S 38 AS 537/16 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
38
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 537/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L (7) AS 2339/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N aus E wird abgelehnt.

Gründe:

Der – sinngemäß gestellte – Antrag der Antragsteller,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch in gesetzlicher Höhe zu gewähren,

hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, das heißt des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, das heißt die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Gemäß § 86b SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft zu machen. Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. nur BSG, Beschl. v. 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B m.w.N.).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung dergestalt, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden insoweit ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 27 u. 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht erfüllt.

Gründe II:

Die Antragsteller haben keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, soweit sie die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form des Regelbedarfs (§ 20 SGB II) für die Zeit ab dem 14.11.2016 (Antragstellung bei Gericht) begehren. Das Gericht geht davon aus, dass eine akute Notlage derzeit nicht besteht und es den Antragstellern zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Die Antragsteller können ihren Regelbedarf vorläufig selbständig decken, da sie über kurzfristig einsetzbare monatliche Einnahmen in Form einer Grundmiete in Höhe von 450,00 EUR, des Kindergeldes der Antragstellerin zu 2) in Höhe von 190,00 EUR sowie die für die Antragstellerin zu 2) geleisteten Unterhaltszahlungen in Höhe von 400,00 verfügen, mithin über monatliche Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.040,00 EUR. Es ist den Antragstellern auch zuzumuten diese regelmäßigen Einnahmen und Mieterträge zunächst zur Deckung ihres Bedarfs einzusetzen. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann nicht "auf Vorrat" betrieben werden, sondern setzt eine akute finanzielle Notlage voraus (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 24.10.2014 – L 4 AS 423/14 B ER m.w.N.). Das Vorhandensein von Mitteln, gleich welchen Charakters, schließt die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes aus. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz darauf verwiesen werden können, dass der vorrangige Einsatz von geschütztem Vermögen oder nichtanrechenbarem Einkommen nach einer zusprechenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausgeglichen werden kann (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 20.12.2010 – L 19 AS 1167/10 B ER mit Hinweis auf den Beschluss des BVerfG v. 30.03.2007 – 1 BvR 535/07). Dem Antragsteller zu 1) steht ein monatlicher Regelbedarf in Höhe von 404,00 EUR zu und der Antragstellerin zu 2) in Höhe von 306,00 EUR, mithin für die Zeit vom 14.11.2016 bis 30.11.2016 in Höhe von insgesamt 402,33 EUR (§ 41 Abs. 1 S. 3 SGB II) und für die Zeit ab 01.12.2016 in Höhe von 710,00 EUR monatlich. Demgegenüber erzielen die Antragsteller laut eigenem Vortrag monatliche Einnahmen in Höhe von 1.040,00 EUR, wobei die Kammer bei den Mieteinnahmen lediglich die Grundmiete zu Grunde legt. Das Gericht geht davon aus, dass die Antragsteller von diesen Einnahmen ihren monatlichen Regelbedarf in Höhe von 710,00 EUR ab dem 01.12.2016 vorläufig werden decken können und auch ihr Regelbedarf in der Zeit vom 14.11.2016 bis 30.11.2016 vorläufig gedeckt werden kann. Die Mieteinnahmen in Höhe von 450,00 EUR fließen dem Antragsteller zu 1) auf sein Konto zu. Das Gericht geht aus diesem Grund davon aus, dass es sich bei den Mieteinnahmen um bereite Mittel handelt, über die die Antragsteller frei verfügen können. Im Übrigen kann von den vorhandenen Einnahmen auch der monatliche Mehrbedarf Alleinerziehung des Antragstellers zu 2) gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Höhe von 48,48 EUR gedeckt werden.

Soweit sich der Antrag der Antragsteller auch auf die Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) bezieht, haben sie ebenfalls keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Für die Übernahme der Unterkunftskosten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes liegt ein Anordnungsgrund in der Regel erst dann vor, wenn konkret und zeitnahe die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit droht. Vorausgesetzt wird eine akute Gefährdung der Unterkunft, von der frühestens ab Zustellung einer Räumungsklage auszugehen ist. Die Gefahr, dass Schulden entstehen, ist hingegen nicht ausreichend (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 07.01.2013 – L 19 AS 2281/12 B ER; Beschl. v. 21.10.2013 – L 7 AS 1725/13 B ER; Beschl. v. 17.2.2015 – L 12 AS 47/15 B ER; Beschl. v. 06.07.2015 – L 19 AS 931/15 B ER; Beschl. v. 13.05.2015 – L 12 AS 573/15 B ER; anders neuerdings LSG NRW, Beschl. v. 29.01.2015 – L 6 AS 2085/14 B ER und Beschl. v. 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER). Die Antragsteller haben vorliegend weder vorgetragen noch ist für das Gericht ersichtlich, dass der Verlust der Wohnung unmittelbar bevorsteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N aus E ist unbegründet.

Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 114 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein solcher Erfolg bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zwar nicht gewiss ist, doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. An einer solchen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt es hier aus den vorgenannten Gründen.
Rechtskraft
Aus
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