S 11 KA 572/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 572/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 65/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen für die Quartale II/07 - IV/11.

Der Kläger ist als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beklagte hatte den Kläger mit Schreiben ohne Datum (Bl. 69ff. der Verwaltungsakte zum Aktenzeichen S 11 KA 572/12) hinsichtlich einer Abrechnungsprüfung für die Quartale II/05-I/07 informiert. Da nur im Quartal I/07 Auffälligkeiten bestanden, wurde von einer weitergehenden Prüfung abgesehen. Hinsichtlich der Überschreitung der Tagesprofile durch die Akupunkturleistungen übersandte der Kläger sodann erstmalig mit Datum vom 10.07.2007 und danach routinemäßig quartalsweise an die Beklagte Schreiben mit folgendem Wortlaut:
"Sehr geehrte Damen und Herren, trotz exakter Überprüfung der abgerechneten Leistungen ergeben sich durch die Akupunktur Überschreitungen der statistischen Tagesdurchschnittsprofile. Ich bitte Sie, die zeitlichen Vorgaben kritisch zu überprüfen, da die Akupunktur in diesen Profilen bisher nicht berücksichtigt wurde. Die Zeitvorgaben werden ledig addiert, wobei 10 min Prüfzeit pro behandelten Akupunkturpatient sicher eine falsche Vorgabe ist. Nur ein Arzt mit wenig Kenntnissen in der TCM mag vielleicht einen solchen Zeitaufwand betreiben. Das präzise Positionieren von Akupunkturnadeln in der Schmerztherapie sollte schon aus Rücksicht auf den Patienten rascher erfolgen. Die Schmerztoleranz der Patienten könnte sonst leicht überschritten werden. Die Patienten wurden lege artis gemäß der Leistungsinhalte der Ziffern diagnostiziert und behandelt. Es handelt sich bei den Akupunkturpatienten um Patienten mit einer ausgeprägten Schmerzsymptomatik gemäß der Leistungslegenden, bei denen sämtlich eine medizinische Notwendigkeit zur Akupunkturbehandlung bestand."

Die Beklagte führte in den streitbefangenen Quartalen in drei Zeitabschnitten (II/07-IV/07: Aktenzeichen S 11 KA 572/12; I/08-IV/08: Aktenzeichen S 11 KA 590/13 und I/09-IV/11: Aktenzeichen S 11 KA 661/13) eine Plausibilitätsprüfung durch und übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 28.07.2011 (II/07-IV/07), 16.04.2012 (I/08-IV/08) und 23.05.2013 (I/09-IV/11) die zeitbezogenen Rechnungsergebnisse unter Erläuterung der Ermittlung der Zeitprofile.

Es ergaben sich die folgenden Überschreitungen:

Quartalsübersicht:

Quartal Tagesprofil Anzahl Tage davon Maximale Arbeitszeit pro Tag im Quartal Quartalsprofil Zeitsumme Überschreitung )12 Std. )16 Std. Std.: Min. Std.: Min.
2/2007 21 7 20:15 880:29 100:29
3/2007 10 2 18:50 683:32 -
4/2007 20 2 18:22 816:44 36:44
1/2008 30 5 21:47 924:37 144:37
2/2008 28 6 21:50 920:33 140:33
3/2008 31 15 25:34 1054:51 274:51
4/2008 39 22 21:54 1122:23 342:23
1/2009 36 22 20:55 1187:54 407:54
2/2009 39 28 20:09 1319:44 539:44
3/2009 42 31 23:38 1397:22 617:22
4/2009 44 30 25:13 1436:34 656:34
1/2010 45 27 23:06 1359:06 579:06
2/2010 42 24 30:22 1284:28 504:28
3/2010 41 14 24:54 1186:12 406:12
4/2010 46 29 30:26 1273:37 493:37
1/2011 36 17 21:59 1152:44 372:44
2/2011 36 14 27:54 1137:14 357:14
3/2011 42 10 19:35 1151:32 371:32
4/2011 31 13 35:23 1118:42 338:42

Tagesübersicht:

Behandlungstag Zeitergebnis
02.04.2007 20:15 Std.
12.04.2007 18:58 Std.
26.04.2007 16:49 Std.
12.07.2007 18:50 Std.
26.07.2007 18:07 Std.
23.08.2007 14:31 Std.
11.10.2007 14:00 Std.
18.10.2007 18:22 Std.
22.10.2007 16:36 Std.
17.01.2008 17:11 Std.
31.01.2008 21:47 Std.
07.02.2008 18:02 Std.
14.04.2008 17:01 Std.
15.05.2008 21:50 Std.
29.05.2008 16:43 Std.
01.07.2008 18:44 Std.
07.07.2008 16:59 Std.
23.09.2008 25:34 Std.
13.10.2008 19:28 Std.
20.10.2008 20:12 Std.
30.10.2008 20:19 Std.
13.03.2009 20:55 Std.
23.04.2009 20:09 Std.
30.07.2009 23:38 Std.
15.10.2009 25:13 Std.
17.03.2010 23:06 Std.
06.04.2010 30:22 Std.
01.07.2010 24:54 Std.
04.10.2010 30:26 Std.
10.01.2011 21:59 Std.
04.04.2011 27:54 Std.
04.07.2011 19:35 Std.
04.10.2011 35:23 Std.

