L 7 AS 442/19 B ER; L 7 AS 443/19 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 832/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 442/19 B ER; L 7 AS 443/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14.03.2019 hinsichtlich der Ablehnung der Prozesskostenhilfe geändert. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N, E, bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde verworfen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung von einstweiligem Rechtschutz, gerichtet auf Zahlung für Leistungen für Unterkunfts- und Heizbedarfe, sowie gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren.

Die am 00.00.1976 geborene Antragstellerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie lebt in einer Mietwohnung. Mit Bescheid vom 24.01.2019 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin monatlich 808,75 EUR für März 2019 bis Februar 2020, einschließlich 9,75 EUR Warmwasserpauschale und 375 EUR Unterkunfts- und Heizbedarfe.

Nachdem der Antragsgegner Kenntnis von einer Räumungsklage der Vermieterin der Antragstellerin gegen die Antragstellerin bei dem Amtsgericht E (000) erlangt hatte, hob er die Bewilligung der Unterkunfts- und Heizkosten und der Warmwasserpauschale mit Änderungsbescheid vom 15.02.2019 ab März 2019 auf und bewilligte der Antragstellerin nur noch den Regelbedarf iHv monatlich 424 EUR für März 2019 bis Februar 2020.

Die Antragstellerin widersprach mit Schreiben vom 20.02.2019. Trotz Kündigung und Räumungsklage habe sie nach § 546a BGB Nutzungsersatz für die Wohnung, die sie weiterhin bewohne, zu zahlen. Der Antragsgegner schulde nach § 22 SGB II auch die Übernahme dieses Nutzungsersatzes.

Mit entsprechender Begründung hat die Antragstellerin am 20.02.2019 beim Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsteller zu verpflichten, ihr "Leistungen für Unterkunft und Heizung entsprechend dem Änderungsbescheid vom 24.01.2019 ab dem 01.03.2019 zu zahlen".

Mit Änderungsbescheid vom 25.02.2019 hat der Antragsgegner dem Widerspruch der Antragstellerin abgeholfen und die Unterkunfts- und Heizbedarfe wieder in die Leistungsbewilligung ab März 2019 aufgenommen. Er hat sich zur Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Kosten verpflichtet. Eine Übernahme der außergerichtlichen Kosten im gerichtlichen Eilverfahren hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 28.02.2019 abgelehnt.

Mit (zwei) Beschlüssen vom 14.03.2019 hat das Sozialgericht den Antrag einschließlich der Verpflichtung des Antragsgegners zur Kostenerstattung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG sei nur zulässig, wenn ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliege. Hier liege aber ein Fall des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG vor, weil der Widerspruch der Antragstellerin vom 20.02.2019 gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.02.2019 keine aufschiebende Wirkung habe, diese aber ganz oder teilweise angeordnet werden könne.

Gegen beide Beschlüsse hat die Antragstellerin am 14.03.2019 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hätte vor Beschlussfassung einen Hinweis erteilen müssen. Zudem sei eine Auslegung und Umdeutung des Antrags nach § 86b Abs. 2 SGG in einen Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG im Wege der Meistbegünstigung geboten gewesen.

II.

Die Beschwerde ist hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz einschließlich der Verpflichtung des Antragsgegners zur Kostenerstattung unzulässig und daher zu verwerfen (§§ 202 SGG, 572 Abs. 2 ZPO). Hinsichtlich der Ablehnung der Prozesskostenhilfe ist die Beschwerde zulässig und begründet.

Der am 20.02.2019 gestellte Eilantrag ist allerdings bereits nach seinem Wortlaut nicht als (unzulässiger) Antrag nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, sondern als zulässiger Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20.02.2019 (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG) auszulegen, denn die Antragstellerin hat ausdrücklich begehrt, Leistungen für Unterkunft und Heizung entsprechend dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid zu erhalten. Selbst wenn die Antragstellerin irrtümlich ihr Begehren ausdrücklich auf § 86b Abs. 2 SGG gestützt hätte oder - wie das Sozialgericht wohl meint - aus der Überschrift des Schriftsatzes "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung" zu schließen sein sollte, dass die Antragstellerin meint, § 86b Abs. 2 SGG sei die prozessuale Grundlage zur Durchsetzung ihres Eilrechtschutzes, wäre interessengerecht unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes eine Auslegung als Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG geboten gewesen. Prozessuale Anträge sind so auszulegen, dass ein Begehren eines Antragstellers bzw. Rechtsmittelführers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (vgl. BSG Urteile vom 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R und vom 23.03.2010 - B 14 AS 6/09 R; vgl. zum Klageantrag BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R; zusammenfassend BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 166/11 R; vgl. für das Eilverfahren Beschluss des Senats vom 03.12.2015 - L 7 AS 2005/15 B ER, L 7 AS 2006/15 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.08.2013 - L 19 AS 1343/12 B). Als beantragt ist dementsprechend alles anzusehen, was nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommt. Die Gerichte haben sich nicht daran zu orientieren, was als Antrag zulässig ist, sondern was begehrt wird, soweit jeder vernünftige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden. Danach ist nicht an dem Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen. Dabei muss der für das Gericht und die übrigen Beteiligten erkennbare gesamte Vortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R mwN; Beschluss des Senats vom 03.12.2015 - L 7 AS 2005/15 B ER, L 7 AS 2006/15 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.08.2013 - L 19 AS 1343/12 B). Auch bei anwaltlich vertretenen Beteiligten ist es Aufgabe des Gerichts, nicht des Anwalts, die prozessuale Grundlage für ein im Übrigen zulässiges Rechtschutzbegehren zu identifizieren.

Im Ergebnis dennoch zu Recht hat das Sozialgericht den Eilantrag abgelehnt, weil der Antragsgegner mit Bescheid vom 25.02.2019 dem Widerspruch abgeholfen hat und die Antragstellerin damit durch den Bescheid vom 20.02.2019 nicht mehr beschwert gewesen ist und eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs damit nicht mehr in Betracht gekommen ist. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist mangels Beschwer der Antragstellerin aus diesem Grund von Beginn an unzulässig gewesen und daher zu verwerfen.

Da die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde keine materielle Beschwer mehr geltend macht, ist die Beschwerde dahingehend auszulegen, dass diese sich nur gegen die Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts richtet. Zwar bestehen Zweifel daran, dass diese den Kriterien des § 193 SGG zur Verteilung der Kostenlast entspricht, denn der Antragsgegner hat erst nach Beantragung des Eilrechtsschutzes dem Widerspruch stattgegeben, was zeigt, dass er Veranlassung zur Antragstellung iSd § 193 SGG gegeben haben dürfte. Eine allein gegen die Kostengrundentscheidung gerichtete Beschwerde ist indes gem. § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unstatthaft, weshalb die Beschwerde auch insoweit zu verwerfen ist. Dieses in § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG statuierte Verbot der isolierten Kostenbeschwerde kann nicht dadurch umgangen werden, dass eine unstatthafte Beschwerde in der Hauptsache eingereicht wird. Aus demselben Grund ist allgemein anerkannt, dass ein Beteiligter, der nur durch die Kostenentscheidung im Urteil beschwert ist, und der deswegen in der Hauptsache kein Rechtsmittel einlegen kann, auch nicht dadurch die Kostenentscheidung angreifen kann, dass er formal auch die Hauptsache angreift (vgl. BVerwG Beschluss vom 14.06.1999 - 4 B 18/99; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 193 Rn. 16).

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ist demgegenüber zulässig und begründet, denn die erstinstanzliche Rechtsverfolgung hatte - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - von Beginn an hinreichende Aussicht auf Erfolg iSd §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved