S 2 KR 241/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 KR 241/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine elektronische Gesundheitskarte im Sinne von § 291 SGB V auszuhändigen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Aushändigung der elektrischen Gesundheitskarte im Streit.

Der im Jahre 1965 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Aufgrund von Beitragsrückständen ruhen die Leistungsansprüche seit 1.9.2007. In der Vergangenheit erhielt der Kläger jeweils Anspruchsnachweise zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Im Frühjahr 2017 begehrte er die Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 8.3.2017, dass die Leistungsansprüche nach § 16 Abs. 3a SGB V wegen Beitragsrückständen ruhten. Vor diesem Hintergrund würden nur Leistungen für dringende, medizinisch notwendige Behandlungen erbracht. Eine elektronische Gesundheitskarte werde nicht ausgehändigt, weil es technisch derzeit nicht möglich sei, das Leistungsruhen auf der Karte zu vermerken. Dem entsprechend übersandte sie zeitgleich einen "Anspruchsnachweis zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände". Der Kläger beantragte daraufhin am 13.04.2017 vor dem Sozialgericht Wiesbaden (S 2 KR 169/17 ER) im Wege des einsteiligen Rechtsschutzes die Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte. Er bestritt, dass es technisch nicht möglich sei das Ruhen auf der Karte zu speichern. Nach § 291 SGB V werde jedem Versicherten die Gesundheitskarte ausgestellt. Berechtigungsscheine oder Anspruchsnachweise, wie in der Vergangenheit, seien rechtlich nicht vorgesehen. Soweit in § 15 Abs. 3 SGB V Berechtigungsscheine aufgeführt seien, beträfen diese "andere Leistungen" für medizinische Hilfsberufe. Das Vorenthalten der elektronischen Gesundheitskarte stelle einen Grundrechtseingriff dar, da es an einer gesetzlichen Regelung fehle. Die Antragsgegnerin und jetzige Beklagte war dem entgegengetreten mit der Begründung, dass der Mindestschutzstandard für den Kläger durch Aushändigung des Berechtigungsscheines gewährleistet sei. Die Krankenkasse sei nicht verpflichtet eine elektronische Gesundheitskarte auszustellen, wenn auf dieser Informationen zum Ruhen technisch noch nicht gespeichert werden könnten. Das Gericht hat durch Beschluss vom 09.05.2017 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt mit der Begründung, dass kein Anordnungsgrund bestehe, da der Antragsteller aktuell über einen Berechtigungsschein verfüge.

Mit seiner an 29.05.2017 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangenen Klage begehrt der Kläger nunmehr im Hauptsacheverfahren die Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte und verweist auf sein Vorbringen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Er bestreitet, dass eine Speicherung auf der elektronischen Karte nicht möglich sei. Im Übrigen seien die Versicherten nach § 15 Abs. 2 SGB V verpflichtet, ihre elektronische Gesundheitskarte vor Inanspruchnahme ärztlicher, zahnärztlicher oder psychotherapeutischer Behandlung dem Arzt vorzulegen. Ein Berechtigungsschein sei nach § 15 Abs. 3 SGB V für "andere" Leistungen vorgesehen als die in Abs. 2 genannten Leistungen. In der Vergangenheit sei es so gewesen, dass er dringenden Behandlungsbedarf wegen vereiterter Zähne gehabt habe. Er habe etliche Zahnärzte aufgesucht, die sich aber geweigert hätten, ihn ohne Vorlage einer elektronischen Gesundheitskarte zu behandeln. Der Kläger legt auch sein Schreiben an die Beklagte vom 19.02.2016 vor, in dem er die Beklagte darauf hinweist, dass er keine Zahnärzte gefunden habe, die ihn ohne Vorlage der elektronischen Gesundheitskarte behandeln würden.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm eine elektronische Gesundheitskarte i.S.d. § 291 SGB V auszuhändigen, hilfsweise ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, inwieweit auf die elektronische Gesundheitskarte das Vermerke des Ruhens der Leistung aus technischen nicht möglich sein solle.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass sie zur Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte bei Ruhen der Leistungsansprüche nicht verpflichtet sei. Es sei bislang aus technischen Gründen nicht möglich, auf der Gesundheitskarte das Ruhen der Leistungsansprüche zu vermerken.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31.10.2018 auch in Abwesenheit der Beklagten entscheiden, da diese mitgeteilt hat, den Termin nicht wahrzunehmen und darauf hingewiesen wurde, dass auch in ihrer Abwesenheit entschieden werden kann.

Die erhobene Klage ist als echte Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Eine Leistungs- und Verpflichtungsklage ist vorliegend nicht erforderlich. Ein Verwaltungsakt seitens der Beklagten liegt nicht vor. Die Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte stellt ein reines Verwaltungshandeln dar. Wenn materiell- rechtlich ein Anspruch auf die Leistung besteht, ist die echte Leistungsklage die richtige Klageart.

