S 12 KA 141/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 141/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für den Nachweis eines Ausnahmefalls zur Verordnung eines von der Arzneimittel-Richtlinie von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittels reicht es aus, eine Behandlungsdokumentation im Gerichtsverfahren vorzulegen.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.03.2018 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat die Gerichtskosten zu tragen und dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Arzneikostenregresses für die zwei Quartale IV/13 und I/14 wegen der Verordnung von Competact (mit Wirkstoff Pioglitazon) in einem Behandlungsfall i. H. v. insgesamt 235,13 EUR (netto).

Der Kläger ist als Facharzt für Innere Krankheiten mit Praxissitz in A-Stadt (Taunus) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil. Im streitgegenständlichen Zeitraum führte er eine Berufsausübungsgemeinschaft mit dem Facharzt für Innere Medizin Herrn Dr. E. E., dem Beigeladenen zu 2).

Die Beigeladene zu 1) beantragte am 13.12.2017 und 23.01.2018 im Behandlungsfall des 1948 geb. F. F. für die streitbefangenen Quartale die Prüfung der Verordnungsweise und Festsetzung eines Regresses, weil für das Arzneimittel Competact gem. Anlage III Nr. 49 der Arzneimittel-Richtlinie ein Verordnungsausschluss bestehe.

Die Beklagte übersandte dem Kläger den Prüfantrag. Sie teilte ihm ferner mit, aufgrund der späten Antragstellung sei es ihr nicht möglich, vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist eine Entscheidung zu treffen, da noch Sachverhaltsermittlungen angestellt werden müssten. Die Frist werde jedoch durch die Antragstellung seitens der Beigeladenen unterbrochen bzw. gehemmt. Dies sei nach der Auffassung des Bundessozialgerichts zumindest dann der Fall, wenn der Vertragsarzt - wie durch dieses Schreiben geschehen - über die Gründe informiert werde, die einer zügigen Entscheidung über den gestellten Prüfantrag entgegenstünden (BSG, Urt. v. 05.05.2010 B 6 KA 5/09 R). Sie forderte zudem die Behandlungsdokumentation an.

Der Kläger übersandte am 29.12.2017 ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen mit Datum vom 27.06.2012. Er trug vor, er habe zunächst ein Privatrezept ausgestellt, woraufhin der Patient bei der Beigeladenen einen Kostenantrag gestellt habe. Danach habe er, offensichtlich wegen des Hinweises im Gutachten, bei entsprechend dokumentierter Begründung könne im Ausnahmefall ein Kassenrezept erfolgen, ein Kassenrezept am 13.09.2012 ausgestellt, das letzte Rezept am 23.07.2015, da kein Widerspruch der Beigeladenen erfolgt sei. Es könne ihm deshalb kein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 20.03.2018, dem Kläger zugestellt am 26.03.2018, die strittige Schadensersatzpflicht fest, für das Quartal IV/13 in Höhe von 78,11 EUR und für das Quartal I/14 in Höhe von 157,13 EUR. Zur Begründung verwies sie erneut auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin, wonach trotz der späten Antragstellung hier noch eine Festsetzung hätte ergehen können. Die Verordnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung sei unzulässig. Gem. Anlage III Nr. 49 AM-RL unterlägen Glitazone, insb. Pioglitazon und Rosiglitazon, zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 einem Verordnungsausschluss verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGB V i. V. m. § 16 Abs. 1 und 2 AM-RL. Hierfür seien keine Ausnahmen vorgesehen. Laut Lauer-Taxe enthalte das Präparat Competact eine Wirkstoffkombination aus Pioglitazon und Metformin. Somit sei das Präparat nicht verordnungsfähig. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe Glitazone als unzweckmäßig ausgeschlossen, da ein Zusatznutzen auf makro- und mikrovaskuläre Folgeerkrankungen des Diabetes nicht hinreichend belegt sei. Der Verweis auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes könne nicht als entlastend bewertet werden. Der Vermerk auf dem Rezeptimage "wegen zunehmend entglittenem Typ 2 Diabetes + Insulin Resistenz" sei nicht ausreichend. Ausschlusskriterien für die Therapie mit weiteren zulässigen Alternativen seien nicht ersichtlich.

