Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 118 SB 131/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 108/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2017 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger noch einen GdB von 90, die Zuerkennung der Merkzeichen aG und RF sowie die Rückzahlung von 5,00 Euro.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 stellte der Beklagte bei dem Kläger, u.a. wegen Erkrankung der Prostata in Heilungsbewährung, einen GdB von 60 fest. Entsprechend seinem Teilanerkenntnis im anschließenden sozialgerichtlichen Streitverfahren und gemäß der Verpflichtung im Urteil des Landessozialgerichts zum Aktenzeichen L 13 SB 172/13 stellte der Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 14. März 2014 bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G bzw. einen GdB von 80 fest.
Der Kläger beantragte am 6. Februar 2015 die Feststellung eines höheren GdB sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G und aG und am 21. Mai 2015 die Zuerkennung des Merkzeichens RF.
In dem hinsichtlich der Heilungsbewährung vom Beklagten eingeleiteten Nachprüfungsverfahren wurde nach Auswertung der angeforderten Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte festgestellt, dass hinsichtlich der Erkrankung der Prostata kein Rezidiv aufgetreten war. Der Beklagte hörte deshalb den Kläger zu der beabsichtigten Herabsetzungsentscheidung an. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2015 bat der Kläger um Übersendung von Kopien aus der SB-Akte. Hierfür forderte der Beklagte mit Schreiben vom 9. November 2015 Gebühren in Höhe von 5,00 Euro. Diesen Betrag leistete der Kläger, beantragte aber mit Schreiben vom 11. November 2015 die Rückerstattung.
Mit Bescheid vom 17. November 2015 stufte der Beklagte bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 21. November 2015 den GdB auf 50 herab, stellte fest, dass weiterhin die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G vorlägen, und lehnte die Zuerkennung der Merkzeichen aG und RF ab. Dieser Bescheid ist lt. Aktenvermerk am 18. November 2015 abgesandt worden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2016 zurück. Er ging hierbei von folgenden Einzelbehinderungen aus:
1. Knorpelschaden am Kniegelenk beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB von 30), 2. Erkrankung der Prostata bei erreichter Heilungsbewährung, partielle Harninkontinenz, erektile Dysfunktion (Einzel-GdB von 20), 3. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Wirbelsäulenverformung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB von 20), 4. Bluthochdruck (Einzel-GdB von 20), 5. Harninkontinenz (Einzel-GdB von 20), 6. Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB von 10), 7. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB von 10).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger einen GdB von 90, die Merkzeichen aG und RF sowie die Erstattung von 5,00 Euro begehrt. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der vom Sozialgericht eingeholten Befundberichte hat Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2016 erklärt, bei dem Kläger einen GdB von 60 anzuerkennen. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger nicht angenommen.
Das Sozialgericht hat das Gutachten des praktischen Arztes M vom 31. Oktober 2016 eingeholt, der den GdB bis August 2015 mit 80 und ab September 2015 mit 50 eingeschätzt hat. Dem legte der Gutachter folgende Einzelbehinderungen zugrunde:
1. Knorpelschaden am Kniegelenk beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB 30), 2. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Wirbelsäulenverformung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20), 3. Harninkontinenz, erektile Dysfunktion (Einzel-GdB 50 bis August 2015, zusätzlich mit einem GdB von 20 für die damals noch extra bewertete Harninkontinenz), 4. Bluthochdruck (Einzel-GdB 20), 5. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10), 6. Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB 10), 7. seelisches Leiden, akzentuierte Persönlichkeit (Einzel-GdB 10 ab Oktober 2016) und 8. Sehminderung (Einzel-GdB 10 ab Juli 2016).
Der Sachverständige hat sich gegen die Zuerkennung des Merkzeichens aG ausgesprochen, da dem Kläger nach den gutachterlichen Feststellungen eine Wegstrecke von mehr als 100 Metern möglich sei. Der Kläger sei auch nicht dauernd gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art teilzunehmen. An dieser Einschätzung blieb der Gutachter auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. November 2016.
Mit Urteil vom 24. April 2017 hat das Sozialgericht den Beklagten dessen Teilanerkenntnis entsprechend verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 21. November 2015 einen GdB von 60 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat diese Entscheidung mit Bescheid vom 18. Mai 2017 ausgeführt.
Mit der Berufung gegen das Urteil begehrt der Kläger einen GdB von 90, die Merkzeichen aG und RF sowie die Rückerstattung von 5,00 Euro. Die zunächst geltend gemachte Zuerkennung des Merkzeichens G hat der Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens nicht weiterverfolgt.
Der Senat hat neben Befundberichten, insbesondere des Evangelischen Waldkrankenhauses Spandau vom 26. Juni 2018 und der DRK Kliniken Berlin-Westend vom 14. Juni 2018, das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 24. Januar 2019 eingeholt. Der Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:
1. Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden, Nervenreizungen, Wirbelsäulenverbiegung der Brust- und Lendenwirbelsäule, mehrfach operierte Bandscheibenveränderungen der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB von 40), 2. Fußfehlform beidseitig, Implantation eines künstlichen Kniegelenks rechts (März 2017), Kniegelenkverschleiß links, Hüftgelenkverschleiß beidseitig (Einzel-GdB von 30), 3. bösartige Erkrankung der Vorsteherdrüse mit operativer Versorgung nach Ablauf der Heilungsbewährung August 2015, erektile Dysfunktion, hochgradige, fast komplette Harninkontinenz (Einzel-GdB von 40), 4. Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen bei ständigem Vorhofflimmern, Herzklappendefekt im Sinne einer Aortenklappeninsuffizienz I. Grades, Elektrotherapie bei Herzrhythmusstörungen (Einzel-GdB von 20), 5. Übergewichtigkeit von Krankheitswert (Adipositas per magna), Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB von 10), 6. Rückflusserkrankung der Speiseröhre, Darmaussackungen, gutartige Gewebeneubildung des Darms (Einzel-GdB von 10), 7. emotionale Störung im Sinne einer Dysthymie, akzentuierte Persönlichkeit (Einzel-GdB von 10) und 8. Sehminderung beidseitig (Einzel-GdB von 10, ab Juli 2016).
Der Sachverständige hat vorgeschlagen, bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 60 festzustellen. Die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG hat er verneint.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2017 zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 17. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2016 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 18. Mai 2017 hinsichtlich der Herabsetzung des bei dem Kläger festgestellten GdB von 80 aufzuheben, unter Änderung des Bescheides vom 17. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2016 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 18. Mai 2017 den Beklagten zu verpflichten, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 6. Februar 2015 einen GdB von 90 festzustellen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG mit Wirkung ab dem 6. Februar 2015 und für das Merkzeichen RF mit Wirkung ab dem 21. Mai 2015 festzustellen, sowie den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den für Kopierkosten geleisteten Betrag in Höhe von 5,00 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, da die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden ist.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 90.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.
