L 9 AL 61/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 370/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 61/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 206/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist neben der Rücknahme der Arbeitslosengeld(Alg)-Bewilligung in den Zeiträumen 01.04.1996 mit 13.01.1997 und 03.03. mit 16.05.1997 die Erstattung der eingetretenen Überzahlung sowie der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung streitig.

I.

Der 1966 geborene ledige, seit 1993 schwerbehinderte Kläger, von Beruf Maschinenschlosser, der bereits 1987 im Leistungsbezug der Beklagten gestanden und eine von letzterer geförderte Umschulung (01.08.1988 mit 31.07.1990) zum Datenverarbeitungskaufmann in einem Betrieb der Mutter ohne Abschluss durchlaufen hatte, meldete sich am 01.04.1996 erneut arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Er gab an, keine selbständige oder Nebenbeschäftigung auszuüben, auch keinem Familienangehörigen zu helfen. Er versicherte die Richtigkeit der gemachten Angaben, außerdem sei ihm bekannt, dass er dem Arbeitsamt sofort alle Veränderungen anzuzeigen habe, die gegenüber den in diesem Antrag angegebenen Verhältnissen einträten. Das Merkblatt für Arbeitslose, in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen worden sei, habe er erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen. Auf dessen Einzelheiten (Stand April 1996) wird Bezug genommen.

Laut Arbeitsbescheinigung der Firma Computer M. (Inhaber die Mutter des Klägers) vom 16.04.1996 erzielte er als kaufmännischer Angestellter in der Zeit vom 01.01. mit 30.09.1995 monatlich je DM 5.500,-, vom 01.10.1995 mit 31.03.1996 je DM 4.500,-. Die Differenz im Monatslohn sei auf die schlechte Wirtschaftslage zurückzuführen.

Durch Bescheide vom 31.05.1996, 24.06.1996 sowie 10.01.1997 wurde ihm daraufhin ab 01.04.1996 Alg in Höhe von DM 351,00 wöchentlich bewilligt (Bemessungsentgelt: DM 1.000,-; Leistungssatz 60 v.H.; Leistungsgruppe A/0) bzw. ab 01. mit 13.01.1997 in Höhe von DM 344,40 wöchentlich. Nach einem Kuraufenthalt meldete er sich am 03.03.1997 erneut arbeitslos und beantragte die Fortzahlung der Leistung. Erneut gab er an, weder eine selbständige noch eine Nebentätigkeit auszuüben und auch keinem Familienangehörigen dabei zu helfen. Die Versicherung unter Ziffer 7 entspricht derjenigen im Antrag vom 02.04.1996. Die Beklagte bewilligte Alg ab 03.03.1997 in Höhe von DM 344,40 wöchentlich bis zur Erschöpfung am 16.05.1997 weiter (Bescheid vom 11.05.1997, BE DM 1.000,-; Leistungssatz 60 v.H.; Leistungsgruppe A/0). Wegen einer der Beklagten erst am 04.06.1997 bekannt gewordenen Aufnahme eines Gewerbes per 14.05.1997 wurde der Kläger zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung angehört.

In einer am 13.03.1997 beim Arbeitsamt Passau über das dortige Finanzamt eingegangenen anonymen Anzeige wurde der Kläger beschuldigt, neben dem Alg-Bezug "mehr als jeder andere in der Firma seiner Mutter mitzuarbeiten und seinen Lohn schwarz zu erhalten." Im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen und einer Außenprüfung der Beklagten wurden Mitarbeiter der Firmen der Mutter des Klägers sowohl von der zuständigen Polizeiinspektion G. als auch vom Außendienst als Zeugen gehört, unter anderem C. C. , D. B. und K. G. , auf deren Aussagen im Einzelnen verwiesen wird. Daneben wurden Übersichten über wochenweise getätigte Umsätze u.a. des Klägers aus dem Gesamtzeitraum 07.10.1996 mit 09.05.1997 zu den Akten genommen, darüber hinaus betriebliche Telefongebührenaufstellungen, in denen die vom Kläger im Gesamtzeitraum 05.09.1996 mit 02.05. 1997 verbrauchten Gesprächseinheiten erfasst sind, sowie Auszüge aus Rechnungen von Gaststätten am 07.05., 20.07. und 09.11. 1996 über Arbeitsessen, an denen der Kläger teilgenommen hat; schließlich eine Abmahnung des Klägers vom 01.12.1996 hinsichtlich überhöhter Telefongebühren und ein Aushang über Gruppencoachings im Zeitraum 24.03. mit 28.11.1997, die den Kläger als Teilnehmer ausweisen.

Nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen errechnete die Beklagte in den Zeiträumen 01.04.1996 mit 13.01. 1997 und 03.03.1997 mit 16.05.1997 überzahltes Alg in Höhe von DM 18.168,40 zuzüglich entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von DM 6.344,16 und hörte den Kläger mit Schreiben vom 22.01.1998 hierzu an.

Durch Bescheide vom 26.02.1998 wurden die Leistungsbewilligungen mit Wirkung vom 01.04.1996 und 03.03.1997 schließlich ganz zurückgenommen und das überzahlte Alg sowie die entrichteten Beiträge zurückgefordert. Der hiergegen eingelegte Rechtsbehelf blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 06.08.1998). Durch Bescheid vom 18.09.1998 stellte die LVA Niederbayern-Oberpfalz unter anderem fest, dass für die Beschäftigung des Klägers in der Firma M. im Zeitraum vom 01.04.1996 mit 16.05.1997 Beiträge zu entrichten seien.

Mit Schreiben vom 03.08.1998 teilte der Kläger auf das obige Anhörungsschreiben unter anderem mit, es könne nicht sein, dass er bis zum 13.01.1997 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, denn am 13.01.1997 habe er eine vierwöchige Kur angetreten, so dass er ab 13.02.1997 wieder arbeitslos gewesen sei. Im gegen Zahlung eines Geldbetrages zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung eingestellten Strafverfahren vor dem Amtsgericht P. (2 Ds 212 Js 9585/98) hat der Kläger nach einem Aktenvermerk vom 04.03.1999 eingeräumt, während des Leistungsbezuges wöchentlich ca. 10 bis 12 Stunden für die Firma M. tätig gewesen zu sein, und zwar in einem eigenen Büro in Räumen der Firma. Zum größten Teil sei er in 1996 mit Restarbeiten seiner früheren Firma und in 1997 mit dem Aufbau einer neuen eigenen beschäftigt gewesen.

In einem eigenhändig unterschriebenen Lebenslauf vom 30.04. 1997 gab der Kläger für den Zeitraum 1991 bis heute (30.04. 1997) folgende Tätigkeiten an: Diverse Netzwerkinstallationen mit Schwerpunkt Novell im Hause Computer M. sowie bei Kundschaften installiert, PC-Technik weiter ausgebaut, Vertrieb PC verantwortlich geleitet.

Die Inhaberin der Firma Computer M. erteilte dem Kläger am 13.05.1997 ein Zeugnis, in dem unter anderem bescheinigt wurde: "Zum 01.4.1996 übernahmen wir Herrn M. weisungsgemäß stundenweise, wobei er in dieser Zeit konzentriert Buchhaltung, die steuerliche Betrachtung und Bilanzaufbereitung mitlernen musste. Er übte diese Funktion vom 01.04.1996 bis heute (13.05. 1979) so aus, so dass sich seine komplette Lernbereitschaft niederschlägt in einem vollen Volumen von Kenntnissen, auch in kaufmännischer Hinsicht. Wir bedauern sehr, mit Herrn M. einen der besten Mitarbeiter in unserem Unternehmungen zu verlieren."

II.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Landshut räumte der Kläger ein, während seiner Arbeitslosigkeit in der Firma seiner Mutter in Familienhilfe tätig gewesen zu sein. Diese habe zum Inhalt gehabt: Auflösung eines großen Lagers in L. , Aufräumen der Außenstellen L. und R. , hilfsweise Unterstützung der Einarbeitung von überwiegend Auszubildenden (z.B. Einrichtung der Arbeitsplätze mit EDV-Unterweisung von Programmen, Bekanntgabe von Preisen usw.).