Hiergegen hat der Kläger am 23.04.2018 die Klage erhoben. Er trägt ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, der Wirkstoff Pioglitazon senke den Blutzuckerspiegel, indem er die Wirkung des Insulins verbessere. Durch Insulin werde der Zucker, der im Blut zirkuliere, in die Körperzellen aufgenommen und könne dort weiterverarbeitet werden. Durch den Wirkstoff werde vor allem die durch Insulin bewirkte Aufnahme des Zuckers im Fettgewebe, Muskelgewebe und in der Leber verbessert. Bei dem Patienten habe die Diagnose des zunehmenden entgleisenden Typ 2 Diabetes mellitus mit Insulinresistenz sowie erhöhten HbA1c-Werten nach Absetzen von Competact bestanden. Wie von der Krankenkasse empfohlen, habe er bereits Metformin und eine ITC-Schulung erhalten. In der Patientenakte sei unter dem Datum vom 25.01.2011 vermerkt, dass Competact nur noch nach Rücksprache mit ihm verordnungsfähig sei. Dies zeige, dass er sich über den Verordnungsausschluss bewusst gewesen sei. Am 06.09.2011 sei Metformin verordnet worden. Die am 18.10.2011 eingestellten Labordaten hätten einen erhöhten HbA1c-Wert gezeigt. Am 19.06.2012 sei erneut Competact abgesetzt worden, um Metformin zu verordnen. Gleichzeitig sei eine Anfrage zur Kostenübernahme von Aktos erfolgt. Im September sei erneut Competact verordnet und Metformin abgesetzt worden, da die Blutwerte wieder erhöht gewesen seien. Die Dokumentation am 02.11.2012 zeige ferner an, dass wegen zunehmend entgleisten Typ 2 Diabetes mellitus und Insulinresistenz mit erhöhten HbA1c-Werten nach Absetzten von Aktos/Competact wieder Competact verordnet worden sei, da Metformin und eine ICT-Schulung nicht von Erfolg begleitet gewesen sei. Damit sei anhand der Patientenakte zu erkennen, dass er sehr wohl dokumentiert habe, dass der Patient das Medikament benötigt habe. Ferner sei ein sozialmedizinisches Gutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung hinsichtlich der Verordnung von Glitazon in Auftrag gegeben worden. Er habe das Rezept für Competact zunächst privat ausgestellt und einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Beigeladenen gestellt. Die erste Verordnung sei am 13.09.2012 erfolgt. Das letzte Rezept sei mit dieser Begründung am 23.07.2015 ausgestellt worden, da kein Widerspruch der Krankenkasse eingegangen sei. Der Patient habe bestätigt, dass er noch aus der Praxis heraus mit einem Sachbearbeiter der Beklagten seinerzeit telefoniert habe. Dadurch, dass nach Absetzen der Medikamente die Blutzuckerwerte schlechter geworden seien, habe er es wieder auf Kassenrezept verordnet bekommen dürfen. Die Bestätigung des Patienten reiche er zur Gerichtsakte. Nach Erhalt des Regressbescheids habe er dem Patienten Competact nicht mehr verordnet. Daraufhin sei der HbA1c-Wert von 7,8 auf 9,3 gestiegen. Er sei seiner Begründungspflicht nachgekommen. Es sei eine deutliche Verbesserung der HbA1c- und Blutzuckerwerte erreicht worden. Dies verdeutlichten neben der Auflistung der Laborwerte auch seine umfassenden Aufzeichnungen in der elektronischen Patientenakte. Der zwar nicht ständige, aber doch dokumentierte Wechsel der Medikamente sowie alle weiteren Therapieversuche wie auch die Teilnahme an der Diabetikerschulung zeige, dass der Therapieerfolgt nur durch die Gabe von Competact habe erreicht werden können.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.03.2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, die Verordnung von Competact sei nach der Arzneimittel-Richtlinie mit nachvollziehbarer Begründung des GBA ausgeschlossen. Es fehle an einer ausreichenden Begründung in der erstmals im Klageverfahren eingereichten Dokumentation. Bei der angegebenen Diagnose wäre außer der Alternativtherapie mit Metformin noch eine Kombinationstherapie mit einem DDP-4-Inhibitor (Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibitor) möglich gewesen. Die Wirkstoffe Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin seien zum Verordnungszeitpunkt zugelassen gewesen in einer Kombination mit einer Insulintherapie oder in Kombination mit Insulin plus Metformin. Es sei der Dokumentation nicht zu entnehmen, weshalb diese Wirkstoffe nicht verordnet worden seien. Aus der Dokumentation sei nach der Umstellung auf Competact keine deutliche Verbesserung der Blutzuckerwerte zu entnehmen. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen. Eine Kostenübernahmeerklärung der Beigeladenen zu 1) liege nicht vor.

Die Beigeladene zu 1) trägt vor, sie habe dem Versicherten in einem Telefongespräch keine Erlaubnis zur weiteren Verordnung des streitgegenständlichen Arzneimittels gegeben. Sie verweise auf einen Telefonvermerk vom 17.03.2011 und teile die Ausführungen der Beklagten zu den Behandlungsalternativen. Nach mehreren EDV-Umstellungen lägen ihr weitere Unterlagen nicht vor. Der zusätzliche Einsatz von Pioglitazon sei in diesem Fall prinzipiell medizinisch nachvollziehbar, da beim Typ-2-Diabetiker bei einer zunehmen Insulinresistenz das Wirkprinzip der Glitazone (lnsulinsensitizer) für eine verbesserte Wirkung von Insulin an den Körperzellen und für eine Förderung der Aufnahme von Glukose ins Gewebe sorgten. Sollte unter der Einnahme von Competact der HbA1c niedriger sein als nur unter Metformin alleine, sei dies als Erfolg zu betrachten. In den Unterlagen würden hierzu widersprüchliche Angaben gemacht. Wenn die Angabe richtig sei, HbA1c unter Metformin ) 9 % und unter Competact = 7,8 %, sei dies als Erfolg zu werten. Bei schwieriger BZ-Einstellung könne jegliche Senkung des HbA1c (8,8 % unter Metformin/8,2 % unter Competact) dazu beitragen, das Risiko für Folgeerkrankungen bei dem Patienten zu reduzieren. Der Kläger habe seine Vorgehensweise nicht ausreichend und nicht nachvollziehbar dokumentiert.

Der Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache schriftsätzlich nicht geäußert.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 25.04.2018 und 04.07.2018 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sowie einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Der Durchführung eines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss bedurfte es nicht. Die Prüfungsstelle war abschließend zuständig.

Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies gilt auch für das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V bestimmt, dass die dort aufgeführten Personen und Institutionen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen können; gemäß § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V gilt das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 SGG). Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens (nur) dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Ein derartiger Ausnahmefall ist in § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V (in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG)) geregelt. Danach findet - abweichend von § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V - in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Diese Ausnahmeregelung ist, wie ihre Auslegung ergibt, auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt. Zudem muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben. Eine (einschränkende) Auslegung der Norm in diesem Sinne legt bereits ihr Wortlaut nahe. Danach gilt der Ausschluss des Vorverfahrens nur für "Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind" (vgl. BSG, Urt. v. 11.05.2011 - B 6 KA 13/10 R - BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 32, juris Rdnr. 18 ff.).

Der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit folgt aus den Vorschriften des SGB V und aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (s. im Einzelnen nachfolgend).

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.03.2018 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Klage war stattzugeben.

Das strittige Arzneimittel durfte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, weil mit der Dokumentation eine hinreichende Begründung gegeben wurde.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt - Vertragsarzt - die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, gesetzliche Krankenversicherung nicht erbringen.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nach geltender Rechtslage berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Verordnungsregressen ist § 106 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 SGB V a. F. Danach können die Landesverbände der Krankenkasse und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V a. F. vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt werden können. Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Hessen Gebrauch gemacht. Nach der hier maßgeblichen Prüfvereinbarung (im Folgenden: PV) vom 12.06.2008, mit Wirkung ab 01.01.2008 in Kraft getreten, prüft die Prüfungsstelle auf Antrag, ob der Arzt im Einzelfall mit seinen Arzneiverordnungen oder Verordnungen über Heilmittel gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat (§ 13 Abs. 1 PV). Anträge müssen innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals vorliegen (§ 13 Abs. 2 S. 1 PV). § 106b Abs. 1 SGB V n. F. gilt erst für Leistungen, die ab dem 1. Januar 2017 verordnet werden.

Prüfgegenstand ist die Arznei- bzw. verordnungsbezogene Überprüfung der Verordnungsweise nach den gesetzlichen Bestimmungen bzw. nach dem Arzneimittel-Richtlinien oder Heil-Richtlinien, insbesondere hinsichtlich
- Preiswürdigkeit der verordneten Arzneimittel/Heilmittel unter Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens
- Mehrfachverordnungen für pharmakologisch oder therapeutisch gleichsinnig wirkende Arzneimittel
- Verordnung von Arzneimitteln und Arzneimittelgruppen mit umstrittener Wirksamkeit
- Mehrfachverordnung bei med. therap. gleichsinnig wirkenden Heilmitteln und deren Zielsetzung
- Verordnungsmengen, Verordnungsabständen, Verordnungsumfang
- Durchführung bzw. Veranlassung der weiterführenden Diagnostik
- Beachtung der Vorschriften innerhalb/außerhalb des Regelfalls
- Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich der Verordnung von Hausbesuchen
- Wirtschaftlichkeit der Verordnungen im Einzelfall (§ 13 Abs. 4 PV)

Soweit die Prüfungsstelle im Einzelfall eine Unwirtschaftlichkeit festgestellt hat, setzt sie den vom Arzt erstatteten Regressbetrag fest. Es scheint eine gezielte schriftliche oder persönliche Beratung ausreichend, ist diese nur zulässig, wenn innerhalb von 24 Monaten vor dem Quartal für das der Prüfantrag gestellt wurde, keine derartige Maßnahme verfügt wurde (§ 13 Abs. 5 PV). Ein Verfahren ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Regressbetrag je Arzt im Quartal nicht mehr als 50,00 Euro beträgt (§ 13 Abs. 6 S. 1 PV).

Die erfolgte Zuweisung der Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen an die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V, mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. BMV-Ä in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung (n. F.) sowie mit der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu eingehend BSG, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 52 = USK 2001-148, juris Rdnr. 11 ff., s. a. LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2005 - L 12 KA 107/03 - www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Unter Beachtung der PV ist der angefochtene Bescheid zu beanstanden.

Der angefochtene Bescheid ist materiell rechtswidrig. Die Beklagte hat zu Unrecht den strittigen Arzneikostenregress festgesetzt. Das strittige Arzneimittel durfte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, weil mit der Dokumentation eine hinreichende Begründung gegeben wurde.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt - Vertragsarzt - die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, gesetzliche Krankenversicherung nicht erbringen.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nach geltender Rechtslage berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Verordnungsregressen ist § 106 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 SGB V a. F. Danach können die Landesverbände der Krankenkasse und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V a. F. vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt werden können. Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Hessen Gebrauch gemacht. Nach der hier maßgeblichen Prüfvereinbarung (im Folgenden: PV) vom 12.06.2008, mit Wirkung ab 01.01.2008 in Kraft getreten, prüft die Prüfungsstelle auf Antrag, ob der Arzt im Einzelfall mit seinen Arzneiverordnungen oder Verordnungen über Heilmittel gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat (§ 13 Abs. 1 PV). Anträge müssen innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals vorliegen (§ 13 Abs. 2 S. 1 PV). § 106b Abs. 1 SGB V n. F. gilt erst für Leistungen, die ab dem 1. Januar 2017 verordnet werden.

Das strittige Arzneimittel Competact enthält nach der Lauer-Taxe das zur Klasse der Thiazolidindione gehörende Pioglitazon und das zur Klasse der Biguanide gehörende Metforminhydrochlorid. Aufgrund des Wirkstoffs Pioglitazon durfte das Arzneimittel daher im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat mit Beschluss vom 17.06.2010 (BAnz 2010, 3855), Inkrafttreten am 01.04.2011, Glitazone zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 als unzweckmäßig ausgeschlossen. In den "Tragenden Gründen" weist der Gemeinsame Bundesausschuss darauf hin, dass ihm als Empfehlung die Nutzenbewertung von Glitazonen zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 zugeleitet worden sei (Version 1.0 vom 26.11.2008; Auftrag A05-05A). Die vom Unterausschuss "Arzneimittel" eingesetzte Arbeitsgruppe "Nutzenbewertung" habe die IQWiG-Empfehlung überprüft und die Plausibilität festgestellt. Der Unterausschuss "Arzneimittel" sei nach Würdigung des Abschlussberichts des IQWiG und der Beratungen der Arbeitsgruppe "Nutzenbewertung" zu dem Ergebnis gekommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Verordnungsfähigkeit von Glitazonen zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz SGB V erfüllt seien. Die Regelung betreffe sowohl Mono- als auch Kombinationspräparate, die Rosiglitazon bzw. Pioglitazon enthielten (vgl. Tragenden Gründe, S, 3 f., www.g-ba.de). Auf Einwand der Aufsichtsbehörde führte der Gemeinsame Bundesausschuss unter Datum vom 19.10.2010 weiter aus, der IQWiG-Abschlussbericht zeige, dass ein Zusatznutzen der Glitazone hinsichtlich patientenrelevanter klinischer Endpunkte, wie makro- und mikrovaskuläre Folgekomplikationen nicht belegt sei, während dies für andere Antidiabetika (Metformin, Sulfonylharnstoff und Insulin) der Fall sei. Das finde sich auch in der 20. Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung vom 23.06.2009 seinen Ausdruck, in der Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes mellitus Typ 2 formuliert worden seien. Dort werde im Hinblick auf die Therapieziele einer Reduktion von makrovaskulärer Morbidität und Mortalität sowie mikrovaskulärer Folgekomplikationen des Diabetes mellitus gefordert, dass Metformin, Gilbenclamid (einem Sulfonylharnstoff) oder Human-Insulin vorrangig eingesetzt werden sollten, da "deren positiver Effekt und die Sicherheit ( ) in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeitstudien nachgewiesen wurden." Bei Einsatz anderer Antidiabetika sollten die Patienten darüber informiert werden, "dass derzeit hierfür keine ausreichenden Belege zur Sicherheit im Langzeitgebrauch sowie zur Risikoreduktion klinischer Endpunkte vorliegen". Daraufhin sah die Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 03.11.2010 (www.g-ba.de) von einer Beanstandung ab

Der Ausschluss von Pioglitazon ist nicht zu beanstanden. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss kommt als Normgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Daher beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle untergesetzlicher Normen regelmäßig darauf, ob die äußersten Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis durch den Normgeber eingehalten; dies ist der Fall, wenn sich die getroffene Regelung auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen kann und die maßgeblichen Verfahrensvorschriften sowie die Grenzen des dem Normgeber ggf. zukommenden Gestaltungsspielraums beachtet worden sind (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.2015 - B 6 KA 14/14 R - BSGE 119, 57= SozR 4-2500 § 34 Nr. 17, juris Rdnr. 53 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist der Ausschluss von Pioglitazon nicht zu beanstanden. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die bestehende Studienlage ausgewertet und keine Belege für einen Nutzen in der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus gefunden. Er weist auf Belege für Schäden und auf zweckmäßigere Behandlungsmöglichkeiten hin.

Die Voraussetzungen für einen Ausnahmetatbestand liegen aber vor. Es besteht eine besondere sozialrechtliche Dokumentationspflicht, nicht aber eine besondere Pflicht zur Bekanntgabe der Begründung. Dieser Dokumentationspflicht ist der Kläger nachgekommen.

Soweit nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V, dessen Inhalt § 16 Abs. 5 AM-RL wiederholt, der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen kann, liegt eine Arzneimittelverordnung "mit Begründung" nicht vor. Weil der Gesetzgeber die Durchbrechung des vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgenommenen Verordnungsausschlusses nur unter sehr engen Voraussetzungen zulassen will ("ausnahmsweise", "in medizinisch begründeten Einzelfällen", "mit Begründung"), ist davon auszugehen, dass die Begründung i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung abgegeben werden muss. Eine Kundgabe nach außen war auch vor Änderung der Arzneimittelrichtlinie durch den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 24.11.2016 (BAnz AT 27.01.2017 B3, in Kraft getreten am 28.01.2017) nicht erforderlich. Mit dem Beschluss hat der Gemeinsame Bundesausschuss klargestellt, dass die Begründung für die ausnahmsweise Therapieentscheidung in der Patientenakte zu dokumentieren ist (§§ 10 Abs. 1 Satz 3, 16 Abs. 5 Satz 2 AM-RL in der Neufassung). Damit reagiert der Gemeinsame Bundesausschuss auf unterschiedliche Auffassungen zu den Anforderungen an die Dokumentation der Therapieentscheidung eines Arzneimittels in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Insb. das LSG Berlin-Brandenburg hatte in einer Entscheidung die Auffassung vertreten, die Begründung müsse auch nach außen kundgetan werden, z. B. indem sie auf dem Verordnungsvordruck selbst enthalten ist oder diesem beigefügt oder zeitnah der betroffenen Krankenkasse übermittelt wird. Würde es hingegen genügen, dass bei einer auf § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V gestützten vertragsärztlichen Verordnung die gesetzlich vorgeschriebene Begründung z. B. erstmals in einem viel später durchgeführten Regressverfahren gegeben wird, unterschiede sich der Fall nicht von anderen Einzelverordnungsregressen, in denen typischerweise die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels erstmals im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 106 SGB V) geklärt wird. Das Tatbestandsmerkmal "mit Begründung" liefe dann leer (so LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.02.2012 - L 9 KR 292/10 - juris Rdnr. 41). Soweit die Kammer diese Ausführungen in vergangenen Entscheidungen aufgenommen hat, war die Frage einer Kundgabe nicht streiterheblich. Die Kammer stellt jedoch jetzt klar, dass sie der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg nicht folgt.

Die allgemeine medizinische Dokumentationspflicht ist eine dem Arzt dem Patienten gegenüber obliegende Pflicht. Die weitere Behandlung des Patienten sowohl durch den selben Arzt als auch durch dessen zwangsläufigen oder frei gewählten Nachfolger kann durch unzulängliche Dokumentation entscheidend erschwert werden (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.1978 - VI ZR 183/76 - BGHZ 72, 132, juris Rdnr. 27; OLG München, Urt. v. 18.01.2017 - 3 U 5039/13 - juris Rdnr. 33, Nichtzulassungsbeschwerde anhängig: BGH VI ZR 49/17 -; OLG Bamberg, Beschl. v. 27.11.2015 - 4 U 82/15 - GesR 2016, 492 = KHE 2015/156, juris Rdnr. 22; OLG Köln, Urt. v. 06.08.2014 - I-5 U 137/13 - juris Rdnr. 28). Daraus folgt eine Bedeutung der ärztlichen Dokumentation für die Beweislastverteilung im Arztfehlerprozess (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.1978, a.a.O., Rdnr. 28; BGH, Urt. v. 18.03.1986 - VI ZR 215/84 - NJW 1986, 2365, juris Rdnr. 10; BGH, Urt. v. 02.06.1987 - VI ZR 174/86 - NJW 1986, 2365, juris Rdnr. 12). Die Dokumentation bestimmt sich nach rein medizinischen Notwendigkeiten, die ihrerseits sachverständiger Überprüfung zugänglich sind. Auf die Dokumentation können sich sowohl Patient als auch Behandler zu ihren Gunsten berufen: was nicht dokumentiert ist, aber hätte dokumentiert werden müssen, gilt als nicht geschehen; umgekehrt ist einer zeitnahen und vollständigen, äußerlich unverdächtigen ärztlichen Dokumentation grundsätzlich Glauben zu schenken (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 13.08.2014 - 5 U 57/14 - juris Rdnr. 2).

Der durch das Patientenrechtegesetz eingeführte § 630f BGB verpflichtet den Behandelnden, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen. Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen. Aus § 630f Abs. 1 Satz 1 BGB folgt, dass die Eintragungen jeweils in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung vorgenommen werden. Aus der Formulierung ist ersichtlich, dass es keiner "unverzüglichen" oder "sofortigen" Eintragung bedarf, sondern dass sich der Zeitrahmen nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insb. der Art und des Umfangs der Maßnahme bestimmt (vgl. K. Schmidt in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 630f BGB, Rdnr. 9 unter Hinweis auf Rehborn, GesR 2013, 257, 266; M. Rehborn/S. Gescher in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 630f BGB, Rdnr. 6).