Während des Zeitraums vom 6. Februar 2015, dem Zeitpunkt des Neufeststellungsantrags, bis September 2015 betrug der Gesamt-GdB bei dem Kläger lediglich 80.
Nach Entfernung des Prostatatumors im September 2010 war nach B 13.6 VMG während der Heilungsbewährung ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Entgegen der Behauptung des Klägers ist ein Verlust des Penis nicht zu beklagen. Der Sachverständige Dr. S hat im Gutachten vom 24. Januar 2019 ausgeführt, dass ein – allerdings ausgesprochen kleiner – Penis vorhanden ist. Die nach einer Prostatektomie oft auftretende Verkürzung des Penis ist, worauf der Facharzt für Urologie Dr. J im Befundbericht vom 30. März 2016 ausdrücklich hingewiesen hat, dem Verlust bzw. Teilverlust des Penis im Sinne von B 13.1 VMG funktionell nicht zu vergleichen. Die erektile Dysfunktion des Klägers rechtfertigt im Rahmen des Funktionssystems der männlichen Geschlechtsorgane keine Anhebung des Einzel-GdB. Für eine Impotentia coeundi ist nach B 13.2 VMG nur bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung ein GdB von 20 vorgesehen. Vorliegend sind nicht einmal Behandlungsversuche dokumentiert.
Die Harninkontinenz des Klägers bedingte einen Einzel-GdB von 20. Für eine relative Harninkontinenz mit Harnabgang tags und nachts (z.B. Stressinkontinenz Grad II-III) sieht B 12.2.4 VMG einen GdB-Rahmen von 20 bis 40 vor. Auf der Grundlage des erwähnten Berichts des behandelnden Urologen Dr. J lag bei dem Kläger im November 2015 eine Inkontinenz II. Grades beim Heben und Aufstehen vor, die nach der Überzeugung des Senats mit einem Einzel-GdB von 20 hinreichend gewürdigt ist.
Das Wirbelsäulenleiden des Klägers war im hier maßgeblichen Zeitraum nach B 18.9 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen M lagen bei dem Kläger Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor. Der Kläger litt an einem unteren Wirbelsäulensyndrom ohne relevante Bewegungseinschränkung. Nervenwurzelreizerscheinungen waren seit langem nicht mehr aufgetreten. Ein schweres unteres Wirbelsäulensyndrom, wofür B 18.9 VMG einen Einzel-GdB von 30 vorsieht, hat der Gutachter eindeutig ausschließen können. Der Kläger hatte keine häufig wiederkehrende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten schweren Grades, auch keine häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome. Ein relevantes oberes Wirbelsäulensyndrom bestand nicht.
Für die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten war nach der übereinstimmenden und überzeugenden Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen nach B 18.14 VMG ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen.
Der Bluthochdruck des Klägers bedingte im Hinblick auf die dokumentierte Organbeteiligung in Form einer Linksherzvergrößerung nach B 9.3 VMG einen Einzel-GdB von 20.
Die Refluxkrankheit der Speiseröhre ist nach 10.1 VMG mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen M und des Akteninhaltes ist der Senat davon überzeugt, dass bei dem Kläger seit Februar 2015 eine psychische Störung mit Krankheitswert vorlag. Ob das Verhalten des Klägers – wie der Gutachter meint – einer überwiegend narzisstischen Persönlichkeitsstörung, auch mit histrionischen Anteilen, entspricht, kann vorliegend offen bleiben. Denn für die Feststellung des GdB sind nicht die Diagnosen maßgeblich, sondern die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen (vgl. A 2a VMG). Da der Sachverständige nicht feststellen konnte, dass das Verhalten des Klägers in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst oder auch auf andere Weise unzweckmäßig wäre, lag nach der Überzeugung des Senats nur eine leichtere psychische Störung vor, die nach B 3.7 VMG einem Einzel-GdB von 10 entspricht.
Mangels Funktionsbeeinträchtigung bedingte die Harnsäurestoffwechselstörung keinen Einzel-GdB.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach A 3c VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Bei dem Kläger betrug der Gesamt-GdB danach für den Zeitraum vom 6. Februar 2015 bis September 2015 lediglich 80.
Der Einzel-GdB von 50 für die führenden Funktionsstörungen im Funktionssystem der männlichen Geschlechtsorgane war im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten, für die ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen war, die Harninkontinenz, die einen Einzel-GdB von 20 bedingte, und das Wirbelsäulenleiden, das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten war, um jeweils einen Zehnergrad, also insgesamt auf einen GdB von 80 anzuheben. Das Bluthochdruckleiden mit einem Einzel-GdB von 20 rechtfertigt mangels spezifischer Teilhabebeeinträchtigungen keine weitere Heraufsetzung des Gesamt-GdB. Dies kommt auch im Hinblick auf die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertende Refluxkrankheit der Speiseröhre und die psychische Erkrankung nicht in Betracht. Denn von – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen nach A 3d VMG zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.
Auch für den Zeitraum ab Oktober 2015 kann der Kläger keinen Gesamt-GdB von 90 erfolgreich beanspruchen.
Nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährung Ende September 2015 bedingt der im September 2010 entfernte Prostatatumor nach B 13.6 VMG keinen Einzel-GdB im Funktionssystem der männlichen Geschlechtsorgane mehr. Die erektile Dysfunktion des Klägers ist mangels nachgewiesener erfolgloser Behandlung nach B 13.2 VMG ab Oktober 2015 durchgehend mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Die Harninkontinenz des Klägers ist ab Oktober 2015 zunächst mit einem Einzel-GdB von 20 zu beurteilen. In der Folgezeit ist nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. S eine Verschlechterung eingetreten. Der Kläger leidet nunmehr an einer hochgradigen, fast kompletten Harninkontinenz. Der Senat hält es im Hinblick auf diesen Befund für gerechtfertigt, den Bewertungsrahmen in B 12.2.4 VMG auszuschöpfen und für die relative Harninkontinenz, die sich am Rande der völligen Harninkontinenz bewegt, diese aber noch nicht erreicht, einen Einzel-GdB von 40 anzusetzen. Nachgewiesen ist dieser Grad erst durch die gutachterliche Untersuchung am 16. Januar 2019.
Auch hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens ist eine maßgebliche Verschlechterung eingetreten. Lagen bei dem Kläger im Oktober 2015 zunächst weiterhin Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor, die nach B 18.9 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, zeigte sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. S am 16. Januar 2019 eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule und eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Von diesem Zeitpunkt an hält der Senat – entsprechend den Vorgaben in B 18.9 VMG für Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten – einen Einzel-GdB von 40 für angemessen.