Die Kammer verband dieses Streitverfahren mit dem Verfahren S 6 Al 426/97 wegen Überbrückungsgeld und wies die Klage nach Beiziehung der Straftaten des Klägers durch Urteil vom 11.01. 2001 ab. Sie hielt eine Tätigkeit des Klägers im Betrieb seiner Mutter im Umfang von mehr als 18 Stunden wöchentlich aufgrund der im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Zeugenaussagen aus dem Strafverfahren/polizeilichen Ermittlungsverfahren für nachgewiesen. Arbeitslosigkeit habe infolgedessen nicht vorgelegen. Der Umfang der Tätigkeit werde auch durch die in den Akten befindlichen Geschäftsunterlagen der Firma M. belegt, unter anderem die Anweisung, er habe monatlich eine Marge von 10.000,- DM zu erreichen, was voraussetze, dass eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung vorgelegen haben müsse. Außerdem erscheine der Name des Klägers in den Geschäftsunterlagen als Disponent und schließlich sei dieser auch in den Telefongebührenverzeichnissen im Zeitraum 05.09.1996 mit Mai 1997 jeweils mit sehr hohen Beträgen erfasst worden.

III.

Mit der zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung wendet sich der Kläger gegen die Verwertung der polizeilichen Zeugenvernehmungen. Die angeführten Telefongebühren, die die Mutter des Klägers gerügt habe, seien privat angefallen, nicht betrieblich veranlasst gewesen. Außerdem sei er während des Leistungsbezugs niemals in der Firma seiner Mutter tätig gewesen, auch nicht im Rahmen der Familienmithilfe.

Mit Schriftsatz vom 10.03.2004 räumte er allerdings unter anderem ein, in der Zeit vom 01.04.1996 mit 16.05.1997 unter den persönlichen Anweisungen seiner Mutter gestanden zu haben, die ihn nicht gänzlich habe untätig lassen wollen. Dies habe er in Ordnung gefunden, zumal er wegen gesundheitlicher Einschränkungen und ärztlicher Behandlungen einer Vollzeitbeschäftigung gar nicht hätte nachgehen können. Seine Mutter habe sich verpflichtet gefühlt, ihn zu beschäftigen, wobei er überwiegend im privaten Bereich mitgeholfen habe. Allerdings sei es auch ab und zu vorgekommen, dass Mitarbeiter (überwiegend Azubis) ihn benötigt hätten, um Programmabstürze in der EDV zu regeln und die Bedienung von Programmen zu erklären. Diese Arbeiten habe er als Hobby angesehen, da sie von ihm nicht übermäßig ausgeführt worden seien.

Der Senat hat die vom SG verbundenen Verfahren abgetrennt, neben den Streitakten des ersten Rechtszuges die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Strafverfahrens 4 Ls 212 Js 9044/97 beigezogen und Beweis erhoben durch die Vernehmung der früheren Mitarbeiterinnen der Firma M. C. C. , K. G. und D. O. als Zeuginnen, auf deren Aussagen im Einzelnen Bezug genommen wird.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.01.2001 und die Bescheide vom 26.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.1998 aufzuheben.

Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.01.2001 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der oben angeführten Strafakten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 18.03.2004.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mangels Vorliegens einer Beschränkung grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Klägers, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das SG die zutreffend erhobene Anfechtungsklage abgewiesen.

Der Senat entscheidet aufgrund der Einverständniserklärungen der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter, § 155 Abs.4 i.V.m. Absatz 3 SGG.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 26.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.1998, mit denen die Beklagte die Alg-Bewilligungen ab 01.04.1996 und 03.03.1997 zurückgenommen sowie die Erstattung der eingetretenen Überzahlung und der zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichteten Beiträge gefordert hat.

