L 8 BA 167/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 24 BA 51/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 167/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 28.8.2018 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 14.5.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2018 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.595,17 Euro festgesetzt.

Gründe:

Nachdem die Antragsgegnerin den Widerspruchsbescheid vom 11.12.2018 erlassen und die Antragstellerin hiergegen fristgerecht Klage erhoben hat (S 23 BA 136/18 Sozialgericht [SG] Münster), ist Gegenstand des Verfahrens der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14.5.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides (vgl. Senat, Beschluss v. 2.7.2012, L 8 R 1133/11 B ER; Beschluss v. 11.5.2015, L 8 R 106/15 B ER, jeweils juris).

In dieser Auslegung des Antragsbegehrens ist die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG zulässig und begründet. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Versicherungs- und Beitragspflichten sowie die Anforderung von Beiträgen, also auch im vorliegenden Fall. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Maßgebend ist, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 10.1.2012, L 8 R 774/11 B ER; Beschluss v. 4.1.2018, L 8 R 985/17 B ER; jeweils juris).

Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung hier anzuordnen, weil nach der im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung die überwiegenden Gesichtspunkte für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sprechen.

Die Beitragspflicht der Antragstellerin hängt maßgeblich davon ab, ob Frau C zu ihr im Streitzeitraum in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) gestanden hat [dazu unter 1.] oder ob Frau C aufgrund der Leistung von Heimarbeit nach § 12 Abs. 2 Halbsatz 2 SGB IV als Beschäftigte galt [dazu unter 2.]. Beides ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht der Fall.

1. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

a) Im vorliegenden Fall ist - was letztlich zwischen den Beteiligten auch unstreitig sein dürfte - für eine Weisungsgebundenheit von Frau C gegenüber der Antragstellerin nichts ersichtlich. Weder konnte die Antragstellerin Frau C nach dem Inhalt der (im Wesentlichen mündlich) getroffenen Vereinbarungen Weisungen hinsichtlich ihres Arbeitsortes oder der Arbeitszeit erteilen, noch ist ersichtlich, dass eine Weisungsbefugnis hinsichtlich der Art und Weise der von Frau C zu erbringenden Leistungen bestand, die über die Vorgabe bloßer - für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit unschädlicher - Eckpunkte des erteilten Auftrags hinausging. Die Antragsgegnerin hat hierzu auch keine gegenteiligen Feststellungen getroffen.

b) Ebenso wenig sind Merkmale ersichtlich oder von der Antragsgegnerin festgestellt worden, die eine Eingliederung von Frau C in die Arbeitsorganisation der Antragstellerin belegen würden.

2. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist Frau C nach gegenwärtigem Sachstand auch nicht als Heimarbeiterin im Sinne von § 12 Abs. 2 SGB IV anzusehen. Heimarbeiter sind nach dieser Vorschrift sonstige Personen, die in eigener Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung insbesondere von Gewerbetreibenden erwerbsmäßig arbeiten.

a) Aus dem Merkmal "im Auftrag und für Rechnung" wird abgeleitet, dass das Geschäftsrisiko, vor allem das unternehmerische Risiko, beim Auftraggeber liegen muss (BSG, Urteil v. 28.4.1977, 12/3 RK 6/75, SozR 2200 § 162 Nr. 1, juris-Rdnr. 18; BAG, Urteil v. 14.6.2016, 9 AZR 305/15, BAGE 155, 264 ff., juris-Rdnr. 51, Grimmke in jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 12 Rdnr. 33). Danach liegt keine Heimarbeit vor, wenn der Auftragnehmer eigenes Kapital oder eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einsetzt. Für diese Sichtweise spricht insbesondere auch die Vorschrift des § 20 Heimarbeitsgesetz. Danach sind die Entgelte für Heimarbeit in der Regel als Stückentgelte, ausnahmsweise als Zeitentgelte zu zahlen. Im einen wie im anderen Fall handelt es sich dabei um Vergütungsformen, die ein eigenes unternehmerisches Risiko des Heimarbeiters ausschließen, weil sie sicherstellen, dass geleistete Arbeit vergütet wird. Demgegenüber liegt Heimarbeit nicht immer schon dann vor, wenn der Auftragnehmer bei einem mehrstufigen Produktionsprozess nicht auf der letzten Produktionsstufe tätig wird. Sonst wäre letztlich jeder Zulieferer in eigener Arbeitsstätte Heimarbeiter, auch wenn er das volle unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit trägt. Das ist jedoch vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt. Vielmehr unterstellt § 12 Abs. 2 SGB IV dem Schutz der Beschäftigtenversicherung nur denjenigen Personenkreis, dessen Abhängigkeit vom Auftraggeber auch darin zum Ausdruck kommt, dass allein der Letztgenannte das wirtschaftliche Risiko der verwerteten Arbeitskraft trägt.

b) Ausgehend davon erlauben die vorgelegte Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und Frau C sowie deren Angaben gegenüber der Antragsgegnerin nur das Verständnis, dass Frau C im Wesentlichen das Risiko des Einsatzes ihrer eigenen Arbeitskraft getragen hat.

aa) Die zwischen der Antragstellerin und Frau C getroffene, von der Antragsgegnerin ihrem Bescheid zugrunde gelegte Vereinbarung zeigt klare Elemente einer maßgeblich erfolgsbezogenen Vergütung. Danach erhielt Frau C je Neukunden-Akquise 5 Euro pro Kunde, je Probeabonnement 20 Euro. Außerdem bekam sie bei Terminanbahnungen 10 % der mit den zugewiesenen und als Tipp angezeigten Kunden in dem betreffenden Quartal erzielten Umsätze. Daraus erschließt sich, dass Frau C nur dann eine Vergütung erhielt, wenn ihre Tätigkeit erfolgreich war (z.B. zu einer Akquise oder einem Probeabo führte), nicht hingegen, wenn solche Erfolge ausblieben. Folglich trug Frau C in erheblichem Maße das Risiko, dass sie ihre Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einsetzte. Dass auch die Antragstellerin Risiken trug (z.B. hinsichtlich des Zustandekommens darüber hinausgehender Verträge), steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

bb) Nur wenn sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens herausstellen sollte, dass - abweichend von den getroffenen Vereinbarungen - Frau C überwiegend tätigkeitsbezogen vergütet worden sein sollte, könnte eine abweichende Beurteilung geboten sein. Bislang bestehen dafür jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die Entscheidung über den Streitwert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved