Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 R 4011/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 885/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2015 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2011 verurteilt, der Klägerin Regelaltersrente ab 1. April 1999 unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Oktober 1941 bis September 1942 zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu 9/10 zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Regelaltersrente unter Berücksichtigung glaubhaft gemachter Beitragszeiten von September 1941 bis September 1942.
Die im März 1934 in Lowisk (Polen) geborene Klägerin ist seit Mai 1948 israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz seit 1947 in Israel. Ihr war Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) zuerkannt worden (Feststellungsbescheid A des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 4. November 1960).
Im Januar 2003 beantragte sie die Zahlung einer Regelaltersrente ab dem 1. Juli 1997 unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Es liege bei ihr eine Tätigkeit in einem Ghetto mit Lohnzahlung vor.
Die Beklagte zog vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die Entschädigungsakte bei und holte vom israelischen Versicherungsträger den Versicherungsverlauf vom 30. November 2003 ein.
Mit Bescheid vom 20. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag mangels Mitwirkung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ab.
Im Dezember 2009 beantragte die Klägerin die Überprüfung dieses Ablehnungsbescheides. Es seien ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto und eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss mit einer Entlohnung eidesstattlich erklärt worden.
Die Beklagte holte beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen eine Auskunft, der u. a. der dort von der Klägerin gestellte Antrag vom 13. November 2007 und verschiedene eidesstattliche Versicherungen aus der Entschädigungsakte des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz beigefügt waren, und beim israelischen Versicherungsträger den Versicherungsverlauf vom 4. August 2010 ein.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Die Arbeitszeit von September 1941 bis September 1942 im Ghetto Sokolow sei nicht glaubhaft gemacht worden. Damit sei eine Anerkennung nach dem ZRBG weiterhin nicht möglich.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe sich trotz ihres jugendlichen Alters freiwillig Hilfsarbeiten auf Vermittlung des Judenrates gegen Entlohnung gesucht. Sie nahm Bezug auf ihre vorgelegte eidesstattliche Erklärung vom 5. September 2010.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Im Antrag auf Altersrente habe die Klägerin angegeben, dass sie von September 1941 bis September 1942 im Ghetto Sokolow Küchenhilfsarbeiten verrichtet habe. Diese Angaben stünden jedoch im Widerspruch zu den im Entschädigungsverfahren gemachten Ausführungen in ihrer eidlichen Erklärung. Hiernach habe sie angegeben, dass sie noch ein Kind gewesen sei und nicht habe arbeiten müssen. Auch in der eidlichen Erklärung ihrer Mutter sei ausgeführt worden, dass während deren Zwangsarbeit die Klägerin als Kind völlig auf sich allein angewiesen gewesen und nur Jugendliche und Erwachsene zur Zwangsarbeit beordert worden seien. Weiterhin habe ihre Mutter angegeben, dass diese sie tagelang unter Gerümpel vor Razzien versteckt habe. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass auch im Entschädigungsverfahren Veranlassung bestanden habe, Tätigkeiten, die in einem Ghetto verrichtet worden seien, in dem Antragsformular und dem Formular zum Gesundheitsschaden anzugeben. Zwar hätten damals entschädigungsrechtliche Gedanken im Vordergrund gestanden; jedoch seien aufgrund des Umstandes, dass entsprechende Angaben in den Fragebögen zu machen gewesen seien sowie der größeren Nähe (Geschehnisse seien noch besser in Erinnerung gewesen) die damals gemachten Angaben wichtige Indizien für die nunmehrige Klärung der Zeiten aus rentenrechtlicher Sicht. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben im Entschädigungsverfahren und im Rentenverfahren könne auch die im Widerspruchsverfahren eingereichte aktuelle eigene eidesstattliche Erklärung nicht zur Beseitigung der widersprüchlichen Angaben beitragen.
Dagegen hat die Klägerin am 7. Juli 2011 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.
Sie hat unter Zitierung der Begründung des ZRBG ausgeführt, für die Anerkennung reiche es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus, wenn die Betroffenen gegebenenfalls auch durch eine Versicherung an Eides Statt gegenüber dem Rentenversicherungsträger glaubhaft machten, dass sie aus eigenem Willensentschluss in einem Ghetto entgeltlich beschäftigt gewesen seien, in dem sie sich zwangsweise aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung aufgehalten hätten. Eine fehlende Erwähnung der Tätigkeit im BEG-Verfahren könne, so die Klägerin, nach den Entscheidungen des BSG nicht anspruchsvernichtend sein. Seinerzeit habe sich niemand für freiwillige Tätigkeiten in einem Ghetto und deren Entlohnung interessiert. Im BEG-Entschädigungsverfahren sei es nur auf die Darstellung von Zwangsarbeiten angekommen. Die Klägerin habe in ihrer (früheren) eidesstattlichen Erklärung angegeben, dass sie nicht zur Zwangsarbeit wegen ihres Alters habe gehen müssen. Dies bedeute aber nicht, dass sie nicht habe freiwillig arbeiten können. Ihre Mutter habe in deren eidesstattlichen Erklärung die Verpflegung als völlig unzureichend angegeben, so dass die Kinder stets hungrig gewesen seien. Es stelle sich daher die Frage, warum die Klägerin bei solchen Bedingungen nicht in der Ghettoküche habe arbeiten können, um zu überleben. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen habe ihre eidesstattliche Erklärung vom 13. November 2007 nicht für anspruchsvernichtend angesehen, sondern ihr mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 eine Anerkennungsleistung zugesprochen. Die Klägerin hat u. a. den Aufsatz von Stephan LehnstaedtGhetto-"Bilder". Historische Aussagen in Urteilen der Sozialgerichtsbarkeit, einen Auszug mit abschließenden Bemerkungen zur Kinderarbeit im Ghetto Lodz aus dem Gutachten Bodek des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen L 8 RJ 97/02, Auszüge zu ZRBG-Sachverhalten der Abteilung Versicherung, Rente und Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung Rheinland zur Kinderarbeit im Ghetto Wilna und zum Ghetto Krakau mit einem Auszug aus dem Tagebuch der Halina Nelken, das für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erstattete Gutachten des Prof. Dr. Goschlerder Fakultät für Geschichtswissenschaften der Universität Bochum vom 26. Oktober 2007, die Stellungnahme der Kristin Platt des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum vom 9. März 2009 und die Ergänzung des von der Klägerin beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen gestellten Antrags vom 13. November 2007 vorgelegt.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die im seinerzeitigen Entschädigungsverfahren abgegebenen Erklärungen der Klägerin und deren Mutter sich mit Arbeitsleistungen in einem Ghetto auseinandersetzten und hierzu übereinstimmend erklärt worden sei, dass die Klägerin im Ghetto nicht gearbeitet habe. Die Behauptung, die Tätigkeit sei dort nicht erwähnt worden, treffe also nicht zu. Auf diese Ungereimtheiten in eigenen von der Klägerin selbst abgegebenen Erklärungen werde von ihr nicht eingegangen. Unstreitig sei der Ghettoaufenthalt im fraglichen Zeitraum. Hinsichtlich einer Ghettobeschäftigung lasse sich keine übereinstimmende Aussage der Klägerin im Kern feststellen. Es bestünden weiterhin widersprüchliche Angaben zu Arbeitsleistungen im Ghetto.
Das Sozialgericht hat vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die BEG-Entschädigungsakten beigezogen.
Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 6. November 2015 die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Rentenleistung, da nicht glaubhaft gemacht sei, dass sie im Ghetto Sokolowin der Zeit von September 1941 bis September 1942 eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sei, ausgeübt gehabt habe. Dagegen sprächen vor allem die Aussagen, die die Klägerin, ihre Mutter sowie ein weiterer Zeuge im Rahmen des damaligen BEG-Entschädigungsverfahrens gemacht hätten. Die Klägerin habe dort in ihrer eidesstattlichen Erklärung angegeben gehabt, während ihrer Zeit im Ghetto Sokolow nicht habe arbeiten zu müssen, weil sie noch ein Kind gewesen sei. Die Mutter der Klägerin habe in ihrer eidesstattlichen Erklärung angegeben gehabt, sie habe im Ghetto wie auch ihr Mann Zwangsarbeit verrichten müssen; ihre Kinder seien während ihrer Abwesenheit auf sich allein gestellt gewesen, da alle Jugendlichen und Erwachsenen tagsüber zur Zwangsarbeit herangezogen worden seien. Tagelang habe sie ihre Kinder wegen wiederholter Razzien der SS versteckt gehalten. Der Zeuge A G habe in seiner eidesstattlichen Erklärung angegeben gehabt, die Klägerin habe nicht arbeiten brauchen, weil sie noch ein kleines Kind gewesen sei. Die eigenen Angaben der Klägerin, ihrer Mutter sowie des Zeugen G im Rahmen des BEG-Entschädigungsverfahrens enthielten damit keinerlei Hinweis, dass die damals 7 bzw. 8 Jahre alte Klägerin im Ghetto einer Arbeit nachgegangen sei. Auch wenn die Klägerin angegeben habe, nicht habe arbeiten zu "müssen" (bzw. der Zeuge G: "brauchte nicht arbeiten") und damit eine freiwillige Arbeit nicht explizit verneint worden sei, enthielten die Erklärungen der Klägerin jedenfalls keine Anhaltspunkte, die für eine freiwillige Arbeit sprächen. Vielmehr sei nach den Erklärungen auch eine freiwillige Arbeit als unwahrscheinlich anzusehen. So weise der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Klagebegründung selbst darauf hin, dass im Rahmen des Entschädigungsverfahrens die heutige Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und freiwilliger Arbeit noch keine Rolle gespielt habe und daher im damaligen Verfahren von den Ghetto-Überlebenden keine differenzierten Angaben dazu zu erwarten gewesen seien; so habe vielmehr aus damaliger Sicht eine Bezeichnung jeglicher Arbeit im Ghetto als Zwangsarbeit nahegelegen. Daher liege es nahe, dass die Klägerin sowie der Zeuge G mit der Aussage, wonach die Klägerin im Ghetto nicht habe arbeiten müssen/brauchen, nicht etwa meinten, die Klägerin habe keine Zwangsarbeit leisten müssen, weil sie noch ein kleines Kind gewesen sei, sei als kleines Kind aber im Übrigen einer regelmäßigen freiwilligen Arbeit als Küchenhilfe nachgegangen. Die Widersprüchlichkeit ergebe sich insofern nicht aus einer fehlenden Erwähnung einer freiwilligen Arbeit im Entschädigungsverfahren, auf die es dort zugebenermaßen auch nicht angekommen sei, sondern aus der dortigen Verneinung von Arbeit im Ghetto, was eine Verneinung sowohl von Zwangsarbeit als auch von freiwilliger Arbeit nahelege. In Anbetracht des Aussageinhalts der Angaben im Entschädigungsverfahren sei eine plausible Erklärung für die anzunehmende Widersprüchlichkeit zu den jetzigen Angaben nicht ersichtlich und werde auch von der Klägerin nicht vorgebracht.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 12. November 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. November 2015 eingelegte Berufung der Klägerin.
