L 1 SF 753/18 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 20 SF 317/16 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 753/18 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 26. März 2018 aufgehoben und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung für das Verfahren S 20 AS 4436/13 auf 255,85 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für ein beim Sozialgericht Altenburg anhängig gewesenes Verfahren der von dem Beschwerdegegner vertretenen Kläger.

Die Beklagte bewilligte den Klägern als Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 26. November 2011 vorläufig Leistungen. Mit Bescheid vom 27. März 2013 setzte die Beklagte den Leistungsanspruch endgültig fest und forderte von dem Kläger zu 1.) einen Betrag in Höhe von 588,50 EUR und von der Klägerin zu 2.) einen Betrag in gleicher Höhe sowie weitere 361,71 EUR in ihrer Stellung als gesetzliche Vertreterin der beiden minderjährigen Töchter zurück. Nach erfolglosem Durchlaufen eines Widerspruchsverfahrens haben die Kläger hiergegen Klage erhoben. Durch Beschluss vom 12. Juni 2014 hat das Sozialgericht Altenburg die Verfahren S 34 AS 4436/13 und S 34 AS 4439/13 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Beschluss vom 12. Juni 2014 bewilligte das Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sch ... Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2015 zeigte der Beschwerdegegner an, dass Herr Rechtsanwalt Sch. seine anwaltliche Tätigkeit beendet hat, und beantragte, ihn unter Abänderung des PKH-Beschlusses beizuordnen. Mit Verfügung vom 14. Dezember 2015 forderte der Berichterstatter eine Erklärung an, aus der sich der Verzicht von Herrn Rechtsanwalt Sch. auf seinen Vergütungsanspruch ergibt. Dies wurde zunächst mit Schriftsatz vom 12. April 2016 abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2016 wurde ein Verzicht von Rechtsanwalt Sch. auf seinen Vergütungsanspruch aus dem PKH-Beschluss vom 12. Juni 2014 vorgelegt. Mit Beschluss vom 18. April 2016 änderte das Sozialgericht den Beschluss über die Bewilligung von PKH vom 12. Juni 2014 dahingehend ab, dass die Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Sch. zum Ablauf des 30. Juni 2015 aufgehoben und der Beschwerdegegner ab dem 1. Juli 2015 beigeordnet werde. Die bis zum 30. Juni 2015 angefallenen rechtsanwaltlichen Gebühren könnten nur von Rechtsanwalt Sch. gegenüber der Staatskasse geltend gemacht werden. Nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises vom 29. Juli 2016 und Terminierung des Verfahrens für den 7. September 2016 erklärte der Beschwerdegegner für die Kläger mit Schriftsatz vom 7. September 2016 die Rücknahme der Klage.

Mit seiner Abrechnung vom 13. September 2016 beantragte der Beschwerdegegner die Fest-setzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von 509,92 EUR.

Geltend gemacht wurde eine Verfahrensgebühr in Höhe von 300,00 EUR zuzüglich Erhöhung für mehrere Auftraggeber, Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen und die Dokumentenpauschale. Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 5. Dezember 2016 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung auf 139,23 EUR fest. Es könnten nur diejenigen Gebühren und Auslagen gegenüber der Staatskasse durch den Beschwerdegegner geltend gemacht werden, die ab dem 1. Juli 2015 entstanden seien. Dazu gehörten die Stellungnahme vom 2. Dezember 2015 und die Klagerücknahme. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien daher unterdurchschnittlich. Die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger werde durch ihre unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse kompensiert. Daher sei eine Gebühr in Höhe von 1/4 der Mittelgebühr angemessen.

Hiergegen hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt. Das Verfahren sei von ihm übernommen worden. Er habe sich komplett in das Verfahren einarbeiten müssen. Der neue Sachbearbeiter sei so zu stellen wie der ursprüngliche Bearbeiter. Ferner habe Rechtsanwalt Sch. auf die Geltendmachung von Gebührenansprüchen verzichtet. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2017 legte er eine Erklärung von Rechtsanwalt Sch. vor, wonach er berechtigt sei, die für diesen bis zum 30. Juni 2015 entstandenen Kosten geltend zu machen und die Beträge entgegen zu nehmen.

