L 1 KR 122/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 37 KR 2056/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 122/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtlichen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine hyperbare Sauerstofftherapie (HBO-Therapie).

Die Klägerin ist 1974 geboren und leidet an Gleichgewichtsstörungen sowie einer linksseitigen Hörstörung mit Tinnitus nach einem vor langer Zeit erlittenen Hörsturz. Grunderkrankung ist eine sog. "Kugelzellanämie". Hierbei handelt es sich um einen genbedingten Defekt an der Hülle der roten Blutkörperchen, der u.a. den Sauerstofftransport im Blut beeinträchtigt.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Dezember 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine ambulante HBO-Therapie (Einatmung von 100 % medizinisch reinem Sauerstoff unter erhöhtem Umgebungsdruck in einer Druckkammer für definierte Zeiträume und Intervalle) in der Gemeinschaftspraxis M ... Die Beklagte holte eine Auskunft in dieser Praxis ein, von wo die HBO-Therapie für die Klägerin befürwortet wurde. Auf der Basis einer von ihr dazu angeforderten gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 22. Februar 2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine HBO-Therapie mit Bescheid vom 28. Februar 2013 ab.

Ihren dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten mit einer von ihr vorgelegten Stellungnahme der sie behandelnden krankengymnastischen Praxis Z. und W. vom 15. Mai 2013. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des behandelnden Hämato-onkologischen Zentrums H. sowie ein Gutachten nach Aktenlage des MDK (vom 7. Juni 2013) ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2013 zurück. Zur Begründung legte sie dar, die HBO-Therapie habe keinen Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden, so dass eine Kostenübernahme grundsätzlich nicht beansprucht werden könne. Es handele sich bei ihr auch um keine "Unkonventionelle Untersuchungs- und Behandlungsmethode", da die vom Bundessozialgericht (BSG) hierzu entwickelten Kriterien nicht erfüllt seien. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe die Therapie den nicht anerkannten Diagnostiken und Therapien zugeordnet.

Die Klägerin hat am 18. November 2013 Klage erhoben. Dem fehlenden Anerkenntnis der HBO-Therapie durch den G-BA komme in diesem Fall ausnahmsweise keine entscheidende Bedeutung zu. Hier sei nämlich eine abweichende Einzelfallentscheidung möglich, da bei der Klägerin eine schwere Krankheit vorliege, die zuvor mit allen anderen Mitteln und Methoden lange erfolglos behandelt worden sei. Eine lange erfolglose Behandlung bedeute in diesem Zusammenhang mehr als 6 Monate oder Jahre. Das Vorliegen eines solchen "absoluten Ausnahmefalles" ergebe sich aus dem "Arztbrief" der Praxis Z. und W. vom 15. Mai 2013 (gemeint: 5. Mai 2013).

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Mai 2017 abgewiesen. Die Klägerin habe gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Allerdings würden sich insoweit aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V Einschränkungen ergeben. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch umfasse nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich seien und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Die Krankenkassen seien nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen sei oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet hätten. Vielmehr müsse die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Dies sei bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung, wie sie hier in Rede stünde, gemäß § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V im Sinne eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt grundsätzlich nur dann der Fall, wenn zunächst der G-BA eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben und Richtlinien erlassen habe (§ 92 Absatz 1 S. 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V). Durch diese Richtlinien werde nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürften. Vielmehr werde durch die Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Was die HBO-Therapie betreffe, habe der Rechtsvorgänger des GBA, der ehemalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, am 10. April 2000 einen früheren Beschluss bestätigt, wonach die Behandlungsmethode der HBO-Therapie nicht für die vertragsärztliche Versorgung anerkannt worden sei. Inzwischen sei der G-BA am 17. April 2014 auf Initiative eines Druckkammerbetreibers zu dem Ergebnis gelangt, dass hinsichtlich der "HBO-Therapie bei Hörsturz" zwar ein Nutzen bislang nicht hinreichend belegt sei, dass diese Methode jedoch hinreichendes Potenzial für eine Erprobung gemäß § 137 e SGB V habe. Der G-BA habe daher das Beratungsverfahren für die Erprobungsrichtlinien eingeleitet (Bekanntmachung des GBA vom 10. Juli 2014). Wie eine Nachfrage des Gerichts beim GBA am 8. Mai 2017 ergeben habe, sei das Beratungsverfahren inzwischen abgeschlossen und nunmehr der Erlass einer Erprobungsrichtlinie in Aussicht genommen. Da es damit aber noch an einer (positiven) Empfehlung des GBA fehle, gehört die HBO-Therapie bisher nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Es liege auch keiner der Ausnahmefälle vor, bei dem die Sperrwirkung einer fehlenden oder abgelehnten Empfehlung des GBA entfalle. Insbesondere gebe es hier keinen Anhalt für ein sog. "Systemversagen". Dass trotz (positiven) Abschlusses des Beratungsverfahrens für eine Erprobungsrichtlinie eine solche vor dem Hintergrund einer noch nicht geklärten Verteilung der Erprobungskosten trotz Ablaufs der Frist in § 137 e Abs. 7 S. 3 SGB V noch nicht beschlossen worden sei, beruhe auf den Vorgaben des § 137 e Abs. 6 SGB V. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot sei hierin nicht zu sehen. Bei der Klägerin bestehe auch keine Erkrankung, die, wie es in § 2 Abs. 1 a SGB V heißt, mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung zumindest wertungsmäßig vergleichbar wäre. Ebenso wenig liege ein sog. "Seltenheitsfall" vor. Nur ergänzend weise das Gericht darauf hin, dass es sich bei der Praxis Z. und W., auf deren Argumentation im Schreiben vom 15. Mai 2013 die Klägerin die von ihr geltend gemachte Behandlungsnotwendigkeit mittels HBO-Therapie im Wesentlichen stütze, anders als vom Prozessbevollmächtigten angenommen nicht um eine Arztpraxis, sondern um eine krankengymnastische Praxis handele.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 9. Oktober 2017 zugestellte Urteil am 9. November 2017 Berufung eingelegt. Bei der Klägerin sei im Rahmen einer Einzelfallentscheidung eine HBO-Therapie zu bewilligen, da alle anderen bisher durchgeführten Therapien keine Wirkung im Hinblick auf die vorhandenen Diagnosen "schmerzhafte Funktionsstörung der Wirbelsäule" und "chronischen Tinnitus" gezeigt hätten. Dies liege wohl an der zudem vorliegenden Erkrankung der Kugelzellenanämie. Es liege insgesamt auch ein mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vergleichbarer "Seltenheitsfall" vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes und den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Hyperbare Sauerstofftherapie zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht gem. §§ 143, 151 Abs. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und daher zulässig. Sie ist aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind aus den aus dem Urteil ersichtlichen Gründen, auf die nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, rechtmäßig.

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Aus dem Antrag bei der Beklagten geht hervor, dass die Behandlung begehrt wurde, da "berechtigte Hoffnung" bestehe, "zumindest die von der Patientin beklagten Gleichgewichtsstörungen, , entscheidend zu verbessern.". Später im Verwaltungsverfahren wurden dann auch eine Hörstörung mit Tinnitus und schmerzhafte Wirbelsäulenbeschwerden sowie die Kugelzellanämie als Grunderkrankung ins Feld geführt. Bei diesem Vortrag ist schon nicht ersichtlich, welcher Erkrankung genau die HBO-Therapie dienen soll. Zumindest scheint der Tinnitus nicht im Vordergrund der Behandlung zu stehen. Von den genannten Diagnosen ist es jedoch nur der Tinnitus, für den der G-BA eine Behandlung durch die HBO-Therapie im Sinne einer Erprobungsrichtlinie in Aussicht genommen hat. Auch diesbezüglich ist jedoch nach wie vor eine Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung derzeit nicht zulässig. Hinzu kommt, dass die fragliche Therapie bei der Klägerin offensichtlich sogar kontraindiziert ist (vgl. Seite 12 unter "Gegenanzeigen" der "Informationen zur hyperbaren Sauerstofftherapie" des Universitätsklinikums Halle (Saale), Stand 05.02.2016, abrufbar unter https://www.uk-halle.de/fileadmin/Bereichsordner/Kliniken/AnaesthesiologieIntensivmedizin/1 Leistungsspektrum/5 HBO/Patientenbroschuere.pdf ).

Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Umstände bei der Klägerin eine mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vergleichbare Erkrankung vorliegen soll. Auch das Vorliegen eines "Seltenheitsfall" ist nicht ersichtlich. Bei keiner der genannten Erkrankungen handelt es sich um eine seltene Erkrankung. Dies gilt auch für die Kugelzellanämie, die eine Prävalenz von 1:2000 aufweist (vgl. Wikipedia zum Stichwort "Kugelzellanämie").

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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