L 13 SB 30/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 2379/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 30/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Januar 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "aG" – außergewöhnliche Gehbehinderung – erfüllt.

Dem 1922 geborenen Kläger war mit Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 1994 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Merkzeichen "G" – erhebliche Gehbehinderung – wegen folgender Behinderungen, deren Einzel-GdB sich aus den Klammerzusätzen ergeben, zuerkannt worden:

a) Lähmung des rechten Beines nach Poliomyelitis (60) b) Herzminderleistung bei coronarer Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen (30) c) Harnentleerungsstörung bei Prostataleiden, Harnsäure- und Fettstoffwechselstörungen (20)

Im November 2000 beantragte der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" und "RF" - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht - und begründete dies damit, dass er die Autotür beim Einsteigen ins und Aussteigen aus dem Auto weit öffnen müsse und daher auf die Benutzung eines Behindertenparkplatzes angewiesen sei. Er trage einen Stützapparat, der das Bein beim Laufen versteife. Zum Hinsetzen müsse er den Apparat lösen, so dass er in diesem Moment wie ein Beinamputierter nur auf einem Bein stehe. Aufgrund seiner weiteren Erkrankungen und seines fortgeschrittenen Alters benötige er bei kleinen Spaziergängen eine dreirädrige Gehhilfe, die er bei zu kleinen Parklücken nur schwierig im Auto verstauen könne. Der Beklagte holte Befundberichte des Internisten Dr. S vom 30. November 2000, des Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arztes Dr. Ht vom 23. November 2000 und der Fachärzte für Urologie D umd R vom 19. Dezember 2000 ein. Auf der Grundlage der Stellungnahmen der Ärztin D vom 21. Januar 2001 und des HNO-Arztes Dr. Lvom 28. März 2001 erhöhte der Beklagte den Gesamt-GdB mit Bescheid vom 5. April 2001 auf 90 und stellte folgende Behinderungen fest:

a) Lähmung des rechten Beines nach Poliomyelitis (60) b) Innenohrschwerhörigkeit beidseits (40) c) Herzminderleistung bei coronarer Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Lungenemphysem (30) d) Harnentleerungsstörung bei Harnleiterstenose nach wiederholter operativer Behandlung und Prostataoperation, Harnsäure- und Fettstoffwechselstörungen (20)

Außerdem stellte er fest, dass die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G", nicht jedoch der Merkzeichen "aG" und "RF" erfüllt seien.

Der Widerspruch des Klägers, mit dem er vortrug, er habe bereits seit zehn Jahren keine öffentlichen Veranstaltungen mehr besuchen können und auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm nicht möglich, weil er nicht in der Lage sei, gleichzeitig einzusteigen und seine Gehhilfe zu verladen, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. August 2001).

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger klargestellt, dass er vor allem die Berechtigung zur Benutzung von Behindertenparkplätzen erstrebe, da er auf einem normalen Parkplatz die Autotür nicht so weit öffnen könne, wie es zum Verladen seiner Gehhilfe erforderlich sei.

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Orthopäden Dr. M vom 2. Januar 2002 und des Internisten Dr. S vom 23. Februar 2002 eingeholt und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. S zum gerichtlichen Sachverständigen bestimmt. In seinem Gutachten vom 24. Juli 2002 hat er die Auffassung vertreten, der Kläger, der lebenslang mit einem orthopädischen Stützapparat am rechten Bein versorgt sei, leide an Folgen der Kinderlähmung im rechten Bein sowie in leichter Form auch im Bereich der rechten Schulter und des Oberarmes sowie des linken Unterarmes und Fußes. Diese müssten zusammen mit der Minderung der körperlichen Leistungsfähigkeit aus Gründen des hohen Alters und vor allem der zusätzlichen allgemeinkörperlichen erheblichen Leistungsminderung durch die Herzmuskelschwäche betrachtet und summiert werden. Der Kläger könne nur noch mit sehr großer Anstrengung weniger als 500 Meter außerhalb des Kraftfahrzeugs (Kfz) laufen und sich bewegen. Er sei dem Personenkreis der Querschnittgelähmten, Doppeloberschenkelamputierten, Hüftexartikulierten oder einseitig Oberschenkelamputierten, die dauernd außer Stande seien, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien, gleichzustellen.

Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Neurologen und Psychiaters Dr. D vom 20. August und 7. November 2002 und des Internisten Dr. D vom 17. September 2002 angeboten, den GdB ab Antragstellung auf 100 zu erhöhen, das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" jedoch verneint, da eine Ruheinsuffizienz aufgrund des Herzleidens nicht vorliege und die Folgen der Kinderlähmung nach den mitgeteilten Befunden allein keine außergewöhnliche Gehbehinderung bedingten.

Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 13. Januar 2003 verurteilt, dem Kläger unter Abänderung der angefochtenen Bescheide das Merkzeichen "aG" ab November 2000 zuzuerkennen. Zu seiner Überzeugung ergebe sich aus den Feststellungen des Prof. Dr. S unter Berücksichtigung der negativen Wechselwirkungen zwischen den Folgen der Kinderlähmung und der Behinderungen infolge der Herzmuskelschwäche eine Vergleichbarkeit der Gehfähigkeit des Klägers mit den exemplarisch genannten Behinderten, insbesondere den Doppeloberschenkelamputierten. Die durch die vom Sachverständigen beobachtete Atemnot bei leichtesten Belastungen verursachte Einschränkung der Gehfähigkeit verstärke das ohnehin durch die Poliomyelitis-Folgen eingeschränktes Gehvermögen. Das in seiner Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigte rechte Bein sei überhaupt nur mit Hilfe eines bis zur Leistenbeuge reichenden Stützapparates benutzbar, zudem werde die verbleibende Restgehfähigkeit durch die leichten Lähmungserscheinungen und Muskelschrumpfungen am weniger betroffenen linken Bein und im rechten Schultergelenk sowie ausgeprägte Wasseransammlungen in den Unterschenkeln und Füßen zusätzlich beeinträchtigt. Die versorgungsärztlichen Stellungnahmen ließen eine medizinisch-interdisziplinäre Betrachtungsweise, wie sie der gerichtliche Sachverständige angestellt habe, vermissen.

Gegen das ihm am 18. Februar 2003 zugestellte Urteil hat sich der Beklagte mit seiner am 11. März 2003 eingegangenen Berufung gewandt. Unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Internisten Dr. D vom 25. Februar, 24. Juni und 16. Juli 2003 sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. D vom 28. Februar und 26. Juni 2003 trägt er vor, die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" lägen nicht vor, weil keineswegs ein GdB von 80 allein für die Funktionsbehinderungen an den unteren Extremitäten erreicht werde. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Bewegungsfähigkeit durch die Gesundheitsstörungen im Bereich des Nervensystems soweit eingeschränkt sei, dass sich das Herz-Kreislaufleiden nicht bzw. kaum zusätzlich auswirke, so dass lediglich eine Auswirkungsüberschneidung vorliege, nicht jedoch eine Verstärkung oder ungünstige gegenseitige Beeinflussung, wie sie von Prof. Dr. S angenommen worden sei. Aus dem Gutachten ergebe sich auch nicht, dass sich der Kläger praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kfz nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen könne.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Januar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat einen Befundbericht des Internisten Dr. S vom 29. September 2003 eingeholt und einen Coronarangiographie-Befund vom 30. Juni 2003, den Entlassungsbericht des V Klinikum S vom 15. August 2003 sowie den Entlassungsbericht der B Klinik vom 19. September 2003 zur Akte genommen.

Der Beklagte hat eine Stellungnahme des Internisten Dr. D vom 26. Februar 2004 eingereicht, der sich durch die vorgelegten Unterlagen in seiner Einschätzung bestätigt sieht, dass die eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers ausschließlich auf den Folgen der Poliomyelitis beruhe.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Außerdem wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingereichte Berufung ist zulässig und begründet. Auf die Berufung des Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts vom 13. Januar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn die angefochtenen Bescheide sind, soweit darin die hier allein streitigen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" verneint werden, rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) – früher: § 4 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) – stellen die Versorgungsämter neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV)). Eine derartige Eintragung eröffnet den Zugang zu steuerlichen Vorteilen und straßenverkehrsrechtlich zu Parkerleichterungen als Autofahrer.

Nach Nr. 11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO) erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kfz bewegen können. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG) SozR 3870 § 3 Nr. 11; SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 und BSGE 82, 37 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23) müssen diejenigen Schwerbehinderten, die in der Aufzählung nicht ausdrücklich genannt sind, dann gleichgestellt werden, wenn ihre Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können. Die Gehfähigkeit muss nicht nahezu aufgehoben sein, sie muss aber so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150/150, S. 10 in der Begründung zu § 6 StVG). Das BSG hat klargestellt, dass sich das - ggf. erst durch orthopädische Versorgung ermöglichte - Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren lasse. Insbesondere tauge eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke grundsätzlich nicht als Beurteilungsmaßstab, weil die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellten, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kfz zumutbar noch bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich sei: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Die Voraussetzungen der Merkzeichens "aG" liegen deshalb bei Personen vor, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können, wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23, SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 = BSGE 90, 180 ff).

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung ist der Senat der Überzeugung, dass der Kläger zwar in seiner Gehfähigkeit stark beeinträchtigt ist, das Gehvermögen aber noch nicht in so ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist, dass er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen fortbewegen kann, wie der in der Verwaltungsvorschrift genannte Personenkreis. Dabei ergibt sich die Einschränkung des Gehvermögens vor allem durch die Folgen der Poliomyelitis, während das Herzleiden daneben keinen nennenswerten negativen Einfluss auf die Gehfähigkeit hat. Dies lässt sich vor allem dem Heilverfahrensentlassungsbericht der B Klinik entnehmen, der eine aufgrund der bereits postoperativ vorhandenen Poliomyelitis bestehende deutliche Einschränkung der Mobilität bestätigt und erwähnt, dass der Kläger Spaziergänge von 15 bis 20 Minuten mit dem Rollator gut toleriert habe. Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit den Angaben im Befundbericht des Dr. S vom 29. September 2003, der als sich nachteilig auf die Gehfähigkeit auswirkende Leiden Folgezustand der Poliomyelitis und massive Unterschenkelödeme bei dekompensierter Rechtherzinsuffizienz sowie fehlender "Muskelpumpe" nach Poliomyelitis angibt. Außerdem hat er mitgeteilt, dass infolge der Herzkrankheit Leistungsbeeinträchtigungen bei alltäglicher leichter Belastung mit vorübergehend auftretenden schweren Dekompensationszeichen, nicht aber bereits in Ruhe bestehen. Nur Letztere rechtfertigen jedoch nach Nr. 31 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP 1996) isoliert betrachtet die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Aber auch die Berücksichtigung der sich auf die Gehfähigkeit negativ auswirkenden Behinderungen des Klägers in ihrer Gesamtheit, also der Folgen der Poliomyelitis einerseits und der Herzleistungsminderung andererseits, rechtfertigt nicht die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens. Der Senat vermag sich nicht der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Schiffter anzuschließen, die Summierung der Leiden der Klägers, also Folgen der Poliomyelitis, Herzleistungsminderung und Leistungseinschränkungen infolge fortgeschrittenen Alters führten dazu, dass er nur noch mit sehr großer Anstrengung außerhalb der Kfz laufen und sich bewegen könne. Der Sachverständige hat keinerlei Angaben zum Gangbild des Klägers gemacht und lediglich dokumentiert, dass während der Untersuchung eine deutliche Atemnot bei geringen Belastungen bestanden habe. Dieser Umstand rechtfertigt ebenso wie die Tatsache, dass das rechte Bein nur mit Hilfe eines bis in die Leistenbeuge reichenden Stützgerätes benutzbar ist, aber nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Alterstypische Leistungseinschränkungen sind bei der Beurteilung außer Betracht zu lassen (vgl. hierzu Nr. 17 AHP 1996). Zudem überzeugen den Senat in Bezug auf die Wechselwirkung der Folgen der Poliomyelitis einerseits und des Herzleidens andererseits die Ausführungen des Internisten Dr. D in seiner Stellungnahme vom 25. Februar 2003, die letztlich auch durch den Heilverfahrensentlassungsbericht der B Klinik bestätigt werden, dass die Mobilität aufgrund der Poliomyelitis deutlich eingeschränkt ist. Danach wirkt sich das Herzleiden neben der Poliomyelitis nicht zusätzlich negativ auf die Gehfähigkeit aus. Der gerichtliche Sachverständige hat die Gehfähigkeit des Klägers mit weniger als 500 Metern angegeben und damit inzident die im Fragekatalog der Beweisanordnung genannten stärkeren Wegstreckenlimitierungen von 50 bis 100 Metern bzw. mehr als 200 Metern als nicht relevant angesehen. Eine Wegstrecke von mehr als 200 Metern übersteigt jedoch das Maß dessen, was dem in der Verwaltungsvorschrift genannten Personenkreis regelmäßig noch möglich ist, so dass auch unter diesem Aspekt keine in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkte Gehfähigkeit anzunehmen ist.