Sie hält weiterhin freiwillige Hilfsarbeiten in der Ghettoküche für glaubhaft gemacht. Das ZRBG setze kein bestimmtes Mindestalter voraus. Die Angaben zum Ghettoaufenthalt stimmten überein und es fehle im Entschädigungsverfahren lediglich eine Aussage über freiwillige Tätigkeiten in der Ghettoküche. Die Arbeitsanweisung der Beklagten stelle klar, dass keine strengen Maßstäbe anzusetzen seien, eine wohlwollende Betrachtungsweise erforderlich sei und verbleibende Zweifel bei dem geforderten Maßstab unschädlich seien. Die Klägerin habe in den Jahren 1978 und 1991 Angaben zum Verfolgungsschicksal ihrer Familie gegenüber Yad Vashem gemacht. Ihre Angaben aus den deutschen Verwaltungsakten zu Verfolgungsort, Verfolgungszeit und Verfolgungsschicksal deckten sich mit ihren späteren Angaben. Da bis zur Einführung des ZRBG im Jahr 2002 Leistungen an Überlebende des Holocaust stets im Kontext von Zwang gewährt worden seien, müsse es den Überlebenden nachgesehen werden, wenn sie die Gesetzesanforderungen nicht sofort verstanden hätten. Die Klägerin beschreibe in ihrem Entschädigungsverfahren, dass sie schon in ihrem Heimatort die gelbe Kennzeichnung als Jüdin habe tragen müssen, obwohl sie noch keine 10 Jahre alt gewesen sei. Erst mit 10 Jahren habe eigentlich die gesetzliche Kennzeichnungspflicht bestanden. Dies lasse den Rückschluss zu, dass die Klägerin älter ausgesehen habe, als sie tatsächlich gewesen sei. Es könne auch keinen Zweifel geben, dass die damals 7 bis 8jährige Klägerin kognitiv-intellektuell in der Lage gewesen sei, Reinigungsarbeiten und Hilfstätigkeiten in der Ghettoküche zu verrichten. Aus einem Zeitzeugenbericht von Gedaye Vishny (Hinweis auf www.jewishgen.org) gehe hervor, dass sich auch Kinder/Jugendliche beim Judenrat im Ghetto Sokolow freiwillig gemeldet hätten, um durch eine Tätigkeit vor Verfolgung/Deportation/Strafe geschützt zu werden. Aus der beigefügten Anlage zum Sokolow Podlaski Ghetto gehe ebenfalls hervor, dass Essensmarken den Einwohnern zugeteilt worden seien, die arbeitsfähig gewesen seien. Auch vor diesem Hintergrund und angesichts der bekannt knappen Lebensmittelrationen im Ghetto habe schon per se das Bedürfnis der Ghettobewohner bestanden, als arbeitsfähig kategorisiert zu werden, um Essensmarken zu erhalten. Angesichts der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden, sei es mehr als wahrscheinlich, dass sich auch die Klägerin zusammen mit ihren Geschwistern um Arbeit bzw. um die Beschaffung von Lebensmitteln bemüht habe. Die geltend gemachten Tätigkeiten könne sie dabei auch in Begleitung ihrer Geschwister verrichtet haben, wenn ihr nur unwesentlich jüngerer Bruder auf die kleine Schwester aufgepasst habe. Trotz Angabe ihrer Mutter, die Kinder vor SS-Kontrollen versteckt zu haben, bleibe trotzdem dafür Raum. Die Klägerin hat außerdem einen Auszug aus der Arbeitsanweisung der Beklagten, eine Kopie des Protokolls des Amtsgerichts Tel Aviv-Jaffo vom 21. April 2016 über die Vernehmung eines Zeugen zu dessen Arbeit als Kind in Mogilev-Podolsk (Rumänien), Kopien der von ihr unter dem 25. Juni 1978 und vom 6. Dezember 1991 gegenüber Yad Vashem gemachten Angaben zur Registrierung von Opfern der Shoah und des Heldentums sowie eine vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington übermittelte Zusammenstellung der Familienangehörigen und Zeugen vorgelegt.
Die Klägerin beantragt, nachdem sie eine Beitragszeit für September 1941 nicht mehr geltend macht,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2015 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2011 zu verurteilen, der Klägerin Altersrente unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Oktober 1941 bis September 1942 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihre bisherigen Ausführungen. Sie meint darüber hinaus, vor diesem Hintergrund könnten die eidlichen Aussagen, die gegen die Annahme einer Ghettobeschäftigung der Klägerin sprächen, nicht durch die bloße Behauptung in einer aktuellen eidesstattlichen Versicherung, im Ghetto gearbeitet zu haben, widerlegt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten () und der BEG-Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist, soweit darüber noch zu entscheiden ist, begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 8. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. April 1999, wobei als glaubhafte Beitragszeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto die Zeit von Oktober 1941 bis September 1942 anzurechnen ist.
Das anzuwendende Recht bestimmt sich dafür nach § 300 SGB VI.
Nach § 300 Abs. 1 SGB VI gilt: Vorschriften dieses Gesetzbuchs sind von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften sind nach § 300 Abs. 2 SGB VI (aber) auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird.
Der Anspruch auf eine Regelaltersrente wurde am 18. Juni 1997 geltend gemacht, denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gilt ein Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18. Juni 1997 gestellt.
Nach § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des insoweit maßgebenden Gesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 1989, 2261, I 1990 1337) – a. F. - haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die im März 1934 geborene Klägerin vollendete im März 1999 ihr 65. Lebensjahr. Sie ist auch Versicherte.
Versicherter im Sinne des materiellen Rentenversicherungsrechts ist jeder, der eine Beitragszeit erlangt hat. Dies geschieht grundsätzlich dadurch, dass ein Beitrag entweder von dem Bürger selbst oder für ihn von seinem Arbeitgeber wirksam gezahlt wird. Versicherter im materiell-rechtlichen Sinne ist ferner auch jeder, dem kraft Bundesrecht eine Beitragszeit – auch ohne Beitragszahlung – zuerkannt worden ist (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 6/03 R, Rdnr. 16, zitiert nach juris).
Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 SGB VI a. F.).
Die Klägerin hat eine solche Beitragszeit zurückgelegt.
Dies folgt aus § 2 Abs. 1 ZRBG, der bestimmt: Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar 1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).
Eine solche Beschäftigung liegt vor.
Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Als System der sozialen Sicherheit ist jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZRBG sind erfüllt. Dabei ist ausreichend, wenn die danach erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind.
Nach § 1 Abs. 2 ZRBG ergänzt dieses Gesetz die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Nach § 3 Abs. 1 WGSVG gilt: Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Als Mittel der Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 WGSVG).
Eine Tatsache ist als glaubhaft anzusehen, wenn mehr dafür als dagegen spricht. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es reicht die gute Möglichkeit aus, wobei es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08. August 2001 - B 9 V 23/01 B, Rdnr. 5, unter Hinweis u. a. auf BSG, Urteil 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80, Rdnr. 26, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 5070 § 3 Nr. 1).
Die Klägerin ist Verfolgte im Sinne des BEG.
Nach § 1 Abs. 1 BEG ist Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter). Als Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 BEG gilt auch der Hinterbliebene eines Verfolgten, der getötet oder in den Tod getrieben worden oder an den Folgen der Schädigung seines Körpers oder seiner Gesundheit verstorben ist (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 BEG).
Die Klägerin ist die Tochter des 1904 geborenen M I R, dessen Tod am 8. Mai 1945 durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen herbeigeführt wurde (Feststellungsbescheid A des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 4. November 1960). Ihr wurde deswegen Kapitalentschädigung für Hinterbliebene gewährt (Bescheid A des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 4. November 1960).
Die Klägerin hielt sich von Oktober 1941 bis September 1942 zwangsweise im Ghetto Sokolow auf, das im damals vom Deutschen Reich besetzten Generalgouvernement und damit in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag. Das Ghetto Sokolow (Podlaski) im Distrikt Warschau bestand vom 28. September 1941 bis 22. September 1942 (vgl. u. a. docplayer.org/55252033-Zrbg-ghetto-liste-stand.html; www.avivshoa.co.il/wp-content/uploads/2017/ .../ZRBG-&1502;&1506;&1493;&1491;&1499;&1503;.pdf).
Es ist glaubhaft, dass sich die Klägerin ab Oktober 1941 im Ghetto Sokolow aufhielt. Die Klägerin gab in ihrer eidesstattlichen Erklärung von Dezember 1955 an, im Oktober 1941 mit ihren Eltern in dieses Ghetto eingeliefert worden zu sein, welches umzäunt und von der SS und der Jüdischen Polizei bewacht gewesen sei. Diese Angabe über eine Einlieferung im Oktober 1941 wiederholte sie in ihren eidesstaatlichen Erklärungen von April 1958 und Juli 1959. Ihre Mutter, F T, benannte in ihren eidesstattlichen Erklärungen ebenfalls den Oktober 1941 als Zeitpunkt der Einlieferung. So gab sie in ihrer eidesstattlichen Erklärung von April 1956 an, im Oktober 1941 sei sie zusammen mit ihrem Ehemann und den drei Kindern ins Ghetto Sokolow eingewiesen worden, welches mit Stacheldrahtverhauen und Mauern umgeben und von SS und polnischer Gendarmerie und jüdischem Ordnungsdienst streng bewacht worden sei. Diesen Zeitpunkt bestätigte sie in ihren eidesstattlichen Versicherungen von Dezember 1956, von April 1958 und von Juli 1959. In weiteren eidesstattlichen Erklärungen des im März 1921 geborenen A Gist ausgeführt, dass dieser im Oktober 1941 ins Ghetto Sokolow eingeliefert worden sei und dort die Klägerin, die mit ihren Eltern ungefähr zur selben Zeit eingeliefert worden sei, getroffen habe (so seine eidesstattliche Erklärung von April 1956). Er und die Klägerin hätten sich im Oktober 1941 im Ghetto Sokolow kennengelernt, das umzäunt und von SS und jüdischer Polizei bewacht gewesen sei (so seine eidesstattliche Erklärung von Dezember 1958).
Es ist ebenfalls glaubhaft, dass sich die Klägerin bis September 1942 im Ghetto Sokolow aufhielt. Die Klägerin gab gegenüber der Beklagten im März 2010 und in der eidesstattlichen Erklärung vom 5. September 2010 an, sich zwangsweise bis September 1942 in diesem Ghetto aufgehalten zu haben. Den vorangegangenen eidesstattlichen Erklärungen der Klägerin, ihrer Mutter F T und des AG ist dem gegenüber zu entnehmen, dass erst im Winter 1942 das Ghetto verlassen werden konnte. In der eidesstattlichen Erklärung der Klägerin von Dezember 1955 führte die Klägerin aus, im Winter 1942 sei es ihren Eltern mit ihr gelungen, aus dem Ghetto zu entfliehen. In ihren weiteren eidesstattlichen Erklärungen von November 1956 und von Juli 1959 bestätigte sie diese zeitliche Einordnung der Flucht (auch mit ihren Geschwistern), wobei sie in letztgenannter eidesstattlicher Erklärung den Zeitpunkt mit Ende 1942 oder anfangs 1943 festlegte. Die Mutter der Klägerin gab in ihren eidesstattlichen Erklärungen (April 1956, Dezember 1956, Juli 1959) den Winter 1942 als Fluchtzeitpunkt anlässlich einer großen Aussiedlungsaktion nach Rzeszow (so ihre eidesstattliche Erklärung von April 1956) an. Dies wird bestätigt in den eidesstattlichen Erklärungen des A Gvon April 1956 und Dezember 1958, der danach im Winter 1942 zusammen mit der Klägerin und deren Familien aus dem Ghetto flüchtete. Es kann jedoch dahin stehen, ob sich die Klägerin im Winter tatsächlich noch im Ghetto Sokolow aufhielt, was angesichts seiner Auflösung bereits im September 1942 eher unwahrscheinlich ist, oder ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Rzeszow war, denn eine Beitragszeit macht sie nur bis September 1942 geltend.
Die Klägerin übte von Oktober 1941 bis September 1942 eine von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG erfasste Beschäftigung aus.
Darunter fällt jegliche Beschäftigung, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben. Ist diese Voraussetzung erfüllt, bedarf es keiner gesonderten Prüfung mehr, ob Dienstleistungen oder Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, "Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren". Abgesehen davon, dass der Wortlaut nicht dazu zwingt, die Anwendung des Gesetzes auf Beschäftigungen innerhalb eines Ghettos zu beschränken, müsste sich die Gegenmeinung mit dem Einwand einer willkürlichen Abgrenzung auseinandersetzen. Die Unterscheidung hat lediglich insoweit Bedeutung, als bei einer Tätigkeit außerhalb des Ghettos eher die Prüfung veranlasst sein könnte, ob es sich um Zwangsarbeit gehandelt hat (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 17, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 103, 220 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 8 in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R, Rdnr. 99, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 3).
Das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung ist aus der bisherigen Rechtsprechung übernommen worden und dient der tatsächlichen Abgrenzung zur Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I 2000, 1263) - EVZStiftG - zurückgegriffen werden, das in § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war", nach dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer oder rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss" nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wenn jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen "wurde" (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 19, zitiert nach juris).
Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie z. B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich umso mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 20, zitiert nach juris).
Ob eine aus eigenem Willensentschluss i. S. des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn es sich um eine vom Judenrat angebotene Arbeit handelt, ohne dass im Einzelnen zu ermitteln wäre, wer letztlich als "Arbeitgeber" fungierte und wie das Verhältnis zwischen diesem, dem Beschäftigten und dem Judenrat ausgestaltet war (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 21, zitiert nach juris).
Ein bestimmtes Mindestalter als Voraussetzung einer Beschäftigung, insbesondere ein solches von 14 Jahren, ist nicht erforderlich, weil auch verbotswidrige Kinderarbeit erfasst werden soll (BSG, Urteil vom 02. Juni 2009 – B 13 R 139/08 R, Rdnr. 24, m. w. N., abgedruckt in BSGE 103, 201 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 5).
Entgelt ist jegliche Entlohnung, gerade auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Lebensmittelkarten und Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (z. B. Einhaltung einer Mindesthöhe oder die Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist daher, ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand, ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden oder ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (z. B. dem Judenrat) gewährt wurde (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 25, zitiert nach juris).
Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie im Ghetto Sokolow von Oktober 1941 bis September 1942 eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausübte. Dies folgt aus ihren im März 2010 gegenüber der Beklagten gemachten Angaben nebst ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 5. September 2010. Diese enthalten keine widersprüchlichen Angaben zu ihren eidesstattlichen Erklärungen im Entschädigungsverfahren, wie die Beklagte meint. Eine Widersprüchlichkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin jegliche Arbeit im Ghetto, wie das Sozialgericht annimmt, in diesen früheren eidesstattlichen Erklärungen verneint habe.
Im März 2010 gab die Klägerin an, im streitigen Zeitraum Hilfsarbeiten in der Küche beim Judenrat verrichtet zu haben. In ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 5. September 2010 hat sie ausgeführt, sie habe in der Küche freiwillig gearbeitet, verschiedene Hilfsarbeiten erfüllt und habe dafür zusätzliche Lebensmittel für zu Hause bekommen. Ihre Eltern hätten verschiedene Zwangsarbeiten erfüllen müssen. Sie habe man nicht genommen, was sie auch im BEG-Verfahren angegeben habe. Freiwillig habe sie jedoch arbeiten können, um sich etwas zu verdienen. So habe sie es auch gemacht. Im BEG-Verfahren habe sie die freiwillige Arbeit deswegen nicht erwähnt, weil sie dazu nicht gefragt worden sei. In ihrem an das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen gestellten Antrag vom 13. November 2007 erklärte sie, die Arbeit selbst gesucht zu haben. Im Ghetto habe sie im streitigen Zeitraum Hilfsarbeiten in der Küche beim Judenrat ausgeführt. Arbeit auch außerhalb des Ghettos sei nicht erfolgt.
Mit diesen Angaben insbesondere in ihrer eidesstattlichen Erklärung ist die Ausübung einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung im Ghetto Sokolow ebenso belegt wie deren Ausübung gegen Entgelt in Form von Lebensmitteln, die selbst in kleinsten Mengen überlebenswichtig waren und daher zur Lebensgrundlage dienten.
Die Angaben der Klägerin sind glaubhaft gemacht, denn ihr Vorliegen ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der eigenen Angaben der Klägerin in früheren eidesstattlichen Erklärungen und der dazu vorhandenen weiteren eidesstattlichen Erklärungen ihrer Mutter und des A G überwiegend wahrscheinlich. Es besteht die gute Möglichkeit, dass eine solche Beschäftigung tatsächlich von der Klägerin ausgeübt wurde, um dadurch die prekäre Lebenssituation zu verbessern. Diese Lebenssituation spricht dafür, dass auch die seinerzeit sieben- bis achtjährige Klägerin eine sich bietende Möglichkeit nutzte, Hunger zu lindern, statt darauf zu verzichten.
Die genannten früheren eidesstattlichen Erklärungen stehen dazu nicht im Widerspruch. In ihrer eidesstattlichen Erklärung von Dezember 1955, die allein eine Aussage zu einer Arbeitsleistung enthält, gab die Klägerin lediglich an, nicht habe arbeiten zu müssen, da sie noch ein kleines Kind gewesen sei. Diese Erklärung ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass im Unterschied zu ihr ihre Eltern arbeiten mussten. Nach der eidesstattlichen Erklärung ihrer Mutter, F T, von April 1956 mussten diese und ihr Ehemann bei verschiedenen öffentlichen Zwangsarbeiten wie Straßenkehren, Schneeschaufeln und Reinigungsarbeiten ganztägig tätig sein. Sie seien unter Bewachung vom jüdischen Ordnungsdienst von und zur Zwangsarbeit geführt worden. Mithin bedeutet die Angabe der Klägerin, nicht arbeiten zu müssen, vornehmlich, dass sie nicht zur Zwangsarbeit herangezogen wurde. Die weiteren Angaben der Mutter der Klägerin stehen einer freiwilligen Beschäftigung der Klägerin jedenfalls nicht entgegen. In ihrer eidesstattlichen Erklärung von April 1956 gab die Mutter an, dass während ihrer Abwesenheit und der ihres Ehemannes die Kinder völlig auf sich allein angewiesen gewesen seien. Tagelang hätten sie diese unter Gerümpel vor den SS-Razzien versteckt. Der Judenrat habe an sie die Verpflegung verteilt. Die Verpflegung sei jedoch völlig unzureichend gewesen, so dass ihre Kinder stets hungrig gewesen seien und an Gewicht abgenommen hätten. Die SS-Männer wären immer ganz unvermutet in die Wohnungen gekommen, um nach jüdischen Kindern zur Vernichtung zu suchen. Dies sei ihren Kindern bekannt gewesen. Sie hätten in ständiger Todesfurcht gelebt. Mit dieser Aussage ist zwar nicht vereinbar, dass die Klägerin tagtäglich Küchenhilfsarbeiten verrichtete. Eine freiwillige Beschäftigung ist damit jedoch auch nicht ausgeschlossen. Der von der KIägerin vorgelegten Anlage ist zu entnehmen, dass Männer unter 50 Jahren einen Tag pro Woche für die Deutschen arbeiten mussten. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass auch die Mutter der Klägerin nicht mehr als einen Tag pro Woche Zwangsarbeit verrichten musste. Darüber hinaus geht daraus hervor, dass einige der Deutschen, gemeint offensichtlich Angehörige der SS, sich in das Ghetto begaben, um nach Wertgegenständen und anderen Dingen zu "jagen". Dies begründete zwar eine latente Gefahr für die Klägerin, bei solchen Aktionen entdeckt zu werden. Allerdings ist dadurch ihre Bewegungsfreiheit nicht dergestalt eingeschränkt gewesen, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, Hilfsarbeiten in der Küche beim Judenrat unter Mitnahme ihrer beiden jüngeren Geschwister auszuführen. Ihre und die Sicherheit ihrer jüngeren Geschwister dürfte dort nicht schlechter als in der elterlichen Wohnung gewesen sein. Es sprechen auch sonst keine Gründe dagegen, dass sich ihre beiden jüngeren Geschwister während ihrer Arbeit nicht hätten in der Küche aufhalten können.
