Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 3123/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1267/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.05.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2016 i.H.v. 320 EUR monatlich.
Der 1982 geborene Kläger, gelernter Elektroinstallateur, bezieht mit Unterbrechungen seit 2009 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II). 2009 zog er erneut in ein im Alleineigentum seiner Mutter stehendes Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen, in dem er seither verschiedene Wohnungen bewohnt hat. In diesem Haus hatte er bereits zuvor langjährig gewohnt. Wegen 2005 entstandenen Mietschulden hatte die Mutter des Klägers gegen diesen eine Zahlungs- und Räumungsklage im Jahr 2006 angestrengt. Dieses Verfahren endete durch einen Vergleich, mit dem sich der Kläger verpflichtete, Mietschulden i.H.v. 4.800 EUR in monatlichen Raten von 300 EUR zu begleichen; die Mutter des Klägers verzichtete ihrerseits auf Räumungsansprüche.
Die Beteiligten haben seither wiederholt darüber gestritten, ob ein reguläres Mietverhältnis vorliegt, aus dem der Kläger wirksamen Mietzahlungsansprüchen ausgesetzt ist. Das Verfahren beim Sozialgericht Gelsenkirchen zum Aktenzeichen S 33 AS 2642/14 betraf Unterkunftskosten für den Zeitraum Dezember 2013 bis Mai 2014 und endete durch einen Vergleich, mit dem sich der Beklagte verpflichtete, dem Kläger 1.320 EUR an Kosten der Unterkunft für den vorgenannten Zeitraum zu gewähren. Zuletzt ist der Kläger am 15.08.2014 von einer im Erdgeschoss liegenden Wohnung (Miete inklusive Betriebskosten 225 EUR - siehe Mietvertrag vom 22.09.2009, Bl. 36 der Gerichtsakten S 33 AS 2642/14) in eine im ersten Obergeschoss liegende Wohnung verzogen, für die nach dem von ihm vorgelegten und mit seiner Mutter geschlossenen Mietvertrag vom 04.08.2014 250 EUR Miete zzgl. 70 EUR Betriebskostenvorauszahlungen, also insgesamt 320 EUR, zu entrichten sind. Dazu wurde von ihm mit Schreiben vom 06.08.2014 angegeben (siehe Bl. 441 der Verwaltungsakten), er sei gezwungen, seine bisherige Wohnung zum 15.08.2014 zu verlassen, weil er dafür vom Beklagten noch immer keinen "Mietkostenersatz" erhalten habe.
Nach einer mehrmonatigen Beschäftigung beim DRK von Februar bis August 2015 und dem anschließenden Bezug von Krankengeld wurden dem Kläger mit Bescheid vom 22.10.2015 ausschließlich Regelleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.03.2016 bewilligt. Wegen der nicht bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung findet sich im Bescheid der folgende Hinweis: "Sie wurden in der Vergangenheit mehrmals darauf hingewiesen, dass die Kosten der Unterkunft erst bewilligt werden können, wenn eine Überprüfung durch den Zentralen Ermittlungsdienst stattgefunden hat. Bisher fand keine Überprüfung statt. Ich gebe Ihnen daher weiterhin die Gelegenheit, eine Überprüfung durch den Zentralen Ermittlungsdienst durchführen zu lassen. Falls Sie einer Überprüfung zustimmen, setzen Sie sich bitte mit mir in Verbindung, damit ein Termin mit dem Zentralen Ermittlungsdienst vereinbart werden kann."
