S 7 KN 150/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 150/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N aus E wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, in welchem er sich gegen den Zeitpunkt des Beginns seiner Regelaltersrente richtet.

Der am 16.11.1947 geborene Kläger befand sich in den Jahren 2011 bis 2015 in italienischer Haft. Er vereinbarte am 21.12.2015 einen Termin bei der Beklagten und stellte am 08.02.2016 einen Antrag auf Regelaltersrente. Der gewünschte Beginn der Rentenzahlung sei Oktober 2015. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 08.03.2016 die Regelaltersrente, beginnend am 01.12.2015. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 15.12.2012 erfüllt. Die Rente werde ab dem Antragsmonat geleistet, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 08.08.2016 an die Beklagte und teilte mit, dass die Entscheidung rechtswidrig sein dürfte. Die italienischen Behörden hätten ihn auf die Möglichkeit der Rentenantragstellung hinweisen müssen. Auch das deutsche Konsulat sei über die Inhaftierung informiert gewesen. Letztlich dürfte zu unterstellen sein, dass der Beklagten eine gesteigerte Informationspflicht zukomme, weil ihr, über das deutsche Konsulat, die Inhaftierung bekannt gewesen sei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26.08.2016 den Antrag auf Überprüfung des Rentenbescheides vom 08.03.2016 hinsichtlich des Rentenbeginns ab. Der eingelegte Widerspruch gegen den Bescheid wurde durch den Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2017 als unbegründet zurückgewiesen. Dem Kläger sei von Amts wegen am 20.01.2012 eine Rentenauskunft erteilt worden. Hierin sei er auch über die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen sämtlicher Altersrenten informiert worden. Des Weiteren sei ihm am 13.11.2012 und 18.12.2012 ein Hinweisscheiben übersandt worden. Kenntnis der Beklagten über die Inhaftierung habe zu keinem Zeitpunkt bestanden.

Der Kläger erhob am 12.07.2017 gegen den Bescheid vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2017 Klage und hat zudem einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Prozesskostenhilfenebenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 73a Rz. 7a). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte, darf der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt werden (vgl. BSG, Beschluss vom 17.02.1998, B 13 RJ 83/97 R; BVerfG, Beschluss vom 14.04.2003, 1 BvR 1998/02; BVerfG, Beschluss vom 29.09.2004, 1 BvR 94/88).

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg des Klageverfahrens ist nicht gegeben. Denn es hat sich im Einzelfall nicht ergeben, dass bei Erlass des Bescheides vom 08.03.2016 das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X)). Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Beginn einer Regelaltersrente vor Dezember 2015. Hinsichtlich des Rentenbeginns wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Beklagten Bezug genommen (§ 136 SGG).

Ein früherer Rentenbeginn lässt sich auch nicht aus einem sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ableiten. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialversicherungsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenen Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Voraussetzung eines Herstellungsanspruches ist demnach, dass die Behörde eine ihr gegenüber dem Berechtigten obliegende Pflicht verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung liegt in dem Verhalten der Beklagten nicht vor. Nach § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. In gemeinsamen Richtlinien der Träger der Rentenversicherung kann bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen. Grundsätzlich sind Fälle, in denen ein Versicherter das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt hat, geeignete Fälle im Sinne von § 115 Abs. 6 Satz 1 (Bundessozialgericht, Urteil vom 22.10.1996, 13 RJ 23/95). Auch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung haben dies in § 1 ihrer gemeinsamen Richtlinien gemäß § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI ausdrücklich festgelegt. Dieser Hinweispflicht ist die Beklagte nachgekommen, in dem sie entsprechende Informationsschreiben versandt hat. Dass nach Angaben des Klägers ihn diese Scheiben nicht erreicht haben, hat die Beklagte nicht erkennen können. Weder ist nach Aktenlage ein Rückläufer dieser Schreiben zu verzeichnen noch hat die Beklagte Kenntnis einer abweichenden Anschrift des Klägers gehabt. Der Kläger hat seinen Wegzug nach Italien nicht angezeigt. Der aktuelle Aufenthaltsort ist der Beklagten nicht bekannt gewesen. In Fällen dieser Art, in denen der aktuelle Aufenthaltsort eines Versicherten nicht bekannt ist und seit Jahren kein Kontakt zum Rentenversicherungsträger besteht, ist eine Hinweispflicht gemäß § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI nicht anzunehmen, da sie für eine routinemäßige Mitteilung gestützt auf die elektronisch gespeicherten Daten nicht geeignet sind (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.10.2000, L 5 RJ 415/98).

Soweit der Kläger vorträgt, dass ein etwaiges Verschulden des Konsulates bzw. die Kenntnis des Konsulates der Beklagten zuzurechnen sei, so folgt die Kammer dieser Ansicht nicht. Gemäß § 16 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) sind die Leistungsträger verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt werden. Ausdrücklich verpflichtet die Norm den jeweils zuständigen Leistungsträger zu einer entsprechenden Beratung. Das Konsulat ist kein Leistungsträger im Sinne der Norm. Dass der Kläger beim Konsulat einen Antrag gestellt hat, hat der Kläger nicht vorgetragen. Es kann dahin stehen, ob – wie der Kläger vorträgt – der deutsche Staat die Aufgabe und Verpflichtung besitzt, die deutschen Staatsbürger im EU-Ausland über die Voraussetzung des Rentenbeginns zu informieren. Denn selbst wenn das Konsulat die Verpflichtung hätte, eine etwaige Adressänderung sämtlichen Sozialleistungsträgern mitzuteilen, so wäre dieses Verschulden der Beklagten nicht zuzurechnen. Denn ein Haftungsgrund mit Mitteln des Sozialrechts kann nur insoweit angenommen werden, als die zuständige Behörde selbst oder eine im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung beteiligte andere Behörde durch ein fehlerhaftes Handeln beim Bürger einen Rechtsverlust herbeigeführt hat. Eine Ausweitung des Herstellungsanspruch über diese Grenze hinaus, würde letztlich zu einer Verzerrung der gesetzlichen Zuständigkeiten im gegliederten Sozialleistungssystem führen, mit der Folge, dass die Versichertengemeinschaft des einzelnen Sozialleistungsträgers wahllos für einen Fehler der öffentlichen Hand und umgekehrt einstehen müsste (Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.1992, 10 RKg 24/91). Sofern Amtshaftungsansprüche betroffen sein sollten, ist hierfür der Sozialrechtsweg nicht eröffnet (Art. 34 Grundgesetz, § 839 Bürgerliches Gesetzbuch).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe Beschwerde bei dem

Sozialgericht Gelsenkirchen, Bochumer Straße 79, 45886 Gelsenkirchen

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.
Rechtskraft
Aus
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