Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 433/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 198/18
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1.10.2015 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 3.5.2016 verurteilt, der Klägerin aufgrund der ärztlichen Verordnung die Kosten für eine podologische Komplexbehandlung in Höhe von insgesamt 120,- Euro (je 15,- Euro, Rechnungen vom 25.1.; 7.4.; 19.5.; 30.6.; 17.8.; 12.10. und 7.12.2016 sowie 2.2.2017) zu zahlen, sowie zukünftig die Kosten für notwendige und verordnete podologische Komplexbehandlungen der aktuell gültigen Vertragssätze entsprechend zu übernehmen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer podologischen Behandlung. Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Klägerin leidet an einer Polyneuropathie, Erysipel am linken Vorfuß, Peroneusparese links, Tetraparese, gleichzeitig pathologisches Nagelwachstum und Hyperkeratose. Aufgrund dieser Erkrankungen verordnete die die Klägerin behandelnde Ärztin, Frau Dr. X., eine podologische Komplexbehandlung, dessen Genehmigung die Klägerin bei der Beklagten beantragte.
Mit Bescheid vom 01.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die podologische Komplexbehandlung sei als Heilmittel zu beurteilen, die Verordnung könne nur auf der Grundlage der Heilmittelrichtlinien von der Krankenkasse genehmigt werden. Die Klägerin erfülle aber nicht die Voraussetzungen für eine Genehmigung. Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016 zurückgewiesen. Nach Abschnitt E, § 27 der Heilmittelrichtlinie seien Maßnahmen der podologischen Therapie nur dann verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Schädigungen am Fuß in Folge der Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Die podologische Therapie kommt nur in Betracht, weil Patientinnen und Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom, die ohne diese Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilstörungen erleiden. Diese Erkrankung läge bei der Klägerin nicht vor. Eine Kostenübernahme sei deshalb nicht möglich. Auch der von der Beklagten eingeschaltete medizinische Dienst der Krankenversicherung befürwortete in seiner Stellungnahme vom 04.01.2016 die Kostenübernahme nicht.
Mit ihrer am 01.06.2016 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Ablehnung und beantragt ihren schriftsätzlichen Ausführungen zur Folge,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für eine podologische Komplexbehandlung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt den schriftlichen Ausführungen zur Folge,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zur Frage, ob die Erkrankung der Klägerin a) eine podologische Behandlung erfordert und b) vergleichbar ist mit einem diabetischen Fußsyndrom durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. med. H., G.hospital N ... Wegen das Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf Bl. 54 ff. der Gerichtsakte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die dem Verfahren beigezogen worden waren.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dazu ihre Zustimmung erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klage ist begründet. Die Klägerin wird beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind. Zu Unrecht hat die Beklagte der Klägerin die Genehmigung der Verordnung für eine podologische Komplettbehandlung durch die die Klägerin behandelnde Ärztin verweigert.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die podologische Fußpflege gemäß der Rechnungen vom 07.04.2016, 19.05.2016, 30.06.2016, 17.08.2016, 12.10.2016 und 25.02.2016 in Höhe von jeweils 15,- Euro gemäß § 13 Abs. 3 SGB V, weil die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und der Klägerin durch die selbst beschaffte Leistung die geltend gemachten Kosten entstanden sind. Darüber hinaus steht der Klägerin auch ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine podologische Komplettbehandlung im notwendigen Umfang im Rahmen der Sachleistungsgewährung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V i. V. m. § 32 Abs. 1 SGB V in verfassungskonformer Auslegung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 3 GG) zu.
Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat der Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung einer selbst beschafften Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, diese Leistung aber notwendig war.
Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung unter anderem die Versorgung mit Heilmitteln. Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln nach Maßgabe des § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB V, soweit sie nicht nach § 34 ausgeschlossen sind.
Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss zur Sicherung der ärztlichen Versorgung die erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten, insbesondere soll der GBA unter anderem Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln beschließen. Unter "Heilmitteln" werden vor allem ärztliche Verordnungen für medizinische Dienstleistungen, wie im vorliegenden Fall die medizinische Fußpflege, verstanden. Für die Klägerin liegt eine ärztliche Heilmittelverordnung zur medizinischen Fußpflege der Klägerin vor. In den Heilmittelrichtlinien sind im Einzelnen die Voraussetzungen für die Verordnung von Heilmitteln geregelt. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Heilmittelrichtlinie (HeilM-RL) sind Maßnahmen der podologischen Therapie verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderung am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Die podologische Therapie kommt nur in Betracht bei Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom, die ohne die Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilungsstörungen erleiden würden. Die Verordnung der podologischen Therapie beim diabetischen Fußsyndrom ist nur zulässig bei vorliegender Neuroparanthese und/oder Angiopathie ohne Hautdefekt (Wagner, Stadium 0, d. h. ohne Hautulkus). Als podologische Komplettbehandlung (Hornhautabtragung, Nagelbearbeitung) ist hier nur zulässig, sofern die gleichzeitige Hornhautabtragung und Nagelbearbeitung medizinisch erforderlich sind.