Die Wertung der Angabe der Klägerin, nicht arbeiten zu müssen, im Sinne des Nichtheranziehens zur Zwangsarbeit lässt auch die eidesstattliche Erklärung des A G von Dezember 1958 zu, wonach die Klägerin, da sie noch ein kleines Kind gewesen sei, nicht zu arbeiten brauchte. Dies schließt nicht aus, dass die Klägerin einer freiwilligen Beschäftigung nachging.
In keiner der genannten eidesstattlichen Erklärungen wird auf eine freiwillige Beschäftigung eingegangen. Es findet sich weder der Hinweis darauf, dass eine solche ausgeübt, noch dass eine solche nicht ausgeübt wurde. Das Sozialgericht vermisst deswegen in diesen Erklärungen Anhaltspunkte, die für eine freiwillige Arbeit sprächen; vielmehr sei nach diesen Erklärungen auch eine freiwillige Arbeit als unwahrscheinlich anzusehen. Eine solche Würdigung setzt jedoch voraus, dass in eidesstattlichen Erklärungen, die in BEG-Verfahren abgegeben wurden, Angaben von Betroffenen zur Ausübung freiwilliger Beschäftigungen zu erwarten waren, denn lediglich in diesem Fall kann aus einem Schweigen zu solchen Beschäftigungen auf ihr Nichtvorliegen geschlussfolgert werden. Kam es hingegen auf freiwillige Beschäftigungen in BEG-Verfahren nicht an, ist schon nicht zu erwarten, dass solche in eidesstattlichen Erklärungen erwähnt werden, so dass sich verbietet, aus dem Schweigen in solchen eidesstattlichen Versicherungen auf ein Nichtvorhandensein freiwilliger Beschäftigungen zu schließen. Die Beklagte meint zwar, dass auch im Entschädigungsverfahren Veranlassung bestanden habe, Tätigkeiten, die in einem Ghetto verrichtet worden seien, im Antragsformular und im Formular zum Gesundheitsschaden anzugeben. Bezogen auf das Antragsformular trifft dies ersichtlich nicht zu, denn dieses enthält Fragen zu (zwangsweisen oder freiwillig verrichteten) Tätigkeiten nicht. Unter VI des Antragsformulars wird allerdings darauf hingewiesen, dass eine Schilderung des Verfolgungsvorgangs und eine Erläuterung der Schadensfälle beigefügt werden sollen. Bei der Geltendmachung eines Gesundheitsschadens, der durch eine Tätigkeit verursacht wurde, ist der Hinweis der Beklagten zwar grundsätzlich zutreffend. Angaben dazu können aber wiederum nur erwartet werden, wenn durch eine Tätigkeit auch ein Gesundheitsschaden eingetreten war. Ein solcher Gesundheitsschaden mag insbesondere zu beklagen sein, wenn Zwangsarbeit verrichtet wurde, eher weniger bei einer freiwilligen Beschäftigung, so dass in einem Formular zum Gesundheitsschaden nicht notwendigerweise Angaben zu einer freiwilligen Beschäftigung enthalten sind. Diese Erwägungen können vorliegend jedoch dahinstehen, denn die Klägerin stützte ihren Antrag auf Entschädigung nach dem BEG ausschließlich auf einen entstandenen Schaden an Freiheit, so dass ihre Angabe, sie habe nicht arbeiten müssen, auch dahingehend verstanden werden kann, dass sie mangels der Ausübung einer Zwangsarbeit (daher auch) einen Schaden an Körper und Gesundheit nicht erlitten habe. Angesichts dessen war es im Fall der Klägerin somit eher fernliegend, sich in der genannten früheren eidesstattlichen Erklärung zu einer freiwilligen Beschäftigung zu äußern. Da sie im BEG-Verfahren auch nicht ausdrücklich nach einer freiwilligen Beschäftigung gefragt worden war, erschließt sich ohne weiteres, dass deswegen dazu Angaben fehlen. Es trifft zu, dass im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem BEG die heutige Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und freiwilliger Arbeit keine Rolle spielte. Ob deswegen in diesen Verfahren von den Ghetto-Überlebenden keine differenzierten Angaben zu erwarten gewesen seien, so dass aus damaliger Sicht eine Bezeichnung jeglicher Arbeit im Ghetto als Zwangsarbeit nahegelegen habe, dürfte nicht als allgemeingültige Bewertung, ohne überhaupt den individuellen Sachverhalt zu berücksichtigen zu gelten haben. Insbesondere wenn seitens dritter Personen kein Druck ausgeübt wurde, also jegliche als Zwang empfundene Einwirkung fehlte, und keine verbliebenen Schäden aus einer freiwilligen Arbeit resultierten, dürfte auch aus damaliger Sicht in BEG-Verfahren durchaus zwischen Zwangsarbeit einerseits und freiwilliger Arbeit andererseits unterschieden worden sein. Wenn die Klägerin mithin in ihrer früheren eidesstattlichen Erklärung angab, nicht habe arbeiten zu müssen, macht dies hinreichend deutlich, dass sie keinerlei Zwang unterworfen war. Die Schlussfolgerung, daraus zugleich eine von der Klägerin dargetane Verneinung jeglicher Arbeit im Ghetto abzuleiten, wie dies das Sozialgericht getan und daraus eine Widersprüchlichkeit ableitet hat, vermag der Senat daher nicht zu ziehen.
In Würdigung der gesamten Umstände erachtet es der Senat daher als glaubhaft gemacht, dass die Klägerin im Ghetto Sokolow von Oktober 1941 bis September 1942 eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausübte.
Für die Zeit von Oktober 1941 bis September 1942 wird auch keine Leistung i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 2. Satzteil und Satz 2 ZRBG erbracht.
Die Anerkennungsleistung nach der Anerkennungsrichtlinie ist keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit. Es handelt sich schon nicht um eine regelmäßig wiederkehrende Geldleistung, denn nach § 2 der Anerkennungsrichtlinie besteht die Leistung, auf die nach § 3 der Anerkennungsrichtlinie kein Rechtsanspruch besteht, aus einer (einmaligen) Kapitalleistung in Höhe von 2.000 Euro. Zudem ordnet § 1 der Anerkennungsrichtlinie ausdrücklich an, dass die Prüfung anderer Entschädigungsansprüche und der Ansprüche nach dem ZRBG von dieser Richtlinie unberührt bleiben.
Die allgemeine Wartezeit ist ebenfalls erfüllt.
Sie beträgt als Voraussetzung für einen Anspruch auf Regelaltersrente fünf Jahre (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 SGB VI).
Die Klägerin erreicht zwar mit den Beitragszeiten von Oktober 1941 bis September 1942 keine fünf Jahre, sondern nur 12 Kalendermonate. Auf die Wartezeit werden jedoch auch die in Israel zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet.
Nach Art. 20 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl II 1986, 863) - DJSVA - gilt: Sind nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden, so werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Zu den Versicherungszeiten gehören nach Art 1 Nr. 10 DJSVA eine Beitragszeit oder eine gleichgestellte Zeit.
Nach dem Versicherungsverlauf des israelischen Versicherungsträgers vom 4. August 2010 hat die Klägerin von Juni 1960 bis Dezember 1993 insgesamt 324 Monate Versicherungszeiten einer Beschäftigung bzw. einer sonstigen Pflichtversicherung zurückgelegt.
Dem Rentenanspruch steht auch Art. 20 Abs. 2 DJSVA nicht entgegen, der bestimmt: Besteht mit oder ohne Berücksichtigung des Art. 20 Abs. 1 DJSVA ein Rentenanspruch nach den Vorschriften beider Vertragsstaaten und ist nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Versicherungszeit von weniger als 12 Monaten für die Berechnung der Rente anzurechnen, so kann ein Rentenanspruch nach diesen Rechtsvorschriften nicht geltend gemacht werden. In diesen Fällen stehen die Versicherungszeiten ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Lage für die Berechnung der Rente den nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anzurechnenden Versicherungszeiten unbeschadet des Art. 21 Abs. 1 DJSVA gleich.
Die nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigenden Versicherungszeiten umfassen 12 Monate. Ungeachtet dessen besteht abweichend von Art. 20 Abs. 2 DJSVA nach § 1 Abs. 3 ZRBG ein Anspruch auf eine Rente auch, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt.
Die Regelaltersrente beginnt am 1. April 1999.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Die Klägerin vollendete das 65. Lebensjahr im März 1999, so dass wegen § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG die Regelaltersrente zum 1. April 1999 beginnt.
Nach § 3 Abs. 3 ZRBG ist auf Renten mit Zeiten nach diesem Gesetz § 44 Absatz 4 SGB X nicht anzuwenden.
Die Berufung hat somit Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Regelaltersrente unter Berücksichtigung glaubhaft gemachter Beitragszeiten von September 1941 bis September 1942.
Die im März 1934 in Lowisk (Polen) geborene Klägerin ist seit Mai 1948 israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz seit 1947 in Israel. Ihr war Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) zuerkannt worden (Feststellungsbescheid A des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 4. November 1960).
Im Januar 2003 beantragte sie die Zahlung einer Regelaltersrente ab dem 1. Juli 1997 unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Es liege bei ihr eine Tätigkeit in einem Ghetto mit Lohnzahlung vor.
Die Beklagte zog vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die Entschädigungsakte bei und holte vom israelischen Versicherungsträger den Versicherungsverlauf vom 30. November 2003 ein.
Mit Bescheid vom 20. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag mangels Mitwirkung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ab.
Im Dezember 2009 beantragte die Klägerin die Überprüfung dieses Ablehnungsbescheides. Es seien ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto und eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss mit einer Entlohnung eidesstattlich erklärt worden.
Die Beklagte holte beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen eine Auskunft, der u. a. der dort von der Klägerin gestellte Antrag vom 13. November 2007 und verschiedene eidesstattliche Versicherungen aus der Entschädigungsakte des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz beigefügt waren, und beim israelischen Versicherungsträger den Versicherungsverlauf vom 4. August 2010 ein.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Die Arbeitszeit von September 1941 bis September 1942 im Ghetto Sokolow sei nicht glaubhaft gemacht worden. Damit sei eine Anerkennung nach dem ZRBG weiterhin nicht möglich.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe sich trotz ihres jugendlichen Alters freiwillig Hilfsarbeiten auf Vermittlung des Judenrates gegen Entlohnung gesucht. Sie nahm Bezug auf ihre vorgelegte eidesstattliche Erklärung vom 5. September 2010.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Im Antrag auf Altersrente habe die Klägerin angegeben, dass sie von September 1941 bis September 1942 im Ghetto Sokolow Küchenhilfsarbeiten verrichtet habe. Diese Angaben stünden jedoch im Widerspruch zu den im Entschädigungsverfahren gemachten Ausführungen in ihrer eidlichen Erklärung. Hiernach habe sie angegeben, dass sie noch ein Kind gewesen sei und nicht habe arbeiten müssen. Auch in der eidlichen Erklärung ihrer Mutter sei ausgeführt worden, dass während deren Zwangsarbeit die Klägerin als Kind völlig auf sich allein angewiesen gewesen und nur Jugendliche und Erwachsene zur Zwangsarbeit beordert worden seien. Weiterhin habe ihre Mutter angegeben, dass diese sie tagelang unter Gerümpel vor Razzien versteckt habe. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass auch im Entschädigungsverfahren Veranlassung bestanden habe, Tätigkeiten, die in einem Ghetto verrichtet worden seien, in dem Antragsformular und dem Formular zum Gesundheitsschaden anzugeben. Zwar hätten damals entschädigungsrechtliche Gedanken im Vordergrund gestanden; jedoch seien aufgrund des Umstandes, dass entsprechende Angaben in den Fragebögen zu machen gewesen seien sowie der größeren Nähe (Geschehnisse seien noch besser in Erinnerung gewesen) die damals gemachten Angaben wichtige Indizien für die nunmehrige Klärung der Zeiten aus rentenrechtlicher Sicht. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben im Entschädigungsverfahren und im Rentenverfahren könne auch die im Widerspruchsverfahren eingereichte aktuelle eigene eidesstattliche Erklärung nicht zur Beseitigung der widersprüchlichen Angaben beitragen.
Dagegen hat die Klägerin am 7. Juli 2011 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.
Sie hat unter Zitierung der Begründung des ZRBG ausgeführt, für die Anerkennung reiche es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus, wenn die Betroffenen gegebenenfalls auch durch eine Versicherung an Eides Statt gegenüber dem Rentenversicherungsträger glaubhaft machten, dass sie aus eigenem Willensentschluss in einem Ghetto entgeltlich beschäftigt gewesen seien, in dem sie sich zwangsweise aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung aufgehalten hätten. Eine fehlende Erwähnung der Tätigkeit im BEG-Verfahren könne, so die Klägerin, nach den Entscheidungen des BSG nicht anspruchsvernichtend sein. Seinerzeit habe sich niemand für freiwillige Tätigkeiten in einem Ghetto und deren Entlohnung interessiert. Im BEG-Entschädigungsverfahren sei es nur auf die Darstellung von Zwangsarbeiten angekommen. Die Klägerin habe in ihrer (früheren) eidesstattlichen Erklärung angegeben, dass sie nicht zur Zwangsarbeit wegen ihres Alters habe gehen müssen. Dies bedeute aber nicht, dass sie nicht habe freiwillig arbeiten können. Ihre Mutter habe in deren eidesstattlichen Erklärung die Verpflegung als völlig unzureichend angegeben, so dass die Kinder stets hungrig gewesen seien. Es stelle sich daher die Frage, warum die Klägerin bei solchen Bedingungen nicht in der Ghettoküche habe arbeiten können, um zu überleben. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen habe ihre eidesstattliche Erklärung vom 13. November 2007 nicht für anspruchsvernichtend angesehen, sondern ihr mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 eine Anerkennungsleistung zugesprochen. Die Klägerin hat u. a. den Aufsatz von Stephan LehnstaedtGhetto-"Bilder". Historische Aussagen in Urteilen der Sozialgerichtsbarkeit, einen Auszug mit abschließenden Bemerkungen zur Kinderarbeit im Ghetto Lodz aus dem Gutachten Bodek des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen L 8 RJ 97/02, Auszüge zu ZRBG-Sachverhalten der Abteilung Versicherung, Rente und Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung Rheinland zur Kinderarbeit im Ghetto Wilna und zum Ghetto Krakau mit einem Auszug aus dem Tagebuch der Halina Nelken, das für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erstattete Gutachten des Prof. Dr. Goschlerder Fakultät für Geschichtswissenschaften der Universität Bochum vom 26. Oktober 2007, die Stellungnahme der Kristin Platt des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum vom 9. März 2009 und die Ergänzung des von der Klägerin beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen gestellten Antrags vom 13. November 2007 vorgelegt.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die im seinerzeitigen Entschädigungsverfahren abgegebenen Erklärungen der Klägerin und deren Mutter sich mit Arbeitsleistungen in einem Ghetto auseinandersetzten und hierzu übereinstimmend erklärt worden sei, dass die Klägerin im Ghetto nicht gearbeitet habe. Die Behauptung, die Tätigkeit sei dort nicht erwähnt worden, treffe also nicht zu. Auf diese Ungereimtheiten in eigenen von der Klägerin selbst abgegebenen Erklärungen werde von ihr nicht eingegangen. Unstreitig sei der Ghettoaufenthalt im fraglichen Zeitraum. Hinsichtlich einer Ghettobeschäftigung lasse sich keine übereinstimmende Aussage der Klägerin im Kern feststellen. Es bestünden weiterhin widersprüchliche Angaben zu Arbeitsleistungen im Ghetto.
Das Sozialgericht hat vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die BEG-Entschädigungsakten beigezogen.
Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 6. November 2015 die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Rentenleistung, da nicht glaubhaft gemacht sei, dass sie im Ghetto Sokolowin der Zeit von September 1941 bis September 1942 eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sei, ausgeübt gehabt habe. Dagegen sprächen vor allem die Aussagen, die die Klägerin, ihre Mutter sowie ein weiterer Zeuge im Rahmen des damaligen BEG-Entschädigungsverfahrens gemacht hätten. Die Klägerin habe dort in ihrer eidesstattlichen Erklärung angegeben gehabt, während ihrer Zeit im Ghetto Sokolow nicht habe arbeiten zu müssen, weil sie noch ein Kind gewesen sei. Die Mutter der Klägerin habe in ihrer eidesstattlichen Erklärung angegeben gehabt, sie habe im Ghetto wie auch ihr Mann Zwangsarbeit verrichten müssen; ihre Kinder seien während ihrer Abwesenheit auf sich allein gestellt gewesen, da alle Jugendlichen und Erwachsenen tagsüber zur Zwangsarbeit herangezogen worden seien. Tagelang habe sie ihre Kinder wegen wiederholter Razzien der SS versteckt gehalten. Der Zeuge A G habe in seiner eidesstattlichen Erklärung angegeben gehabt, die Klägerin habe nicht arbeiten brauchen, weil sie noch ein kleines Kind gewesen sei. Die eigenen Angaben der Klägerin, ihrer Mutter sowie des Zeugen G im Rahmen des BEG-Entschädigungsverfahrens enthielten damit keinerlei Hinweis, dass die damals 7 bzw. 8 Jahre alte Klägerin im Ghetto einer Arbeit nachgegangen sei. Auch wenn die Klägerin angegeben habe, nicht habe arbeiten zu "müssen" (bzw. der Zeuge G: "brauchte nicht arbeiten") und damit eine freiwillige Arbeit nicht explizit verneint worden sei, enthielten die Erklärungen der Klägerin jedenfalls keine Anhaltspunkte, die für eine freiwillige Arbeit sprächen. Vielmehr sei nach den Erklärungen auch eine freiwillige Arbeit als unwahrscheinlich anzusehen. So weise der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Klagebegründung selbst darauf hin, dass im Rahmen des Entschädigungsverfahrens die heutige Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und freiwilliger Arbeit noch keine Rolle gespielt habe und daher im damaligen Verfahren von den Ghetto-Überlebenden keine differenzierten Angaben dazu zu erwarten gewesen seien; so habe vielmehr aus damaliger Sicht eine Bezeichnung jeglicher Arbeit im Ghetto als Zwangsarbeit nahegelegen. Daher liege es nahe, dass die Klägerin sowie der Zeuge G mit der Aussage, wonach die Klägerin im Ghetto nicht habe arbeiten müssen/brauchen, nicht etwa meinten, die Klägerin habe keine Zwangsarbeit leisten müssen, weil sie noch ein kleines Kind gewesen sei, sei als kleines Kind aber im Übrigen einer regelmäßigen freiwilligen Arbeit als Küchenhilfe nachgegangen. Die Widersprüchlichkeit ergebe sich insofern nicht aus einer fehlenden Erwähnung einer freiwilligen Arbeit im Entschädigungsverfahren, auf die es dort zugebenermaßen auch nicht angekommen sei, sondern aus der dortigen Verneinung von Arbeit im Ghetto, was eine Verneinung sowohl von Zwangsarbeit als auch von freiwilliger Arbeit nahelege. In Anbetracht des Aussageinhalts der Angaben im Entschädigungsverfahren sei eine plausible Erklärung für die anzunehmende Widersprüchlichkeit zu den jetzigen Angaben nicht ersichtlich und werde auch von der Klägerin nicht vorgebracht.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 12. November 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. November 2015 eingelegte Berufung der Klägerin.
Sie hält weiterhin freiwillige Hilfsarbeiten in der Ghettoküche für glaubhaft gemacht. Das ZRBG setze kein bestimmtes Mindestalter voraus. Die Angaben zum Ghettoaufenthalt stimmten überein und es fehle im Entschädigungsverfahren lediglich eine Aussage über freiwillige Tätigkeiten in der Ghettoküche. Die Arbeitsanweisung der Beklagten stelle klar, dass keine strengen Maßstäbe anzusetzen seien, eine wohlwollende Betrachtungsweise erforderlich sei und verbleibende Zweifel bei dem geforderten Maßstab unschädlich seien. Die Klägerin habe in den Jahren 1978 und 1991 Angaben zum Verfolgungsschicksal ihrer Familie gegenüber Yad Vashem gemacht. Ihre Angaben aus den deutschen Verwaltungsakten zu Verfolgungsort, Verfolgungszeit und Verfolgungsschicksal deckten sich mit ihren späteren Angaben. Da bis zur Einführung des ZRBG im Jahr 2002 Leistungen an Überlebende des Holocaust stets im Kontext von Zwang gewährt worden seien, müsse es den Überlebenden nachgesehen werden, wenn sie die Gesetzesanforderungen nicht sofort verstanden hätten. Die Klägerin beschreibe in ihrem Entschädigungsverfahren, dass sie schon in ihrem Heimatort die gelbe Kennzeichnung als Jüdin habe tragen müssen, obwohl sie noch keine 10 Jahre alt gewesen sei. Erst mit 10 Jahren habe eigentlich die gesetzliche Kennzeichnungspflicht bestanden. Dies lasse den Rückschluss zu, dass die Klägerin älter ausgesehen habe, als sie tatsächlich gewesen sei. Es könne auch keinen Zweifel geben, dass die damals 7 bis 8jährige Klägerin kognitiv-intellektuell in der Lage gewesen sei, Reinigungsarbeiten und Hilfstätigkeiten in der Ghettoküche zu verrichten. Aus einem Zeitzeugenbericht von Gedaye Vishny (Hinweis auf www.jewishgen.org) gehe hervor, dass sich auch Kinder/Jugendliche beim Judenrat im Ghetto Sokolow freiwillig gemeldet hätten, um durch eine Tätigkeit vor Verfolgung/Deportation/Strafe geschützt zu werden. Aus der beigefügten Anlage zum Sokolow Podlaski Ghetto gehe ebenfalls hervor, dass Essensmarken den Einwohnern zugeteilt worden seien, die arbeitsfähig gewesen seien. Auch vor diesem Hintergrund und angesichts der bekannt knappen Lebensmittelrationen im Ghetto habe schon per se das Bedürfnis der Ghettobewohner bestanden, als arbeitsfähig kategorisiert zu werden, um Essensmarken zu erhalten. Angesichts der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden, sei es mehr als wahrscheinlich, dass sich auch die Klägerin zusammen mit ihren Geschwistern um Arbeit bzw. um die Beschaffung von Lebensmitteln bemüht habe. Die geltend gemachten Tätigkeiten könne sie dabei auch in Begleitung ihrer Geschwister verrichtet haben, wenn ihr nur unwesentlich jüngerer Bruder auf die kleine Schwester aufgepasst habe. Trotz Angabe ihrer Mutter, die Kinder vor SS-Kontrollen versteckt zu haben, bleibe trotzdem dafür Raum. Die Klägerin hat außerdem einen Auszug aus der Arbeitsanweisung der Beklagten, eine Kopie des Protokolls des Amtsgerichts Tel Aviv-Jaffo vom 21. April 2016 über die Vernehmung eines Zeugen zu dessen Arbeit als Kind in Mogilev-Podolsk (Rumänien), Kopien der von ihr unter dem 25. Juni 1978 und vom 6. Dezember 1991 gegenüber Yad Vashem gemachten Angaben zur Registrierung von Opfern der Shoah und des Heldentums sowie eine vom United States Holocaust Memorial Museum in Washington übermittelte Zusammenstellung der Familienangehörigen und Zeugen vorgelegt.
Die Klägerin beantragt, nachdem sie eine Beitragszeit für September 1941 nicht mehr geltend macht,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2015 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2011 zu verurteilen, der Klägerin Altersrente unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Oktober 1941 bis September 1942 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihre bisherigen Ausführungen. Sie meint darüber hinaus, vor diesem Hintergrund könnten die eidlichen Aussagen, die gegen die Annahme einer Ghettobeschäftigung der Klägerin sprächen, nicht durch die bloße Behauptung in einer aktuellen eidesstattlichen Versicherung, im Ghetto gearbeitet zu haben, widerlegt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten () und der BEG-Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist, soweit darüber noch zu entscheiden ist, begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 8. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. April 1999, wobei als glaubhafte Beitragszeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto die Zeit von Oktober 1941 bis September 1942 anzurechnen ist.
Das anzuwendende Recht bestimmt sich dafür nach § 300 SGB VI.
Nach § 300 Abs. 1 SGB VI gilt: Vorschriften dieses Gesetzbuchs sind von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften sind nach § 300 Abs. 2 SGB VI (aber) auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird.
Der Anspruch auf eine Regelaltersrente wurde am 18. Juni 1997 geltend gemacht, denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gilt ein Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18. Juni 1997 gestellt.
Nach § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des insoweit maßgebenden Gesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 1989, 2261, I 1990 1337) – a. F. - haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Die im März 1934 geborene Klägerin vollendete im März 1999 ihr 65. Lebensjahr. Sie ist auch Versicherte.
Versicherter im Sinne des materiellen Rentenversicherungsrechts ist jeder, der eine Beitragszeit erlangt hat. Dies geschieht grundsätzlich dadurch, dass ein Beitrag entweder von dem Bürger selbst oder für ihn von seinem Arbeitgeber wirksam gezahlt wird. Versicherter im materiell-rechtlichen Sinne ist ferner auch jeder, dem kraft Bundesrecht eine Beitragszeit – auch ohne Beitragszahlung – zuerkannt worden ist (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 6/03 R, Rdnr. 16, zitiert nach juris).
Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 SGB VI a. F.).
Die Klägerin hat eine solche Beitragszeit zurückgelegt.
Dies folgt aus § 2 Abs. 1 ZRBG, der bestimmt: Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar 1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).
Eine solche Beschäftigung liegt vor.
Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Als System der sozialen Sicherheit ist jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZRBG sind erfüllt. Dabei ist ausreichend, wenn die danach erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind.
Nach § 1 Abs. 2 ZRBG ergänzt dieses Gesetz die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Nach § 3 Abs. 1 WGSVG gilt: Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Als Mittel der Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 WGSVG).
Eine Tatsache ist als glaubhaft anzusehen, wenn mehr dafür als dagegen spricht. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es reicht die gute Möglichkeit aus, wobei es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08. August 2001 - B 9 V 23/01 B, Rdnr. 5, unter Hinweis u. a. auf BSG, Urteil 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80, Rdnr. 26, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 5070 § 3 Nr. 1).
Die Klägerin ist Verfolgte im Sinne des BEG.
Nach § 1 Abs. 1 BEG ist Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter). Als Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 BEG gilt auch der Hinterbliebene eines Verfolgten, der getötet oder in den Tod getrieben worden oder an den Folgen der Schädigung seines Körpers oder seiner Gesundheit verstorben ist (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 BEG).
Die Klägerin ist die Tochter des 1904 geborenen M I R, dessen Tod am 8. Mai 1945 durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen herbeigeführt wurde (Feststellungsbescheid A des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 4. November 1960). Ihr wurde deswegen Kapitalentschädigung für Hinterbliebene gewährt (Bescheid A des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Koblenz vom 4. November 1960).
Die Klägerin hielt sich von Oktober 1941 bis September 1942 zwangsweise im Ghetto Sokolow auf, das im damals vom Deutschen Reich besetzten Generalgouvernement und damit in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag. Das Ghetto Sokolow (Podlaski) im Distrikt Warschau bestand vom 28. September 1941 bis 22. September 1942 (vgl. u. a. docplayer.org/55252033-Zrbg-ghetto-liste-stand.html; www.avivshoa.co.il/wp-content/uploads/2017/ .../ZRBG-&1502;&1506;&1493;&1491;&1499;&1503;.pdf).
Es ist glaubhaft, dass sich die Klägerin ab Oktober 1941 im Ghetto Sokolow aufhielt. Die Klägerin gab in ihrer eidesstattlichen Erklärung von Dezember 1955 an, im Oktober 1941 mit ihren Eltern in dieses Ghetto eingeliefert worden zu sein, welches umzäunt und von der SS und der Jüdischen Polizei bewacht gewesen sei. Diese Angabe über eine Einlieferung im Oktober 1941 wiederholte sie in ihren eidesstaatlichen Erklärungen von April 1958 und Juli 1959. Ihre Mutter, F T, benannte in ihren eidesstattlichen Erklärungen ebenfalls den Oktober 1941 als Zeitpunkt der Einlieferung. So gab sie in ihrer eidesstattlichen Erklärung von April 1956 an, im Oktober 1941 sei sie zusammen mit ihrem Ehemann und den drei Kindern ins Ghetto Sokolow eingewiesen worden, welches mit Stacheldrahtverhauen und Mauern umgeben und von SS und polnischer Gendarmerie und jüdischem Ordnungsdienst streng bewacht worden sei. Diesen Zeitpunkt bestätigte sie in ihren eidesstattlichen Versicherungen von Dezember 1956, von April 1958 und von Juli 1959. In weiteren eidesstattlichen Erklärungen des im März 1921 geborenen A Gist ausgeführt, dass dieser im Oktober 1941 ins Ghetto Sokolow eingeliefert worden sei und dort die Klägerin, die mit ihren Eltern ungefähr zur selben Zeit eingeliefert worden sei, getroffen habe (so seine eidesstattliche Erklärung von April 1956). Er und die Klägerin hätten sich im Oktober 1941 im Ghetto Sokolow kennengelernt, das umzäunt und von SS und jüdischer Polizei bewacht gewesen sei (so seine eidesstattliche Erklärung von Dezember 1958).
Es ist ebenfalls glaubhaft, dass sich die Klägerin bis September 1942 im Ghetto Sokolow aufhielt. Die Klägerin gab gegenüber der Beklagten im März 2010 und in der eidesstattlichen Erklärung vom 5. September 2010 an, sich zwangsweise bis September 1942 in diesem Ghetto aufgehalten zu haben. Den vorangegangenen eidesstattlichen Erklärungen der Klägerin, ihrer Mutter F T und des AG ist dem gegenüber zu entnehmen, dass erst im Winter 1942 das Ghetto verlassen werden konnte. In der eidesstattlichen Erklärung der Klägerin von Dezember 1955 führte die Klägerin aus, im Winter 1942 sei es ihren Eltern mit ihr gelungen, aus dem Ghetto zu entfliehen. In ihren weiteren eidesstattlichen Erklärungen von November 1956 und von Juli 1959 bestätigte sie diese zeitliche Einordnung der Flucht (auch mit ihren Geschwistern), wobei sie in letztgenannter eidesstattlicher Erklärung den Zeitpunkt mit Ende 1942 oder anfangs 1943 festlegte. Die Mutter der Klägerin gab in ihren eidesstattlichen Erklärungen (April 1956, Dezember 1956, Juli 1959) den Winter 1942 als Fluchtzeitpunkt anlässlich einer großen Aussiedlungsaktion nach Rzeszow (so ihre eidesstattliche Erklärung von April 1956) an. Dies wird bestätigt in den eidesstattlichen Erklärungen des A Gvon April 1956 und Dezember 1958, der danach im Winter 1942 zusammen mit der Klägerin und deren Familien aus dem Ghetto flüchtete. Es kann jedoch dahin stehen, ob sich die Klägerin im Winter tatsächlich noch im Ghetto Sokolow aufhielt, was angesichts seiner Auflösung bereits im September 1942 eher unwahrscheinlich ist, oder ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Rzeszow war, denn eine Beitragszeit macht sie nur bis September 1942 geltend.
Die Klägerin übte von Oktober 1941 bis September 1942 eine von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG erfasste Beschäftigung aus.
Darunter fällt jegliche Beschäftigung, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben. Ist diese Voraussetzung erfüllt, bedarf es keiner gesonderten Prüfung mehr, ob Dienstleistungen oder Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, "Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren". Abgesehen davon, dass der Wortlaut nicht dazu zwingt, die Anwendung des Gesetzes auf Beschäftigungen innerhalb eines Ghettos zu beschränken, müsste sich die Gegenmeinung mit dem Einwand einer willkürlichen Abgrenzung auseinandersetzen. Die Unterscheidung hat lediglich insoweit Bedeutung, als bei einer Tätigkeit außerhalb des Ghettos eher die Prüfung veranlasst sein könnte, ob es sich um Zwangsarbeit gehandelt hat (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 17, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 103, 220 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 8 in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R, Rdnr. 99, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 3).
Das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung ist aus der bisherigen Rechtsprechung übernommen worden und dient der tatsächlichen Abgrenzung zur Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I 2000, 1263) - EVZStiftG - zurückgegriffen werden, das in § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war", nach dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer oder rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss" nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wenn jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen "wurde" (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 19, zitiert nach juris).
Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie z. B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich umso mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 20, zitiert nach juris).
Ob eine aus eigenem Willensentschluss i. S. des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn es sich um eine vom Judenrat angebotene Arbeit handelt, ohne dass im Einzelnen zu ermitteln wäre, wer letztlich als "Arbeitgeber" fungierte und wie das Verhältnis zwischen diesem, dem Beschäftigten und dem Judenrat ausgestaltet war (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 21, zitiert nach juris).
Ein bestimmtes Mindestalter als Voraussetzung einer Beschäftigung, insbesondere ein solches von 14 Jahren, ist nicht erforderlich, weil auch verbotswidrige Kinderarbeit erfasst werden soll (BSG, Urteil vom 02. Juni 2009 – B 13 R 139/08 R, Rdnr. 24, m. w. N., abgedruckt in BSGE 103, 201 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 5).
Entgelt ist jegliche Entlohnung, gerade auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Lebensmittelkarten und Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (z. B. Einhaltung einer Mindesthöhe oder die Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist daher, ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand, ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden oder ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (z. B. dem Judenrat) gewährt wurde (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 25, zitiert nach juris).
Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie im Ghetto Sokolow von Oktober 1941 bis September 1942 eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausübte. Dies folgt aus ihren im März 2010 gegenüber der Beklagten gemachten Angaben nebst ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 5. September 2010. Diese enthalten keine widersprüchlichen Angaben zu ihren eidesstattlichen Erklärungen im Entschädigungsverfahren, wie die Beklagte meint. Eine Widersprüchlichkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin jegliche Arbeit im Ghetto, wie das Sozialgericht annimmt, in diesen früheren eidesstattlichen Erklärungen verneint habe.
Im März 2010 gab die Klägerin an, im streitigen Zeitraum Hilfsarbeiten in der Küche beim Judenrat verrichtet zu haben. In ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 5. September 2010 hat sie ausgeführt, sie habe in der Küche freiwillig gearbeitet, verschiedene Hilfsarbeiten erfüllt und habe dafür zusätzliche Lebensmittel für zu Hause bekommen. Ihre Eltern hätten verschiedene Zwangsarbeiten erfüllen müssen. Sie habe man nicht genommen, was sie auch im BEG-Verfahren angegeben habe. Freiwillig habe sie jedoch arbeiten können, um sich etwas zu verdienen. So habe sie es auch gemacht. Im BEG-Verfahren habe sie die freiwillige Arbeit deswegen nicht erwähnt, weil sie dazu nicht gefragt worden sei. In ihrem an das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen gestellten Antrag vom 13. November 2007 erklärte sie, die Arbeit selbst gesucht zu haben. Im Ghetto habe sie im streitigen Zeitraum Hilfsarbeiten in der Küche beim Judenrat ausgeführt. Arbeit auch außerhalb des Ghettos sei nicht erfolgt.
Mit diesen Angaben insbesondere in ihrer eidesstattlichen Erklärung ist die Ausübung einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung im Ghetto Sokolow ebenso belegt wie deren Ausübung gegen Entgelt in Form von Lebensmitteln, die selbst in kleinsten Mengen überlebenswichtig waren und daher zur Lebensgrundlage dienten.
Die Angaben der Klägerin sind glaubhaft gemacht, denn ihr Vorliegen ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der eigenen Angaben der Klägerin in früheren eidesstattlichen Erklärungen und der dazu vorhandenen weiteren eidesstattlichen Erklärungen ihrer Mutter und des A G überwiegend wahrscheinlich. Es besteht die gute Möglichkeit, dass eine solche Beschäftigung tatsächlich von der Klägerin ausgeübt wurde, um dadurch die prekäre Lebenssituation zu verbessern. Diese Lebenssituation spricht dafür, dass auch die seinerzeit sieben- bis achtjährige Klägerin eine sich bietende Möglichkeit nutzte, Hunger zu lindern, statt darauf zu verzichten.
Die genannten früheren eidesstattlichen Erklärungen stehen dazu nicht im Widerspruch. In ihrer eidesstattlichen Erklärung von Dezember 1955, die allein eine Aussage zu einer Arbeitsleistung enthält, gab die Klägerin lediglich an, nicht habe arbeiten zu müssen, da sie noch ein kleines Kind gewesen sei. Diese Erklärung ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass im Unterschied zu ihr ihre Eltern arbeiten mussten. Nach der eidesstattlichen Erklärung ihrer Mutter, F T, von April 1956 mussten diese und ihr Ehemann bei verschiedenen öffentlichen Zwangsarbeiten wie Straßenkehren, Schneeschaufeln und Reinigungsarbeiten ganztägig tätig sein. Sie seien unter Bewachung vom jüdischen Ordnungsdienst von und zur Zwangsarbeit geführt worden. Mithin bedeutet die Angabe der Klägerin, nicht arbeiten zu müssen, vornehmlich, dass sie nicht zur Zwangsarbeit herangezogen wurde. Die weiteren Angaben der Mutter der Klägerin stehen einer freiwilligen Beschäftigung der Klägerin jedenfalls nicht entgegen. In ihrer eidesstattlichen Erklärung von April 1956 gab die Mutter an, dass während ihrer Abwesenheit und der ihres Ehemannes die Kinder völlig auf sich allein angewiesen gewesen seien. Tagelang hätten sie diese unter Gerümpel vor den SS-Razzien versteckt. Der Judenrat habe an sie die Verpflegung verteilt. Die Verpflegung sei jedoch völlig unzureichend gewesen, so dass ihre Kinder stets hungrig gewesen seien und an Gewicht abgenommen hätten. Die SS-Männer wären immer ganz unvermutet in die Wohnungen gekommen, um nach jüdischen Kindern zur Vernichtung zu suchen. Dies sei ihren Kindern bekannt gewesen. Sie hätten in ständiger Todesfurcht gelebt. Mit dieser Aussage ist zwar nicht vereinbar, dass die Klägerin tagtäglich Küchenhilfsarbeiten verrichtete. Eine freiwillige Beschäftigung ist damit jedoch auch nicht ausgeschlossen. Der von der KIägerin vorgelegten Anlage ist zu entnehmen, dass Männer unter 50 Jahren einen Tag pro Woche für die Deutschen arbeiten mussten. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass auch die Mutter der Klägerin nicht mehr als einen Tag pro Woche Zwangsarbeit verrichten musste. Darüber hinaus geht daraus hervor, dass einige der Deutschen, gemeint offensichtlich Angehörige der SS, sich in das Ghetto begaben, um nach Wertgegenständen und anderen Dingen zu "jagen". Dies begründete zwar eine latente Gefahr für die Klägerin, bei solchen Aktionen entdeckt zu werden. Allerdings ist dadurch ihre Bewegungsfreiheit nicht dergestalt eingeschränkt gewesen, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, Hilfsarbeiten in der Küche beim Judenrat unter Mitnahme ihrer beiden jüngeren Geschwister auszuführen. Ihre und die Sicherheit ihrer jüngeren Geschwister dürfte dort nicht schlechter als in der elterlichen Wohnung gewesen sein. Es sprechen auch sonst keine Gründe dagegen, dass sich ihre beiden jüngeren Geschwister während ihrer Arbeit nicht hätten in der Küche aufhalten können.