Sinn und Zweck der Ausnahmegenehmigung ist es, den Schwerbehinderten mit dem Kfz möglichst nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen. Der Umfang der Vergünstigungen verdeutlicht, dass nicht die Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu bestimmten Zeiten straßenverkehrsrechtlich maßgeblich ist (BSG Urteil vom 3. Februar 1988, Breith. 1988, 951). Der Kläger selbst hat sein Begehren vor allem damit begründet, dass das Ein- und Aussteigen behinderungsbedingt die Möglichkeit erfordere, die Autotür möglichst weit zu öffnen, was nur auf Behindertenparkplätzen gewährleistet sei. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Schwierigkeit bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums, die nicht dem Schutzbereich der durch das Merkzeichen "aG" auszugleichenden Behinderung unterfällt. Das Bedürfnis des Klägers, die Autotür beim Ein- und Aussteigen weit öffnen zu können, ließe sich nur bei der Benutzung der regelmäßig breiteren Parkhäfen verringern, während die Nutzung von Parkplätzen am Straßenrand nicht die erforderliche Erleichterung für den Kläger brächte. Dies verdeutlicht, das es sich bei den Schwierigkeiten des Klägers um einen Umstand handelt, der nicht seiner behinderungsbedingt eingeschränkten Fortbewegungsfähigkeit geschuldet ist, sondern allein der Beschaffenheit des Parkraums.

Aus den vorhandenen Befunden ist nicht erkennbar, dass sich der Kläger nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann, wie der in der Verwaltungsvorschrift genannte Personenkreis. Der Senat verkennt dabei nicht, dass jeglicher Fußweg für den Kläger infolge seiner seit seiner Jugendzeit bestehenden schweren Behinderung mit erheblichen Beschwernissen verbunden ist und nur durch die Benutzung orthopädischer Hilfsmittel - nämlich orthopädisches Schuhwerk, einen 4,5 kg schweren Stützapparat und einen Rollator - möglich ist. Bei Benutzung dieser Hilfsmittel ist der Kläger aber noch so gut mobilisiert, dass ihm nach dem Heilverfahrensentlassungsbericht der B Klinik Spaziergänge von 15 bis 20 Minuten Dauer möglich sind.

Die Berufung ist somit erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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