Die Beklagte war berechtigt, die bei Erlass unrichtigen Bewilligungsbescheide vom 31.05.1996 in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 24.06.1996 und vom 11.04.1997 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 45 Abs.1, 2 Satz 3 Nrn.2 und 3 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs.2 SGB III. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Bewilligungen liegt nämlich nicht vor. Einerseits beruht die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen, die bei ihrem Erlass infolge der von Anfang an nicht gegebenen Arbeitslosigkeit unrichtig gewesen sind, darauf, dass es der Kläger in den Anträgen vom 02.04.1996 und 11.03.1997 bei den Antragstellungen vom 01.04.1996 und 03.03.1997 trotz bestehender Mitwirkungspflicht gemäß § 60 SGB I unterlassen hat, seine nach wie vor bestehende Beschäftigung in der Firma seiner Mutter anzugeben. Andererseits muss sich der Kläger den Vorwurf gefallen lassen, die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt zu haben. Denn bei Erlass der Verwaltungsakte hat er zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst, dass er ab 01.04.1996 und ab 03.03.1997 infolge der wöchentlich zumindest mehr als 18 Stunden umfassenden Tätigkeit für die Firma Computer M. nicht arbeitslos war und ihm Alg folglich nicht zugestanden hat. Wer wie der Kläger die Rechtswidrigkeit zweier Bescheide schuldhaft aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben herbeigeführt hat oder deren Rechtswidrigkeit zumindest kennen muss, dem ist es verwehrt, sich auf ein schutzwürdiges Vertrauen zu berufen. Der Kläger, der sich am 01.04.1996 und 03.03.1997 arbeitslos gemeldet hat und am 16.04.1996 sowie 14.03.1997 die entsprechenden schriftlichen Leistungsanträge eingereicht hat, hat jeweils darin nämlich ausdrücklich angegeben, keine selbständige oder Nebenbeschäftigung auszuüben und auch keine Familienmithilfe zu leisten.

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme in Verbindung mit dem Inhalt der Akten der Beklagten ist der Kläger während des Leistungsbezuges sowohl ab 01.04.1996 als auch ab 03.03.1997 in der Firma seiner Mutter zumindest mehr als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt gewesen. Das hat die uneidliche Einvernahme der gehörten Zeuginnen C. C. , K. G. und D. O. einvernehmlich ergeben. Erstgenannte Zeugin, die ab dem Frühjahr 1996 bis Mitte Februar 1997 als Azubi zur Bürofachkraft im Geschäft der Mutter beschäftigt war, hat bekundet, während ihrer Zeit habe der Kläger, der sie teilweise unterwiesen habe, - mit Ausnahme des Sekretariats - in jeder Station gearbeitet, der sie zugewiesen worden sei. Er hat ihrer Erinnerung nach eher 40 Stunden wöchentlich gearbeitet. Während der Einweisungstätigkeit hat er Computer eingestellt und Lohnabrechnungen gefertigt. Die Zeugin ist ihm, der keinen festen zugewiesenen Arbeitsplatz hatte, mit Ausnahme des Sekretariats in jeder der Ausbildungsstationen begegnet. Auf Vorhalt einer in den Akten enthaltenen Niederschrift des Außendienstes der Beklagten vom 18.04.1997 hat die Zeugin die Richtigkeit ihr damaligen zeitnahen Äußerungen bestätigt. Danach war der Kläger bis auf seinen Kuraufenthalt ständig in einer Gesamttätigkeit von mindestens 40 Stunden wöchentlich bei den Firmen T. und M. in den Abteilungen Lettershop, Technik, Versand, Lohnbuchhaltung und Verkauf sowie als Unterweiser tätig.