Nach § 4 Abs. 4 Satz 1 der HeilM-RL dürfen neue Heilmittel oder zugelassene Heilmittel nach Maßgabe dieser Richtlinie zur Behandlung nicht im Heilmittelkatalog genannter Indikationen nur verordnet oder gewährt werden, wenn der GBA zuvor in dieser Richtlinie den therapeutischen Nutzen anerkannt und Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Das Verfahren richtet sich nach der Verfahrensordnung des GBA.
Ein diabetisches Fußsyndrom liegt bei der Klägerin nicht vor. Daher ist nach den Heilmittelrichtlinien grundsätzlich eine podologische Komplettbehandlung nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind jedoch Ausnahmeentscheidungen durch die Gerichte nicht ausgeschlossen. Denn Verbindlichkeit entfalten die Richtlinien unmittelbar nur gegenüber den kassenärztlichen Vereinigung bzw. den Verbänden der Krankenkassen, die in ihren Satzungen entsprechende Bestimmungen aufnehmen müssen (BSGE 63, 163 ff.). Die Richtlinien sind für die Gerichte aber dann nicht maßgeblich, wenn sie auf einer unrichtigen Auslegung höherrangigem Recht beruhen oder ihr Inhalt sachlich unvertretbar ist (BSGE 73, 271 ff., ebenso SG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2015 – S 13 KR 299/14, sowie im Ergebnis LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.02.2015 – L 5 KR 10/15 DER -).
Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin vor. Die Ablehnung des Antrags auf medizinische Fußpflege ist mit dem Recht der Klägerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Erforderlichkeit der medizinischen Fußpflege feststeht. Die Fußpflege kann von der Klägerin nicht selbst durchgeführt werden. Es besteht die unmittelbare und konkrete Gefahr, dass ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden bei der Klägerin auftreten.
Nach dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten durch Prof. Dr. H. besteht an Erkrankungen bei der Klägerin eine Ataxie mit okulomotorischer Apraxie einhergehend mit einer schweren sensomotorischen Polyneuropathie mit ausgeprägten trophischen Störungen und Wundheilungsstörungen im Bereich der Füße. Ferner besteht eine chronische Wunde im Bereich DII/ DIII. Hierbei komme es zu rezidivierenden Wundinfektionen, die im Jahr 2017 mehrfache Krankenhausaufenthalte nach sich gezogen hätten, so war die Klägerin vom 09.12.2017 bis 16.05.2017 in den Christopherus Kliniken aufgrund eines Erysipels am linken Vorfuß bei chronischer Wunde DII und DIII in stationärer Behandlung. Aufgrund der okulomotorischen Ataxie sei die Klägerin auf ihren Rollstuhl angewiesen. Bei der körperlichen Untersuchung seien die Hände verkrampft gewesen und es bestünden Gefühlsstörungen an den Füßen. Darüber hinaus bestünden trophische Störungen an den Unterschenkeln und um die Fußnägel sowie eine chronische fibrin belegte Wunde im Bereich DII / DIII (zwischen der zweiten und der dritten Zehe). Die Klägerin könne aufgrund der Ataxie und okulomotorischen Apraxie ihre Hände bei Fingerdeformitäten nicht ausreichend einsetzen, die Feinmotorik sei gestört, so dass sie selber keine Fußpflege betreiben könne. Aufgrund der chronischen Wunde im Bereich der zweiten und dritten Zehe sowie der autonomen schweren Polyneuropathie der unteren Extremitäten und der trophischen Störungen mit rezidivierenden Wundinfektionen der Füße sei eine podologische Behandlung erforderlich. Das Wagnerstadium 0 beim diabetischen Fußsyndrom mit folgender Polyneuropathie sei als prä- oder postulcerative Läsion deklariert. Die Erkrankung der Klägerin sei mit dem Wagnerstadium 0 mindestens vergleichbar. Es sei eher davon auszugehen, dass ein Wagnerstadium 1 und 2 vorliege. Auch die Klinik für Neurologie des St. K.hospitals in C. habe der Klägerin eine schwere sensomotorische Polyneuropathie mit ausgeprägten trophischen Störungen und Wundheilungsstörungen im Bereich der Füße attestiert. In der Summe könne gesagt werden, dass die Erkrankung vergleichbar sei, wenn nicht schlimmer als ein diabetisches Fußsyndrom mit vorliegender Polyneuropathie. Die Kammer folgt der Beurteilung des Sachverständigen, der auf der Grundlage der eingereichten medizinischen Unterlagen und einer körperlichen Untersuchung sein Gutachten erstellt hat, so dass die Kammer keine Bedenken hatte, sich dieser Beurteilung anzuschließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Berufungsmöglichkeit ist gegeben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer podologischen Behandlung. Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Klägerin leidet an einer Polyneuropathie, Erysipel am linken Vorfuß, Peroneusparese links, Tetraparese, gleichzeitig pathologisches Nagelwachstum und Hyperkeratose. Aufgrund dieser Erkrankungen verordnete die die Klägerin behandelnde Ärztin, Frau Dr. X., eine podologische Komplexbehandlung, dessen Genehmigung die Klägerin bei der Beklagten beantragte.
Mit Bescheid vom 01.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die podologische Komplexbehandlung sei als Heilmittel zu beurteilen, die Verordnung könne nur auf der Grundlage der Heilmittelrichtlinien von der Krankenkasse genehmigt werden. Die Klägerin erfülle aber nicht die Voraussetzungen für eine Genehmigung. Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016 zurückgewiesen. Nach Abschnitt E, § 27 der Heilmittelrichtlinie seien Maßnahmen der podologischen Therapie nur dann verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Schädigungen am Fuß in Folge der Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Die podologische Therapie kommt nur in Betracht, weil Patientinnen und Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom, die ohne diese Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilstörungen erleiden. Diese Erkrankung läge bei der Klägerin nicht vor. Eine Kostenübernahme sei deshalb nicht möglich. Auch der von der Beklagten eingeschaltete medizinische Dienst der Krankenversicherung befürwortete in seiner Stellungnahme vom 04.01.2016 die Kostenübernahme nicht.
Mit ihrer am 01.06.2016 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Ablehnung und beantragt ihren schriftsätzlichen Ausführungen zur Folge,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für eine podologische Komplexbehandlung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt den schriftlichen Ausführungen zur Folge,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zur Frage, ob die Erkrankung der Klägerin a) eine podologische Behandlung erfordert und b) vergleichbar ist mit einem diabetischen Fußsyndrom durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. med. H., G.hospital N ... Wegen das Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf Bl. 54 ff. der Gerichtsakte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die dem Verfahren beigezogen worden waren.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dazu ihre Zustimmung erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klage ist begründet. Die Klägerin wird beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind. Zu Unrecht hat die Beklagte der Klägerin die Genehmigung der Verordnung für eine podologische Komplettbehandlung durch die die Klägerin behandelnde Ärztin verweigert.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die podologische Fußpflege gemäß der Rechnungen vom 07.04.2016, 19.05.2016, 30.06.2016, 17.08.2016, 12.10.2016 und 25.02.2016 in Höhe von jeweils 15,- Euro gemäß § 13 Abs. 3 SGB V, weil die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und der Klägerin durch die selbst beschaffte Leistung die geltend gemachten Kosten entstanden sind. Darüber hinaus steht der Klägerin auch ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine podologische Komplettbehandlung im notwendigen Umfang im Rahmen der Sachleistungsgewährung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V i. V. m. § 32 Abs. 1 SGB V in verfassungskonformer Auslegung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 3 GG) zu.
Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat der Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung einer selbst beschafften Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, diese Leistung aber notwendig war.
Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung unter anderem die Versorgung mit Heilmitteln. Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln nach Maßgabe des § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB V, soweit sie nicht nach § 34 ausgeschlossen sind.
Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss zur Sicherung der ärztlichen Versorgung die erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten, insbesondere soll der GBA unter anderem Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln beschließen. Unter "Heilmitteln" werden vor allem ärztliche Verordnungen für medizinische Dienstleistungen, wie im vorliegenden Fall die medizinische Fußpflege, verstanden. Für die Klägerin liegt eine ärztliche Heilmittelverordnung zur medizinischen Fußpflege der Klägerin vor. In den Heilmittelrichtlinien sind im Einzelnen die Voraussetzungen für die Verordnung von Heilmitteln geregelt. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Heilmittelrichtlinie (HeilM-RL) sind Maßnahmen der podologischen Therapie verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderung am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Die podologische Therapie kommt nur in Betracht bei Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom, die ohne die Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilungsstörungen erleiden würden. Die Verordnung der podologischen Therapie beim diabetischen Fußsyndrom ist nur zulässig bei vorliegender Neuroparanthese und/oder Angiopathie ohne Hautdefekt (Wagner, Stadium 0, d. h. ohne Hautulkus). Als podologische Komplettbehandlung (Hornhautabtragung, Nagelbearbeitung) ist hier nur zulässig, sofern die gleichzeitige Hornhautabtragung und Nagelbearbeitung medizinisch erforderlich sind.