Der Kläger erklärte hierzu, dass die Prüfzeiten für das EEG, EMG und die Akupunkturbehandlung für ihn als äußerst erfahrenen und routinierten Arzt viel zu hoch bemessen seien. Eine Zeitersparnis gegenüber der Prüfzeit resultiere auch aus der Spezialisierung der Praxis im Bereich Akupunktur mit der eine besondere Qualität des Personals und einer entsprechenden Praxisorganisation einhergehe. So verfüge er über 7 Behandlungsräume, in denen gleichzeitig Patienten behandelt werden könnten.

Auf der Grundlage der festgestellten Überschreitungen forderte die Beklagte mit Bescheid vom 24.11.2011 (II/07-IV/07) insgesamt 11.044,43EUR, mit Bescheid vom 03.08.2012 (I/08-IV/08) insgesamt 26.559,07EUR und mit Bescheid vom 09.08.2013 (I/09 IV/11) 139.460,80EUR Honorar zurück. Für die einzelnen Quartale ergaben sich die folgenden Rückforderungsbeträge:

Quartal 1/2008 3.622,59 EUR
Quartal 2/2007 5.242,87 EUR
Quartal 2/2008 2.700,56 EUR
Quartal 3/2007 2.576,20 EUR
Quartal 3/2008 8.716,20 EUR
Quartal 4/2007 3.225,36 EUR
Quartal 4/2008 11.519,72 EUR
Quartal 1/2009 8.838,02 EUR
Quartal 1/2010 11.545,14 EUR
Quartal 2/2009 9.984,42 EUR
Quartal 2/2010 15.036,52 EUR
Quartal 3/2009 10.779,99 EUR
Quartal 3/2010 11.643,37 EUR
Quartal 4/2009 14.135,73 EUR
Quartal 4/2010 22.882,11 EUR
Quartal 1/2011 10.079,63 EUR
Quartal 2/2011 9.994,84 EUR
Quartal 3/2011 7.132,55 EUR
Quartal 4/2011 7.408,48 EUR

Zur Begründung führte sie aus, für die Prüfung nach Zeitprofilen würden primär die im Anhang 3 zum EBM aufgeführten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen zugrunde gelegt werden. Außer Betracht blieben Leistungen im organisierten Notfalldienst, Leistungen aus der unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Vertragsarztes außerhalb der Sprechstundenzeiten und bei Unterbrechung der Sprechstunde mit Verlassen der Praxis. Der Anhang 3 zum EBM kennzeichne darüber hinaus die behandlungsfall- und krankheitsfallbezogenen ärztlichen Leistungen, die nicht dem Tageszeitprofil unterlägen. Betrage die auf der Grundlage der Prüfzeiten ermittelte arbeitstägliche Zeit bei Tageszeitprofilen an mindestens 3 Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden, erfolgten weitere Überprüfungen. Diese hätten zum Ziel, mit Hilfe ergänzender Tatsachen Feststellungen und Bewertungen festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit verstoßen worden sei oder nicht. Die Überprüfung der Abrechnung habe ergeben, dass der Kläger die Grenze von 12 Std. am Tag in den streitbefangenen Quartalen II-IV/07 an 51 Tagen, in den Quartalen I/08 IV/08 an Tagen und in den Quartalen I/09-IV/11 an Tagen überschritten habe. Für die hohen Zeitüberschreitungen seien insbesondere die zum 01.01.2007 in den EBM aufgenommenen Akupunkturleistungen (GOP 30790 und 30791) mit einer Prüfzeit von 30 bzw. 10 Minuten verantwortlich. Bezüglich der Akupunkturleistungen nach Nummer 30791 würden täglich hohe Zeitprofile, teilweise sogar über 8h erreicht. Dieser Ansatz von Akupunkturleistungen nach Nr. 30791 EBM 2005 erwecke angesichts der Häufigkeit und des Zeitaufwandes insgesamt den Verdacht, dass der in den Gebührenordnungspositionen vorgegebene Leistungsinhalt nicht in jedem Fall vollständig und ordnungsgemäß erbracht worden sei, so dass die Positionen nicht zum Ansatz hätten kommen dürfen. Der Zeitansatz für die einzelnen Leistungen sei gerechtfertigt. Bei den Prüfzeiten handele es sich nicht um absolute Mindestzeiten, sondern um Durchschnittszeiten, die so bemessen seien, dass ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen könne. Die Prüfzeiten könnten also im Einzelfall durchaus unterschritten werden, stellten sich aber bei einer ordnungsgemäßen und vollständigen Leistungserbringung als statistischer Mittelwert dar. Auch die teilweise gewählte Kombination des Ordinationskomplexes mit dem Gespräch von mindestens 10 Minuten Dauer erwecke angesichts der Häufigkeit und des Zeitaufwandes ergänzend den Verdacht, dass die von den Gebührenordnungspositionen 21210 bis 21212 im fakultativen Leistungsinhalt beschriebene Mindestkontaktzeit von 10 Minuten beim Ansatz der GOP 20220 nicht in jedem Fall eingehalten worden sei, wonach die GOP 21220 also erst bei einer Kontakt- bzw. Gesprächszeit von mindestens 20 Minuten zum Ansatz hätte kommen dürfen. Der Plausibilitätsausschuss SÜD sehe darin einen Verstoß gegen die verbindliche Anmerkung unter der Leistungslegende zur GOP 21220 EBM 2000 plus, nach der "bei Nebeneinanderabrechnung der Leistungen nach den Nrn. 21210 bis 21212 und 21220 eine Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung der Leistung nach der Nr. 21220 sei" und weiterhin auch einen Verstoß gegen die Allgemeinen Bestimmungen I, 2.1 EBM, wonach eine Leistung erst dann abrechnungsfähig sei, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden sei. Im Tagesprofil werde lediglich die Zeit (nämlich mindestens 20 Minuten) für die kombinierte Abrechnung mit der Nr. 21220 aufgeführt, die der ordnungsgemäß abrechnende Arzt aufgewandt haben müsse, wenn er den Ordinationskomplex und die Gesprächsleistung am selben Tag nebeneinander abgerechnet habe. Solange ein Arzt die Ziffernkombination nur angesetzt habe, wenn er tatsächlich die geforderte Zeit (20 Minuten) für den Patienten verwandt hätte, würden sich im Tages- bzw. "Gesprächszeit" - Profil durch diese Zeitberechnung keine irrealen Zeiten ergeben. Lediglich wenn die Kontaktzeit tatsächlich unterschritten worden wäre und dies in einer großen Zahl der Fälle geschehe, werde das Tages- bzw. "Gesprächszeit"- Profil auffällig. Für die Rechtmäßigkeit des Tagesprofils sei allein entscheidend, ob es sachlich richtig erstellt worden wäre. Sachlich richtig sei das Tagesprofil, wenn es die Zeiten abbilden würde, die der Arzt bei ordnungsgemäßer Leistungserbringung persönlich an diesem Tag erbracht haben müsse. Die Umsetzung der Anmerkung zur Leistungslegende der GOP 21220 im Tagesprofil sei sachlich richtig, dies sei sozialgerichtlich bestätigt. Auch die Quartalszeitgrenze von 780 Std. seien deutlich überschritten worden. Diese Überschreitungen seien jedoch teilweise erklärbar und lägen in einem noch vertretbaren Rahmen. Von einer Honorarkorrektur im Quartalsprofil werde deshalb abgesehen.