Mit Beschluss vom 26. März 2018 hat das Sozialgericht den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 5. Dezember 2016 abgeändert und die zu erstattende Vergütung auf 509,92 EUR festgesetzt. Rechtsanwalt Sch. habe unter dem Eindruck der gerichtlichen Empfehlung eine Verzichtserklärung hinsichtlich seiner bestehenden Vergütungsansprüche erklärt. Dieser Aspekt dürfe nicht unberücksichtigt bleiben. Ziel der kostenrechtlichen Begrenzung eines gewillkürten Anwaltswechsels sei es, die Staatskasse vor Mehrkosten zu bewahren. Durch den Verzicht von Rechtsanwalt Sch. dürfe die Staatskasse aber nicht besser gestellt werden als im Fall eines notwendigen Anwaltswechsels. Durch den Verzicht auf den Vergütungsanspruch sei die von Rechtsanwalt Sch. erbrachte Tätigkeit dem Beschwerdegegner zuzurechnen. Der Beschluss vom 18. April 2016 mit seiner Bestimmung, dass die bis zum 30. Juni 2015 angefallenen Gebühren nur durch Rechtsanwalt Sch. gegenüber der Staatskasse geltend gemacht werden könnten, stehe dem nicht entgegen. Diesen Ausführungen komme keine Rechtskraft zu. Der PKH-Beschluss habe lediglich über die Bewilligung und die Beiordnung zu befinden. Darüber hinaus gehende Ausführungen seien allenfalls als Begründungselemente anzusehen. Zudem sei es widersprüchlich, von dem vormaligen Prozessbevollmächtigten eine Verzichtserklärung abzufordern und dann dem neuen Prozessbevollmächtigten nur die nach der Beiordnung entstandene Vergütung zuzuerkennen. Insoweit bedürfe es zum Ausgleich eines wertenden Korrektivs, welches ausnahmsweise die anwaltliche Tätigkeit dem Beschwerdegegner zuordne. Die Höhe der geltend gemachten Verfahrensgebühr von 300,00 EUR sei nicht zu beanstanden.

Hiergegen hat die Staatskasse am 9. Mai 2018 Beschwerde erhoben. Der Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners sei auf die Zeit nach dem 30. Juni 2015 begrenzt. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus dem Beschluss vom 18. April 2016. Die Ausführungen des Sozialgerichts ließen § 48 Abs. 1 RVG völlig außer Betracht. Maßgeblich für den Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts sei allein der Beiordnungsbeschluss.

Der Beschwerdegegner ist diesen Ausführungen entgegengetreten. Er hält die Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts Altenburg für zutreffend.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und zulässig. Der Beschwerdewert übersteigt 200,00 EUR.

Die Beschwerde des Beschwerdeführers hat in der Sache teilweise Erfolg. Denn das Sozialgericht hat den Beschwerdegegner als neuen Prozessbevollmächtigten nur mit der Einschränkung beigeordnet, dass die "bis zum 30. Juni 2015 angefallenen rechtsanwaltlichen Gebühren nur von Herrn Rechtsanwalt Sch. gegenüber der Staatskasse geltend gemacht werden können". Diese Einschränkung ist gem. § 48 Abs. 1 RVG für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG grundsätzlich bindend (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Januar 2018 II-10 WF 33/07, zitiert nach Juris) und kann nur dahingehend ausgelegt werden, dass der neu beigeordnete Anwalt nur insoweit einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse haben soll, als diese nach seinem Eintreten in das Verfahren entstanden sind. Durch den Anwaltswechsel soll die Staatskasse nicht mit doppelten Gebühren belastet werden. Der Urkundsbeamte und die im Festsetzungsverfahren zur Entscheidung berufenen Gerichte sind an die Bewilligung der PKH und die Beiordnung gebunden. Sie dürfen diese nicht auf ihre Richtigkeit überprüfen. Sie haben sie vielmehr ungeprüft zur Grundlage der Festsetzung zu machen. Dies gilt auch für die Modalitäten der Beiordnung eines neuen Prozessbevollmächtigten nach Entpflichtung des alten. Daher ist der Inhalt des Änderungsbeschlusses zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung des Beschwerdegegners vom 18. April 2016 bindend. Daran vermögen auch die Überlegungen des Sozialgerichts Altenburg in seinem angegriffenen Beschluss nichts zu ändern, dass es zum Ausgleich einer vergütungsrechtlichen Ungleichbehandlung eines wertenden Korrektivs bedürfe, welche ausnahmsweise die anwaltliche Tätigkeit des ersten Anwalts dem Beschwerdegegner zurechne. Für diese Auffassung fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Eine Zurechnung der anwaltlichen Tätigkeit von Rechtsanwalt Sch. an den Beschwerdegegner scheidet im Übrigen auch bereits deshalb aus, weil Rechtsanwalt Sch. am 12. Mai 2016 schriftlich auf seinen Vergütungsanspruch aus dem PKH-Beschluss vom 12. Juni 2014 gegenüber der Staatskasse verzichtet hat. Der Verzicht wurde ausdrücklich erklärt. Raum für eine anderweitige Auslegung verbleibt insoweit nicht. Daher geht die auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erfolgte Erteilung einer Vollmacht an den Beschwerdegegner zwecks Geltendmachung seines Vergütungsanspruchs in der Sache ins Leere. Insoweit ist es auch unerheblich, dass hier alles dafür spricht, dass die Notwendigkeit des Anwaltswechsels aus Sicht der Kläger bereits deshalb gegeben war, weil Rechtsanwalt Sch. seine anwaltliche Tätigkeit beendet und durch Rückgabe seiner Zulassung nicht mehr berechtigt war, die Kläger weiter zu vertreten. Ebenso ist es unerheblich, dass die Verzichtserklärung nach Ergehen des Änderungsbeschlusses vom 18. April 2016 und der bereits erfolgten Beiordnung des Beschwerdegegners erfolgt ist. Angesichts des eindeutigen Wortlautes der Erklärung kann hierin auch nicht eine wahrscheinlich zulässige Abtretung des Vergütungsanspruchs an den Beschwerdegegner gesehen werden.

Daher hat der Beschwerdegegner nur Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit ab dem 1. Juli 2015. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG ist in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr mit 150,00 EUR festzusetzen. Die Bedeutung der Angelegenheit ist für die Kläger als überdurchschnittlich einzustufen. Das klägerische Begehren war auf Aufhebung der Erstattungsbescheide, mit denen Beträge von 2 x 588,50 EUR sowie ein Betrag von 361,71 EUR von der Klägerin zu 2.) in ihrer Stellung als gesetzliche Vertreterin der beiden minderjährigen Töchter zurückgefordert worden waren, gerichtet. Derartige Beträge begründen für die Bezieher von Grundsicherungsleistungen ein überdurchschnittliches wirtschaftliches Interesse.

Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Klageverfahren ab dem 1. Juli 2015 war hingegen als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen. Wie bereits ausgeführt, kommt eine Zurechnung der Tätigkeit von Rechtsanwalt Sch. für die Zeit davor nicht in Betracht. Unerheblich ist auch, dass der Beschwerdegegner sich als neuer Prozessbevollmächtigter in den Sach- und Streitstand einarbeiten musste. Damit verbleiben als berücksichtigungsfähiger Aufwand die Ausführungen in dem Schriftsatz vom 2. Dezember 2015, wo der Beschwerdegegner nach Beauflagung durch die Kammer zum Inhalt und Umfang beruflich veranlasster Telefonate im Rahmen des ausgeübten Gewerbes Stellung genommen hat, und die nach Erteilung eines weiteren gerichtlichen Hinweises vom 29. Juli 2016 mit Schriftsatz vom 7. September 2016 erfolgte Klagerücknahme. Hintergrund für diese Klagerücknahme war, dass der Beschwerdegegner sich nochmals bemüht hatte, bei dem Telefonanbieter eine Übersicht zu Einzelverbindungen zu erhalten. Da dies nicht gelungen ist, erfolgte die Klagerücknahme. Die rechtliche Schwierigkeit ist in diesem Zusammenhang als leicht unterdurchschnittlich zu beurteilen. Der Beschwerdegegner hatte zu klären, inwieweit Telefonkosten als Betriebs-ausgaben abgesetzt werden können. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger waren aufgrund des SGB II-Leistungsbezugs als unterdurchschnittlich einzustufen. Ein besonderes Haftungsrisiko bestand nicht.

Der Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners errechnet sich damit wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 150,00 EUR Erhöhungsgebühr um 30% wegen zwei Auftraggebern Nr. 1008 VV-RVG 45,00 EUR Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR 19% Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG 40,85 EUR Gesamt: 255,85 EUR.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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