Nach § 4 Abs. 4 Satz 1 der HeilM-RL dürfen neue Heilmittel oder zugelassene Heilmittel nach Maßgabe dieser Richtlinie zur Behandlung nicht im Heilmittelkatalog genannter Indikationen nur verordnet oder gewährt werden, wenn der GBA zuvor in dieser Richtlinie den therapeutischen Nutzen anerkannt und Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Das Verfahren richtet sich nach der Verfahrensordnung des GBA.
Ein diabetisches Fußsyndrom liegt bei der Klägerin nicht vor. Daher ist nach den Heilmittelrichtlinien grundsätzlich eine podologische Komplettbehandlung nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind jedoch Ausnahmeentscheidungen durch die Gerichte nicht ausgeschlossen. Denn Verbindlichkeit entfalten die Richtlinien unmittelbar nur gegenüber den kassenärztlichen Vereinigung bzw. den Verbänden der Krankenkassen, die in ihren Satzungen entsprechende Bestimmungen aufnehmen müssen (BSGE 63, 163 ff.). Die Richtlinien sind für die Gerichte aber dann nicht maßgeblich, wenn sie auf einer unrichtigen Auslegung höherrangigem Recht beruhen oder ihr Inhalt sachlich unvertretbar ist (BSGE 73, 271 ff., ebenso SG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2015 – S 13 KR 299/14, sowie im Ergebnis LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.02.2015 – L 5 KR 10/15 DER -).
Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin vor. Die Ablehnung des Antrags auf medizinische Fußpflege ist mit dem Recht der Klägerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Erforderlichkeit der medizinischen Fußpflege feststeht. Die Fußpflege kann von der Klägerin nicht selbst durchgeführt werden. Es besteht die unmittelbare und konkrete Gefahr, dass ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden bei der Klägerin auftreten.
Nach dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten durch Prof. Dr. H. besteht an Erkrankungen bei der Klägerin eine Ataxie mit okulomotorischer Apraxie einhergehend mit einer schweren sensomotorischen Polyneuropathie mit ausgeprägten trophischen Störungen und Wundheilungsstörungen im Bereich der Füße. Ferner besteht eine chronische Wunde im Bereich DII/ DIII. Hierbei komme es zu rezidivierenden Wundinfektionen, die im Jahr 2017 mehrfache Krankenhausaufenthalte nach sich gezogen hätten, so war die Klägerin vom 09.12.2017 bis 16.05.2017 in den Christopherus Kliniken aufgrund eines Erysipels am linken Vorfuß bei chronischer Wunde DII und DIII in stationärer Behandlung. Aufgrund der okulomotorischen Ataxie sei die Klägerin auf ihren Rollstuhl angewiesen. Bei der körperlichen Untersuchung seien die Hände verkrampft gewesen und es bestünden Gefühlsstörungen an den Füßen. Darüber hinaus bestünden trophische Störungen an den Unterschenkeln und um die Fußnägel sowie eine chronische fibrin belegte Wunde im Bereich DII / DIII (zwischen der zweiten und der dritten Zehe). Die Klägerin könne aufgrund der Ataxie und okulomotorischen Apraxie ihre Hände bei Fingerdeformitäten nicht ausreichend einsetzen, die Feinmotorik sei gestört, so dass sie selber keine Fußpflege betreiben könne. Aufgrund der chronischen Wunde im Bereich der zweiten und dritten Zehe sowie der autonomen schweren Polyneuropathie der unteren Extremitäten und der trophischen Störungen mit rezidivierenden Wundinfektionen der Füße sei eine podologische Behandlung erforderlich. Das Wagnerstadium 0 beim diabetischen Fußsyndrom mit folgender Polyneuropathie sei als prä- oder postulcerative Läsion deklariert. Die Erkrankung der Klägerin sei mit dem Wagnerstadium 0 mindestens vergleichbar. Es sei eher davon auszugehen, dass ein Wagnerstadium 1 und 2 vorliege. Auch die Klinik für Neurologie des St. K.hospitals in C. habe der Klägerin eine schwere sensomotorische Polyneuropathie mit ausgeprägten trophischen Störungen und Wundheilungsstörungen im Bereich der Füße attestiert. In der Summe könne gesagt werden, dass die Erkrankung vergleichbar sei, wenn nicht schlimmer als ein diabetisches Fußsyndrom mit vorliegender Polyneuropathie. Die Kammer folgt der Beurteilung des Sachverständigen, der auf der Grundlage der eingereichten medizinischen Unterlagen und einer körperlichen Untersuchung sein Gutachten erstellt hat, so dass die Kammer keine Bedenken hatte, sich dieser Beurteilung anzuschließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Berufungsmöglichkeit ist gegeben.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved