S 12 KA 150/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 150/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 48/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die KB-Abrechnung 04/2008 im Behandlungsfall Frau E. E. (AOK Hessen) und hierbei um die Absetzung der Leistungen nach Nr. 40 (I) BEMA (achtmal), 2702 GOÄ-82 (17mal) und Nr. 38 BEMA (30mal) im Wert von 806,73 EUR.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis. Herr Dr. Dr. A. ist Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahnarzt, die übrigen beiden Mitglieder sind Zahnärzte. Sie sind zur vertragszahnärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Die Beklagte bat unter Datum vom 15.05.2008 bzgl. der strittigen KB-Abrechnung 04/2008 im Behandlungsfall der Frau E. E. zur besseren Beurteilung hinsichtlich der Abrechnungsfähigkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit um Übersendung des OP-Berichts, der Röntgenaufnahmen und um Stellungnahmen im Hinblick auf:
- Notwendigkeit der Wiederholung der Anästhesien bei Eingriff vermutlich in Vollnarkose (Behandlungstag 14.04.08)
- Notwendigkeit der zweimaligen Abrechnung eines Besuchs und der Nachbehandlung am Tag des operativen Eingriffs (14.04.08)
- Notwendigkeit der Vielzahl von Besuchen im Hinblick auf die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
- Notwendigkeit des zweimaligen Ansatzes der Nr. 2702 an einem Behandlungstag (15.04.; 16.04.; 17.04.; 18.04.; 19.04.; 20.04. und 21.04.08) im selben Kiefer
- Notwendigkeit der Vielzahl von Nachbehandlungen (Nr. 38 BEMA) im Zusammenhang mit der Abrechnung der Nr. 2702 GOÄ-82 (Behandlungstage 14.04.; 15.04.; 16.04.; 17.04.; 18.04.; 19.04.; 20.04. und 24.04.08).

Die Klägerin hatte zuvor mit Behandlungsplan vom 14.11.2007 für die Patientin Frau E. E., geb. 1975, im Rahmen eines kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Eingriffs verschiedene Leistungen zur Abrechnung gebracht. Den Eingriff führte sie am 14.04.2008 durch. In der Zeit bis zum 24.04.2008 folgten mehrere Nachbehandlungstermine.

Auf die Anfrage der Beklagten reagierte die Klägerin nicht.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 28.04.2009 die strittigen Leistungen ab, da die Notwendigkeit der Indikation nicht nachgewiesen worden sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 11.04.2009 Widerspruch ein. Sie trug vor, die Wiederholungen der Anästhesien seien medizinisch notwendig gewesen aufgrund der Eingriffsdauer, die sich nicht zuletzt aus der Notwendigkeit der Stillung einer intensiven Blutung in Regio 18 und 28 sowie der Kieferhöhlenrevision ergeben habe. Die Wiederholung sei nach drei Stunden und zehn Minuten erfolgt. Die Nr. 2702 GOÄ-82 habe umfangreiche Änderungen an der Dehnapparatur im Oberkiefer beinhaltet. Aus diesem Grund seien die Leistungen nach zu erstatten. Dass nach einer Le-Fort-I-Osteotomie Nachbehandlungen notwendig seien, sollte selbstverständlich sein. Hier habe es sich um Wundbehandlungsmaßnahmen, Abtragung von Nekrosen und Reinigungen, Spülungen etc. gehandelt.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2010, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 10.06.2010 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, wenn neben einer bereits bestehenden Vollnarkose zusätzliche Infiltrations- und Leitungsanästhesien verabreicht würden, seien nähere Angaben zum Zeitablauf und zum örtlichen Bereich der Anästhesien erforderlich. Die vollständige Leistung sei dabei mit der Abrechnung nachzuweisen. Sie habe keinen Nachweis darüber erhalten, wann in welchem Bereich die Anästhesien bezogen auf den Operationsverlauf verabreicht worden seien und aus welchem Grund. Der Vortrag der Klägerin sei für einen Nachweis ungenügend. Die Verabreichung der Anästhesien oder zumindest die Dauer der Operation sei weder durch einen OP-Bericht noch durch ein Anästhesieprotokoll oder sonstige Unterlagen näher dokumentiert worden. Für die Stillung einer Blutung in Regio 18 und 28 ergäben sich zwar Hinweise aus der Abrechnung, wonach die Klägerin im Bereich der Zähne 18 und 28 jeweils eine Leistung nach Nr. 37 (Nbl2) BEMA abgerechnet habe. Allerdings habe die Klägerin Wiederholungsanästhesien für die gesamte obere Zahnreiche abgerechnet. Insofern sei gerade nicht belegt worden, dass die Wiederholungsanästhesien zur Stillung einer Blutung erforderlich gewesen sein sollen. Der Hinweis der Klägerin reiche für die Begründung der Leistung nach Nr. 2702 GOÄ-82 nicht aus. Bei bestehenden und vorgetragenen Zweifel an der eingereichten Abrechnung obliege es dem Vertragszahnarzt, diese Zweifel durch dezidierten und beweisbaren Vortrag auszuräumen. Bezüglich der Nachbehandlungsmaßnahmen übersehe sie nicht, dass eine Le-Fort-1-Osteotomie umfangreiche Nachbehandlungsmaßnahmen erforderlich machen könne. Der Vortrag der Klägerin sei jedoch nicht für einen Nachweis geeignet, der Gebührentatbestand sei in jedem der abgerechneten 32 Einzelfälle erfüllt gewesen. Es wäre ein dezidierter Vortrag nebst Nachweis erforderlich gewesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 05.07.2010 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die Beklagte erkenne zwar an, dass eine Leistung der Nr. 37 BEMA bzw. eine Le-Fort-I-Osteotomie vorgenommen worden sei, sie ziehe hieraus jedoch nicht die notwendigen Schlüsse. Ferner nehme sie Bezug auf den Auszug der Karteikarte, in dem die einzelnen Leistungen für die Ä2702 und 38 für die Gaumenerweiterung erläutert worden seien. Bezüglich der Leistung nach Nr. 40 BEMA nehme sie Bezug auf das QM-Protokoll, wonach Wiederholungsanästhesien nach einer Dauer von drei Stunden und 10 Minuten verabreicht worden seien.

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 28.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 die Beklagte zu verurteilen, für die abgesetzten Leistungen eine Vergütung in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung und trägt weiter vor, eine Nachreichung von Nachweisen im Gerichtsverfahren sei ausgeschlossen. Die vollständige Leistungserbringung sei grundsätzlich bereits mit der Abrechnung nachzuweisen. Dies beruhe darauf, dass die Kenntnis solcher möglicherweise entscheidungserheblichen Tatsachen allein in der Sphäre der Klägerin liege, soweit sie nicht offenkundig seien und von Amts wegen erkannt werden könnten. Sie habe die Klägerin bereits mit Schreiben vom 15.05.2008 auf die Vorlage von Nachweisen hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 28.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2010 ist rechtmäßig.

Die Beklagte war zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertrags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertrags(zahn)ärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertrags(zahn)ärzte fest; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es obliegt deshalb nach § 19 BMV-Z/17 EKV-Z der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.1995 - 6 RKa 30/94 - SozR 3-5525 § 32 Nr. 1 = NZS 1996, 134 = Breith 1996, 280 = USK 95120, juris Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 5, juris Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 11 = BSGE 93, 69 = SGb 2004, 474 = GesR 2004, 522 = MedR 2005, 52 = NZS 2005, 549, juris Rdnr. 17) bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 EKV-Z (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.1998 - B 6 KA 34/97 R - SozR 3-5555 § 10 Nr. 1 = USK 98155, juris Rdnr. 13; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - aaO.; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - aaO.).

Bei den Absetzungen handelt sich auch um sachlich-rechnerische Berichtigungen. Die Beklagte geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Abrechnung einer Gebührenposition vom Vertragszahnarzt nicht nachgewiesen worden sind. Von daher war sie für die Berichtigung zuständig.

Der angefochtene Berichtigungsbescheid ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat zu Recht die Leistungen nach Nr. 2702 GOÄ-82 (17mal) abgesetzt.

Die Kammer hat bereits zwischen den Beteiligten mit Urteilen vom 07.07.2010 - S 12 KA 212/10 und 440/10 -, Nichtzulassungsbeschwerden jeweils zurückgewiesen durch Beschluss des LSG Hessen vom 11.11.2011 - L 4 KA 62/10 und 63/10 NZB -, entschieden, dass ein Vertragszahnarzt für die Erbringung der Leistung nach Nr. 2702 GOÄ-82 nachweis- und dokumentationspflichtig ist. Mit der Abrechnung erfolgte seitens der Klägerin lediglich der Hinweis, die Nr. Ä2702 GOÄ-82 sei nicht für die Abnahme der Verbandsplatten angesetzt worden. In den weiteren Schreiben der Klägerin bzw. ihres Prozessbevollmächtigten ist lediglich hierauf verwiesen worden. Damit wird aber kein Nachweis für die Erbringung des Leistungsinhalts erbracht.