Für die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten ist nach B 18.14 VMG weiterhin ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen.
Im Funktionssystem Herz-Kreislauf sind zu der bestehenden Bluthochdruckerkrankung Herzrhythmusstörungen hinzugetreten. Deren Beurteilung richtet sich gemäß B 9.1.6 VMG vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens. Da eine andauernde Leistungsbeeinträchtigung des Herzens durch den Sachverständigen Dr. S nicht ermittelt werden konnte, sind die Herzrhythmusstörungen nach der Überzeugung des Senats nicht geeignet, den bereits im Hinblick auf die Bluthochdruckerkrankung anzusetzenden Einzel-GdB von 20 anzuheben.
Weiterhin mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind nach Würdigung der Feststellungen des Sachverständigen Dr. S die Refluxkrankheit der Speiseröhre nach B 10.1 VMG und die psychische Störung nach B 3.7 VMG. Neu hinzugetreten ist im Juli 2016 die beidseitige Sehminderung, für die nach B 4.3 VMG ein Einzel-GdB von 10 vorgesehen ist.
Die Adipositas des Klägers allein bedingt nach B 15.3 VMG keinen GdB. Deren Folge- und Begleitschäden - vorliegend am Stützapparat des Klägers – sind im Rahmen der Wirbelsäulenerkrankung berücksichtigt.
Die Bildung des Gesamt-GdB richtet sich vorliegend nach § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. bzw. bzw. § 152 Abs. 3 SGB IX n.F. Danach kommt für den Zeitraum ab Oktober 2015 der von dem Kläger begehrte Gesamt-GdB von 90 nicht in Betracht.
Der Einzel-GdB von 30 für die im Oktober 2015 noch führenden Funktionsstörungen im Funktionssystem der unteren Extremitäten war im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen durch das Wirbelsäulenleiden und die Harninkontinenz, die seinerzeit jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten waren, um zwei Zehnergrade, also insgesamt auf einen GdB von 50 anzuheben. Das Bluthochdruckleiden mit einem Einzel-GdB von 20 rechtfertigt ebensowenig eine weitere Heraufsetzung des Gesamt-GdB wie die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden weiteren Behinderungen des Klägers (vgl. A 3d ee VMG).
Mit Wirkung ab dem 16. Januar 2019 stellt das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 40 die führende Behinderung dar. Unter Berücksichtigung der von diesem Zeitpunkt an mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertende Harninkontinenz und die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten, die weiterhin mit einem Einzel-GdB von 30 anzusetzen sind, ist der Gesamt-GdB um zwei Zehnergrade auf 60 anzuheben.
2. Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Herabsetzung des Gesamt-GdB auf 60 mit Wirkung ab dem 21. November 2015. Denn der Kläger wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt
Rechtsgrundlage für die Absenkung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Festsetzungsbescheid vom 16. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 14. März 2014, mit dem der Beklagte bei dem Kläger einen GdB von 80 feststellte. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen hatten, war im maßgeblichen Zeitpunkt am 21. November 2015 eine wesentliche Änderung eingetreten, die eine Absenkung des GdB und die Versagung der Feststellung eines GdB rechtfertigte. Denn zu diesem Zeitpunkt war die fünfjährige Heilungsbewährung nach der Entfernung des Prostatatumors abgelaufen (vgl. B 13.6 VMG). Die verbleibenden Funktionsbeeinträchtigungen führen, wie bereits oben ausgeführt, jedenfalls zu keinem höheren Gesamt-GdB als 60.
3. Das Sozialgericht hat die Klage auch insoweit zu Recht als unbegründet abgewiesen, als der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, bei ihm mit Wirkung ab dem 6. Februar 2015 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen. Denn der Kläger hat hierauf keinen Anspruch.
Über das Vorliegen gesundheitlicher Merkmale treffen nach § 69 Abs. 1 und 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 und 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen.
Hinsichtlich des Zeitraums vom 6. Februar 2015 bis zum 29. Dezember 2016 wurde der hier maßgebliche Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Gehbehinderung in Teil D Nr. 3b der als Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen und insoweit bis zum 29. Dezember 2016 geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG a.F.) ausgeformt, die in Übernahme der Vorgängerregelungen in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) und in Nr. 31 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. -recht (AHP) bestimmte:
1Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. 2Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Dieser Regelung lag die Differenzierung zwischen Regelbeispielen und Gleichstellungsfällen zugrunde: Beim Vorliegen eines der in D 3b Satz 2 Halbsatz 1 VMG a.F. genannten Regelbeispiels wurde unwiderleglich vermutet, dass sich der dort aufgeführte schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, juris Rn. 15). War bei einem schwerbehinderten Menschen hingegen kein Regelbeispiel erfüllt, musste nach D 3b Satz 2 Halbsatz 2 VMG a.F. im Einzelfall geprüft werden, ob er den dort genannten Gruppen gleichzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 1998 – B 9 SB 1/97 R –, BSGE 82, 37, juris Rn. 18 m.w.N.). Diese unter Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände (so BSG, Beschluss vom 11. Mai 2016 – B 9 SB 94/15 B –, juris Rn. 9) zu treffende Entscheidung hatte sich strikt an dem Obersatz in D 3b Satz 1 VMG a.F. zu orientieren (so BSG, Urteile vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, juris Rn. 20). Hierbei war auch der Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden soll, denen längere Wege zu Fuß nicht zuzumuten sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 SB 7/01 R –, BSGE 90, 180, juris Rn. 22, sowie die Urteile vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris Rn. 13, und – B 9a SB 1/06 R –, juris Rn. 17, jeweils unter Hinweis auf BT-Drucks 8/3150, S. 9f. in der Begründung zu § 6 StVG). Ansatzpunkt bildete das Restgehvermögen des Betroffenen. Allerdings ließ sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (so BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 a.a.O., juris Rn. 23), weshalb ein an einer bestimmten Wegstrecke und an einem bestimmten Zeitmaß orientierter Maßstab ausschied (vgl. BSG, Urteile vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris Rn. 15, 17, und – B 9a SB 1/06 R –, juris Rn. 18, 21). Vielmehr war darauf abzustellen, unter welchen Bedingungen es dem schwerbehinderten Menschen noch möglich war, sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zu bewegen: Vermochte er dies – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an – nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung, waren die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG selbst dann erfüllt, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (so BSG in ständiger Rechtsprechung; siehe Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 22, juris Rn. 19 m.w.N.).
Hinsichtlich des anschließenden streitgegenständlichen Zeitraums ergeben sich die Voraussetzungen der außergewöhnlichen Gehbehinderung aus der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Übergangsvorschrift des § 146 Abs. 3 SGB IX a.F., die durch Art. 2 Nr. 13 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) neu geschaffen wurde, bzw. aus der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Regelung des § 229 Abs. 3 SGB IX n.F. Nach diesen gleichlautenden Vorschriften sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 146 Abs. 3 Satz 2 SGB IX a.F. bzw. § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX n.F vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.
Gemessen an diesen Maßstäben kommt die Zuerkennung des Merkzeichens aG weder hinsichtlich des Zeitraums vom 6. Februar 2015 bis zum 29. Dezember 2016 noch hinsichtlich des Zeitraums ab dem 30. Dezember 2016 In Betracht. Denn der Kläger erfüllt nicht die gemeinsame Voraussetzung, dass er sich außerhalt eines Kraftfahrzeugs dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung fortbewegen kann. Bei dem durch den Sachverständigen Dr. S mit ihm durchgeführten Gangtest hat der Kläger eine Strecke von 485 Metern in knapp 18 Minuten mit insgesamt drei Pausen zurückgelegt. Eine relevante Erschöpfungssymptomatik hat sich nicht gezeigt. Der Kläger hat mit dem Gutachter völlig frei und problemlos sprechen können. Zudem liegt bei dem Kläger hinsichtlich des Zeitraums ab dem 30. Dezember 2016 auch keine – wie § 146 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F. bzw. § 229 Abs. 3 Satz 1 SGB IX n.F. kumulativ fordern – erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vor, die einem GdB von mindestens 80 entspricht. Die sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Behinderungen des Klägers, die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten erreichen, wie oben ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt einen GdB in dieser Höhe.
5. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF ab 21. Mai 2015.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 69 Abs. 4 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 1 und 4 SGB IX n.F. Danach stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auch das Vorliegen gesundheitlicher Merkmale fest, soweit sie Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung gehört zu diesen Merkmalen das Merkzeichen "RF", das im Schwerbehindertenausweis einzutragen ist, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.
Landesrechtlich maßgeblich ist vorliegend § 4 Abs. 2 Nr. 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages in der Fassung des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages in Verbindung mit dem Berliner Zustimmungsgesetz vom 20. Mai 2011 (GVBl. S. 211), zuletzt geändert durch Art. 4 Nr. 2b des 19. Rundfunkänderungsstaatsvertrages in Verbindung mit dem Berliner Zustimmungsgesetz vom 2. Juni 2016 (GVBl. S. 314) mit späteren – hier nicht relevanten – Änderungen. Danach wird der nach § 2 Abs. 1 zu erhebende Rundfunkbeitrag auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt:
behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 1982, 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der Schwerbehinderte in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der auch aus anderen Gründen problematische Nachteilsausgleich "RF" (vgl. insbesondere BSG, Urteile vom 10. August 1993, 9/9a RVs 7/91, in: Breith 1994, S. 230, und vom 16. März 1994, 9 RVs 3/93, bei Juris, das die Auffassung vertritt, es erscheine wegen der nahezu vollständigen Ausstattung aller Haushalte in Deutschland mit Rundfunk- und Fernsehgeräten zunehmend zweifelhaft, dass durch den Nachteilsausgleich "RF" tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen werde) nur Personengruppen zugute kommt, die den in § 4 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) vergleichbar sind.
Der Senat vermag den vorliegenden ärztlichen Feststellungen nicht zu entnehmen, dass der Kläger die geschilderten Voraussetzungen erfüllt. Bei ihm bestehen keine Beeinträchtigungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages, die ihn ständig daran hinderten, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Der Kläger leidet unstreitig unter körperlichen Einschränkungen, die sich insbesondere auf dessen Fortbewegungsfähigkeiten auswirken. Allerdings ist es ihm zuzumuten, öffentliche Veranstaltungen unter Verwendung von technischen Hilfsmitteln, z.B. eines Rollators, und gegebenenfalls mit Hilfe einer Begleitperson zu besuchen. Durch die Notwendigkeit entsprechender Hilfsmittel und einer Begleitperson ist ein Schwerbehinderter nicht von öffentlichen Veranstaltungen ständig ausgeschlossen (so BSG, Urteil vom 3. Juni 1987, 9a RVs 27/85, SozR 3870 § 3 Nr. 25). Auch wirken sich die übrigen Behinderungen des Klägers nicht auf dessen Fähigkeit aus, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Abzustellen ist hierbei nur auf den Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis zum 20. November 2015, da bei dem Kläger nur insoweit ein Gesamt-GdB von 80 vorlag. Nach seinem eigenen Vorbringen war der Klägers in dieser Zeit nicht an das Haus gebunden. Gegenüber dem Sachverständigen gab er noch im Oktober 2016 an, er gehe mit seinem Partner regelmäßig zum Mittagessen in die Mensa der FU. Im Übrigen ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Harninkontinenz die Benutzung von Windelhosen zumutbar (vgl. BSG, Beschluss vom 17. August 2010 – B 9 SB 32/10 B –, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 – 9 RVs 2/96 – SozR 3-3870 § 4 Nr. 17).
6. Auch die hinsichtlich des Betrags von 5,00 EUR zuzulassende Berufung hat keinen Erfolg, da der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung des von ihm an den Beklagten für zehn Fotokopien geleisteten Betrags von 5,00 EUR hat. Rechtsgrundlage ist § 1 Abs. 1 in Verbindung mit Tarifstelle 1001 (I c 1) des Gebührenverzeichnisses der auf Grund des § 6 Abs. 1 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge erlassenen Verwaltungsgebührenordnung vom 24. November 2009 (GVBl. S. 707, 894), wonach für Fotokopien bis zum Format DIN A 3, schwarzweiß, für die ersten 10 Seiten eine allgemeine Verwaltungsgebühr in Höhe von 0,50 EUR erhoben wird.
Der Anwendbarkeit der Verwaltungsgebührenordnung wird auch nicht im Wege der Spezialität durch die Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Gesundheits- und Pflegewesen vom 7. November 2017 (GVBl. S. 587) ausgeschlossen, da nach § 1 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung die Vorschriften der Verwaltungsgebührenordnung unberührt bleiben.
Die Gebührenpflicht ist mit höherrangigem Recht vereinbar. § 25 Abs. 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) sieht als Ausnahme von dem Grundsatz der Gebührenfreiheit in § 64 Abs. 1 SGB X vor, dass die Behörde, wenn sich ein Beteiligter im Rahmen der Akteneinsicht Ablichtungen durch die Behörde erteilen lässt, Ersatz ihrer Aufwendungen in angemessenem Umfang verlangen kann. Entgegen der Ansicht des Klägers steht Art. 41 Abs. 2 b GRC, wonach jede Person das Recht auf Zugang zu den sie betreffenden Akten hat, der Erhebung von Gebühren für Fotokopien durch nationale Behörden nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger noch einen GdB von 90, die Zuerkennung der Merkzeichen aG und RF sowie die Rückzahlung von 5,00 Euro.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 stellte der Beklagte bei dem Kläger, u.a. wegen Erkrankung der Prostata in Heilungsbewährung, einen GdB von 60 fest. Entsprechend seinem Teilanerkenntnis im anschließenden sozialgerichtlichen Streitverfahren und gemäß der Verpflichtung im Urteil des Landessozialgerichts zum Aktenzeichen L 13 SB 172/13 stellte der Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 14. März 2014 bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G bzw. einen GdB von 80 fest.
Der Kläger beantragte am 6. Februar 2015 die Feststellung eines höheren GdB sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G und aG und am 21. Mai 2015 die Zuerkennung des Merkzeichens RF.
In dem hinsichtlich der Heilungsbewährung vom Beklagten eingeleiteten Nachprüfungsverfahren wurde nach Auswertung der angeforderten Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte festgestellt, dass hinsichtlich der Erkrankung der Prostata kein Rezidiv aufgetreten war. Der Beklagte hörte deshalb den Kläger zu der beabsichtigten Herabsetzungsentscheidung an. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2015 bat der Kläger um Übersendung von Kopien aus der SB-Akte. Hierfür forderte der Beklagte mit Schreiben vom 9. November 2015 Gebühren in Höhe von 5,00 Euro. Diesen Betrag leistete der Kläger, beantragte aber mit Schreiben vom 11. November 2015 die Rückerstattung.
Mit Bescheid vom 17. November 2015 stufte der Beklagte bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 21. November 2015 den GdB auf 50 herab, stellte fest, dass weiterhin die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G vorlägen, und lehnte die Zuerkennung der Merkzeichen aG und RF ab. Dieser Bescheid ist lt. Aktenvermerk am 18. November 2015 abgesandt worden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2016 zurück. Er ging hierbei von folgenden Einzelbehinderungen aus:
1. Knorpelschaden am Kniegelenk beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB von 30), 2. Erkrankung der Prostata bei erreichter Heilungsbewährung, partielle Harninkontinenz, erektile Dysfunktion (Einzel-GdB von 20), 3. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Wirbelsäulenverformung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB von 20), 4. Bluthochdruck (Einzel-GdB von 20), 5. Harninkontinenz (Einzel-GdB von 20), 6. Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB von 10), 7. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB von 10).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger einen GdB von 90, die Merkzeichen aG und RF sowie die Erstattung von 5,00 Euro begehrt. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der vom Sozialgericht eingeholten Befundberichte hat Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2016 erklärt, bei dem Kläger einen GdB von 60 anzuerkennen. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger nicht angenommen.
Das Sozialgericht hat das Gutachten des praktischen Arztes M vom 31. Oktober 2016 eingeholt, der den GdB bis August 2015 mit 80 und ab September 2015 mit 50 eingeschätzt hat. Dem legte der Gutachter folgende Einzelbehinderungen zugrunde:
1. Knorpelschaden am Kniegelenk beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB 30), 2. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Wirbelsäulenverformung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20), 3. Harninkontinenz, erektile Dysfunktion (Einzel-GdB 50 bis August 2015, zusätzlich mit einem GdB von 20 für die damals noch extra bewertete Harninkontinenz), 4. Bluthochdruck (Einzel-GdB 20), 5. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10), 6. Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB 10), 7. seelisches Leiden, akzentuierte Persönlichkeit (Einzel-GdB 10 ab Oktober 2016) und 8. Sehminderung (Einzel-GdB 10 ab Juli 2016).
Der Sachverständige hat sich gegen die Zuerkennung des Merkzeichens aG ausgesprochen, da dem Kläger nach den gutachterlichen Feststellungen eine Wegstrecke von mehr als 100 Metern möglich sei. Der Kläger sei auch nicht dauernd gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen jeglicher Art teilzunehmen. An dieser Einschätzung blieb der Gutachter auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. November 2016.
Mit Urteil vom 24. April 2017 hat das Sozialgericht den Beklagten dessen Teilanerkenntnis entsprechend verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 21. November 2015 einen GdB von 60 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat diese Entscheidung mit Bescheid vom 18. Mai 2017 ausgeführt.
Mit der Berufung gegen das Urteil begehrt der Kläger einen GdB von 90, die Merkzeichen aG und RF sowie die Rückerstattung von 5,00 Euro. Die zunächst geltend gemachte Zuerkennung des Merkzeichens G hat der Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens nicht weiterverfolgt.
Der Senat hat neben Befundberichten, insbesondere des Evangelischen Waldkrankenhauses Spandau vom 26. Juni 2018 und der DRK Kliniken Berlin-Westend vom 14. Juni 2018, das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 24. Januar 2019 eingeholt. Der Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:
1. Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden, Nervenreizungen, Wirbelsäulenverbiegung der Brust- und Lendenwirbelsäule, mehrfach operierte Bandscheibenveränderungen der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB von 40), 2. Fußfehlform beidseitig, Implantation eines künstlichen Kniegelenks rechts (März 2017), Kniegelenkverschleiß links, Hüftgelenkverschleiß beidseitig (Einzel-GdB von 30), 3. bösartige Erkrankung der Vorsteherdrüse mit operativer Versorgung nach Ablauf der Heilungsbewährung August 2015, erektile Dysfunktion, hochgradige, fast komplette Harninkontinenz (Einzel-GdB von 40), 4. Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen bei ständigem Vorhofflimmern, Herzklappendefekt im Sinne einer Aortenklappeninsuffizienz I. Grades, Elektrotherapie bei Herzrhythmusstörungen (Einzel-GdB von 20), 5. Übergewichtigkeit von Krankheitswert (Adipositas per magna), Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB von 10), 6. Rückflusserkrankung der Speiseröhre, Darmaussackungen, gutartige Gewebeneubildung des Darms (Einzel-GdB von 10), 7. emotionale Störung im Sinne einer Dysthymie, akzentuierte Persönlichkeit (Einzel-GdB von 10) und 8. Sehminderung beidseitig (Einzel-GdB von 10, ab Juli 2016).
Der Sachverständige hat vorgeschlagen, bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 60 festzustellen. Die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG hat er verneint.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2017 zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 17. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2016 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 18. Mai 2017 hinsichtlich der Herabsetzung des bei dem Kläger festgestellten GdB von 80 aufzuheben, unter Änderung des Bescheides vom 17. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2016 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 18. Mai 2017 den Beklagten zu verpflichten, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 6. Februar 2015 einen GdB von 90 festzustellen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG mit Wirkung ab dem 6. Februar 2015 und für das Merkzeichen RF mit Wirkung ab dem 21. Mai 2015 festzustellen, sowie den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den für Kopierkosten geleisteten Betrag in Höhe von 5,00 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet, da die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden ist.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 90.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.