Gegen diese Bescheide legte der Kläger jeweils Widerspruch ein. Die ihn entlastenden Sachargumente seien bisher nicht ausreichend gewürdigt worden. Die in der Anlage 3 zum EBM 2000plus festgelegten Prüfzeiten würden nicht die tatsächliche Leistungserbringungszeit widerspiegeln, sie seien zu hoch bemessen. Die Prüfzeitfestsetzungen seien zweifelhaft, weil ein Zusammenhang zwischen Punktebewertung der Leistung und Höhe der Prüfzeit bestünde. Die Prüfzeiten seien teilweise durch überhöhte Zeitangaben zustande gekommen. Für die als vertragsärztliche Leistung neu eingeführte Akupunktur hätten keine Erfahrungswerte vorgelegen. Aufgrund seiner Erfahrung, Routine und spezialisierten Praxisorganisation könne er die Akupunkturleistungen deutlich schneller als in 10 Minuten (teilweise in weniger als 5 Minuten) erbringen. Akupunkturbehandlungen seien ein Schwerpunkt seiner Praxis, die überhöhten Prüfzeiten würden ihn daher besonders belasten. Mehrere Akupunkturbehandlungen (Dauer mindestens 30 Minuten) würden gleichzeitig/parallel stattfinden (7 Behandlungszimmer), die Zeiten dürften daher nicht einfach addiert werden. Er würde den sehr umfangreichen "chinesischen Anamnese-Fragebogen" erst am Wochenende auswerten. Die Zeit dürfe daher nicht im Tagesprofil erscheinen.

Praxisbesonderheiten müssten bei der Bewertung berücksichtigt werden. Er habe eine besonders gut organisierte Struktur und sehr gut geschulte Mitarbeiterinnen, so dass er Leistungen effektiv und ordnungsgemäß erbringen könnten. Die Leistungen EEG (Nr.16310 EBM 2000plus) und EMG (Nr. 16322 EBM 2000plus) enthielten einen hohen technischen Leistungsanteil, der von ausgebildeten Mitarbeitern erbracht würde. Die ärztliche Tätigkeit bestünde nur in der lndikationsstellung, Überprüfung der Ableitungen, Auswertung und Korrelation mit der klinischen Fragestellung und erfordere nur die Hälfte bis ein Drittel der Zeit. Die Besonderheiten der Abrechnung für den 12.07.2007 seien nicht gewürdigt worden. Er hätte zwar an diesem Tag 147 Briefe abgerechnet, die Briefe seien jedoch an anderen Tagen verfasst und lediglich am 12.07.2007 allesamt ausgefertigt und die Leistungsziffer abgerechnet worden. Die Leistungsmengenausweitung sei wochentagsabhängig (insbesondere Montag, erster Tag im Monat, erster Tag im Quartal, Tags zuvor nur halbtags geöffnete Praxis). Die Feststellung der Implausibilität der Abrechnung bzw. auffällige Tageszeitprofile bedeuteten noch keine Feststellung von Abrechnungsfehlern. Diese müsse die Beklagte erst anhand tatsächlicher Umstände nachweisen. Bei der Beurteilung der Akupunkturleistungen sei insbesondere nicht beachtet worden, dass Leistungen nebeneinander berechnungsfähig seien und der Zeitaufwand daher nicht für jede Leistung angesetzt werden dürfe. Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 26.09.2012, 23.10.2013 und 20.11.2013 jeweils zurück. Zur Begründung führte sie jeweils über die Gründe in den Ausgangsbescheiden hinaus aus, dass bei der Umsetzung der Honorarberichtigung die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Garantiefunktion der Sammelerklärung zu beachten sei (BSG, Urteil v. 17.09.1997, Az.: 6 RKa 86/95). Diese entfalle, wenn der Arzt – grob fahrlässig oder vorsätzlich – nicht erbrachte bzw. nicht ordnungsgemäß erbrachte Leistungen abgerechnet habe. Die für die Quartale I/07 bis IV/07 erstellten Tageszeitprofile führten den Indizienbeweis, dass die Abrechnungen fehlerhaft seien. Das Tagesprofil entstehe durch die Addition der Prüfzeiten (festgelegt in Anhang 3 zum EBM 2005) aller an einem Tag von dem Arzt abgerechneten Leistungen, die für die Berechnung des Tagesprofils geeignet seien. Es würden auch Zeiten erfasst werden, die nach den Vorgaben des EBM (z. B. in den Leistungslegenden) bei der Nebeneinanderabrechnung von Leistungen von dem Arzt erbracht worden sein müssten (Beispiel: Nebeneinanderberechnung von Ordinationskomplex und Gesprächsleistung, Ordinationskomplex und Nr. 35100 oder Nr. 35110 EBM 2005). In die Prüfzeit werde nur die Zeit eingerechnet, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzte (im Gegensatz zur Kalkulationszeit, die auch Zeitanteile für delegierbare Leistungsbestandteile enthalte). Zudem seien diese Durchschnittszeiten so zu bemessen, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen könne. Der Kläger habe mit Abgabe ihrer Sammelerklärung bestätigt, dass er alle abgerechneten Leistungen (und damit die entsprechenden Zeiten) persönlich und ordnungsgemäß erbracht habe. Die Zeitüberschreitungen würden auf der sehr häufigen Abrechnung der Akupunkturleistung Nr. 30791 beruhen, außerdem auf der häufigen Abrechnung der Nr. 16310 (EEG) sowie auf der tagesgleichen Abrechnung von Ordinationskomplex und der Beratungsleistung Nr. 21220 EBM 2000plus. Die Einwände gegen die Prüfzeiten des EBM 2000plus, insbesondere der Akupunkturleistung Nr. 30791, Nr. 16310 (EEG) und 16322 (EMG) überzeugten nicht. Die Beklagte sei verpflichtet, die in der Anlage 3 zum EBM 2000plus vorgegebenen Prüfzeiten für die Plausibilitätsprüfung zu Grunde zu legen (§ 8 Abs. 1 der Richtlinien gemäß § 106 a SGB V). Die Prüfzeit für die Akupunkturleistung entspreche den vom Bundessozialgericht aufgestellten Anforderungen (Erfassung der reinen Arztzeit eines erfahrenen, zügig arbeitenden Arztes). Die Tageszeitprofile seien daher korrekt erstellt worden. Die Prüfzeiten würden auf der Einschätzung eines ärztlich-sachverständigen Fachgremiums beruhen. Die Akupunkturbehandlung sei schon vor der Aufnahme als vertragsärztliche Leistung eine bekannte (privat)ärztliche Leistung mit Erfahrungswerten für die Leistungserbringungszeit gewesen. Der Prüfzeit läge damit ein Erfahrungswert für die Zeit der Leistungserbringung eines erfahrenen, geübten und zügig arbeitenden Arztes zugrunde. Delegierbare Leistungsbestandteile würden nicht in die Prüfzeit aufgenommen, so dass die Ausbildung der Mitarbeiter und Praxisorganisation nicht relevant sei. Im Übrigen ergebe sich schon aus der Beschreibung als Durchschnittszeit, dass es Fälle gebe, in denen die Leistung sowohl in kürzerer Zeit als auch in längerer Zeit erbracht werden könnten. Der Vortrag, man habe nur Fälle, in denen die Zeiten unterschritten würden, überzeuge daher nicht. Die Prüfzeit gebe an, wie viel Zeit ein Arzt in einer gut geführten Praxis für die ordnungsgemäße Versorgung der Patienten benötige. Zudem seien die Zeitbewertungen auch Grundlage für die entsprechende Honorierung der Leistungen. Dennoch sei die überwiegende Mehrzahl der Ärzte trotz Abrechnung der Leistungen in Plausibilitätsprüfungen nicht zeitauffällig. Die gleichzeitige ärztliche (Parallel-)Behandlung mehrerer Patienten sei bei dem Leistungsinhalt der Nr. 30791 - Durchführung der Akupunktur gemäß Therapieplan, Aufsuchen der Akupunkturpunkte, exakte Lokalisation, Nadelung, ggf. Adaption des Therapieplanes und Dokumentation, Festlegung neuer Punktekombination und Stichtiefe ausgeschlossen. Dagegen könnten sich mehrere Patienten nach dem Setzen der Nadeln gleichzeitig/parallel in mehreren Behandlungsräumen befinden (Verweildauer der Nadeln mindestens 20 Minuten), dies sei aber keine zeitbewertete Arztleistung.

Die Zeit für die Auswertung des Anamnesefragebogens (Nr. 30790 EBM 2000plus - Eingangsdiagnostik) falle nicht ins Tageszeitprofil, könne also die Tagesprofilhöhe nicht plausibel machen. Ob die Zeitvorgabe für die Nr. 16322 EBM 2000plus (EMG) unangemessen sei, sei nicht relevant. Sie habe diese Leistung meist in einem Umfang unter einer Stunde pro Tag abgerechnet (bei Tageszeltprofilen von über 16/18/20 Stunden). Die Prüfzeit für die Nr. 16310 (EEG) enthalte nur die ärztliche Leistungszeit, der technische, delegierbare Leistungsanteil sei in der Prüfzeit nicht enthalten. Selbst wenn man erläutere, weshalb am 12.07.2007 besonders viele Briefe abgerechnet worden wären, so erkläre dies nicht die vielen anderen implausiblen Tageszeitprofile, an denen die Zeit für Briefe meist weit unter einer Stunde Zeitaufwand ausmache. Zeitprofile von über 12 Stunden kämen über alle Quartale hinweg über das gesamte Quartal verteilt und an allen Wochentagen (außer Mittwoch) vor. Leistungserbringungszeiten von über 18 Stunden seien weder mit halbtägiger Praxisschließung noch Quartals-/Monatsbeginn oder Wochenende und genauso wenig mit Praxisbesonderheiten zu erklären. Entgegen der Ansicht des Klägers bedeute die Feststellung, dass Tageszeitprofile nicht plausibel seien (d.h. die Zeithöhe könne nicht erklärt werden), dass Abrechnungsfehler nachgewiesen seien (§ 12 Abs. 2 der Richtlinien gemäß § 106 a SGB V). Tageszeitprofile führten den Indizienbeweis für Abrechnungsfehler. Der Kläger habe zumindest grob fahrlässig Leistungen auf den Abrechnungsscheinen eingetragen, deren Leistungsinhalt er nicht vollständig erbracht haben könne. Die auf den nicht ordnungsgemäßen Sammelerklärungen beruhenden Honorarbescheide seien falsch und müssten aufgehoben werden.

Gegen diese Bescheide richten sich die Klagen vom 29.10.2012 zum Aktenzeichen S 11 KA 572/12, 25.11.2013 zum Aktenzeichen S 11 KA 590/13 und 18.12.2013 zum Aktenzeichen S 11 KA 661/13.

Das Gericht hat die Verfahren unter dem führenden Aktenzeichen S 11 KA 572/12 im Termin zur mündlichen Verhandlung am 05.03.2014 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Der Kläger trägt über den Vortrag im Verwaltungsverfahren hinaus im Wesentlichen vor, dass die in der Anlage 3 zum EBM aufgeführten Prüfzeiten unzutreffend seien. Zumindest aufgrund seiner Expertise, der Schwerpunktbildung und entsprechenden Praxisorganisation seien diese Zeitwerte nicht realistisch. Er könne die Leistung der GOP 30791 auch durchschnittlich deutlich schneller erbringen.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012, den Bescheid vom 03.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2013 sowie den Bescheid vom 09.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Gründe der Widerspruchsbescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten verwiesen, die bei der Beratung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Beteiligten haben – nachdem bereits am 05.03.2014 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte – einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richterinnen aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Honorarrückforderungsbescheide vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012, vom 03.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2013 sowie vom 09.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Zur Begründung verweist das Gericht zunächst nach § 136 Abs. 3 SGG auf die Gründe der Widerspruchsbescheide, die weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden sind. Die Bescheide stehen im Einklang mit der geltenden Rechtslage (vgl. dazu beispielhaft BSG, Beschluss vom 17.08.2011, Aktenzeichen: B 6 KA 27/11 B; LSG Hessen, Beschluss vom 10.11.2009, Aktenzeichen: L 4 KA 70/09 B ER; SG Marburg, Urteile vom 13.03.2013, S 11 KA 101/1 und vom 24.04.2014, S 11 KA 442/12).

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung. Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn-) ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V, eingefügt durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl. I 2003, 2190, mit Wirkung zum 01.01.2004). § 106a SGB V ist nicht auf den Bereich der Primär- und Ersatzkassen im Gegensatz zu den früher allein maßgeblichen Vorschriften nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) beschränkt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen hat. Aus Sicht der Zuständigkeit ist es daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei Erstellung der Zeitprofile auch die Leistungen gegenüber Versicherten anderer Versicherungsträger oder der Sozialhilfeträger einbezogen hat. § 106a SGB V erstreckt die Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung auf alle Bereiche, in den sie aufgrund gesetzlicher Erweiterung des Sicherstellungsauftrags (vgl. § 75 Abs. 3 bis 6 SGB V) auch die Abrechnung vornimmt. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung erstreckt sich auf die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß – somit ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes – erbracht worden sind. Solche Verstöße können z. B. darin liegen, dass die Leistungen überhaupt nicht, nicht in vollem Umfang, ohne die zur Leistungserbringung erforderliche spezielle Genehmigung oder unter Überschreitung des Fachgebietes erbracht worden sind (vgl. BSG, Urt. v. 01.07.1998 - B 6 KA 48/97 R -). Zur Feststellung, ob abgerechnete Leistungen vollständig erbracht worden sind, ist es zulässig, Tages- und Quartalsprofile zu verwenden (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.1993 - 6 RKa 70/91 -; BSG, Urt. v. 08.03.2000 - B 6 KA 16/99 R -). Tages- und Quartalsprofile sind ein geeignetes Beweismittel, um einem Arzt unkorrekte Abrechnungen nachweisen zu können. Die Beweisführung mit Tagesprofilen ist dem Indizienbeweis zuzuordnen. Für ihre Erstellung sind bestimmte Anforderungen erforderlich. Für die Ermittlung der Gesamtbehandlungszeit des Arztes an einem Tag dürfen nur solche Leistungen in die Untersuchung einbezogen werden, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzen. Delegationsfähige Leistungen haben außer Betracht zu bleiben. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die für die einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten so bemessen sein müssen, dass ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Der Qualifizierung als Durchschnittszeit entspricht es, dass es sich hierbei nicht um die Festlegung absoluter Mindestzeiten handelt, sondern um eine Zeitvorgabe, die im Einzelfall durchaus unterschritten werden kann. Die Durchschnittszeit stellt sich aber bei einer ordnungsgemäßen und vollständigen Leistungserbringung als der statistische Mittelwert dar (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.1993 6 RKa 70/91 - aaO.; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.10.2007 - L 7 KA 56/03 -). Als Nachweis für eine Falschabrechnung des Quartals genügt bereits ein beliebiger falsch abgerechneter Tag (BSG SozR 3-2500 § 83 Nr. 1). Ausgehend hiervon war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, Tages- und Quartalsprofile zu erstellen. Die Beklagte hat die Tages- und Quartalsprofile auch nicht falsch berechnet. Sie hat die Tages- und Quartalsprofile auf der Grundlage der Zeitangaben im EBM 2000plus erstellt. Die Beklagte konnte auch für die Körperakupunkturleistung nach Nr. 30791 EBM 2000 plus die vom EBM vorgegebene Prüfzeit im Tagesprofil von 10 Minuten bei einer Kalkulationszeit von 13 Minuten ansetzen. Die Kammer hält an ihrer Rechtsauffassung (SG Marburg, Urteile vom 13.03.2013, S 11 KA 101/1 und vom 24.04.2014, S 11 KA 442/12) sowie der Rechtsauffassung der 12. Kammer des SG Marburg (Urteil vom 19.09.2012 – Az. S 12 KA 167/11) weiterhin fest. Akupunkturleistungen wurden durch Beschluss des Bewertungsausschusses zu Änderungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) durch den Bewertungsausschuss nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 119. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung), Teil C, mit Wirkung zum 01.01.2007 neu in den EBM eingeführt. Die Leistungslegende beschreibt die mit 480 Punkten bewertete Nr. 30791 wie folgt: Durchführung einer Körperakupunktur und ggf. Revision des Therapieplans gemäß den Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V zur Behandlung bei folgenden Indikationen:
- chronische Schmerzen der Lendenwirbelsäule, oder
- chronische Schmerzen eines oder beider Kniegelenke durch Gonarthrose.
Obligater Leistungsinhalt:
- Durchführung der Akupunktur gemäß dem erstellten Therapieplan,
- Aufsuchen der spezifischen Akupunkturpunkte und exakte Lokalisation,
- Nadelung akupunkturspezifischer Punkte mit sterilen Einmalnadeln,
- Verweildauer der Nadeln von mindestens 20 Minuten.
Fakultativer Leistungsinhalt:
- Beruhigende oder anregende Nadelstimulation,
- Hervorrufen der akupunkturspezifischen Nadelwirkung (De-Qui-Gefühl),
- Berücksichtigung der adäquaten Stichtiefe,
- Adaption des Therapieplanes und Dokumentation,
- Festlegung der neuen Punktekombination, Stimulationsart und Stichtiefe, je dokumentierter Indikation bis zu zehnmal, mit besonderer Begründung bis zu 15 mal im Krankheitsfall.
Die Sachkosten inklusive der verwendeten Akupunkturnadeln sind in dieser Leistung enthalten.

