L 12 AS 441/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 3636/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 441/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.01.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung sämtlicher Bescheide, die den Leistungszeitraum ab März 2015 betreffen.

Der am geborene erwerbsfähige Kläger bezog zunächst allein und ab Juli 2016 als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

I. Zeitraum, in dem der Kläger allein Leistungen bezog

Mit Bescheid vom 17.04.2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.03.2015 bis 31.08.2015. Mit Bescheid vom 11.06.2015 stellte der Beklagte jedoch eine Ersatzpflicht wegen sozialwidrigen Verhaltens fest. Mit Bescheid vom 28.08.2015 wurde ein Ersatzanspruch in Höhe von 4.290,23 EUR festgestellt und geltend gemacht; eine Aufrechnung in Höhe von 119,70 EUR werde ab 01.09.2015 vorgenommen.

Mit weiterem Bescheid 28.08.2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.09.2015 bis 29.02.2016 unter Anrechnung von 119,70 EUR.

Gegen die Bescheide vom 28.08.2015 erhob der Kläger Widerspruch, die der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 12.11.2015 zurückwies.

Mit Bescheid vom 26.02.2016, geändert durch Bescheid vom 30.03.2016, bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für März 2016. Die Bescheide hob der Beklagte mit Bescheid vom 13.06.2016 auf, da der Kläger Einkommen erzielt habe.

Mit Bescheid vom 11.04.2016 wurde ein Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens für die Zeit von September 2015 bis Februar 2016 in Höhe von 3.603,28 EUR festgestellt und geltend gemacht; eine Aufrechnung in Höhe von 121,20 EUR werde ab 01.05.2015 vorgenommen.

Mit Bescheid vom 23.05.2016 hob der Beklagte die Leistung für Oktober 2015 in Höhe von 208,42 EUR auf, da der Kläger Einkommen in Form einer Nebenkostenerstattung erhalten habe.

II. Zeitraum, in dem der Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft lebte

Mit Bescheid vom 24.05.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01.07.2016 bis 31.07.2016 Leistungen in Höhe von monatlich 223,60 EUR, wobei Einkommen berücksichtigt wurde.

Mit Bescheid vom 08.06.2016 änderte der Beklagte die Bewilligung vom 08.07.2016 (gemeint wohl 08.07.2015) und berechnete die Leistungen für April 2016 neu. Mit Bescheid vom 14.06.2016 hob der Beklagte die Bewilligung, die an die Partnerin des Klägers und das gemeinsame Kind gerichtet war, teilweise für die Monate April 2016 und Mai 2016 auf.

Mit Bescheid vom 28.07.2016 stellte der Beklagte die Leistungen an den Kläger und seine Bedarfsgemeinschaft für die Zeit ab 02.09.2016 ein, da diese vorrangigen Ansprüche auf Kinderzuschlag und Wohngeld hätten.

III. Überprüfungsverfahren

Mit Schreiben vom 02.09.2016 beantragte der Kläger die Überprüfung aller Bescheide, die den Leistungszeitraum ab März 2015 beträfen.

Mit Bescheid vom 06.03.2017 lehnte der Beklagte die Überprüfung der Bescheide ab März 2015 ab. Der Überprüfungsantrag sei ohne Sach- und Rechtsprüfung abzulehnen. Für einen Antrag im Sinne des § 44 SGB X sei es erforderlich, dass die zu überprüfenden Bescheide konkret benannt und Gründe für deren Unrichtigkeit angegeben würden. Werde der Antrag lediglich pauschal gestellt, so könne dieser ohne Sach- und Rechtsprüfung abgelehnt werden.

Mit Schreiben vom 06.04.2017 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.03.2017.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Widerspruchsführer habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen könne. Eine Ablehnung habe ohne Rechtsprüfung erfolgen dürfen.

Am 03.08.2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Braunschweig erhoben, das die Klage mit Beschluss vom 11.10.2017 an das zuständige Sozialgericht Karlsruhe (SG) verwiesen hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Da der Kläger keinen Antrag gestellt habe, sei sein Begehren nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegen gewesen. Der Kläger habe eine Klage auf Aufhebung der Überprüfungsbescheide, Verpflichtungsklage auf Aufhebung des Ausgangsbescheides sowie Leistungsklage auf Verurteilung zur dann beanspruchenden Leistung geklagt. Der Beklagte sei jedoch nicht verpflichtet gewesen, die Bescheide ab März 2015 einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen. Der Kläger habe keinen konkretisierten oder konkretisierbaren Antrag gestellt. Weder im Antrag noch im Widerspruchsverfahren habe der anwaltlich vertretene Kläger die angegriffenen Bescheide benannt oder sonstige Gründe für den Überprüfungsantrag dargetan. Der Widerspruch sei trotz Nachfrage nicht begründet gewesen. Daher habe es auch keiner weiteren Nachfrage des Leistungsträgers beim Kläger bedurft.

Gegen den Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 05.02.2019 beim SG erhobenen Berufung. Es sei nicht erkennbar, warum der Beklagte die Überprüfung hätte ablehnen dürfen. Das Gesetz sehe keine Begründungspflicht vor.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 04.01.2019 sowie den Bescheid des Beklagten vom 06.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, alle Bescheide, die den Leistungszeitraum ab März 2015 betreffen, zu überprüfen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist nach § 143 SGG statthaft; insbesondere ist sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zulassungsbedürftig. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid vom 06.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2017 die Überprüfung aller Bescheide, die den Leistungszeitraum ab März 2015 betreffen zu Recht abgelehnt. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Zu den Voraussetzungen für einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X haben der 4. und 14. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt: "Erfolgt die Überprüfung auf Grund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, deren Umfang aber vom Antrag und dessen Begründung abhängig ist. Eine solche Prüfung erfordert, dass der Antrag konkretisierbar ist und entweder aus dem Antrag selbst – ggf nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsberechtigten der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar ist. Anderenfalls ist der Leistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung des Antrages abzusehen. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, nach dem "im Einzelfall" beim Vorliegen der Voraussetzungen die Rücknahme eines Verwaltungsaktes erfolgen soll, was in der Konsequenz bedeutet, dass der Überprüfungsantrag des Leistungsberechtigten einen oder ggf. mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret aufführen muss. Dies ist nur dann entbehrlich, wenn bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne weiteres zu ermitteln ist. Dafür streitet auch der Sinn und Zweck des § 44 SGB X, der die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzter auflösen will, was jedoch nur möglich ist, wenn der Verwaltung der zu lösende Konflikt bekannt ist" (BSG, Urteile vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, vom 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, beide juris). Dieser Auslegung des § 44 SGB X, die sich am Wortlaut der Vorschrift orientiert, schließt sich der erkennende Senat an. Der Beklagte ist somit immer dann zu einer Überprüfung verpflichtet, wenn entweder ein bestimmter Grund (im Sinne einer unrichtigen Rechtsanwendung oder falscher Tatsachen) oder bestimmte Bescheide benannt werden.

Nach diesen Voraussetzungen hat der Kläger am 02.09.2016 keinen ausreichend konkretisierten Überprüfungsantrag gestellt, da er die Überprüfung aller Bescheide betreffend den Leistungszeitraum ab März 2015 beantragt hat. Für den Beklagten war bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht erkennbar, welche konkreten Bescheide oder welcher konkrete Sachverhalt hätte überprüft werden sollen. Es war schon nicht klar, ob diejenigen Bescheide, die an den Kläger allein gerichtet waren oder diejenigen an die Bedarfsgemeinschaft hätten überprüft werden sollen. Die im Widerspruchsverfahren erfolgte Nachfrage blieb unbeantwortet, so dass der Beklagte auch seinen Anhörungspflichten nachgekommen ist. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen und insofern nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung des SG Bezug genommen.

Entgegen der Ansicht des SG hat der Kläger im Klageverfahren seinen Überprüfungsantrag zwar nicht im Antrag, jedoch zumindest im Betreff – konkretisiert und die zu überprüfenden Bescheide benannt, was grundsätzlich, wenn es im Verwaltungsverfahren erfolgt wäre, ausreichend gewesen wäre. Maßgeblicher Zeitpunkt in Rechtsstreitigkeiten über die Beurteilung, ob ein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X vorliegt, ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (BSG, Urteil vom 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, juris), so dass das Vorbringen im vorliegenden Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden konnte.

Nach alldem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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