S 2 KA 138/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 138/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass es seitens der Beklagten rechtswidrig war und ist, Kontakt zu den Mitgliedern der Klägerin unter Hinweis darauf, dass diese die Kosten für eine professionelle Zahnreinigung falsch ab-rechneten, und mit der Aufforderung, angeblich für eine professionelle Zahnreinigung falsch abgerechnete Beträge zu erstatten, aufzunehmen, soweit die Erstattung Beträge in Höhe der Vergütung der BEMA-Position 107 erfasst. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Berechtigung der beklagten Betriebskrankenkasse, zu den Mitgliedern der klagenden Kassenzahnärztlichen Vereinigung unmittelbar Kontakt aufzunehmen und sie zur Zahlung aufzufordern.

Mit Schreiben vom 28.11.2017 wandte sich die Beklagte an insgesamt sechs zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassene Mitglieder der Klägerin wegen deren Leistungserbringung PZR/Zahnsteinentfernung. Sie unterstütze die Zahngesundheit ihrer Kunden neben der Zahnsteinentfernung zusätzlich mit einer anteiligen Erstattung zur durchgeführten professionellen Zahnreinigung (PZR) als private Leistung. Die Entfernung von Zahnstein und die PZR in der zeitlichen Nähe von wenigen Tagen seien allerdings nicht möglich. Daher sei die Beklagte verpflichtet zu überprüfen, ob die Zahnsteinentfernung (BEMA Nr. 107) neben der PZR (GOZ Nr. 1040) von den angeschriebenen Zahnärzten am gleichen Tag abgerechnet worden sei. Einer beigefügten Anlage seien die betroffenen Patienten mit dem dazugehörigen Behandlungstag zu entnehmen. Da die gleichzeitige Erbringung beider Leistungen nicht möglich sei, bitte die Beklagte um Überweisung des jeweiligen Gesamtbetrages auf ihr Konto. Aus der Anlage geht hervor, dass auf jeden Patienten ein Betrag von 16,00 EUR entfällt mit dem Zusatz: "Punkte multipliziert mit Punktwert abgerundet auf volle Euro".

Nachdem die Klägerin hiervon Kenntnis erlangt hatte, forderte sie die Beklagte auf, ihre Direktansprache zu unterlassen und dieses auch kurzfristig zu bestätigen. Es bestünden keine Rechtsbeziehungen zwischen einer Krankenkasse und den Vertragszahnärzten. Die Beklagte habe nicht das Recht, die Vereinigungsmitglieder der Klägerin wegen vermeintlicher unzulässiger Abrechnung zu einer Rückzahlung aufzufordern. Sie könne bei der Klägerin einen Antrag auch sachlich/rechnerische Berichtigung stellen. Sofern ihr Antrag gerechtfertigt sei, werde die Klägerin ihr ggf. eine Gutschrift erteilen. Gegenüber den Vertragszahnärzten werde sie ggf. eine entsprechende Honorarkorrektur vornehmen.

Dem trat die Beklagte entgegen. Sie habe die Vereinigungsmitglieder der Klägerin nicht als Vertragszahnärzte angeschrieben, sondern als Zahnärzte, die auch private zahnärztliche Leistungen abrechnen dürften und dabei nicht als Vertragszahnärzte fungierten. Im Rahmen ihrer besonderen Satzungsleistungen "PZR" habe sie festgestellt, dass viele Zahnärzte die Privatrechnung um die Vertragsleistung gekürzt hätten. Werde der Rechnungsbetrag um die Vertragsleistung nicht gekürzt, so entstehe ihrerseits ein Schaden, der ihren Zuschuss bei der Satzungsleistung "PZR" verringern würde. Diesen Schaden möchte sie bei den Zahnärzten geltend machen.

Am 28.08.2018 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie ist der Ansicht, das Vertragszahnarztrecht sei als "Viereck-Verhältnis" konzipiert mit der kompetenziellen Zuweisung des Abrechnungsprüfungsrechts an die Klägerin. Dies gelte auch im Bereich von Satzungsleistungen der Krankenkassen. Unmittelbare Verpflichtungen der Mitglieder der Klägerin gegenüber den Krankenkassen ergäben sich nur aus abschließend im BMV-Z aufgeführten Auskunfts-, Unterrichtungs- und Mitteilungspflichten. Soweit die Beklagte meine, die Mitglieder der Klägerin hätten Abrechnungen um GKV-Leistungen zu kürzen, überschreite sie mit der Direktansprache ihre Kompetenzen und greife in die Zuständigkeit der Klägerin aus § 106d SGB V ein. Die Beklagte könne entweder nach § 106d Abs. 3 SGB V selbst Prüfungen durchführen und der Klägerin das Ergebnis mitteilen, woraufhin die Klägerin - Richtigkeit des Vorbringens unterstellend - einen Bescheid gegenüber dem Vertragszahnarzt erlasse, oder die Beklagte könne gemäß § 106d Abs. 4 Satz 1 SGB V eine Prüfung durch die Klägerin beantragen. Selbst wenn die Mitglieder der Klägerin eine PZR nach der GOZ abrechneten und dabei einen BEMA-Anteil herausrechneten, sei es nur der Klägerin erlaubt, diese unzulässige Doppelabrechnung zu korrigieren, zu sanktionieren und abzustellen.

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 24.04.2019 hat die Beklagte erklärt, dass eine weitere Kontaktaufnahme mit Mitgliedern der Klägerin erst dann erfolgen werde, wenn die Rechtslage abschließend geklärt sei und die Kontaktaufnahme durch die Beklagte als rechtmäßig erachtet werde. Daraufhin hat die Klägerin einen ursprünglich gestellten Unterlassungsanspruch nicht weiter verfolgt.

Die Klägerin beantragt

festzustellen, dass es seitens der Beklagten rechtswidrig war und ist, Kontakt zu den Mitgliedern der Klägerin unter Hinweis darauf, dass diese die Kosten für eine professionelle Zahnreinigung falsch abrechneten, und mit der Auf-forderung, angeblich für eine professionelle Zahnreinigung falsch abgerech-nete Beträge zu erstatten, aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt ihr Vorgehen.

Sie hält sich für berechtigt, die Zahnarztpraxen direkt zu kontaktieren, da es sich vorliegend um Abrechnungen von privatzahnärztlichen Leistungen handele, welche nicht über die Klägerin abgerechnet würden. Die Kontaktaufnahme mit den Zahnärzten sei nicht in deren Eigenschaft als Mitglieder der Klägerin im vertragszahnärztlichen Bereich erfolgt, sondern in deren Eigenschaft als Zahn-ärzte, die auch privatzahnärztliche Leistungen, darunter eben auch Satzungs-leistungen, durchführen und abrechnen dürften. Der Beklagten müsse es inso-weit im Rahmen ihres Rechts, bestimmte Leistungen in ihrer Satzung zu regeln, erlaubt sein, das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Leistungen auch über-prüfen zu können.

Die Beklagte maße sich nicht an, die Richtigkeit der Abrechnung einer GKV-Leistung (Zahnsteinentfernung) zu überprüfen. Sie überprüfe im Gegenteil le-diglich die privatzahnärztliche Satzungsleistung PZR. Wenn die nach GOZ ab-gerechnete PZR und die über BEMA abgerechnete Zahnsteinentfernung am gleichen Tag erfolgt seien, dann kürze die Beklagte die Privatleistung PZR. Eine Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung einer vertragszahnärztlichen Be-handlung erfolge hierbei nicht.

Sofern nach Prüfung der Satzungsfälle Zahnärzte im Rahmen der PZR-Behandlung bereits von sich aus die Kosten der privatzahnärztlichen Behand-lung um die vertragszahnärztlichen Leistungen kürzten, würden die Behandlun-gen in diesen Fällen seitens der Beklagten nicht beanstandet.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die übrigen Inhalte der Gerichtsakte, namentlich auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Be-zug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.

Aus dem der Klägerin zugewiesenen Sicherstellungsauftrag (§ 75 Abs. 1 SGB V) wie aus ihrer Verpflichtung zur Wahrnehmung der Rechte der Vertragszahnärzte gegenüber den Krankenkassen (§ 75 Abs. 2 SGB V) ergeben sich Rechtspositionen der Klägerin, die durch die unmittelbare Kontaktaufnahme der Beklagten mit den Mitgliedern der Klägerin beeinträchtigt sein können. Derartige Beeinträchtigungen können im Klagewege gegenüber der Beklagten beseitigt werden und begründen ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG.

Ein Feststellungsinteresse kommt - wenn es wie hier um vergangene Rechts-verhältnisse geht - insbesondere bei Wiederholungsgefahr in Betracht (BSG, Urteil vom 21.03.2018 - B 6 KA 44/16 R – (Rn. 26) m.w.N.). Eine solche Gefahr besteht, da die Beklagte angekündigt hat, grundsätzlich auch weiterhin Kontakt mit Mitgliedern der Klägerin aufzunehmen.

Die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber Leistungsklagen (z.B. der Unterlassungsklage) hat keine Bedeutung, wenn sich eine Klage gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts richtet, weil dann zu erwarten ist, dass die Körperschaft wegen ihrer in der Verfassung verankerten Bindung an Recht und Gesetz auch ohne Leistungsklage mit Vollstreckungstitel ihren Pflichten nach-kommt (BSG, Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 34/13 R – (Rn. 25) m.w.N.). Das ist hier anzunehmen, denn die Beklagte hat ausdrücklich erklärt, eine weitere Kontaktaufnahme mit Mitgliedern der Klägerin werde erst dann erfolgen, wenn die Rechtslage abschließend geklärt sei und die Kontaktaufnahme durch die Beklagte als rechtmäßig erachtet werde.

Die Feststellungsklage ist auch begründet.

Der Beklagten ist es nicht gestattet, die Mitglieder der Klägerin direkt in An-spruch zu nehmen. Soweit die Beteiligten in das vertragszahnärztliche Vergü-tungssystem eingebunden sind, kommen unmittelbare Rechtsbeziehungen zwi-schen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern regelmäßig nicht in Betracht. Auch die professionelle Zahnreinigung als Satzungsleistung der Be-klagten ist Teil der vertragszahnärztlichen Versorgung (§ 11 Abs. 6 Satz 1 SGB V; vgl. LSG NRW, Urteil vom 14.06.2018 - L 16 KR 251/14 – (juris-Rn. 63)), auch wenn sie nach Nr. 1040 GOZ privatzahnärztlich abgerechnet wird. Daraus folgt, dass auch für die sachlich-rechnerische Richtigstellung die im System der vertragszahnärztlichen Versorgung vorgesehenen speziellen Verfahren von den Beteiligten einzuhalten sind. Es entspricht dem vertrags(zahn)ärztlichen Ver-sorgungssystem, dass Rechtsbeziehungen grundsätzlich nur in dem jeweiligen Verhältnis Versicherter - Krankenkasse, Krankenkasse - Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung und Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung - Vertrags(zahn)arzt be-stehen, eine Rechtsbeziehung unmittelbar zwischen Krankenkasse und (Zahn)Arzt hingegen nicht (BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 18/12 R – (Rn. 17) m.w.N.). Das vertrags(zahn)arztrechtliche Beziehungsgeflecht vermei-det grundsätzlich unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkas-sen als Leistungsträgern und den (Vertrags-(zahn))Ärzten als Leistungserbrin-gern (BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R - (Rn. 24) unter Hinweis u.a. auf BSG SozR 4-1500 § 55 Nr. 1 zum zahnärztlichen Bereich).

Von diesem Grundsatz abzuweichen besteht keine Veranlassung. Denn für Ab-rechnungsprüfungen sehen die speziellen Vorschriften des SGB V zwei im Sys-tem angelegte Wege und Zuständigkeiten vor:

Die Beklagte kann zum einen gemäß § 106d Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 SGB V eine Prüfung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragszahnärzte durch die Klägerin beantragen. Die Klägerin wird hier-über der Beklagten einen (rechtsmittelfähigen) Bescheid erteilen. Nach langjäh-riger Rechtsprechung des BSG entscheiden Kassenzahnärztliche Vereinigun-gen trotz des prinzipiellen Gleichordnungsverhältnisses zu den Krankenkassen bei der Durchführung von sachlich-rechnerischen Abrechnungsberichtigungen gegenüber einer antragstellenden Krankenkasse durch Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R – (Rn. 16 ff.) m.w.N.).

Zum anderen kann die Beklagte im Rahmen ihrer Prüfkompetenz nach § 106d Abs. 3 Satz 1 SGB V Prüfungen in eigener Zuständigkeit durchführen und die Klägerin von ihrem Prüfergebnis unterrichten (§ 106d Abs. 3 Satz 2 SGB V). An das mitgeteilte Ergebnis ist die Klägerin materiell-rechtlich gebunden und hat dieses nur noch im Verhältnis zu den betroffenen Vertragszahnärzten durch Bescheid umzusetzen. Dabei hat sie allein zu prüfen, ob der Umsetzung des Prüfungsergebnisses der Beklagten gegenüber dem Vertragszahnarzt Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis entgegenstehen, wie etwa eine Versäumung der Ausschlussfrist oder (andere) Vertrauensschutzgesichtspunkte (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 6 KA 36/14 R – (Rn. 23 ff.)). Ist dies nicht der Fall, hat die Beklagte sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber den betroffenen Vertragszahnärzten einen entsprechenden Bescheid zu erteilen, wobei dem Bescheid gegenüber der Klägerin - anders als in den Fällen nach § 106a Abs. 4 SGB V - allein deklaratorische Bedeutung zukommt (BSG a.a.O. Rn. 27).

Gegenstand der den Krankenkassen nach § 106a Abs 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V übertragenen Abrechnungsprüfung ist u.a. die Prüfung der Abrechnungen hin-sichtlich des Umfangs ihrer Leistungspflicht. Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1525, S. 118) ist im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung zu prüfen, ob für einen Versicherten Doppel- und Mehrfachleistungen abgerechnet werden, die im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistung nach § 136b Abs. 2 Satz 3 SGB V kostenlos zu erbringen wären. Falls der Versicherte Kostener-stattung gewählt hat, ist zu prüfen, ob die gleichen Leistungen zeitgleich oder zeitversetzt daneben auch zulasten der Krankenkasse im Sachleistungsverfah-ren in Rechnung gestellt werden.

Der exemplarisch so skizzierte Prüfungsauftrag der Krankenkassen wird sich auch darauf erstrecken, ob ein Zahnarzt am selben Tag (in derselben Sitzung) eine Entfernung harter Zahnbeläge (Nr. 107 BEMA) über die Klägerin sowie ei-ne professionelle Zahnreinigung (Nr. 1040 GOZ) privat mit dem Patienten abge-rechnet hat. Zur Durchführung der Prüfung hat die Klägerin der Beklagten die in § 295 Abs. 2 SGB V sowie im DTA-Vertrag bezeichneten Daten quartalsweise für jeden Behandlungsfall zu übermitteln. Datenschutzrechtliche Probleme - auch im Hinblick auf die EU-DSGVO - stellen sich insoweit nicht (BSG, Urteil vom 27.06.2018 - B 6 KA 27/17 R – (Rn. 33 ff.) mit Anm. Maus, MedR 2019, 405 ff.).

Je nach dem konkreten Prüfergebnis im Einzelfall wird die Klägerin der Beklag-ten dann unter Berücksichtigung ergänzender gesamtvertraglicher Vereinba-rungen eine entsprechende Gutschrift erteilen, so dass der Beklagten kein Schaden in Höhe des Honorars der Nr. 107 BEMA (16 Punkte x ca. 1 EUR Punkt-wert) entsteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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