Damit wird deutlich, dass es sich auch bei der einzelnen Akupunktur als Teil einer Akupunkturbehandlung um eine umfassende Behandlung einer im Ansatz ganzheitlichen Therapie handelt. Die Kammer geht davon aus, dass der Ansatz von 10 Minuten nicht zu beanstanden ist und zutreffend so bemessen ist, dass ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Die vom Kläger vorgetragenen Argumente vermögen diese Einschätzung nicht zu erschüttern. Soweit der Kläger den Vorgang der Akupunkturbehandlung als rein technischen, fast "fließbandartigen" Vorgang darstellt, der an 7 Patienten gleichzeitig durchgeführt wird, entspricht dies nicht einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung. Auch bei optimaler Vorbereitung durch die Praxismitarbeiter fallen Wegezeiten zum Aufsuchen und Verlassen des Behandlungsraums an und müssen insbesondere in jeder Sitzung Gespräche mit den Patienten geführt werden. In jeder Sitzung ist der zurückliegende Zeitraum bis zur letzten Sitzung aufzuarbeiten und hat eine Evaluation mit dem Patienten zu erfolgen. Es ist zu evaluieren, ob die bisherige Therapie bestätigt werden kann oder ob sie zu verändern ist. Hinzu kommt das Führen der Dokumentation, dessen Umfang und Sorgfalt gerade dann zunehmen, wenn Akupunkturen in einer Häufigkeit wie bei dem Kläger vorgenommen werden. So rechnete der Kläger die Nr. 30791 in einigen der streitbefangenen Quartale wie folgt ab:

Quartal absolut je 100 Fälle
II/07 1810 197
III/07 1357 151
IV/07 1721 194
I/08 2357 347
II/08 1989 238
III/08 2569 294
IV/08 2675 284
IV/09 3062 343
IV/10 2769 399
IV/11 2116 398

Aus dieser Statistik ist erkennbar, dass der Kläger die Leistung der Ziffer 30791 über den streitgegenständlichen Zeitraum bezogen auf die Gesamtpatientenzahl nahezu verdoppelt hat, bis auf nahezu eine 4malige-Abrechnung pro Patient im Quartal, was einen enormen Umfang bedeutet und für eine fließbandartige Erbringung der Leistung spricht. Wesentlich ist, dass es sich bei der Akupunktur um einen ganzheitlichen Therapieansatz handelt, bei dem nicht nur Ruhe während der Verweildauer der Nadeln von mindestens 20 Minuten notwendig ist, sondern während der gesamten Behandlung. Auch dies steht von vornherein einer "fließbandartigen" Behandlung entgegen. Wie bei Gesprächsleistungen schließt dies auch hier eine parallele Leistungserbringung aus, können also während der Durchführung der Akupunktur mit dem Patienten weitere Leistungen nicht erbracht werden. Gespräche mit dem Patienten sind zunächst Teil der Akupunkturbehandlung. Sie können gesondert nur abgerechnet werden, wenn sie separat, also außerhalb der Akupunktursitzung erfolgen, und einen anderen Therapieansatz verfolgen, soweit dieser im Sinne einer Stufentherapie nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstößt. Von daher sieht die Kammer in der genannten Kalkulations- und Prüfzeit nicht lediglich einen standespolitischen Erfolg entsprechender Verbände, sondern auch das zutreffend vom Bewertungsausschuss unterstellte Erfordernis einer sorgfältigen individuellen Behandlung, das einer Vertaktung des Behandlungsablaufs insofern entgegensteht.

Soweit die Überschreitungen auf EEG- und EMG-Leistungen beruhen gelten die gleichen Grundsätze. Auch diesbezüglich kann sich der Kläger aufgrund der verbindlichen Vorgaben des Bewertungsausschusses nicht darauf berufen, er könne diese Leistungen schneller erbringen.

Soweit die Beklagte bei einer Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 21210 bis 21212 EBM 2005 mit der Ziffer 21220 EBM 2005 davon ausgeht, dass hierfür im Behandlungsfall 20 Minuten anzusetzen sind, ist dies zutreffend. Ziffer 21220 EBM 2005 "Beratung, Erörterung und/oder Abklärung, Dauer mindestens 10 Minuten" kann für je vollendete 10 Minuten angesetzt werden und wird mit 150 Punkten berücksichtigt. Nach dem EBM 2005 ist aber bei der Nebeneinanderberechnung der Leistungen nach den Ziffern 21210 bis 21212 EBM 2005 mit der Ziffer 21220 EBM 2005 eine Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung der Leistung nach der Ziffer 21220 EBM 2005. Dies folgt eindeutig aus der klaren und bestimmten Leistungslegende dieser Vorschriften. Bei der die Leistungslegende ergänzenden Anmerkung handelt es sich um einen Teil des vom Bewertungsausschuss verabschiedeten EBM, der insofern die eigentliche Leistungslegende ergänzt. Sie gilt für den behandelnden Vertragsarzt und die Kassenärztliche Vereinigung und normiert gleichfalls die Voraussetzungen für eine vollständige Leistungserbringung.

Gerade bei zeitlichen Vorgaben verbleibt kein Auslegungs- oder Interpretationsspielraum; solche Vorgaben sind schon aus diesem Grund eindeutig und bestimmt. Der Arzt kann auch die Einhaltung der zeitlichen Vorgaben ohne großen Aufwand selbst kontrollieren, da hierfür nur eine normale Uhr benötigt wird. Ein neuer Gebührentatbestand wird damit nicht geschaffen. Es ist von der Kammer daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 21210 bis 21212 EBM 2005 mit der Ziffer 21220 EBM 2005 im Tagesprofil mit 20 Minuten bewertet.

Nicht zu beanstanden war auch die Annahme, dass bei Tagesprofilen von über 16 Stunden bzw. bei wenigsten drei Tagesprofilen von über 12 Stunden im Quartal eine ordnungsgemäße Leistungserbringung nicht mehr vorliegt (vgl. SG Marburg, Urt. v. 04.06.2008 - S 12 KA 528/07).

Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass der Bewertungsausschuss bei der Festlegung der Kalkulations- und Prüfzeit für die streitgegenständlichen Leistungen seinen Gestaltungsspielraum missbräuchlich überschritten hat. Auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 S. 2 2. Halbsatz SGB V sind die Zeitwerte in der Anlage 3 zum EBM 2000plus nach Leistungspositionen geordnet und hierbei wiederum aufgeteilt in die Kalkulationszeit und die Prüfzeit. Die Kalkulationszeit beziffert die der Kalkulation im EBM zu Grunde liegende, festgesetzte Durchschnittszeit für die jeweilige Leistung. Die Prüfzeit, die im Rahmen der Plausibilitätsprüfung relevant ist, entspricht der Mindestzeit, die ein besonders geübter und/oder erfahrener Arzt zur Erbringung der betreffenden Leistung benötigt. Während die Kalkulationszeiten auch den Zeitaufwand für delegierbare Leistungsbestandteile umfassen, beschränken sich die Prüfzeiten auf die reine Arztleistung und liegen daher in der Regel 20 Prozent niedriger als die Kalkulationszeiten. Bei den Ansätzen handelt es sich um Näherungswerte, die auf Grund statistischer und betriebswirtschaftlicher Daten festgelegt worden sind. Es bestehen auch vor dem Hintergrund der Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkte, hinsichtlich der Zeitwerte für die Akupunkturleistungen einen Gestaltungsmissbrauch anzunehmen. Die Festlegungen haben nach dem Willen des Gesetzgebers zwei Zielrichtungen. Diese dienen einerseits einer Erhöhung der Transparenz des Leistungsgeschehens und haben damit eine zumindest intendierte Steuerungswirkung. Andererseits kann dadurch auch die Wirksamkeit der Abrechnungsprüfungen nach § 106a SG V gesteigert werden (FraktE-GMG, BT-Drs. 15/1525 S. 104 zu Nr. 66 c) aa).

Auf einen Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Die Beklagte hat keinen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt, dass sie die Abrechnungsweise des Klägers für zutreffend hält oder dass sie von einer Berichtigung absehen werde. Nichtstun allein kann einen Vertrauenstatbestand nicht begründen. Der Kläger hat zwar mit seinen quartalsweise eingereichten Schreiben auf die Problematik der Überschreitung der Tagesprofile durch die Akupunkturleistungen aufmerksam gemacht. Die Beklagte hat jedoch daraufhin keinerlei Äußerungen getätigt, die den Kläger zu Vertrauensdispositionen hätten veranlassen dürfen. Gleichwohl wäre zur Überzeugung des Gerichts wünschenswert gewesen, die Beklagte hätte den offensichtlich durch die Schreiben dokumentierten Beratungsbedarf des Klägers aufgegriffen und ihn entsprechend informiert. Ein Vertrauenstatbestand resultiert daraus jedoch nicht.

Auch Verjährung bzw. Ausschluss einer Berichtigung wegen Zeitablaufs ist nicht eingetreten. Die Beklagte kann eine Berichtigung innerhalb von vier Jahren vornehmen (vgl. BSG Urt. v. 15.11.1995 – 6 RKa 57/94 und BSG, Urt. v. 28.03.2007 - B 6 KA 22/06 R - m. w. N.). Soweit die Beklagte eine kürzere Ausschlussfrist von zwei Jahren vorsieht, gilt dies nicht bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Falschabrechnung und bei Honorarberichtigungen aufgrund von Plausibilitätsprüfungen (vgl. Ziff. 8.6 der ab dem Quartal II/05 geltenden Honorarvereinbarung, die insoweit fortgeführt wurde). Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des SG Marburg eine Kassenärztliche Vereinigung nicht berechtigt, in ihrem Honorarverteilungsmaßstab die nach Bundesrecht geltende Ausschlussfrist von vier Jahren für sachlich-rechnerische Berichtigungen auf zwei Jahre zu verkürzen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 10.11.2010 – S 12 KA 455/10 –). Von daher ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, die Tages- und Quartalsprofile vor Erlass eines Honorarbescheids zu erstellen und eine evtl. Berichtigung bereits mit dem Honorarbescheid vorzunehmen. Zudem kommt hinzu, dass die Tages- und Quartalsprofile zunächst lediglich ein Aufgreifkriterium darstellen, das Abrechnungsverhalten eines Vertragsarztes näher zu prüfen. Auch von daher kann im Regelfall eine Prüfung erst nachträglich erfolgen. Nicht zu beanstanden war auch die Berechnung der Berichtigungsbeträge. Im Rahmen ihres Schätzungsermessens hat die Beklagte den Leistungsanteil abgeschöpft, der auf Leistungen jenseits der Grenze entfällt. Ihr Rechenvorgang über die Feststellung eines Überschreitungsprozentsatzes bedeutet letztlich, dass sie einen erwirtschafteten Minutenpreis für alle abgerechneten Leistungen ermittelt hat. Auf diese Weise hat die Beklagte alle Vergütungsanteile und evtl. Sachkostenerstattungen einbezogen. Dies war nicht zu beanstanden.

Nach alldem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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