Der wegen der Nichtgewährung von Kosten der Unterkunft eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2015 zurückgewiesen. Dagegen hat sich der Kläger mit der am 17.12.2015 beim Sozialgericht erhobenen Klage gewandt. Er habe sich nicht grundsätzlich geweigert, einer Wohnungsbesichtigung zuzustimmen, jedoch habe der Beklagte keinen sachlich gerechtfertigten Grund für eine Betretung der Wohnung angegeben. Er sei aufgrund eines wirksamen Mietvertrags Mietzahlungsansprüchen ausgesetzt, so dass die Ablehnung der Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung rechtswidrig sei. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, dem Kläger seien die Gründe für eine Überprüfung seiner Wohnverhältnisse aus vorangegangenen Verwaltungsentscheidungen hinlänglich bekannt. Insbesondere sei sein Vorbringen in Bezug auf das Mietverhältnis widersprüchlich und damit nicht plausibel, weshalb ohne weitere Ermittlungen eine Gewährung von Unterkunftskosten nicht habe erfolgen können.
Das Sozialgericht hat zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten einen Termin durchgeführt, in dem die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen wurde. Vom Kläger wurde dabei unter anderem angegeben, er habe nur während seines Beschäftigungsverhältnisses von Februar bis September 2015 die vereinbarte Miete an seine Mutter gezahlt. Die Zahlungen seien bar erfolgt. Demgegenüber wurde von der Mutter erklärt, die Miete sei von ihrem Sohn während seines Arbeitsverhältnisses überwiesen worden.
Mit Urteil vom 12.05.2017 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.03.2016 Leistungen für Unterkunft und Heizung i.H.v. 320 EUR monatlich zu gewähren. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II umfasse der Leistungsanspruch auch die dem Arbeitslosen entstehenden angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Kläger sei auch einer wirksamen Mietzahlungsverpflichtung ausgesetzt. Ob ein wirksames Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen vorliege, beurteile sich nach den tatrichterlichen Feststellungen der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Hier sei zu berücksichtigen, dass ein schriftlicher Mietvertrag geschlossen worden sei und der Kläger, soweit es ihm finanziell möglich gewesen sei, darauf auch Mietzahlungen geleistet habe. Das 2006 von der Zeugin gegen den Kläger angestrengte Räumungsverfahren belege zudem die Ernsthaftigkeit des aus dem Mietverhältnis resultierenden Zahlungsanspruchs. Schließlich müsse auch berücksichtigt werden, dass sich die Beklagte in einem anderen Verfahren wegen eines ähnlich gelagerten Mietverhältnisses zwischen dem Kläger und der Zeugin bereits zu einer Zahlung von Kosten der Unterkunft bereitgefunden habe.
Gegen das ihr am 09.06.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.06.2017 Berufung eingelegt. Sie macht zu deren Begründung geltend, es bestehe kein wirksames Mietverhältnis weshalb der Kläger auch keinem wirksamen Mietzahlungsverlangen ausgesetzt sei. Es sei sehr lebensfremd, dass nach einer ernsthaft angestrengten Räumungsklage und auch danach immer wieder auftretenden Zahlungsrückständen neue Mietverträge mit der selben Person abgeschlossen würden. Es müsse deshalb an der Ernsthaftigkeit der damaligen Räumungsklage gezweifelt werden. Dies gelte auch deshalb, weil die Zeugin bei ihrer Vernehmung angegeben habe, dass sie den Kläger, ihren Sohn, auch dann nicht aus der Wohnung "rausschmeißen" würde, wenn keine Mietzahlung erfolge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.05.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Nachfrage des Berufungsgerichts hat die Zeugin Q schriftlich mitgeteilt, sie habe bis 2015 keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung steuerlich erklärt. Ausweislich der vom Gericht beigezogenen Steuererklärung für 2016 betrugen die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung in diesem Jahr 6.120 EUR, wobei Werbungskosten i.H.v. 1.286 EUR angefallen waren.
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat das Gericht die Beteiligten angehört und die Mutter des Klägers erneut als Zeugin vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.11.2018 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden konnte, ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2016.