Die Zeugin G. , die ab 01.08.1994 in der Firma der Mutter des Klägers eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau durchlaufen und anschließend bis Ende Mai 1997 in der Buchhaltung und im Personalbereich gearbeitet hat, hat bekundet, der Kläger habe sie in der Personalabteilung eingearbeitet, er habe darüber hinaus Neukunden im Verkauf betreut. Sie hat sich daran erinnern können, dass der Kläger seinerzeit viel im Betrieb gewesen ist, ob Montag bis Freitag von 8.oo Uhr bis 17.oo Uhr, konnte sie nicht mehr sagen, zumal die Tätigkeit des Klägers variiert hat und er sowohl im Betrieb als auch bei Kunden Geräte repariert hat. Im Übrigen verwies die Zeugin auf betrieblich geführte Anwesenheitslisten. Nach der Erläuterung des Lohnprogramms durch den Kläger habe sie dieses Gebiet allein bearbeitet und ihn nur bei aufgetretenen Problemen fragen müssen. Auf Vorhalt ihrer Aussage vor der Polizeiinspektion G. vom 01.10.1997, in der sie angegeben hatte, der Kläger sei seit 01.08.1994 bis zu ihrem Ausscheiden aus der Firma mit Ausnahme seiner Krankheitszeiten mindestens 40 Stunden wöchentlich beschäftigt gewesen, hat sie zunächst am Ende dieses Protokolls ihre Unterschrift bestätigt und sodann die Richtigkeit des Inhalts der damaligen Aussage versichert.

Die Zeugin O. , die im selben Betrieb nach ihrer Ausbildung (01.08.1993 mit 31.07.1996) bis 17.06.1997 als Bürokauffrau beschäftigt gewesen ist, dabei ab dem Frühjahr 1996 regelmäßig im teilweise täglichen Wechsel im Auslieferungslager in L. eingesetzt war und im Sekretariat und der allgemeinen Buchhaltung am Stammsitz der Firma gearbeitet hat, bekundete zweifelsfrei, dass die tägliche betriebliche Arbeitszeit von 8.oo Uhr bis 17.oo Uhr gedauert hat und der Kläger, der zu keinem Zeitpunkt in L. gewesen ist, morgens etwa eine Viertelstunde später als die übrigen Mitarbeiter zur Arbeit erschienen und keinesfalls vor 17.oo Uhr gegangen ist. Er ist danach jedenfalls in W. an den Tagen, an denen sie am dortigen Firmensitz gearbeitet hat, entweder im Büro oder im Lager gesessen. Auf ausdrückliches Befragen der Klägerbevollmächtigten hat die Zeugin bekundet, dass der Kläger, mit dem sie auf derselben Etage gearbeitet hat, während ihrer kompletten Zugehörigkeit zum Betrieb - ohne dass ab dem Frühjahr 1996 eine Änderung eingetreten wäre - durchgehend im gleichen zeitlichen Umfang, und zwar eher volltags als maximal 20 Stunden wöchentlich, im Computerbereich mitgearbeitet und Aufträge bearbeitet hat. Wenn sie seinerzeit vor der Polizeiinspektion G. angegebenen habe, er sei ab 01.04.1996 bis zu ihrer Kündigung am 17.06.1997 im Betrieb M. vollbeschäftigt gewesen, und zwar als Mädchen für alles, habe sie das nach bestem Wissen und Gewissen getan. Er werde überall mitgeholfen haben, wo Not am Mann gewesen sei. Von Bedeutung für die Glaubhaftigkeit dieser Bekundungen ist zur Überzeugung des Senats, dass die Mutter und Bevollmächtigte des Klägers diese Zeugin in einem vorliegenden Schreiben an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht P. vom 09.06.1999 selbst als "ihre rechte Hand" bezeichnet hat, "die sehr intensiv in vielen vertraulichen Angelegenheiten eingearbeitet war."