Entsprechend sieht § 23 Nr. 4 hessisches Heilberufsgesetz und § 10 Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (v. 02.09.1998, zuletzt geändert am 07.10.2015, zitiert nach www.laekh.de) eine Dokumentationspflicht vor. Die berufsrechtliche Norm statuiert eine Pflicht zur ausführlichen und sorgfältigen Dokumentation der ärztlichen Behandlung. Sie obliegt demjenigen Arzt, der die Behandlung des Patienten verantwortlich übernommen hat. Jeder Arzt, der eine dokumentationspflichtige Maßnahme durchführt, trägt demnach auch die Verantwortung für deren Dokumentation. Zweck der Dokumentationspflicht ist die Therapiesicherung, daneben auch die Beweissicherung und Rechenschaftslegung. Die Dokumentation soll insb. eine sachgerechte (Weiter-)Behandlung des Patienten gewährleisten, indem sie jeden mit- und nachbehandelnden Arzt in die Lage versetzt, sich über durchgeführte Maßnahmen und die angewandte Therapie kundig zu machen. Dies gilt in besonderer Weise für Berichte über durchgeführte Operationen, die wichtige Informationen über das gebotene postoperative Vorgehen vermitteln. In zeitlicher Hinsicht hat die Dokumentation in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Eingriff zu erfolgen, jedenfalls aber in einem Zeitraum, in dem dem Arzt die Einzelheiten der Behandlung noch präsent sind (vgl. LandesberufsG für Heilberufe Münster, Urt. v. 25.11.2015 - 6t A 2679/13.T - juris Rdnr. 39 ff.). Eine inhaltlich unrichtige Darstellung der (zahn-)ärztlichen Maßnahmen verletzt die Dokumentationspflicht. Die Aufzeichnungen haben Urkundencharakter und müssen oftmals noch nach Jahren nachvollziehbar und beweiskräftig sein (vgl. Berufsgericht für Heilberufe Berlin, Urt. v. 25.06.2014 - 90 K 2.12 T - juris Rdnr. 20). Eine Dokumentation ist berufsrechtlich unzureichend, wenn sie ohne Erläuterungen des Arztes aus sich heraus für einen anderen Arzt (hier: den Gutachter) nicht verständlich ist (vgl. VG Berlin, Urt. v. 23.05.2012 - 90 K 1.10 T - juris Rdnr. 41).

Das Vertragsarztrecht baut auf den allgemeinen Dokumentationspflichten auf und begründet weitere Dokumentationspflichten. Insofern kann insb. das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 2, 92. Abs. 1 Satz 1, 106 SGB V) und die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung (§§ 2 Abs. 1 Satz 3, 135 SGB V ff.) Grundlage weitergehender Dokumentationspflichten sein. Allgemein bestimmt § 294 SGB V als Pflichten der Leistungserbringer:
Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und die übrigen Leistungserbringer sind verpflichtet, die für die Erfüllung der Aufgaben der Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen notwendigen Angaben, die aus der Erbringung, der Verordnung sowie der Abgabe von Versicherungsleistungen entstehen, aufzuzeichnen und gemäß den nachstehenden Vorschriften den Krankenkassen, den Kassenärztlichen Vereinigungen oder den mit der Datenverarbeitung beauftragten Stellen mitzuteilen.

Der Umfang der Aufzeichnungsflicht nach § 294 ist zu unterscheiden und kann wegen der unterschiedlichen Regelungszwecke (einerseits versicherungsrechtliche Zwecke wie Abrechnung, Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung - anderseits berufsrechtliche Zwecke der fachlich qualifizierten Behandlung der Patienten) abweichen von berufsrechtlich vorgeschriebenen Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten (vgl. Kranig in: Hauck/Noftz, SGB, 12/07, § 294 SGB V, Rdnr. 7; Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 294 SGB V, Rdnr. 10; Hess in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 92. EL Dezember 2016, Rdnr. 3). Bei den in § 294 SGB V genannten "Angaben" handelt es sich u. a. um Sozialdaten i. S. v. § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X, die im Zusammenhang mit der Erbringung, der Verordnung oder der Abgabe von Versicherungsleistungen anfallen. Hierbei handelt es sich um die Angaben, die von den Krankenkassen zur Erfüllung der in § 284 SGB V genannten Aufgaben oder von den Kassenärztlichen Vereinigungen für die in § 285 SGB V genannten Aufgaben benötigt werden. Konkretisiert werden die notwendigen Angaben für die jeweiligen Leistungserbringer in den §§ 295 ff. SGB V (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 294 SGB V, Rdnr. 8). Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen die Krankenkassen Sozialdaten für Zwecke der Krankenversicherung nur erheben und speichern, soweit diese erforderlich sind u. a. für die Prüfung der Leistungspflicht und der Erbringung von Leistungen an Versicherte einschließlich der Voraussetzungen von Leistungsbeschränkungen, die Bestimmung des Zuzahlungsstatus und die Durchführung der Verfahren bei Kostenerstattung, Beitragsrückzahlung und der Ermittlung der Belastungsgrenze (Nr. 4) und die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung (Nr. 9).

Nach § 295 Abs. 1 SGB V gilt für die Abrechnung ärztlicher Leistungen eine Verpflichtung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen, an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen aufzuzeichnen und zu übermitteln, u. a.
2. in den Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen die von ihnen erbrachten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung, bei ärztlicher Behandlung mit Diagnosen, bei zahnärztlicher Behandlung mit Zahnbezug und Befunden,
3. in den Abrechnungsunterlagen sowie auf den Vordrucken für die vertragsärztliche Versorgung ihre Arztnummer, in Überweisungsfällen die Arztnummer des überweisenden Arztes sowie die Angaben nach § 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 maschinenlesbar.

§ 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 SGB V bezieht sich auf die elektronische Gesundheitskarte als Versicherungsnachweis und die darin normierten - hier unerheblichen - personenbezogenen Daten des Versicherten. § 295 Abs. 3 SGB V ermächtigt die Bundesmantelvertragsparteien und den Bewertungsausschuss zu weitergehenden Regelungen. Danach vereinbaren die Vertragsparteien der Verträge nach § 82 Abs. 1 und § 87 Abs. 1 als Bestandteil dieser Verträge das Nähere über
1. Form und Inhalt der Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen,
2. Form und Inhalt der im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Vordrucke,
3. die Erfüllung der Pflichten der Vertragsärzte nach Absatz 1,
4. die Erfüllung der Pflichten der Kassenärztlichen Vereinigungen nach Absatz 2, insbesondere auch Form, Frist und Umfang der Weiterleitung der Abrechnungsunterlagen an die Krankenkassen oder deren Verbände,
5. Einzelheiten der Datenübermittlung einschließlich einer einheitlichen Datensatzstruktur und der Aufbereitung von Abrechnungsunterlagen nach den §§ 296 und 297.

Nach § 57 Abs. 1 Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren. Besondere Dokumentationsanforderungen für Verordnung von veranlassten Leistungen bestimmt § 25a BMV-Ä:
(1) Näheres über die Verordnung von Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege, spezialisierter ambulanter Palliativversorgung, Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln, medizinischer Rehabilitation, Soziotherapie und Krankentransport (veranlasste Leistungen) bestimmen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses.
(2) Die Verordnung von veranlassten Leistungen ist auf den jeweils dafür vorgesehenen Vordrucken gemäß der Vordruckvereinbarung (Anlage 2 dieses Vertrages) vorzunehmen. Die gilt auch, wenn der Versicherte die ärztlichen Leistungen im Wege der Kostenerstattung erhält.

§ 34 Abs. 1 BMV-Ä bestimmt für Vordrucke:
(1) Abrechnungs- und Verordnungsvordrucke sowie Vordrucke für schriftliche Informationen werden als verbindliche Muster in der Vordruckvereinbarung (Anlage 2) festgelegt. Gegenstand der Vordruckvereinbarung sind auch die Erläuterungen zur Ausstellung der Vordrucke. Die Vordrucke können gemäß der Vereinbarung über den Einsatz des Blankoformularbedruckungs-Verfahrens zur Herstellung und Bedruckung von Vordrucken für die vertragsärztliche Versorgung (Anlage 2a) mittels zertifizierter Software und eines Laserdruckers vom Vertragsarzt selbst in der Praxis erzeugt werden.

Nach Abschnitt 2.16 Muster 16: Arzneiverordnungsblatt der Vordruck-Vb (Anl. 2 zum BMV-Ä) ist für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln sowie Hilfsmitteln mit Ausnahme von Sehhilfen und Hörhilfen das anliegende Muster 16 zu verwenden. Muster 16 sieht keine besonderen Angaben oder Begründungen vor. Dies folgt auch aus den gleichfalls verbindlichen Erläuterungen. Die Erläuterungen zur Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung, Stand: Januar 2017, die insofern unverändert im hier strittigen Zeitraum formuliert waren, bestimmen zu Muster 16:
Arzneiverordnungsblatt unter Nr. 17: Das Feld "Begründungspflicht" ist zurzeit nicht besetzt und wird vorerst zur Kennzeichnung von zahnärztlichen Verordnungen verwendet.

Damit fehlte es auch bereits vor der Änderung der Arzneimittelrichtlinie an einer Pflicht zur Kundgabe der Begründung nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V (so auch SG Dresden, Urt. v. 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris Rdnr. 49; LSG Sachsen, Urt. v. 10.12.2014 L 8 KA 15/13 - juris Rdnr. 49). Weder das Gesetz noch der Bundesmantelvertrag noch die Vordruckvereinbarung sahen (und sehen) eine solche Verpflichtung vor. Maßgebend ist allein, dass der Vertragsarzt aufgrund der gesetzlichen und bundesmantelvertraglichen Anforderungen, zu denen auch die Vorgaben der Arzneimittelrichtlinie gehören, seine ausnahmsweise Therapieentscheidung begründet und dies in seinen Aufzeichnungen, d. h. der Patientendokumentation, festhält.

Bereits die gesetzliche Vorgabe einer Begründung in § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V bedeutet, dass die Angabe der bloßen Diagnose und der Verordnungsentscheidung selbst nicht ausreichen. So verlangt § 10 Abs. 1 Satz 2 AM-RL, dass die Therapieentscheidung nach den Vorgaben der Übersicht nach § 16 Abs. 3 zu dokumentieren ist, soweit die Verordnung von Arzneimitteln oder bei Arzneimittelgruppen die Verordnung für einzelne Arzneimittel aufgrund der jeweils genannten Ausnahmetatbestände zulässig ist. Nach § 16 Abs. 5 AM-RL kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt die nach den Absätzen 1 und 2 in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Damit verlangt die Arzneimittelrichtlinie, anders als z. B. für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete, bei denen zur Begründung der Verordnung lediglich die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen ist (§ 12 Abs. 6 Satz 2 AM-RL; siehe auch § 12 Abs. 9 AM-RL), eine über die Angabe der Diagnose hinausgehende Begründung für die Verordnungsentscheidung in der Dokumentation.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betrifft § 10 AM-RL nicht allgemeine Dokumentationspflichten des Vertragsarztes, sondern regelt speziell die Dokumentation in den Ausnahmefällen. Für diese gilt, dass ein medizinisch begründeter "Einzelfall" nicht nur objektiv gegeben sein, sondern auch dokumentiert sein muss. Bei der Dokumentation handelt es sich um eine formelle Anforderung hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ausnahmefalls (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2014 B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 45, juris Rdnr. 24 und 29). Nach dem Bundessozialgericht soll es nicht darauf ankommen, ob der Vertragsarzt sich selbst gegenüber der Prüfungsstelle auf die Ausnahmebestimmung beruft. Maßgeblich ist allein, ob er die erforderliche Begründung seiner Verordnungen gegeben hat. Wenn die umstrittenen Verordnungen objektiv von einem Ausnahmetatbestand erfasst werden und der Vertragsarzt - gleichgültig aus welchen Gründen - auch den formellen Anforderungen dieses Tatbestandes - insb. im Hinblick auf die Begründung seiner Verordnungen - entsprochen hat, scheitert die Berücksichtigung dieses Umstandes im gerichtlichen Verfahren nicht von vornherein daran, dass der Vertragsarzt den Ausnahmetatbestand nach seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren gar nicht gekannt hat (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2014 - B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 45, juris Rdnr. 28 f.; vgl. auch SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 33).

Eine nachträglich angefertigte Einzelfallbegründung genügt dem Begründungserfordernis nicht. Bei der Begründungspflicht handelt es sich um eine Dokumentationsobliegenheit. Die Dokumentation der medizinischen Begründung soll zum einen den Prüfgremien ermöglichen, die Einhaltung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zu kontrollieren und so einer Umgehung des grundsätzlichen Verordnungsausschlusses in der Arzneimittelrichtlinie entgegenzuwirken. Zum anderen dient die Begründung der Verordnung aber auch der Selbstkontrolle des behandelnden Arztes, um in den zugelassenen Ausnahmefällen eine strenge Indikationsstellung zu gewährleisten (vgl. SG Dresden, Urt. v. 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris Rdnr. 48 f.; SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 24;

Wegen der Beweis- und Warnfunktion der Begründung muss diese jedoch im zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung dokumentiert sein, eine erst mit erheblichem zeitlichem Abstand im Nachhinein angefertigte Begründung genügt nicht. Zu dokumentieren sind die Umstände, aus denen der Arzt den Schluss zieht, dass die für den Verordnungsausschluss in der Arzneimittelrichtlinie tragenden Erwägungen im konkreten Einzelfall nicht eingreifen. Formeller Maßstab für eine ausreichende Dokumentation ist der Verständnishorizont eines Fachkollegen. Spätere Erläuterungen oder Zusammenfassungen, um die Nachvollziehbarkeit der Dokumentation in der Patientenakte für die fachkundigen Prüfgremien zu erleichtern, können zwar auch noch nachträglich angefertigt und im Prüfungsverfahren vorgelegt werden. Sie können die zeitnahe und vollständige Dokumentation der für die Anerkennung einer Einzelfallindikation ausschlaggebenden Gründe jedoch nicht ersetzen. Es müssen sich die für die medizinische Begründung der Verordnung im Einzelfall ausreichenden Angaben zum bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf sowie den Behandlungsalternativen ergeben (vgl. SG Dresden, Urt. v. 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris Rdnr. 52 f.; SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 24; LSG Sachsen, Urt. v. 10.12.2014 - L 8 KA 15/13 - juris Rdnr. 49; LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2016 - L 12 KA 107/14 - juris Rdnr. 23 f.). Bei einem auf Dauer verschriebenen Arzneimittel genügt die Dokumentation der Gründe zu Beginn der Behandlung, wenn diese Gründe im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnungen noch fortwirkten (vgl. SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 38). Die Begründung muss sich insb. auf die Auswahl des grundsätzlich ausgeschlossenen Arzneimittels unter den in Betracht kommenden Behandlungsalternativen erstrecken, wenn auch verordnungsfähige oder von vornherein nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in Betracht kommen (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2016 - L 12 KA 107/14 - juris Rdnr. 23 f.). Aus der Dokumentation muss hervorgehen, welche zusätzlichen Komplikationen und Risiken bestehen, die Anlass sind, nicht andere verfügbare Arzneimittel zu verordnen (vgl. Clemens in jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 106, Rdnr. 124).

Der Kläger hat eine zeitnah angelegte Dokumentation im Gerichtsverfahren und auch noch in der mündlichen Verhandlung nachgereicht. Dies ist zulässig und war von der Kammer zu berücksichtigen.

Soweit die Kammer früher die Auffassung vertreten hat, es komme wesentlich auf die Angaben bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens an (vgl. zuletzt Urt. v. 07.09.2016 - S 12 KA 188/16 -, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 59/16 -; Urt. v. 07.09.2016 - S 12 KA 167/16 -), so hält sie an dieser Auffassung nicht mehr fest (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 13.09.2017 - S 12 KA 810/16 - juris Rdnr. 57; 13.09.2017 S 12 KA 349/16, juris Rdnr. 80).

Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren vor dem Beschwerdeausschuss begründet das Bundessozialgericht den Einwendungsausschluss des Vertragsarztes im gerichtlichen Verfahren damit, dass die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes sachverständigen Ausschüssen übertragen wird. Den Gerichten ist es zudem grundsätzlich verwehrt, eine umfassende Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen; ihnen obliegt lediglich die Kontrolle, ob die - im Rahmen des Beurteilungs- und Ermessensspielraums getroffenen - Entscheidungen der Prüfungsausschüsse mit Gesetz und Recht in Einklang stehen. Den Prüfungsausschüssen kann aber eine unvollständige Berücksichtigung des Sachverhalts nicht vorgeworfen werden, soweit entscheidungserhebliche Umstände nur dem Vertragsarzt bekannt sind, von diesem aber nicht im Prüfverfahren geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urt. v. 20.09.1988 - 6 RKa 22/87 - SozR 2200 § 368n Nr. 57, juris Rdnr. 33).

Für die Verfahren, in denen die Prüfungsstelle abschließend zuständig ist, kommt ihr weder ein Beurteilungs- noch ein Ermessensspielraum zu, auch handelt es sich nicht um ein fachlich besetztes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung, das zudem mit unterschiedlichen Interessenvertretern besetzt ist. Die Prüfungsstelle ist eine monokratische Behörde (§ 106c Abs. 3 SGB V n. F. bzw. § 106 Abs. 4a SGB V a. F.). Die Prüfungsstelle hat in diesen Verfahren keinen Beurteilungsspielraum. Sie entscheidet nur bei Leistungen, die aufgrund rechtlicher Vorschriften ausgeschlossen sind (§ 106c Abs. 3 Satz 6 SGB V n. F. bzw. § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V a. F.). Die abschließende Entscheidungskompetenz der Prüfungsstelle ist auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt (BSG, Urt. v. 02.07.2014 - B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 45, juris Rdnr. 16). Von daher ist kein Grund ersichtlich, abweichend von allgemeinen Verfahrensanforderungen den Vertragsarzt auf seinen Sachvortrag vor der Prüfungsstelle zu beschränken (vgl. zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung LSG Hessen, Urt. v. 20.03.2013 - L 4 KA 60/10 - juris Rdnr. 30 f.; LSG Hessen, Urt. v. 27.05.2015 - L 4 KA 50/12 - juris Rdnr. 174, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.03.2016 - B 6 KA 60/15 B - BeckRS 2016, 68302; SG Marburg, Urt. v. 18.03.2015 - S 12 KA 616/14 - juris Rdnr. 30 f.).