Streitbefangen sind im Verfahren nur Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Kläger hat sich mit der Klage ausschließlich gegen die Nichtgewährung von Unterkunfts- und Heizungskosten gewandt. Es handelt sich insoweit um einen abtrennbaren Streitgegenstand (vergleiche Bundessozialgericht, Urteil vom 03.03.2009 zum Az. B 4 AS 37/08 R, zur Rn. 13 bei juris), so dass vom Gericht die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung im Übrigen im Verfahren nicht zu prüfen war.
Leistungsberechtigte Personen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) - der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen - erhalten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Bedarfe für Unterkunft und Heizung bestehen, wenn die leistungsberechtigte Person einem rechtlich wirksamen und ernsthaften Zahlungsverlangen des Vermieters ausgesetzt ist. Grundsätzlich ohne Bedeutung ist die Person des Vermieters. Auch unter engen Verwandten können rechtlich wirksam Mietverträge geschlossen und damit vertragliche Verpflichtungen, wie beispielsweise die Mietzahlungspflicht, begründet werden. Die mietvertraglichen Vereinbarungen müssen auch nicht in jeder Hinsicht einem sogenannten "Fremdvergleich" standhalten, d.h. den zwischen Fremden üblichen mietvertraglichen Vereinbarungen entsprechen. Eine wegen verwandtschaftlicher Verbundenheit beispielsweise verbilligte Wohnraumüberlassung an Angehörige hindert deshalb nicht das Entstehen von Bedarfen für Unterkunft und Heizung.
Entscheidend ist hingegen, dass trotz verwandtschaftlicher Verbundenheit der Mieter einer ernsthaften und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung des Vermieters ausgesetzt ist (siehe Bundessozialgericht, am angegebenen Ort, zu Rn. 25 bei juris). Davon vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen. Das Gericht sieht es nicht als erwiesen an, dass der Kläger und seine Mutter einen beide Seiten rechtlich bindenden Mietvertrag einschließlich wirksamer Verpflichtung zur Mietzahlung haben schließen und einhalten wollen. Es überwiegen vielmehr die Indizien für ein Scheinmietverhältnis, § 117 Bürgerliches Gesetzbuch, geschlossen zur Erlangung von Leistungen der Beklagten.
Dafür sprechen bereits die Formalien. Vom Kläger ist zunächst ein zwar ausgefüllter, aber nicht unterschriebener Mietvertrag zum Verfahren gereicht worden. Darauf hingewiesen, folgte die Einlassung, es handele sich dabei um eine PDF Datei, die er ausgefüllt habe. Es gebe auch eine von seiner Mutter unterzeichnete Mietvertragsversion. Diese wurde sodann zum Verfahren gereicht. Allerdings sind die Unterschriften darauf (Bl. 89 GA ) anders als auf dem zuvor zu den Verwaltungsakten gereichten Mietvertrag (Bl. 463 VA). Schon dies legt nahe, dass hier Mietverträge nicht zur rechtswirksamen Bindung der Vertragsschließenden, sondern vordergründig zum Zwecke der Präsentation gegenüber der Behörde bzw. dem Gericht erstellt wurden.
Gegen den Willen des Klägers und seiner Mutter, einen rechtlich verpflichtenden Mietvertrag zu schließen, spricht zudem Folgendes: Der Kläger ist im August 2014 im Haus vom Erdgeschoss ins Obergeschoss umgezogen. Dazu haben sowohl der Kläger als auch seine Mutter angegeben, der Umzug sei erfolgt, weil die untere Wohnung einfacher zu vermieten gewesen sei. Die Zeugin hat diesbezüglich beim Sozialgericht erklärt, sie habe ihrem Sohn gesagt, "du musst nach oben ziehen". Bei einem beide Seiten entsprechend den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen verpflichtenden Mietvertrag reicht ein Wunsch des Vermieters, dem Mieter eine neue Wohnung zuweisen zu wollen, jedoch nicht aus. Es hätte einer fristgemäßen und auch im Übrigen wirksamen Kündigung bedurft.