Entgegen den anders lautenden Behauptungen des Klägers in den Leistungsakten einschließlich der vorgelegten Arbeitsbescheinigung ergeben die insoweit übereinstimmenden Bekundungen der gerichtlich gehörten Zeuginnen in Verbindung mit zu den Akten genommenen Geschäftsunterlagen der Firma M. aus dem streitigen Zeitraum sowie eigenen Einlassungen des Klägers in Bezug auf den Rücknahme- und Erstattungszeitraum zur Überzeugung des erkennenden Senats hinreichende Anhaltspunkte für eine mehr als kurzzeitige Tätigkeit im Betrieb der Mutter. Die drei gehörten Zeuginnen haben nach dem persönlich gewonnenen Eindruck des Senats im Beweistermin trotz der inzwischen vergangenen Zeit den Umfang und soweit ihnen möglich die Art der Tätigkeit des Klägers während dessen Leistungsbezuges sachlich, schlüssig und glaubhaft geschildert. Sie haben gegen den Kläger gerichtete Aversionen oder Benachteiligungstendenzen nicht erkennen lassen, so dass vernünftige Zweifel an ihren Bekundungen nicht offen geblieben sind. Hinzu kommen die vom Senat zu bewertenden aufschlussreichen Umsatzübersichten der Firma M. , die - nach Kalenderwochen geordnet - unter anderem vom Kläger erzielte Umsätze im Gesamtzeitraum 17.10.1996 mit 09.05.1997 ausweisen, daneben betriebliche Aufstellungen über auch vom Kläger erfasste Telefongebühren, die in einem Fall zu seiner Abmahnung geführt haben. Schließlich die eigenen Einlassungen des Klägers in den verschiedenen im Tatbestand aufgeführten Verfahrensabschnitten sowie nicht zuletzt sein Lebenslauf vom 30.04.1997 und das Zeugnis seiner Mutter vom 13.05.1997. Bei der Sachlage kam es auf vom Kläger eingeräumte Restarbeiten für seine eigene damalige Firma in 1996 und eine Beschäftigung mit dem Aufbau einer neuen Firma in 1997 nicht mehr an.

Zur Überzeugung des Senats ist der Kläger seiner Mitteilungspflicht hinsichtlich der weiterhin ausgeübten Beschäftigung im wenigstens mehr als kurzzeitigen Umfang auch zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Denn er hat auf den Leistungsanträgen vom 02.04.1996 und 11.03.1997 einerseits unterschriftlich versichert, dass die dort gemachten Angaben zutreffend seien, andererseits sowohl den Erhalt des Merkblattes für Arbeitslose, in dem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen wird, als auch die Kenntnisnahme von dessen Inhalt bestätigt.

Dieses Merkblatt (Stand April 1996) hat die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit auf Seite 17 wie folgt bezeichnet:" Als arbeitslos gilt ein Arbeitnehmer, wenn er vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis steht oder wenn er nur eine Beschäftigung bzw. Tätigkeit von weniger als 18 Stunden wöchentlich ausübt." Das Fehlen dieses Anspruchsmerkmals bei einer Tätigkeit von mehr als 18 Stunden wöchentlich ist auf Seite 36 erläutert. Die Verpflichtung zur Benachrichtigung des Arbeitsamtes von der Ausübung einer Nebenbeschäftigung findet sich auf Seite 50, die Erstattungspflicht ist auf Seite 51 beschrieben, die Entrichtung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung durch das Arbeitsamt sowie die Erstattung sowohl einer Überzahlung der Lohnersatzleistungen als auch der entrichteten Beiträge im Falle des unberechtigten Leistungsbezuges auf den Seiten 31, 51 und 52.

Mit dem BSG, vergleiche SozR 5870 Nr.1 zu § 13 BKGG und anderen, begründet die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand im allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses wie vorliegend so abgefasst war, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat und die Aushändigung noch nicht lange zurücklag. In gleicher Weise liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Betroffene das Merkblatt nicht gelesen hat, vgl. BSG vom 17.03.1981, 7 RAr 20/80. Die Berücksichtigung der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, des Einsichtsvermögens und des Verhaltens des als kaufmännischer Angestellter tätig und teilweise in eigener Firma selbständig gewesenen Klägers sowie der besonderen Umstände des Falles führen insoweit zu keiner anderen Beurteilung. Wie die Beklagte zutreffend dargestellt hat, ist auch der von ihr herangezogene Tatbestand des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X erfüllt. Aufgrund der oben zitierten Passage des Merkblattes in Verbindung mit der unterschriftlichen Versicherung auf dem Leistungsantrag hat der Kläger auch zumindest grob fahrlässig nicht gewusst, dass der sich aus den streitgegenständlichen Bewilligungen ergebende Alg-Anspruch aufgrund der von Anfang an von ihm ausgeübten mehr als kurzzeitigen Beschäftigung in der Firma der Mutter und damit wegen fehlender Arbeitslosigkeit von Anfang an nicht gegeben war. Angesichts der in sämtlichen vorliegenden Akten dokumentierten Gewandtheit des Klägers und dessen Fähigkeit, seine Interessen nachdrücklich zu vertreten, lassen sich wie oben Gründe für ein Absehen vom Vorwurf der zumindestens groben Fahrlässigkeit nicht erkennen.

Die Beklagte hat die Rücknahme der Alg-Bewilligungen zu Recht auf die Vorschrift des § 45 Abs.2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X gestützt. Die Entscheidung hatte gemäß § 330 Abs.2 SGB III in gebundener Form zu ergehen, auf die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens kam es nicht an. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Bewilligungen liegt nämlich nicht vor. Einerseits beruht die Rechtswidrigkeit der Bescheide, die bei ihrem Erlass infolge der fehlenden Arbeitslosigkeit unrichtig gewesen sind, darauf, dass es der Kläger trotz bestehender Mitwirkungspflichten gemäß § 60 SGB I verschwiegen hat, dass er auch zum Zeitpunkt der beiden Arbeitslosmeldungen und danach mehr als kurzzeitig beschäftigt war. Hinsichtlich der auch insoweit gegebenen zumindest groben Fahrlässigkeit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Andererseits muss sich der Kläger wie oben ausgeführt vorwerfen lassen, die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt zu haben. Denn bei Erlass der Bewilligungen hat er zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst, dass er infolge der wöchentlich mehr als 18 Stunden umfassenden Tätigkeit nicht arbeitslos war und ihm Alg folglich nicht zugestanden hat. Wer die Rechtswidrigkeit eines Bescheides wie der Kläger zumindest kennen muss, dem ist es verwehrt, sich auf ein schutzwürdiges Vertrauen zu berufen.

Wie oben lassen sich Gründe für ein Absehen vom Vorwurf der zumindestens groben Fahrlässigkeit nicht erkennen. Zur Überzeugung des Senats sind die Handlungsfristen eingehalten, insbesondere diejenige des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X. Denn der streitbefangene Rücknahmebescheid ist innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung der Behörde von den für die Rücknahme maßgeblichen Tatsachen erlassen worden. Für den Beginn der Jahresfrist ist auf die positive Kenntnis der Tatsachen abzustellen, welche die Aufhebung der Bewilligungsbescheide insbesondere für die Vergangenheit rechtfertigen. Die Frist beginnt mithin nicht bereits dann, wenn überhaupt Tatsachen bekannt geworden sind, aus denen sich die Rechtswidrigkeit aufzuhebender Bescheide ergibt, vielmehr müssen auch die Tatsachen bekannt sein, die eine Rücknahme, und zwar auch für die Vergangenheit, rechtfertigen, und aus denen sich das erforderliche Verschulden ergibt, vgl. BSGE 60. 239. Das ist regelmäßig erst nach der gemäß § 24 SGB X durchgeführten Anhörung des Betroffenen der Fall, vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr.27.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte trotz objektiv sicherer Kenntnis aller erforderlichen Tatsachen oder bereits gewonnener Überzeugung von der Richtigkeit und Vollständigkeit der vorliegenden Informationen mehr als ein Jahr hat verstreichen lassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Schließlich hält auch die geltend gemachte Erstattungsforderung einer rechtlichen Überprüfung stand. Infolge der Aufhebung der zugrunde liegenden Bewilligungen ist der Kläger zu Recht zur Rückzahlung des in diesem Zeitraum gewährten Alg verpflichtet, § 50 Abs.1 SGB X. Die Forderung, gegen die der Höhe nach Einwendungen nicht erhoben worden sind, ist auch rechnerisch nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Berechtigung der Beklagten, die entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zurückzufordern, § 335 Abs. 1 und 5 SGB III.

Der Senat verweist im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen sozialgerichtlichen Urteils.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang konnte die Beklagte, welche für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet werden, die dem Kläger zu dessen zweckentsprechender Rechtsverfolgung entstanden sind.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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