S 89 KR 4244/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
89
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 4244/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Regelung in § 57a Abs. 4 SGG betrifft nur die unmittelbare gerichtliche Überprüfung einer vertraglichen Vereinbarung oder Entscheidung auf Bundesebene. Es genügt nicht, dass über die Auslegung oder die Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung oder Entscheidung lediglich inzident gestritten wird.
2. Streitigkeiten zwischen pharmazeutischen Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband über das für ein konkretes Arzneimittel festgelegte erweiterte Preismoratorium nach § 130a Abs. 3a Satz 4 SGB V begründen keine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG.
Das Sozialgericht Berlin erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das örtlich zuständige Sozialgericht Lübeck verwiesen.

Gründe:

I. Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in R. Sie bringt unter anderem die Arzneimittel A. sowie das Arzneimittel V. in Verkehr. Der Beklagte hat für das am 15. Juli 2011 eingeführte Arzneimittel A. gemäß § 130a Abs. 3a Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auf Basis des Preises des Arzneimittels V. einen erweiterten Preismoratorium-Rabatt in Höhe von 37,45 EUR festgelegt und in das GKV-Abrechnungsverzeichnis aufgenommen. Zur Berechnung der Abschlagspflicht hat der Beklagte seine nach § 130 Abs. 3a Satz 11 SGB V getroffenen näheren Regelungen im Leitfaden zu § 130 Abs. 3a SGB V herangezogen, in dem u.a. Kriterien zur Ermittlung der Vergleichspackung und der Abschlagshöhe getroffen sind.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 17. Dezember 2015 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage die Feststellung, dass die Festlegung eines Preismoratorium-Rabattes durch die Beklagte gemäß § 130a Abs. 3a Satz 4 SGB V in Höhe von 37,45 EUR für das Fertigarzneimittel A. 5 mg/g + 100mg/g Lösung zur Anwendung auf der Haut rechtswidrig ist. Sie ist u.a. der Auffassung, dass das erweiterte Preismoratorium vorliegend nicht anwendbar sei, da es bereits an der hierfür erforderlichen Preiserhöhung fehle. Überdies verletze die Festlegung des erweiterten Preismoratoriums die Klägerin in ihren Grundrechten. Die Regelungen in § 130a Abs. 3a SGB V zum Preismoratorium seien mithin verfassungswidrig.

Mit Schreiben vom 21. März 2019 wies das Gericht die Beteiligten darauf hin, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit an das nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG zuständige Sozialgericht Lübeck zu verweisen. Die Beteiligten wandten sich gegen die beabsichtigte Verweisung und begründeten dies u.a. damit, dass die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG gegeben sei. Die im Klageantrag genannte genaue Abschlagshöhe für das Arzneimittel sei vom Beklagten aufgrund des Leitfadens berechnet worden. Zudem habe die Klägerin zur Begründung ihrer Klage unter anderem geltend gemacht, dass der Beklagte seinen Regelungspflichten in dem Leitfaden nicht ausreichend nachgekommen sei (u.a. keine Berücksichtigung der Tagesdosen (DDD) und der Indikation des Arzneimittels). Auch hieraus ergebe sich, dass es in dem Rechtsstreit wesentlich um den Leitfaden gehe.

II.

Nach Anhörung der Beteiligten hatte sich das Sozialgericht Berlin gemäß § 98 S. 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 2 S. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) von Amts wegen für örtlich unzuständig zu erklären, und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht Lübeck zu verweisen.

Gemäß § 57 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Klägerin, den diese in R. hat, einem Ort im Sozialgerichtsbezirk Lübeck. Daher ist nicht das Sozialgericht Berlin, sondern das Sozialgericht Lübeck örtlich zuständig.

Eine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG ist nach Überzeugung der Kammer vorliegend nicht gegeben. Danach ist – sind Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene Streitgegenstand des Verfahrens – das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Kassenärztliche Bundesvereinigung oder Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung ihren Sitz hat, mithin das Sozialgericht Berlin.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Leitfaden des Beklagten um eine Entscheidung handelt, da er jedenfalls nicht Streitgegenstand im Sinne der Norm ist.

Hierfür verlangte die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits für die vor der klarstellenden Gesetzesänderung durch das BUK-NOG vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S 3836) bestehende Fassung des § 57a Abs. 4 SGG ("betreffen") eine qualifizierte Betroffenheit, d.h. die Entscheidung muss selbst und unmittelbar in Streit stehen. Es muss sich also um eine solche Streitigkeit handeln, die sich ausschließlich auf die Ebene der Entscheidung oder des Vertrags auf Bundesebene bezieht (BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S, Rn. 9 sowie Beschluss vom 5. Januar 2012 – B 12 SF 4/11 S Rn. 10; juris). Mit der genannten Gesetzesänderung ("Streitgegenstand") ist dies nun auch dem Gesetz selbst zu entnehmen (vgl. Groß in Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 5. Aufl. 2017, Rn. 6, 7; zitiert nach beck-online). In der Gesetzesbegründung wird zudem klargestellt, dass Fälle, in denen nur inzident über die Auslegung oder die Wirksamkeit einer Entscheidung gestritten wird, von der besonderen Zuständigkeitsregelung des § 57a Abs. 3 und 4 SGG nicht umfasst sind (BT-Drs. 17/12297 S. 65).

Vorliegend begehrt die Klägerin ausweislich ihres Klageantrags die Feststellung, dass die vom Beklagten für das Arzneimittel A. vorgenommene Festlegung des erweiterten Preismoratorium-Rabattes in der berechneten Höhe rechtswidrig war.

Der Streitgegenstand einer Klage wird bestimmt durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (Bolay in Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 5. Aufl. 2017, Rn. 3; beck-online).

Streitgegenstand der Feststellungsklage ist hier mithin die vom Beklagten konkret berechnete Abschlagspflicht für das von der Klägerin in Verkehr gebrachte Arzneimittel. Auch wenn der Beklagte die konkrete Ermittlung der Abschlagshöhe auf Grundlage seines Leitfadens vorgenommen hat, so ist dieser dadurch nicht unmittelbar streitgegenständlich, sondern seine Wirksamkeit und Auslegung sind lediglich inzident im Rahmen der Rechtmäßigkeit des festgelegten Preismoratoriums für A. zu prüfen. Aus dem Klageantrag und dem zugrundeliegenden Sachverhalt ergibt sich gerade nicht, dass die Klägerin ausschließlich eine (abstrakte) Feststellung hinsichtlich der Gültigkeit des Leitfadens begehrt. Eine hierauf gerichtete Feststellungsklage wäre im Übrigen und ohne, dass es hierauf entscheidend ankommt, wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig, da anders - nämlich wie vorliegend geschehen durch das Vorgehen gegen den konkreten Umsetzungsakt - effektiver Rechtsschutz zu erreichen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 55 Rn. 10d; beck-online).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Beteiligten, dass die Klägerin in ihrer Argumentation unter anderem auf Mängel in den Regelungen des Leitfadens selbst abstellt. Hierbei handelt es sich lediglich um ein weiteres Begründungselement für die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des konkret festgelegten Preismoratoriums, das ggfs. inzident zu prüfen ist. Damit steht jedoch nicht der Leitfaden bzw. seine Rechtsverbindlichkeit oder Wirksamkeit selbst, unmittelbar und ausschließlich in Streit - wie es die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG verlangt und wie durch die Gesetzesänderung klargestellt ist.

Dieser Beschluss, der nach § 17 a Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 GVG ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte, ist unanfechtbar (§ 98 Satz 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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