Vom Kläger ist im Verfahren angegeben wurde, er habe aus der im Erdgeschoss gelegenen kostengünstigeren Wohnung ausziehen müssen, weil wegen der Nichtzahlung von Unterkunftskosten seitens der Beklagten Mietschulden eingetreten seien. Es ist aber nicht nachvollziehbar, wenn in dieser Situation bei unveränderten finanziellen Verhältnissen des Mieters die Mietvertragsparteien einen neuen Mietvertrag über eine ca. 50 % teuere Wohnung schließen, denn es war absehbar, dass der Kläger erst recht nicht die höhere Miete wird aufbringen und zahlen können. Auch dies spricht gegen ein echtes Mietverhältnis mit einem ernsthaften Mietzinsverlangen der Mutter gegenüber ihrem Sohn. Gleiches ergibt sich aus der Tatsache, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Kläger nunmehr schon seit über drei Jahren keine Miete zahlt, seine Mutter jedoch auf Maßnahmen zur Beendigung des Mietverhältnisses oder zur Durchsetzung der Mietzinsforderung gegenüber dem Kläger verzichtet hat. Aufgrund der Angaben der Zeugin bei ihrer Vernehmung vor dem Berufungsgericht hat der Senat vielmehr den Eindruck gewonnen, dass zwischen ihr und dem Kläger nicht der Abschluss eines Vertrages mit uneingeschränktem Bindungswillen der Vertragsparteien an das Geregelte, sondern ein durch (nachvollziehbare) familiäre Rücksichtnahmen gekennzeichnetes Wohnen gewollt war. Bezüglich der Einzelheiten des Mietverhältnisses gab die Zeugin beispielsweise an, sie habe diese gemeinsam jeweils mit ihrem Sohn geregelt. So seien von ihr und ihrem Sohn etwa die Betriebskosten der Wohnung sehr gering angesetzt worden, Ärger (mit der Beklagten) habe vermieden werden sollen. Zur Überzeugung des Senats bestehen zwischen der Zeugin und dem Kläger nicht die typischerweise zwischen Vermieter und Mieter vorhandenen widerstreitenden Interessen (u. a. an einer möglichst hohen bzw. möglichst niedrigen Mietzahlung), sondern ein gemeinsames Interesse an der Erlangung von Kosten der Unterkunft durch die Beklagte. Dies kommt beispielsweise durch die Angaben der Zeugin, sie erwarte eine Nachzahlung von Kosten der Unterkunft an "uns" (gemeint: an sie und den Kläger) zum Ausdruck und findet seine Bestätigung zudem in ihrer Aussage, sie werde ihr Kind jedenfalls nicht vor die Tür setzen und rausklagen. Auch ihre an den Gerichtspräsidenten gerichtete Eingabe mit einer Beschwerde über die Dauer des Verfahrens zeigt, dass sie, obwohl am Rechtsstreit nicht beteiligt, den Mietausfall allein durch eine Verpflichtung der Beklagten, nicht jedoch durch ein Vorgehen gegenüber ihrem Mieter zu beheben versucht.
Unabhängig davon, dass es sich um ein anderes Mietverhältnis handelte, das einer getrennte Beurteilung zuzuführen ist, belegt entgegen der Auffassung des Sozialgerichts der Umstand, dass die Mutter des Klägers gegen diesen 2006 wegen fehlender Mietzahlungen Klage erhoben hatte, nicht die Ernsthaftigkeit des damaligen Mietzahlungsverlangens. Der Kläger hatte sich zwar in jedem Verfahren zur ratenweisen Zahlung der Mietzinsschuld verpflichtet, es wurden von ihm aber im Folgenden und auch während der Zeit seiner Erwerbstätigkeit keine Zahlungen auf diese Schuld geleistet. Die Mutter des Klägers hat offenkundig davon abgesehen, den titulierten Anspruch gegen den Kläger durchzusetzen. Auch dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Kläger einem ernsthaften Mietzahlungsverlangen zu keiner Zeit ausgesetzt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2016 i.H.v. 320 EUR monatlich.
