10 AS 2480/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
10 AS 2480/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch auf Zahlung von Einstiegsgeld (§ 16 b Abs. 1 SGB II) besteht schon dem Grunde nach nicht, wenn die Netto-Einkünfte aus der Beschäftigung die
Höhe der SGB II-Bedarfe um mehr als 10 % übersteigen. Ein finanzieller Anreiz zur Aufnahme einer solchen Beschäftigung ist nicht erforderlich.
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Das Urteil betrifft die Klagen mit den Az.: S 10 AS 2480/18 und S 10 AS 148/19, die mit Beschluss vom 28.03.2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Az.: S 10 AS 2480/18 weiter geführt wurden.

Streitig sind in beiden Verfahren Ansprüche auf Zahlung von Einstiegsgeld.

Az.: S 10 AS 2480/18:

Der 1960 geborene Kläger beantragte am 10.10.2017 die Förderung der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei der F.

Mit Bescheid vom 09.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20.06.2018 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe bereits in den vergangenen Jahren vergleichbare Tätigkeiten ausgeübt. Eine dauerhafte Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt sei dadurch jedoch nicht eingetreten.

Az.: S 10 AS 148/19:

Das Verfahren betrifft den vergleichbaren Antrag vom 29.10.2018. Die Ablehnung erfolgte mit Bescheid vom 07.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2018.

In der mündlichen Verhandlung am 28.03.2019 verweist der Vorsitzende unter Hinweis auf die in der mündlichen Verhandlung ausgereichten Kommentarstellen darauf, dass der Gesetzgeber mit dem Einstiegsgeld eine Anreizfunktion beabsichtigt hat. Das Entschließungsermessen zur Gewährung des Einstiegsgeldes sei im Ergebnis reduziert. Die Leistung sei im Regelfall zu gewähren, wenn die Einkünfte aus der Beschäftigung die Höhe des SGB II-Bedarfs voraussichtlich um höchstens 10 % übersteigen. Im Umkehrschluss sei daraus zu folgern, dass das Einstiegsgeld nicht zu gewähren sei, wenn die Nettobezüge den SGB II-Bedarf um mehr als 10 % übersteigen.

Im vorliegenden Fall erhält der Kläger bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden einen Stundenlohn von 12,22 Euro, wodurch diese Grenze überschritten werde. Die Klagen seien deswegen abzuweisen.

Der Kläger beantragt:

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2018 sowie des Bescheides vom 07.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2018 verurteilt, mir das streitige Einstiegsgeld zu zahlen.

2. Der Beklagte trägt meine außergerichtlichen Kosten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klagen sind form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.

Die Klagen sind jedoch nicht begründet. Einstiegsgeld ist wegen der Höhe des erzielbaren Einkommens nicht erforderlich.

Gemäß § 16 b Abs. 1 SGB II kann zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Das Einstiegsgeld kann auch erbracht werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt. Gemäß Thie im Kommentar von Münder zum SGB II, 6. Auflage 2017, Rdnr.: 12 zu § 16 b SGB II, steht das Einstiegsgeld ("kann") zwar im Ermessen des Leistungsträgers. Das Entschließungsermessen ist aber im Ergebnis reduziert. Wird die vom Gesetzgeber beabsichtigte Anreizfunktion berücksichtigt, ist die Leistung im Regelfall zu gewähren, wenn die Einkünfte aus der Beschäftigung die Höhe der Bedarfe voraussichtlich um höchstens 10 % übersteigen.

Dieser Meinung schließt sich das Gericht an. Einstiegsgeld ist vorliegend schon dem Grunde nach nicht zu gewähren, weil der Kläger in der Tätigkeit, für die das Einstiegsgeld beantragt wurde, einen Stundenlohn von 12,22 Euro bei 30 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit erzielen kann. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden wird üblicherweise auf den Monat hochgerechnet mit 173,3 Stunden. 75 % davon ergeben aufgerundet 130 Stunden. Dies multipliziert mit 12,22 Euro ergibt einen Betrag von abgerundet 1.588,00 Euro brutto. Selbst bei Abzügen von insgesamt 40 % Steuern und Sozialabgaben verbleibt ein Betrag von abgerundet 952,00 Euro netto. Bewilligt wurden dem Kläger mit Bescheid vom 03.04.2017 Leistungen für die Monate Mai 2017 bis Februar 2018 in Höhe von monatlich 709,53 Euro.

Nach Ansicht des Gerichts war ein finanzieller Anreiz für die Aufnahme der beschriebenen Tätigkeit damit nicht erforderlich.

Dementsprechend waren die Klagen wie tenoriert abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Obergerichtliche Rechtsprechung zu der Argumentation des Gerichts ist nicht ersichtlich. Die Rechtssache hat daher grundsätzliche Bedeutung. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz daher zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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