Während des Zeitraums vom 6. Februar 2015, dem Zeitpunkt des Neufeststellungsantrags, bis September 2015 betrug der Gesamt-GdB bei dem Kläger lediglich 80.
Nach Entfernung des Prostatatumors im September 2010 war nach B 13.6 VMG während der Heilungsbewährung ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Entgegen der Behauptung des Klägers ist ein Verlust des Penis nicht zu beklagen. Der Sachverständige Dr. S hat im Gutachten vom 24. Januar 2019 ausgeführt, dass ein – allerdings ausgesprochen kleiner – Penis vorhanden ist. Die nach einer Prostatektomie oft auftretende Verkürzung des Penis ist, worauf der Facharzt für Urologie Dr. J im Befundbericht vom 30. März 2016 ausdrücklich hingewiesen hat, dem Verlust bzw. Teilverlust des Penis im Sinne von B 13.1 VMG funktionell nicht zu vergleichen. Die erektile Dysfunktion des Klägers rechtfertigt im Rahmen des Funktionssystems der männlichen Geschlechtsorgane keine Anhebung des Einzel-GdB. Für eine Impotentia coeundi ist nach B 13.2 VMG nur bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung ein GdB von 20 vorgesehen. Vorliegend sind nicht einmal Behandlungsversuche dokumentiert.
Die Harninkontinenz des Klägers bedingte einen Einzel-GdB von 20. Für eine relative Harninkontinenz mit Harnabgang tags und nachts (z.B. Stressinkontinenz Grad II-III) sieht B 12.2.4 VMG einen GdB-Rahmen von 20 bis 40 vor. Auf der Grundlage des erwähnten Berichts des behandelnden Urologen Dr. J lag bei dem Kläger im November 2015 eine Inkontinenz II. Grades beim Heben und Aufstehen vor, die nach der Überzeugung des Senats mit einem Einzel-GdB von 20 hinreichend gewürdigt ist.
Das Wirbelsäulenleiden des Klägers war im hier maßgeblichen Zeitraum nach B 18.9 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen M lagen bei dem Kläger Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor. Der Kläger litt an einem unteren Wirbelsäulensyndrom ohne relevante Bewegungseinschränkung. Nervenwurzelreizerscheinungen waren seit langem nicht mehr aufgetreten. Ein schweres unteres Wirbelsäulensyndrom, wofür B 18.9 VMG einen Einzel-GdB von 30 vorsieht, hat der Gutachter eindeutig ausschließen können. Der Kläger hatte keine häufig wiederkehrende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten schweren Grades, auch keine häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome. Ein relevantes oberes Wirbelsäulensyndrom bestand nicht.
Für die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten war nach der übereinstimmenden und überzeugenden Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen nach B 18.14 VMG ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen.
Der Bluthochdruck des Klägers bedingte im Hinblick auf die dokumentierte Organbeteiligung in Form einer Linksherzvergrößerung nach B 9.3 VMG einen Einzel-GdB von 20.
Die Refluxkrankheit der Speiseröhre ist nach 10.1 VMG mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen M und des Akteninhaltes ist der Senat davon überzeugt, dass bei dem Kläger seit Februar 2015 eine psychische Störung mit Krankheitswert vorlag. Ob das Verhalten des Klägers – wie der Gutachter meint – einer überwiegend narzisstischen Persönlichkeitsstörung, auch mit histrionischen Anteilen, entspricht, kann vorliegend offen bleiben. Denn für die Feststellung des GdB sind nicht die Diagnosen maßgeblich, sondern die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen (vgl. A 2a VMG). Da der Sachverständige nicht feststellen konnte, dass das Verhalten des Klägers in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst oder auch auf andere Weise unzweckmäßig wäre, lag nach der Überzeugung des Senats nur eine leichtere psychische Störung vor, die nach B 3.7 VMG einem Einzel-GdB von 10 entspricht.
Mangels Funktionsbeeinträchtigung bedingte die Harnsäurestoffwechselstörung keinen Einzel-GdB.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach A 3c VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Bei dem Kläger betrug der Gesamt-GdB danach für den Zeitraum vom 6. Februar 2015 bis September 2015 lediglich 80.
Der Einzel-GdB von 50 für die führenden Funktionsstörungen im Funktionssystem der männlichen Geschlechtsorgane war im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten, für die ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen war, die Harninkontinenz, die einen Einzel-GdB von 20 bedingte, und das Wirbelsäulenleiden, das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten war, um jeweils einen Zehnergrad, also insgesamt auf einen GdB von 80 anzuheben. Das Bluthochdruckleiden mit einem Einzel-GdB von 20 rechtfertigt mangels spezifischer Teilhabebeeinträchtigungen keine weitere Heraufsetzung des Gesamt-GdB. Dies kommt auch im Hinblick auf die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertende Refluxkrankheit der Speiseröhre und die psychische Erkrankung nicht in Betracht. Denn von – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen nach A 3d VMG zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.
Auch für den Zeitraum ab Oktober 2015 kann der Kläger keinen Gesamt-GdB von 90 erfolgreich beanspruchen.
Nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährung Ende September 2015 bedingt der im September 2010 entfernte Prostatatumor nach B 13.6 VMG keinen Einzel-GdB im Funktionssystem der männlichen Geschlechtsorgane mehr. Die erektile Dysfunktion des Klägers ist mangels nachgewiesener erfolgloser Behandlung nach B 13.2 VMG ab Oktober 2015 durchgehend mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Die Harninkontinenz des Klägers ist ab Oktober 2015 zunächst mit einem Einzel-GdB von 20 zu beurteilen. In der Folgezeit ist nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. S eine Verschlechterung eingetreten. Der Kläger leidet nunmehr an einer hochgradigen, fast kompletten Harninkontinenz. Der Senat hält es im Hinblick auf diesen Befund für gerechtfertigt, den Bewertungsrahmen in B 12.2.4 VMG auszuschöpfen und für die relative Harninkontinenz, die sich am Rande der völligen Harninkontinenz bewegt, diese aber noch nicht erreicht, einen Einzel-GdB von 40 anzusetzen. Nachgewiesen ist dieser Grad erst durch die gutachterliche Untersuchung am 16. Januar 2019.
Auch hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens ist eine maßgebliche Verschlechterung eingetreten. Lagen bei dem Kläger im Oktober 2015 zunächst weiterhin Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor, die nach B 18.9 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, zeigte sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. S am 16. Januar 2019 eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule und eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Von diesem Zeitpunkt an hält der Senat – entsprechend den Vorgaben in B 18.9 VMG für Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten – einen Einzel-GdB von 40 für angemessen.
Für die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten ist nach B 18.14 VMG weiterhin ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen.
Im Funktionssystem Herz-Kreislauf sind zu der bestehenden Bluthochdruckerkrankung Herzrhythmusstörungen hinzugetreten. Deren Beurteilung richtet sich gemäß B 9.1.6 VMG vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens. Da eine andauernde Leistungsbeeinträchtigung des Herzens durch den Sachverständigen Dr. S nicht ermittelt werden konnte, sind die Herzrhythmusstörungen nach der Überzeugung des Senats nicht geeignet, den bereits im Hinblick auf die Bluthochdruckerkrankung anzusetzenden Einzel-GdB von 20 anzuheben.
Weiterhin mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind nach Würdigung der Feststellungen des Sachverständigen Dr. S die Refluxkrankheit der Speiseröhre nach B 10.1 VMG und die psychische Störung nach B 3.7 VMG. Neu hinzugetreten ist im Juli 2016 die beidseitige Sehminderung, für die nach B 4.3 VMG ein Einzel-GdB von 10 vorgesehen ist.
Die Adipositas des Klägers allein bedingt nach B 15.3 VMG keinen GdB. Deren Folge- und Begleitschäden - vorliegend am Stützapparat des Klägers – sind im Rahmen der Wirbelsäulenerkrankung berücksichtigt.
Die Bildung des Gesamt-GdB richtet sich vorliegend nach § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. bzw. bzw. § 152 Abs. 3 SGB IX n.F. Danach kommt für den Zeitraum ab Oktober 2015 der von dem Kläger begehrte Gesamt-GdB von 90 nicht in Betracht.
Der Einzel-GdB von 30 für die im Oktober 2015 noch führenden Funktionsstörungen im Funktionssystem der unteren Extremitäten war im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen durch das Wirbelsäulenleiden und die Harninkontinenz, die seinerzeit jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten waren, um zwei Zehnergrade, also insgesamt auf einen GdB von 50 anzuheben. Das Bluthochdruckleiden mit einem Einzel-GdB von 20 rechtfertigt ebensowenig eine weitere Heraufsetzung des Gesamt-GdB wie die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden weiteren Behinderungen des Klägers (vgl. A 3d ee VMG).
Mit Wirkung ab dem 16. Januar 2019 stellt das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 40 die führende Behinderung dar. Unter Berücksichtigung der von diesem Zeitpunkt an mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertende Harninkontinenz und die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten, die weiterhin mit einem Einzel-GdB von 30 anzusetzen sind, ist der Gesamt-GdB um zwei Zehnergrade auf 60 anzuheben.
2. Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Herabsetzung des Gesamt-GdB auf 60 mit Wirkung ab dem 21. November 2015. Denn der Kläger wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt
Rechtsgrundlage für die Absenkung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Festsetzungsbescheid vom 16. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 14. März 2014, mit dem der Beklagte bei dem Kläger einen GdB von 80 feststellte. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen hatten, war im maßgeblichen Zeitpunkt am 21. November 2015 eine wesentliche Änderung eingetreten, die eine Absenkung des GdB und die Versagung der Feststellung eines GdB rechtfertigte. Denn zu diesem Zeitpunkt war die fünfjährige Heilungsbewährung nach der Entfernung des Prostatatumors abgelaufen (vgl. B 13.6 VMG). Die verbleibenden Funktionsbeeinträchtigungen führen, wie bereits oben ausgeführt, jedenfalls zu keinem höheren Gesamt-GdB als 60.
3. Das Sozialgericht hat die Klage auch insoweit zu Recht als unbegründet abgewiesen, als der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, bei ihm mit Wirkung ab dem 6. Februar 2015 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen. Denn der Kläger hat hierauf keinen Anspruch.
Über das Vorliegen gesundheitlicher Merkmale treffen nach § 69 Abs. 1 und 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 und 4 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen.
Hinsichtlich des Zeitraums vom 6. Februar 2015 bis zum 29. Dezember 2016 wurde der hier maßgebliche Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Gehbehinderung in Teil D Nr. 3b der als Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen und insoweit bis zum 29. Dezember 2016 geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG a.F.) ausgeformt, die in Übernahme der Vorgängerregelungen in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) und in Nr. 31 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. -recht (AHP) bestimmte:
1Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. 2Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Dieser Regelung lag die Differenzierung zwischen Regelbeispielen und Gleichstellungsfällen zugrunde: Beim Vorliegen eines der in D 3b Satz 2 Halbsatz 1 VMG a.F. genannten Regelbeispiels wurde unwiderleglich vermutet, dass sich der dort aufgeführte schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, juris Rn. 15). War bei einem schwerbehinderten Menschen hingegen kein Regelbeispiel erfüllt, musste nach D 3b Satz 2 Halbsatz 2 VMG a.F. im Einzelfall geprüft werden, ob er den dort genannten Gruppen gleichzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 1998 – B 9 SB 1/97 R –, BSGE 82, 37, juris Rn. 18 m.w.N.). Diese unter Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände (so BSG, Beschluss vom 11. Mai 2016 – B 9 SB 94/15 B –, juris Rn. 9) zu treffende Entscheidung hatte sich strikt an dem Obersatz in D 3b Satz 1 VMG a.F. zu orientieren (so BSG, Urteile vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/14 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 19, juris Rn. 20). Hierbei war auch der Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden soll, denen längere Wege zu Fuß nicht zuzumuten sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 – B 9 SB 7/01 R –, BSGE 90, 180, juris Rn. 22, sowie die Urteile vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris Rn. 13, und – B 9a SB 1/06 R –, juris Rn. 17, jeweils unter Hinweis auf BT-Drucks 8/3150, S. 9f. in der Begründung zu § 6 StVG). Ansatzpunkt bildete das Restgehvermögen des Betroffenen. Allerdings ließ sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (so BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 a.a.O., juris Rn. 23), weshalb ein an einer bestimmten Wegstrecke und an einem bestimmten Zeitmaß orientierter Maßstab ausschied (vgl. BSG, Urteile vom 29. März 2007 – B 9a SB 5/05 R –, juris Rn. 15, 17, und – B 9a SB 1/06 R –, juris Rn. 18, 21). Vielmehr war darauf abzustellen, unter welchen Bedingungen es dem schwerbehinderten Menschen noch möglich war, sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zu bewegen: Vermochte er dies – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an – nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung, waren die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG selbst dann erfüllt, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (so BSG in ständiger Rechtsprechung; siehe Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 22, juris Rn. 19 m.w.N.).
Hinsichtlich des anschließenden streitgegenständlichen Zeitraums ergeben sich die Voraussetzungen der außergewöhnlichen Gehbehinderung aus der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Übergangsvorschrift des § 146 Abs. 3 SGB IX a.F., die durch Art. 2 Nr. 13 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) neu geschaffen wurde, bzw. aus der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Regelung des § 229 Abs. 3 SGB IX n.F. Nach diesen gleichlautenden Vorschriften sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt nach der Legaldefinition des § 146 Abs. 3 Satz 2 SGB IX a.F. bzw. § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX n.F vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.