Der 1982 geborene Kläger, gelernter Elektroinstallateur, bezieht mit Unterbrechungen seit 2009 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II). 2009 zog er erneut in ein im Alleineigentum seiner Mutter stehendes Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen, in dem er seither verschiedene Wohnungen bewohnt hat. In diesem Haus hatte er bereits zuvor langjährig gewohnt. Wegen 2005 entstandenen Mietschulden hatte die Mutter des Klägers gegen diesen eine Zahlungs- und Räumungsklage im Jahr 2006 angestrengt. Dieses Verfahren endete durch einen Vergleich, mit dem sich der Kläger verpflichtete, Mietschulden i.H.v. 4.800 EUR in monatlichen Raten von 300 EUR zu begleichen; die Mutter des Klägers verzichtete ihrerseits auf Räumungsansprüche.
Die Beteiligten haben seither wiederholt darüber gestritten, ob ein reguläres Mietverhältnis vorliegt, aus dem der Kläger wirksamen Mietzahlungsansprüchen ausgesetzt ist. Das Verfahren beim Sozialgericht Gelsenkirchen zum Aktenzeichen S 33 AS 2642/14 betraf Unterkunftskosten für den Zeitraum Dezember 2013 bis Mai 2014 und endete durch einen Vergleich, mit dem sich der Beklagte verpflichtete, dem Kläger 1.320 EUR an Kosten der Unterkunft für den vorgenannten Zeitraum zu gewähren. Zuletzt ist der Kläger am 15.08.2014 von einer im Erdgeschoss liegenden Wohnung (Miete inklusive Betriebskosten 225 EUR - siehe Mietvertrag vom 22.09.2009, Bl. 36 der Gerichtsakten S 33 AS 2642/14) in eine im ersten Obergeschoss liegende Wohnung verzogen, für die nach dem von ihm vorgelegten und mit seiner Mutter geschlossenen Mietvertrag vom 04.08.2014 250 EUR Miete zzgl. 70 EUR Betriebskostenvorauszahlungen, also insgesamt 320 EUR, zu entrichten sind. Dazu wurde von ihm mit Schreiben vom 06.08.2014 angegeben (siehe Bl. 441 der Verwaltungsakten), er sei gezwungen, seine bisherige Wohnung zum 15.08.2014 zu verlassen, weil er dafür vom Beklagten noch immer keinen "Mietkostenersatz" erhalten habe.
Nach einer mehrmonatigen Beschäftigung beim DRK von Februar bis August 2015 und dem anschließenden Bezug von Krankengeld wurden dem Kläger mit Bescheid vom 22.10.2015 ausschließlich Regelleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.03.2016 bewilligt. Wegen der nicht bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung findet sich im Bescheid der folgende Hinweis: "Sie wurden in der Vergangenheit mehrmals darauf hingewiesen, dass die Kosten der Unterkunft erst bewilligt werden können, wenn eine Überprüfung durch den Zentralen Ermittlungsdienst stattgefunden hat. Bisher fand keine Überprüfung statt. Ich gebe Ihnen daher weiterhin die Gelegenheit, eine Überprüfung durch den Zentralen Ermittlungsdienst durchführen zu lassen. Falls Sie einer Überprüfung zustimmen, setzen Sie sich bitte mit mir in Verbindung, damit ein Termin mit dem Zentralen Ermittlungsdienst vereinbart werden kann."
Der wegen der Nichtgewährung von Kosten der Unterkunft eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2015 zurückgewiesen. Dagegen hat sich der Kläger mit der am 17.12.2015 beim Sozialgericht erhobenen Klage gewandt. Er habe sich nicht grundsätzlich geweigert, einer Wohnungsbesichtigung zuzustimmen, jedoch habe der Beklagte keinen sachlich gerechtfertigten Grund für eine Betretung der Wohnung angegeben. Er sei aufgrund eines wirksamen Mietvertrags Mietzahlungsansprüchen ausgesetzt, so dass die Ablehnung der Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung rechtswidrig sei. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, dem Kläger seien die Gründe für eine Überprüfung seiner Wohnverhältnisse aus vorangegangenen Verwaltungsentscheidungen hinlänglich bekannt. Insbesondere sei sein Vorbringen in Bezug auf das Mietverhältnis widersprüchlich und damit nicht plausibel, weshalb ohne weitere Ermittlungen eine Gewährung von Unterkunftskosten nicht habe erfolgen können.
Das Sozialgericht hat zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten einen Termin durchgeführt, in dem die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen wurde. Vom Kläger wurde dabei unter anderem angegeben, er habe nur während seines Beschäftigungsverhältnisses von Februar bis September 2015 die vereinbarte Miete an seine Mutter gezahlt. Die Zahlungen seien bar erfolgt. Demgegenüber wurde von der Mutter erklärt, die Miete sei von ihrem Sohn während seines Arbeitsverhältnisses überwiesen worden.
Mit Urteil vom 12.05.2017 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.03.2016 Leistungen für Unterkunft und Heizung i.H.v. 320 EUR monatlich zu gewähren. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II umfasse der Leistungsanspruch auch die dem Arbeitslosen entstehenden angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Kläger sei auch einer wirksamen Mietzahlungsverpflichtung ausgesetzt. Ob ein wirksames Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen vorliege, beurteile sich nach den tatrichterlichen Feststellungen der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Hier sei zu berücksichtigen, dass ein schriftlicher Mietvertrag geschlossen worden sei und der Kläger, soweit es ihm finanziell möglich gewesen sei, darauf auch Mietzahlungen geleistet habe. Das 2006 von der Zeugin gegen den Kläger angestrengte Räumungsverfahren belege zudem die Ernsthaftigkeit des aus dem Mietverhältnis resultierenden Zahlungsanspruchs. Schließlich müsse auch berücksichtigt werden, dass sich die Beklagte in einem anderen Verfahren wegen eines ähnlich gelagerten Mietverhältnisses zwischen dem Kläger und der Zeugin bereits zu einer Zahlung von Kosten der Unterkunft bereitgefunden habe.
Gegen das ihr am 09.06.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.06.2017 Berufung eingelegt. Sie macht zu deren Begründung geltend, es bestehe kein wirksames Mietverhältnis weshalb der Kläger auch keinem wirksamen Mietzahlungsverlangen ausgesetzt sei. Es sei sehr lebensfremd, dass nach einer ernsthaft angestrengten Räumungsklage und auch danach immer wieder auftretenden Zahlungsrückständen neue Mietverträge mit der selben Person abgeschlossen würden. Es müsse deshalb an der Ernsthaftigkeit der damaligen Räumungsklage gezweifelt werden. Dies gelte auch deshalb, weil die Zeugin bei ihrer Vernehmung angegeben habe, dass sie den Kläger, ihren Sohn, auch dann nicht aus der Wohnung "rausschmeißen" würde, wenn keine Mietzahlung erfolge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.05.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Nachfrage des Berufungsgerichts hat die Zeugin Q schriftlich mitgeteilt, sie habe bis 2015 keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung steuerlich erklärt. Ausweislich der vom Gericht beigezogenen Steuererklärung für 2016 betrugen die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung in diesem Jahr 6.120 EUR, wobei Werbungskosten i.H.v. 1.286 EUR angefallen waren.
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts hat das Gericht die Beteiligten angehört und die Mutter des Klägers erneut als Zeugin vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.11.2018 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden konnte, ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Oktober 2015 bis März 2016.
