den Zusammenhang wahrend ansieht.) (SG Augsburg, Urteil vom 11. Mai 2016 – S 18 R 685/15 –,juris).

Der Kläger hatte das Arbeitslosengeld bereits am 16.05.2017 beantragt, dies ist jedoch erst am 26.05.2017 auf seinem Konto eingegangen. Gerade in dem vorliegenden Fall, indem der Kläger abhängig vom Eingang des Arbeitslosengeldes auf seinem Konto war und zwischen dem Beginn der Maßnahme und dem Ende des Arbeitslosengeldanspruches gerade zwei Werktage, ein Feiertag und ein Wochenende lagen, und der Kläger keinen Einfluss auf den Geldeingang auf seinem Konto hatte, führt die Auslegung der Beklagten zu offensichtlich nicht sachgerechten Ergebnissen und widerspricht dem Regelungszweck der Norm. Der Kläger musste auch nicht damit rechnen, dass der Geldeingang auf seinem Konto derart lange dauern würde und andere Dispositionen treffen, um Geld für eine Fahrkarte nach Friedberg zu erhalten.

Der Klage des Klägers war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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