L 1 LW 2/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 3 LW 1/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 LW 2/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
I. Hat der verstorbene Ehegatte zu keinem Zeitpunkt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 11 oder des § 12 Abs. 2 oder des § 12 Abs. 2 i. V. m. § 87c Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Regelaltersrente oder vorzeitige Altersrente erfüllt, kann dem jüngeren Ehegatten eine vorzeitige Altersrente nicht gewährt werden.
II. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 12 ALG bestehen nicht.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von vorzeitiger Altersrente nach § 12 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Die Klägerin ist 1953 geboren, ihr inzwischen verstorbener Ehemann 1950. Am 16.08.2013 starb der Ehegatte der Klägerin und die Klägerin beantragte Witwenrente, die ihr mit Bescheid vom 21.01.2014 ab dem 01.09.2013 gewährt wurde.

Am 01.09.2015 beantragte die Klägerin vorzeitige Altersrente ab dem 55. Lebensjahr für Ehegatten. Mit dem streitigen Bescheid vom 04.09.2015 lehnte die Beklagte die Gewährung von vorzeitiger Altersrente ab. Nach § 12 Abs. 1 ALG könnten Landwirte die Altersrente bis zu 10 Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze vorzeitig in Anspruch nehmen, wenn der Ehegatte bereits Anspruch auf eine Regelaltersrente oder vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte habe oder gehabt habe, die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt sei und das landwirtschaftliche/gärtnerische Unternehmen abgegeben sei. Der Ehegatte der Klägerin habe aber keinen Anspruch auf Regelaltersrente oder vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte gehabt. Ein Anspruch auf vorzeitige Altersrente bestehe daher nicht.

Mit Widerspruch vom 09.09.2015 erklärte die Klägerin, dass ihr Ehemann das 65. Lebensjahr am 04.06.2015 vollendet hätte. Auch die Wartezeit von 35 Jahren sei mit insgesamt 491 auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragsmonaten und damit 40 Jahren und 11 Monaten erreicht. Damit hätte ihr Ehemann ab Juli 2015 Anspruch auf vorzeitige Altersrente gehabt. Dass er zuvor schon ab 01.05.2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt bekommen habe, spiele keine Rolle.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, da der verstorbene Ehemann der Klägerin nicht zu Lebzeiten bereits einen Anspruch auf Regelaltersrente, vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs. 2 ALG oder vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs. 2 i. V. m. § 87c ALG gehabt habe. Die Formulierung "gehabt hat" lasse die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente zwar auch bei solchen Personen zu, bei denen der andere Ehegatte bereits verstorben sei und vor seinem Tod bereits alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Rente erfüllt habe. Der verstorbene Ehegatte der Klägerin habe allerdings zu Lebzeiten die für den Anspruch auf die genannten Renten erforderlichen Altersgrenzen nicht erreicht.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Bayreuth hat die Klägerin ausgeführt, dass die Beklagte bei ihrer Interpretation der Vorschriften vollkommen außer Acht lasse, dass im Erlebensfall mit Erreichen eines Alters von 65 Jahren und 4 Monaten der Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung von Amts wegen und ohne dass es hierzu eines Antrages bedürfe, sowohl bei Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung als auch bei Renten aus der landwirtschaftlichen Altershilfe in der Regel in Altersrenten umgewandelt würden. Andernfalls müsste auch der Tod eines Landwirts nach Bewilligung der (vorzeitigen) Altersrente an beide Ehegatten, aber vor Beginn der Altersrente dazu führen, dass der Bescheid aufzuheben wäre. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2018 im Wesentlichen unter Verweis auf die Begründung des Widerspruchsbescheids die Klage abgewiesen. Auch der von der Klägerin geschilderte Fall wäre nicht anders zu beurteilen.

Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. Art. 3 Abs.1 Grundgesetz (GG) berufen. Danach bestehe ein Anspruch auf vorzeitige Altersrente nach § 12 ALG auch in den Fällen, in denen der Ehemann vorverstorben sei und die Voraussetzungen auf Regelaltersrente, vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs. 2 ALG oder vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs. 2 i. V.m. § 87c ALG alleine deshalb nicht erfüllt hätten werden könnten.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 04.09.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2016 und den Gerichtsbescheid vom 08.01.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 01.11.2015 eine vorzeitige Rente für Ehegatten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vom Senat beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2018 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2016 zu Recht als unbegründet abgewiesen.

I.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf vorzeitige Altersrente gem. § 12 ALG zu, weil ihr verstorbener Ehemann zu Lebzeiten keinen Anspruch auf Altersrente begründet hatte.

Gemäß § 12 ALG können Landwirte die Altersrente bis zu zehn Jahre vor Erreichen der Regelaltersgrenze (für vor 1957 geborene Versicherte das 65. Lebensjahr, § 87b ALG) vorzeitig in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ALG vorliegen und der Ehegatte (hier: der verstorbene Ehemann der Klägerin) bereits Anspruch auf eine Regelaltersrente oder vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs. 2 ALG hatte oder gehabt hat.

1.
Die Klägerin hat die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt, da sie vom 01.10.1973 bis 31.03.2012 für 462 Kalendermonate (38 Jahre und 6 Monate) Beiträge zur Beklagten entrichtet hat. Das landwirtschaftliche Unternehmen ist auch mit Ablauf des 31.03.2012 im Sinne des § 21 ALG abgegeben worden.

2.
Die Gewährung von vorzeitiger Altersrente gem. 12 Abs. 1 ALG an die Klägerin scheitert jedoch daran, dass der verstorbene Mann zu Lebzeiten nicht bereits
1. einen Anspruch auf Regelaltersrente gem. § 11 ALG,
2. eine vorzeitige Altersrente nach§ 12 Abs. 2 ALG oder
3. vorzeitige Altersrente nach § 12 Abs. 2 i.V.m. § 87 c ALG hatte oder gehabt hat.

Die Formulierung in § 12 Abs. 1 ALG "gehabt hat" lässt die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente auch bei solchen Personen zu, bei denen der andere Ehegatte bereits verstorben ist und vor seinem Tod bereits alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Rente erfüllt hatte (vgl. hierzu vgl. Schriftlicher Bericht zu § 12 ALG Materialband ASRG 1995 und ASRG-ÄndG, S. 85). Hat der ältere Ehegatte - wie vorliegend - zu keinem Zeitpunkt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 11 oder des § 12 Abs. 2 oder des § 12 Abs. 2 i. V. m. § 87c ALG erfüllt, kann dem jüngeren Ehegatten eine vorzeitige Altersrente nicht gewährt werden (vgl. hierzu auch Rombach, Alterssicherung der Landwirte, 1995, S. 96). Vorliegend hat der verstorbene Ehemann zu Lebzeiten die für den Anspruch auf die genannten Renten erforderlichen Altersgrenzen nicht mehr erreicht.

2.1.
Ein Anspruch auf Regelaltersrente gem. § 11 ALG bestand nicht, da der Ehemann am 16.08.2013 im Alter von 63 Jahren verstorben ist und somit die erforderliche Altersgrenze von 65 Jahren und 4 Monaten (§ 11 Abs. 3 i. V. m. § 87a ALG) nicht mehr erlebt hat.

2.2.
Es bestand auch kein Anspruch auf vorzeitige Altersrente gem. § 12 Abs. 2 ALG, da der Ehemann die hierfür erforderliche Altersgrenze von 65 Jahren ebenfalls nicht zu Lebzeiten erreicht hat.

2.3.
Schließlich hatte der verstorbene Ehemann zu Lebzeiten keinen Anspruch auf vorzeitige Altersrente gem. § 12 Abs. 2 i. V. m. § 87c ALG erworben. Zwar ist durch Art. 2 des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-LVG) zum 01.07.2014 auch in der Alterssicherung der Landwirte eine abschlagsfreie Rente ab dem 63. Lebensjahr eingeführt worden. Es handelt sich hierbei um die vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte gem. § 12 Abs. 2 i. V. m. § 87c ALG (vgl. hierzu Fleuth/ Liebscher, Auswirkungen des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Alterssicherung der Landwirte, Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft, 1/2014, S. 5 ff.). Danach haben Landwirte seit 01.07.2014 Anspruch auf vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte, wenn
1. das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist,
2. der Versicherte ein bestimmtes Lebensalter erreicht hat,
3. die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt ist und
4. die besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung, nach der für 45 Jahre rentenrechtliche Zeiten nach § 23 Abs. 8 Satz 2, 2. Halbsatz ALG zurückgelegt sein müssen, vorliegt.

Die Altersgrenze liegt bei Versicherten mit Geburtsjahr 1950, wie bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin, bei 63 Jahren. Der Ehemann der Klägerin hat mit Ablauf des 03.06.2013 diese Altersgrenze erfüllt. Allerdings ist der Ehemann bereits vor Inkrafttreten des RV-LVG (01.07.2014) am 16.08.2013 verstorben. Der Kläger hat damit zu Lebzeiten keinen Anspruch vorzeitige Altersrente gern. § 12 Abs. 2 i. V. m. § 87c ALG gehabt. Unabhängig davon sind in dem Versicherungsverlauf des verstorbenen Ehemanns auch keine 45 Jahre (540 Kalendermonate) anrechenbare Zeiten nach § 23 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz ALG gespeichert.

II.
Die Ablehnung einer vorzeitigen Altersrente bei einem Vorversterben des Ehemanns vor Erreichen der materiellen Voraussetzungen einer Alters- bzw. vorzeitigen Altersrente verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 (88); st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), vgl. BVerfGE 124, 199 (219 f.) und BVerfGE 71, 39 (58 f.); 120, 125 (144) mwN). Dafür liegen vorliegend keine Anhaltspunkte vor. Solche sind von der Klägerin auch nicht aufgezeigt worden. Nach dem Sinn und Zweck der vorzeitigen Altersrente gem. § 12 ALG sollte es gerade jungen Bäuerinnen ermöglicht werden, gemeinsam mit ihrem Ehegatten in Rente zu gehen. Hierdurch sollte vermieden werden, dass sich bei größerem Altersunterscheid vorübergehend erhebliche Rentenminderungen ergeben (vgl. Begründung zu § 12 ALG Materialband ASRG 1995 und ASRG-ÄndG). Dieser Sinn und Zweck (gemeinsam in Rente gehen) kann jedoch bei einem Vorversterben des Ehemanns nicht mehr erreicht werden. Der Grund für die Privilegierung ist damit entfallen.

Die Klägerin hat damit auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Anspruch auf vorzeitige Altersrente gem. § 12 Abs. 1 ALG.

III.
Die Kostenentscheidung (§§ 183,193 SGG) berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

IV.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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