Streitbefangen sind im Verfahren nur Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Kläger hat sich mit der Klage ausschließlich gegen die Nichtgewährung von Unterkunfts- und Heizungskosten gewandt. Es handelt sich insoweit um einen abtrennbaren Streitgegenstand (vergleiche Bundessozialgericht, Urteil vom 03.03.2009 zum Az. B 4 AS 37/08 R, zur Rn. 13 bei juris), so dass vom Gericht die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung im Übrigen im Verfahren nicht zu prüfen war.
Leistungsberechtigte Personen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) - der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen - erhalten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Bedarfe für Unterkunft und Heizung bestehen, wenn die leistungsberechtigte Person einem rechtlich wirksamen und ernsthaften Zahlungsverlangen des Vermieters ausgesetzt ist. Grundsätzlich ohne Bedeutung ist die Person des Vermieters. Auch unter engen Verwandten können rechtlich wirksam Mietverträge geschlossen und damit vertragliche Verpflichtungen, wie beispielsweise die Mietzahlungspflicht, begründet werden. Die mietvertraglichen Vereinbarungen müssen auch nicht in jeder Hinsicht einem sogenannten "Fremdvergleich" standhalten, d.h. den zwischen Fremden üblichen mietvertraglichen Vereinbarungen entsprechen. Eine wegen verwandtschaftlicher Verbundenheit beispielsweise verbilligte Wohnraumüberlassung an Angehörige hindert deshalb nicht das Entstehen von Bedarfen für Unterkunft und Heizung.
Entscheidend ist hingegen, dass trotz verwandtschaftlicher Verbundenheit der Mieter einer ernsthaften und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung des Vermieters ausgesetzt ist (siehe Bundessozialgericht, am angegebenen Ort, zu Rn. 25 bei juris). Davon vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen. Das Gericht sieht es nicht als erwiesen an, dass der Kläger und seine Mutter einen beide Seiten rechtlich bindenden Mietvertrag einschließlich wirksamer Verpflichtung zur Mietzahlung haben schließen und einhalten wollen. Es überwiegen vielmehr die Indizien für ein Scheinmietverhältnis, § 117 Bürgerliches Gesetzbuch, geschlossen zur Erlangung von Leistungen der Beklagten.
Dafür sprechen bereits die Formalien. Vom Kläger ist zunächst ein zwar ausgefüllter, aber nicht unterschriebener Mietvertrag zum Verfahren gereicht worden. Darauf hingewiesen, folgte die Einlassung, es handele sich dabei um eine PDF Datei, die er ausgefüllt habe. Es gebe auch eine von seiner Mutter unterzeichnete Mietvertragsversion. Diese wurde sodann zum Verfahren gereicht. Allerdings sind die Unterschriften darauf (Bl. 89 GA ) anders als auf dem zuvor zu den Verwaltungsakten gereichten Mietvertrag (Bl. 463 VA). Schon dies legt nahe, dass hier Mietverträge nicht zur rechtswirksamen Bindung der Vertragsschließenden, sondern vordergründig zum Zwecke der Präsentation gegenüber der Behörde bzw. dem Gericht erstellt wurden.
Gegen den Willen des Klägers und seiner Mutter, einen rechtlich verpflichtenden Mietvertrag zu schließen, spricht zudem Folgendes: Der Kläger ist im August 2014 im Haus vom Erdgeschoss ins Obergeschoss umgezogen. Dazu haben sowohl der Kläger als auch seine Mutter angegeben, der Umzug sei erfolgt, weil die untere Wohnung einfacher zu vermieten gewesen sei. Die Zeugin hat diesbezüglich beim Sozialgericht erklärt, sie habe ihrem Sohn gesagt, "du musst nach oben ziehen". Bei einem beide Seiten entsprechend den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen verpflichtenden Mietvertrag reicht ein Wunsch des Vermieters, dem Mieter eine neue Wohnung zuweisen zu wollen, jedoch nicht aus. Es hätte einer fristgemäßen und auch im Übrigen wirksamen Kündigung bedurft.
Vom Kläger ist im Verfahren angegeben wurde, er habe aus der im Erdgeschoss gelegenen kostengünstigeren Wohnung ausziehen müssen, weil wegen der Nichtzahlung von Unterkunftskosten seitens der Beklagten Mietschulden eingetreten seien. Es ist aber nicht nachvollziehbar, wenn in dieser Situation bei unveränderten finanziellen Verhältnissen des Mieters die Mietvertragsparteien einen neuen Mietvertrag über eine ca. 50 % teuere Wohnung schließen, denn es war absehbar, dass der Kläger erst recht nicht die höhere Miete wird aufbringen und zahlen können. Auch dies spricht gegen ein echtes Mietverhältnis mit einem ernsthaften Mietzinsverlangen der Mutter gegenüber ihrem Sohn. Gleiches ergibt sich aus der Tatsache, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Kläger nunmehr schon seit über drei Jahren keine Miete zahlt, seine Mutter jedoch auf Maßnahmen zur Beendigung des Mietverhältnisses oder zur Durchsetzung der Mietzinsforderung gegenüber dem Kläger verzichtet hat. Aufgrund der Angaben der Zeugin bei ihrer Vernehmung vor dem Berufungsgericht hat der Senat vielmehr den Eindruck gewonnen, dass zwischen ihr und dem Kläger nicht der Abschluss eines Vertrages mit uneingeschränktem Bindungswillen der Vertragsparteien an das Geregelte, sondern ein durch (nachvollziehbare) familiäre Rücksichtnahmen gekennzeichnetes Wohnen gewollt war. Bezüglich der Einzelheiten des Mietverhältnisses gab die Zeugin beispielsweise an, sie habe diese gemeinsam jeweils mit ihrem Sohn geregelt. So seien von ihr und ihrem Sohn etwa die Betriebskosten der Wohnung sehr gering angesetzt worden, Ärger (mit der Beklagten) habe vermieden werden sollen. Zur Überzeugung des Senats bestehen zwischen der Zeugin und dem Kläger nicht die typischerweise zwischen Vermieter und Mieter vorhandenen widerstreitenden Interessen (u. a. an einer möglichst hohen bzw. möglichst niedrigen Mietzahlung), sondern ein gemeinsames Interesse an der Erlangung von Kosten der Unterkunft durch die Beklagte. Dies kommt beispielsweise durch die Angaben der Zeugin, sie erwarte eine Nachzahlung von Kosten der Unterkunft an "uns" (gemeint: an sie und den Kläger) zum Ausdruck und findet seine Bestätigung zudem in ihrer Aussage, sie werde ihr Kind jedenfalls nicht vor die Tür setzen und rausklagen. Auch ihre an den Gerichtspräsidenten gerichtete Eingabe mit einer Beschwerde über die Dauer des Verfahrens zeigt, dass sie, obwohl am Rechtsstreit nicht beteiligt, den Mietausfall allein durch eine Verpflichtung der Beklagten, nicht jedoch durch ein Vorgehen gegenüber ihrem Mieter zu beheben versucht.
Unabhängig davon, dass es sich um ein anderes Mietverhältnis handelte, das einer getrennte Beurteilung zuzuführen ist, belegt entgegen der Auffassung des Sozialgerichts der Umstand, dass die Mutter des Klägers gegen diesen 2006 wegen fehlender Mietzahlungen Klage erhoben hatte, nicht die Ernsthaftigkeit des damaligen Mietzahlungsverlangens. Der Kläger hatte sich zwar in jedem Verfahren zur ratenweisen Zahlung der Mietzinsschuld verpflichtet, es wurden von ihm aber im Folgenden und auch während der Zeit seiner Erwerbstätigkeit keine Zahlungen auf diese Schuld geleistet. Die Mutter des Klägers hat offenkundig davon abgesehen, den titulierten Anspruch gegen den Kläger durchzusetzen. Auch dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Kläger einem ernsthaften Mietzahlungsverlangen zu keiner Zeit ausgesetzt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 SGG).
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