Soweit das Bundessozialgericht in Bezug auf Mitwirkungspflichten des Vertragsarztes in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht zwischen der Prüfungsstelle und dem Beschwerdeausschuss unterscheidet, sondern hinsichtlich der Darlegungsobliegenheiten des Vertragsarztes davon ausgeht, dass die erforderlichen Darlegungen grundsätzlich "gegenüber den Prüfgremien" (und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren) zu erfolgen haben (vgl. BSG, Urt. v. 28.08.2013 - B 6 KA 46/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 42 juris Rdnr. Rdnr. 32 mit Hinweis auf BSG, Urt. v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3, juris Rdnr. 41, zu Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht vgl. Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB, 08/14, § 106 SGB V, Rdnr. 543 ff.), beziehen sich diese Ausführungen nicht auf das einstufige Verwaltungsverfahren. Der Einwendungsausschluss für das gerichtliche Verfahren gilt auch nur für solche Umstände, die sich aus der Atypik der Praxis ergeben, aus der Sicht des Arztes auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres an Hand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen. Nicht gefordert werden können von einem Arzt hingegen Einwände, die das Prüfungsverfahren selbst betreffen, also etwa Bedenken gegen die Größe und richtige Zusammensetzung der Vergleichsgruppe. Dasselbe gilt für Aspekte, die auf der Basis der im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen so offenkundig sind, dass die Gremien dem schon von Amts wegen nachgehen müssen bzw. die anhand der bei der Kassenärztlichen Vereinigung vorhandenen Unterlagen oder den Angaben des Arztes zumindest erkennbar sind. So muss ein Arzt im Rahmen einer statistischen Vergleichsprüfung der veranlassten Leistungen der physikalischen Therapie nicht um den Preis einer Präklusion von sich aus darauf hinweisen, wenn in seiner Praxis physikalisch-medizinische Leistungen nicht oder nur unterdurchschnittlich erbracht werden (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3, juris Rdnr. 42 f.). Liegen besondere offenkundige Anhaltspunkte vor, so müssen die Prüfgremien diese auch ohne besonderen Hinweis aufgreifen (BSG, Urt. v. 27.06.2001 - B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 53, juris Rdnr. 28). Besteht allerdings Anlass zu der Annahme, dass der Vertragsarzt seinen bisherigen Vortrag ergänzen kann, so müssen die Prüfgremien ihm dazu Gelegenheit geben. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, dem Kassenarzt zur Ergänzung seines Vortrages eine Frist zu setzen und ihn darauf hinzuweisen, dass nach Ablauf der Frist entschieden wird und ein späteres Vorbringen keine Berücksichtigung mehr findet (vgl. BSG, Urt. v. 20.09.1988 - 6 RKa 22/87 - SozR 2200 § 368n Nr. 57, juris Rdnr. 34).

Für den Nachweis der Begründung kann die maßgebliche Dokumentation in den Krankenunterlagen auch noch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vorgelegt werden, ohne mit diesem Sachvortrag präkludiert zu sein. Zu unterscheiden ist der Zeitpunkt der Anfertigung der Dokumentation vom Zeitpunkt der Vorlage (vgl. SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 30 f.; siehe auch LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2016 - L 12 KA 107/14 - juris Rdnr. 25). Hinsichtlich der Begründungspflicht kommt es wesentlich auf die ausreichende Niederlegung in der Dokumentation an. Dies hat die Prüfungsstelle grundsätzlich im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu überprüfen. Reicht der Vertragsarzt trotz Anfrage der Prüfungsstelle die Dokumentation nicht ein, so läuft er Gefahr, mit einem Verordnungsregress belastet zu werden. Reicht der Vertragsarzt die Dokumentation erst im anschließenden Gerichtsverfahren ein, so kann er mit den Verfahrenskosten belastet werden (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 156 VwGO).

Für die fachkundig mit einer hausärztlich tätigen Ärztin besetzte Kammer war die Therapie des Klägers nachvollziehbar. Nach der vorgelegten Dokumentation lagen im strittigen Behandlungsfall die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall vor. Die Indikation beruht auf der hohen Insulindosis und dem Umstand, dass bereits eine Schulung erfolgt war. Nach 8 bis 9 Jahren muss man davon ausgegangen werden, dass die Bauchspeicheldrüse erschöpft ist und es Insulin gibt. Nach den von der Beklagten genannten Alternativen war nach Einschätzung der Kammer keine Verbesserung zu erwarten. Es handelt sich um orale Therapien, diese waren seinerzeit noch nicht in Kombination mit Insulin zugelassen. Von daher war seinerzeit eine ergänzende Kombinationstherapie kontraindiziert. Es gibt erst neuerdings Ergebnisse mit Testungen, dass solche Kombinationstherapien möglich sind, aber nicht zum damaligen Behandlungszeitpunkt. Hinzu kommt die Empfehlung einer renommierten Gesellschaft, nach der die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall vorlagen und die auch dem Kenntnisstand der Kammer entsprechen.

Soweit die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall vorlagen, kann hier dahinstehen, ob sich der Kläger auch auf Vertrauensschutz berufen kann. Insofern käme es allerdings nicht auf den von der Beklagten vorgelegten Telefonvermerk vom 17.03.2011 an, da über ein Jahr später vom Versicherten ein Antrag gestellt wurde. Aus dem vom Kläger vorgelegten MDK-Gutachten ergibt sich, dass der Versicherte offensichtlich das Privatrezept vom 19.06.2012 vorgelegt hat. Soweit im MDK-Gutachten ein Anschreiben des Versicherten vom 29.06.2012 verwiesen wird, handelt es sich vermutlich um einen Schreibfehler, da das Gutachten mit Datum bereits vom 27.06.2012 datiert. Die Beigeladene zu 1) sah sich nicht in der Lage, die Unterlagen dieses Verfahrens vorzulegen oder hierzu Stellung zu nehmen. Soweit der Versicherte und/oder Kläger aus dem Verfahren geschlossen hätten, im Einzelfall und insb. in ihrem Einzelfall sei eine Verordnung als begründeter Einzelfall möglich, wäre es Sache der Beigeladenen zu 1), den Nachweis zur Widerlegung des Vertrauens zu erbringen. Die Kammer konnte von daher auch von der Befragung des nicht erschienenen Zeugen absehen.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 144 SGG). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung der Kammer.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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