Die Absetzung der Leistungen nach Nr. 40 (I) BEMA (achtmal) ist nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich der Anästhesieleistungen hat die Kammer bereits in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Urteil vom 03.06.2009 - S 12 KA 521/08 - Folgendes ausgeführt:

"In der mündlichen Verhandlung konnte geklärt werden, dass die Beteiligten darin übereinstimmen, aufgrund eines vor dem Landessozialgericht abgeschlossenen Vergleichs in einem anderen Verfahren, dass die Anästhesie nach einer Operationsdauer von 3 Stunden wiederholt werden kann. Die Klägerin hat ferner eingeräumt, dass der Nachweis für die Dauer der Operation bisher nicht erbracht wurde. Soweit sie allgemein angeboten hat, den Nachweis hierfür nachzuholen, steht ihr diese Möglichkeit im Klageverfahren nicht mehr offen. Die vollständige Leistungserbringung ist mit der Abrechnung nachzuweisen. Soweit hier zugunsten der Klägerin unterstellt wird, seinerzeit sei es noch nicht darauf angekommen, die Operationsdauer anzugeben, so hätte sie dies aber für dieses Verfahren spätestens nach dem genannten Vergleichsschluss nachholen müssen, jedenfalls dann in der mündlichen Verhandlung. Einer Aufforderung hierzu durch die Beklagte oder das Gericht bedurfte es nicht."

Die Berufung gegen das Urteil der Kammer wurde vom LSG Hessen, Urteil vom 21.09.2011 - L 4 KA 50/09 - zurückgewiesen. Auch das LSG Hessen geht in dem Urteil davon aus, dass ein Nachweis in jenem Verfahren nicht erfolgt sei.

In dem zwischen den Beteiligten ergangenen Urteil vom 07.07.2010 - S 12 KA 167/10 - hat die Kammer weiter ausgeführt, es reiche nicht aus, dass im OP-Bericht lediglich vermerkt wird, dass der Operateur zunächst Infiltrations- bzw. Leitungsanästhesien erbracht habe und in welchem Bereich und im Übrigen es heißt: "Intraoperativ Wiederholen der Anästhesien". Daraus werde nicht ersichtlich, nach welchem Zeitablauf in welchem Bereich die einzelnen Anästhesien verabreicht worden sind. Nach der insoweit fachkundig besetzten Kammer gehöre dies aber bereits zu den Standards eines OP-Berichts. Wegen des Ausnahmecharakters solcher Anästhesien sei ferner generell zu verlangen, dass die Verabreichung mit Zeit (in Bezug auf den Operationsverlauf) und Bereich vermerkt wird (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 15.03.2006 - S 12 KA 26/05 -). Hieran hält die Kammer fest.

Auch in diesem Verfahren fehlt es an einem Nachweis für diese Leistungen. Zu beachten ist dabei, dass die Beklagte nur die Wiederholungsanästhesien abgesetzt hat. Die Klägerin hat für diese Wiederholungsanästhesien weder eine Dokumentation noch eine nachvollziehbare Begründung vorgelegt. Der Nachweis kann nicht allein mit dem Hinweis auf die Dauer einer Operation erbracht werden. Die Beklagte hat im angefochtenen Widerspruchsbescheid weiter ausgeführt, die Verabreichung der Anästhesien oder zumindest die Dauer der Operation sei weder durch einen OP-Bericht noch durch ein Anästhesieprotokoll oder sonstige Unterlagen näher dokumentiert worden. Die Implausibilität der Wiederholungsanästhesien hat sie dort weiter begründet, worauf im Einzelnen verwiesen wird. Hiermit setzt sich die Klägerin in ihrer Klagebegründung nicht auseinander.

Die Absetzung der Leistungen nach Nr. 38 BEMA (30mal) ist nicht zu beanstanden.

Die Nr. 38 Bema-Z wird definiert als Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff oder Tamponieren oder dergleichen, je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich, als selbstständige Leistung, je Sitzung und ist mit der Bewertungszahl 10 bewertet. Angesichts der Häufigkeit der Leistungen hätte es einer Dokumentation für die Leistungserbringung bedurft. Eine solche Dokumentation oder wenigstens eines dezidierten Vortrags hat die Klägerin auch nicht nachgereicht.

Im Übrigen wird weiter auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchbescheides verwiesen, der die Kammer folgt (§ 236 Abs. 4 SGG).

Nach allem war der angefochtene Bescheid rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Rechtskraft
Aus
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