Die Wertung der Angabe der Klägerin, nicht arbeiten zu müssen, im Sinne des Nichtheranziehens zur Zwangsarbeit lässt auch die eidesstattliche Erklärung des A G von Dezember 1958 zu, wonach die Klägerin, da sie noch ein kleines Kind gewesen sei, nicht zu arbeiten brauchte. Dies schließt nicht aus, dass die Klägerin einer freiwilligen Beschäftigung nachging.
In keiner der genannten eidesstattlichen Erklärungen wird auf eine freiwillige Beschäftigung eingegangen. Es findet sich weder der Hinweis darauf, dass eine solche ausgeübt, noch dass eine solche nicht ausgeübt wurde. Das Sozialgericht vermisst deswegen in diesen Erklärungen Anhaltspunkte, die für eine freiwillige Arbeit sprächen; vielmehr sei nach diesen Erklärungen auch eine freiwillige Arbeit als unwahrscheinlich anzusehen. Eine solche Würdigung setzt jedoch voraus, dass in eidesstattlichen Erklärungen, die in BEG-Verfahren abgegeben wurden, Angaben von Betroffenen zur Ausübung freiwilliger Beschäftigungen zu erwarten waren, denn lediglich in diesem Fall kann aus einem Schweigen zu solchen Beschäftigungen auf ihr Nichtvorliegen geschlussfolgert werden. Kam es hingegen auf freiwillige Beschäftigungen in BEG-Verfahren nicht an, ist schon nicht zu erwarten, dass solche in eidesstattlichen Erklärungen erwähnt werden, so dass sich verbietet, aus dem Schweigen in solchen eidesstattlichen Versicherungen auf ein Nichtvorhandensein freiwilliger Beschäftigungen zu schließen. Die Beklagte meint zwar, dass auch im Entschädigungsverfahren Veranlassung bestanden habe, Tätigkeiten, die in einem Ghetto verrichtet worden seien, im Antragsformular und im Formular zum Gesundheitsschaden anzugeben. Bezogen auf das Antragsformular trifft dies ersichtlich nicht zu, denn dieses enthält Fragen zu (zwangsweisen oder freiwillig verrichteten) Tätigkeiten nicht. Unter VI des Antragsformulars wird allerdings darauf hingewiesen, dass eine Schilderung des Verfolgungsvorgangs und eine Erläuterung der Schadensfälle beigefügt werden sollen. Bei der Geltendmachung eines Gesundheitsschadens, der durch eine Tätigkeit verursacht wurde, ist der Hinweis der Beklagten zwar grundsätzlich zutreffend. Angaben dazu können aber wiederum nur erwartet werden, wenn durch eine Tätigkeit auch ein Gesundheitsschaden eingetreten war. Ein solcher Gesundheitsschaden mag insbesondere zu beklagen sein, wenn Zwangsarbeit verrichtet wurde, eher weniger bei einer freiwilligen Beschäftigung, so dass in einem Formular zum Gesundheitsschaden nicht notwendigerweise Angaben zu einer freiwilligen Beschäftigung enthalten sind. Diese Erwägungen können vorliegend jedoch dahinstehen, denn die Klägerin stützte ihren Antrag auf Entschädigung nach dem BEG ausschließlich auf einen entstandenen Schaden an Freiheit, so dass ihre Angabe, sie habe nicht arbeiten müssen, auch dahingehend verstanden werden kann, dass sie mangels der Ausübung einer Zwangsarbeit (daher auch) einen Schaden an Körper und Gesundheit nicht erlitten habe. Angesichts dessen war es im Fall der Klägerin somit eher fernliegend, sich in der genannten früheren eidesstattlichen Erklärung zu einer freiwilligen Beschäftigung zu äußern. Da sie im BEG-Verfahren auch nicht ausdrücklich nach einer freiwilligen Beschäftigung gefragt worden war, erschließt sich ohne weiteres, dass deswegen dazu Angaben fehlen. Es trifft zu, dass im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem BEG die heutige Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und freiwilliger Arbeit keine Rolle spielte. Ob deswegen in diesen Verfahren von den Ghetto-Überlebenden keine differenzierten Angaben zu erwarten gewesen seien, so dass aus damaliger Sicht eine Bezeichnung jeglicher Arbeit im Ghetto als Zwangsarbeit nahegelegen habe, dürfte nicht als allgemeingültige Bewertung, ohne überhaupt den individuellen Sachverhalt zu berücksichtigen zu gelten haben. Insbesondere wenn seitens dritter Personen kein Druck ausgeübt wurde, also jegliche als Zwang empfundene Einwirkung fehlte, und keine verbliebenen Schäden aus einer freiwilligen Arbeit resultierten, dürfte auch aus damaliger Sicht in BEG-Verfahren durchaus zwischen Zwangsarbeit einerseits und freiwilliger Arbeit andererseits unterschieden worden sein. Wenn die Klägerin mithin in ihrer früheren eidesstattlichen Erklärung angab, nicht habe arbeiten zu müssen, macht dies hinreichend deutlich, dass sie keinerlei Zwang unterworfen war. Die Schlussfolgerung, daraus zugleich eine von der Klägerin dargetane Verneinung jeglicher Arbeit im Ghetto abzuleiten, wie dies das Sozialgericht getan und daraus eine Widersprüchlichkeit ableitet hat, vermag der Senat daher nicht zu ziehen.
In Würdigung der gesamten Umstände erachtet es der Senat daher als glaubhaft gemacht, dass die Klägerin im Ghetto Sokolow von Oktober 1941 bis September 1942 eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausübte.
Für die Zeit von Oktober 1941 bis September 1942 wird auch keine Leistung i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 2. Satzteil und Satz 2 ZRBG erbracht.
Die Anerkennungsleistung nach der Anerkennungsrichtlinie ist keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit. Es handelt sich schon nicht um eine regelmäßig wiederkehrende Geldleistung, denn nach § 2 der Anerkennungsrichtlinie besteht die Leistung, auf die nach § 3 der Anerkennungsrichtlinie kein Rechtsanspruch besteht, aus einer (einmaligen) Kapitalleistung in Höhe von 2.000 Euro. Zudem ordnet § 1 der Anerkennungsrichtlinie ausdrücklich an, dass die Prüfung anderer Entschädigungsansprüche und der Ansprüche nach dem ZRBG von dieser Richtlinie unberührt bleiben.
Die allgemeine Wartezeit ist ebenfalls erfüllt.
Sie beträgt als Voraussetzung für einen Anspruch auf Regelaltersrente fünf Jahre (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 SGB VI).
Die Klägerin erreicht zwar mit den Beitragszeiten von Oktober 1941 bis September 1942 keine fünf Jahre, sondern nur 12 Kalendermonate. Auf die Wartezeit werden jedoch auch die in Israel zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet.
Nach Art. 20 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl II 1986, 863) - DJSVA - gilt: Sind nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden, so werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Zu den Versicherungszeiten gehören nach Art 1 Nr. 10 DJSVA eine Beitragszeit oder eine gleichgestellte Zeit.
Nach dem Versicherungsverlauf des israelischen Versicherungsträgers vom 4. August 2010 hat die Klägerin von Juni 1960 bis Dezember 1993 insgesamt 324 Monate Versicherungszeiten einer Beschäftigung bzw. einer sonstigen Pflichtversicherung zurückgelegt.
Dem Rentenanspruch steht auch Art. 20 Abs. 2 DJSVA nicht entgegen, der bestimmt: Besteht mit oder ohne Berücksichtigung des Art. 20 Abs. 1 DJSVA ein Rentenanspruch nach den Vorschriften beider Vertragsstaaten und ist nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Versicherungszeit von weniger als 12 Monaten für die Berechnung der Rente anzurechnen, so kann ein Rentenanspruch nach diesen Rechtsvorschriften nicht geltend gemacht werden. In diesen Fällen stehen die Versicherungszeiten ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Lage für die Berechnung der Rente den nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anzurechnenden Versicherungszeiten unbeschadet des Art. 21 Abs. 1 DJSVA gleich.
Die nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigenden Versicherungszeiten umfassen 12 Monate. Ungeachtet dessen besteht abweichend von Art. 20 Abs. 2 DJSVA nach § 1 Abs. 3 ZRBG ein Anspruch auf eine Rente auch, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt.
Die Regelaltersrente beginnt am 1. April 1999.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
Die Klägerin vollendete das 65. Lebensjahr im März 1999, so dass wegen § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG die Regelaltersrente zum 1. April 1999 beginnt.
Nach § 3 Abs. 3 ZRBG ist auf Renten mit Zeiten nach diesem Gesetz § 44 Absatz 4 SGB X nicht anzuwenden.
Die Berufung hat somit Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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