Gemessen an diesen Maßstäben kommt die Zuerkennung des Merkzeichens aG weder hinsichtlich des Zeitraums vom 6. Februar 2015 bis zum 29. Dezember 2016 noch hinsichtlich des Zeitraums ab dem 30. Dezember 2016 In Betracht. Denn der Kläger erfüllt nicht die gemeinsame Voraussetzung, dass er sich außerhalt eines Kraftfahrzeugs dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung fortbewegen kann. Bei dem durch den Sachverständigen Dr. S mit ihm durchgeführten Gangtest hat der Kläger eine Strecke von 485 Metern in knapp 18 Minuten mit insgesamt drei Pausen zurückgelegt. Eine relevante Erschöpfungssymptomatik hat sich nicht gezeigt. Der Kläger hat mit dem Gutachter völlig frei und problemlos sprechen können. Zudem liegt bei dem Kläger hinsichtlich des Zeitraums ab dem 30. Dezember 2016 auch keine – wie § 146 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F. bzw. § 229 Abs. 3 Satz 1 SGB IX n.F. kumulativ fordern – erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vor, die einem GdB von mindestens 80 entspricht. Die sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Behinderungen des Klägers, die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten erreichen, wie oben ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt einen GdB in dieser Höhe.
5. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF ab 21. Mai 2015.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 69 Abs. 4 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 1 und 4 SGB IX n.F. Danach stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auch das Vorliegen gesundheitlicher Merkmale fest, soweit sie Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung gehört zu diesen Merkmalen das Merkzeichen "RF", das im Schwerbehindertenausweis einzutragen ist, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.
Landesrechtlich maßgeblich ist vorliegend § 4 Abs. 2 Nr. 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages in der Fassung des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages in Verbindung mit dem Berliner Zustimmungsgesetz vom 20. Mai 2011 (GVBl. S. 211), zuletzt geändert durch Art. 4 Nr. 2b des 19. Rundfunkänderungsstaatsvertrages in Verbindung mit dem Berliner Zustimmungsgesetz vom 2. Juni 2016 (GVBl. S. 314) mit späteren – hier nicht relevanten – Änderungen. Danach wird der nach § 2 Abs. 1 zu erhebende Rundfunkbeitrag auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt:
behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 1982, 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der Schwerbehinderte in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der auch aus anderen Gründen problematische Nachteilsausgleich "RF" (vgl. insbesondere BSG, Urteile vom 10. August 1993, 9/9a RVs 7/91, in: Breith 1994, S. 230, und vom 16. März 1994, 9 RVs 3/93, bei Juris, das die Auffassung vertritt, es erscheine wegen der nahezu vollständigen Ausstattung aller Haushalte in Deutschland mit Rundfunk- und Fernsehgeräten zunehmend zweifelhaft, dass durch den Nachteilsausgleich "RF" tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen werde) nur Personengruppen zugute kommt, die den in § 4 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) vergleichbar sind.
Der Senat vermag den vorliegenden ärztlichen Feststellungen nicht zu entnehmen, dass der Kläger die geschilderten Voraussetzungen erfüllt. Bei ihm bestehen keine Beeinträchtigungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages, die ihn ständig daran hinderten, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Der Kläger leidet unstreitig unter körperlichen Einschränkungen, die sich insbesondere auf dessen Fortbewegungsfähigkeiten auswirken. Allerdings ist es ihm zuzumuten, öffentliche Veranstaltungen unter Verwendung von technischen Hilfsmitteln, z.B. eines Rollators, und gegebenenfalls mit Hilfe einer Begleitperson zu besuchen. Durch die Notwendigkeit entsprechender Hilfsmittel und einer Begleitperson ist ein Schwerbehinderter nicht von öffentlichen Veranstaltungen ständig ausgeschlossen (so BSG, Urteil vom 3. Juni 1987, 9a RVs 27/85, SozR 3870 § 3 Nr. 25). Auch wirken sich die übrigen Behinderungen des Klägers nicht auf dessen Fähigkeit aus, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Abzustellen ist hierbei nur auf den Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis zum 20. November 2015, da bei dem Kläger nur insoweit ein Gesamt-GdB von 80 vorlag. Nach seinem eigenen Vorbringen war der Klägers in dieser Zeit nicht an das Haus gebunden. Gegenüber dem Sachverständigen gab er noch im Oktober 2016 an, er gehe mit seinem Partner regelmäßig zum Mittagessen in die Mensa der FU. Im Übrigen ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Harninkontinenz die Benutzung von Windelhosen zumutbar (vgl. BSG, Beschluss vom 17. August 2010 – B 9 SB 32/10 B –, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 – 9 RVs 2/96 – SozR 3-3870 § 4 Nr. 17).
6. Auch die hinsichtlich des Betrags von 5,00 EUR zuzulassende Berufung hat keinen Erfolg, da der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung des von ihm an den Beklagten für zehn Fotokopien geleisteten Betrags von 5,00 EUR hat. Rechtsgrundlage ist § 1 Abs. 1 in Verbindung mit Tarifstelle 1001 (I c 1) des Gebührenverzeichnisses der auf Grund des § 6 Abs. 1 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge erlassenen Verwaltungsgebührenordnung vom 24. November 2009 (GVBl. S. 707, 894), wonach für Fotokopien bis zum Format DIN A 3, schwarzweiß, für die ersten 10 Seiten eine allgemeine Verwaltungsgebühr in Höhe von 0,50 EUR erhoben wird.
Der Anwendbarkeit der Verwaltungsgebührenordnung wird auch nicht im Wege der Spezialität durch die Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Gesundheits- und Pflegewesen vom 7. November 2017 (GVBl. S. 587) ausgeschlossen, da nach § 1 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung die Vorschriften der Verwaltungsgebührenordnung unberührt bleiben.
Die Gebührenpflicht ist mit höherrangigem Recht vereinbar. § 25 Abs. 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) sieht als Ausnahme von dem Grundsatz der Gebührenfreiheit in § 64 Abs. 1 SGB X vor, dass die Behörde, wenn sich ein Beteiligter im Rahmen der Akteneinsicht Ablichtungen durch die Behörde erteilen lässt, Ersatz ihrer Aufwendungen in angemessenem Umfang verlangen kann. Entgegen der Ansicht des Klägers steht Art. 41 Abs. 2 b GRC, wonach jede Person das Recht auf Zugang zu den sie betreffenden Akten hat, der Erhebung von Gebühren für Fotokopien durch nationale Behörden nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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