Die insoweit zulässige Klage ist auch begründet. Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers stellt § 15 Abs. 6 i.V.m. § 291 SGB V dar. Danach stellt die Krankenkasse für jeden Versicherten eine elektronische Gesundheitskarte aus. Nach § 291 Abs. 2 Satz 2 SGB V kann über die Angaben nach Satz 1 hinaus die elektronische Gesundheitskarte auch in den Fällen des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 3a SGB V Angaben zum Ruhen des Anspruchs auf Leistungen enthalten. Vorliegend ist zwar die Situation gegeben, dass der Leistungsanspruch des Klägers seit 01.09.2007 ruht. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Nach § 15 Abs. 6 Satz 1 SGB V hat der Kläger indes gleichwohl einen Anspruch auf Ausstellung der elektronischen Gesundheitskarte. Die Ausgabe dieser Karte ist kein Verwaltungsakt über das Bestehen des Versicherungsverhältnisses (BSG, Beck RS 2005, 42765). Vielmehr stellt die elektronische Gesundheitskarte nach § 291 SGB V für die Versicherten einen Nachweis für die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen gegenüber den ärztlichen, zahnärztlichen und psychotherapeutischen Leistungserbringern dar und ermöglicht diesen die Identifizierung des Patienten. Es handelt sich bei der Karte um ein Ausweispapier und nicht um ein Wertpapier oder ein Legitimationspapier, da keine bestimmte Forderung verbrieft wird (für Vorstehendes s. Schlegel/Voelzke in juris-PK § 15 SGB V, Rz. 24). Soweit zum Teil die Auffassung vertreten wird, dass es aufgrund der Formulierung "kann" in § 291 Abs. 2 Satz 2 SGB V im Organisationsermessen der Krankenkasse liege, ob sie Versicherten, deren Anspruch auf Leistungen wegen eines Beitragsrückstandes ruht, eine Krankenversicherungskarte mit Angaben zum Ruhen des Anspruchs oder einen anderen Legitimationsnachweis ausstellen (vgl. Beschluss des SG Dresden vom 10.03.2014, Az. S 18 KR 87/14 ER – juris), folgt dem das erkennende Gericht nicht. Vielmehr sieht es die Beklagte in der Pflicht, einem Missbrauch der elektronischen Gesundheitskarte durch geeignete Maßnahmen vorzubeugen, indem bei ruhenden Leistungsansprüchen eine entsprechende Kennzeichnung auf der elektronischen Gesundheitskarte angebracht wird (so auch Beschluss des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 18.07.2017 – L 9 KR 274/17 B ER -). Nach Überzeugung des Gerichtes kann eine Krankenkasse einem Versicherten die Ausstellung der elektronischen Gesundheitskarte nicht deshalb verweigern, weil sein Anspruch auf Leistungen wegen Beitragsrückständen ruht (ebenso Scholz, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht § 15 SGB V, Rdnr. 13, Kasseler Kommentar – Leopold, § 291 SGB V, Rdnr. 5). Aus der Regelung des § 291 Abs. 2 Satz 2 SGB V ergibt sich, dass die elektronische Gesundheitskarte in den Fällen des Ruhens nach § 16 Abs. 3a SGB V Angaben zum Ruhen des Anspruchs auf Leistungen enthalten kann. Daraus ist zu schließen, dass eine Krankenkasse die elektronische Gesundheitskarte auch solchen Versicherten ausstellen muss, deren Leistungsansprüche ruhen, diese jedoch mit entsprechenden Angaben versehen kann, um die Verwendung der Karte auf die in § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V genannten Leistungen durch die Leistungserbringer zu begrenzen (vgl. Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). Die Formulierung im Gesetzestext "kann" stellt kein Einräumen eines Ermessens dahin dar, dass sie einem Missbrauch der elektronischen Gesundheitskarte im Falle ruhender Leistungsansprüche wahlweise entweder durch eine entsprechende elektronische Kennzeichnung der elektronischen Gesundheitskarte oder durch die Vorenthaltung einer solchen, kombiniert mit der Ausgabe von Berechtigungsscheinen, begegnen kann. Denn § 15 Abs. 2 SGB V sieht für die Inanspruchnahme ärztlicher, zahnärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung andere Berechtigungsnachweise als die elektronische Gesundheitskarte nicht vor.

Auch die Möglichkeit Berechtigungsscheine auszustellen, ist gesetzlich exakt geregelt. Gemäß § 291 Abs. 2 S. 2 SGB V können Berechtigungsscheine für die Inanspruchnahme anderer als ärztlicher oder zahnärztlicher Leistungen ausgestellt werden. Hierbei handelt es sich insbesondere um Berechtigungsscheine bei Hilfsmitteln, Heilmitteln, häuslicher Krankenpflege, Krankenhausbehandlung, Soziotherapie, Haushaltshilfe, Krankentransport, sozialpädiatrische Leistungen, Früherkennungsuntersuchungen und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation (vgl. Bundestags- Drucks. 11/2237, Seite 164).

Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber allein die Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte vorgesehen hat, ergibt sich für das Gericht, dass vorliegend auch der Kläger die Aushändigung einer elektronischen Gesundheitskarte verlangen kann. Soweit er vorträgt, dass die Zahnärzte seine Behandlung verweigert hätten, erscheint dies nachvollziehbar. Denn Anlage 10 zum Bundesmantelvertrag- Zahnärzte (BMV-Z) beinhaltet die "Vereinbarung zum Inhalt und zur Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte" zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. In § 4 dieser Vereinbarung ist geregelt, dass als Krankenversicherungsnachweis die elektronische Gesundheitskarte vorzulegen ist und die Krankenversicherungskarte spätestens ab 1.1.2015 keine Gültigkeit mehr hat. Einen Anspruchsnachweis erteilt die Krankenkasse nach § 4 Abs. 2 S. 2 der Vereinbarung nur im Ausnahmefall, beispielsweise zur Überbrückung von Übergangszeiten, bis der Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte erhält. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die Zahnärzte den Kläger nicht ohne Vorlage einer entsprechenden elektronischen Gesundheitskarte behandeln wollten.

Angesichts des Umstandes, dass die elektronische Gesundheitskarte bereits seit 1.1.2015 eingeführt ist, ist es nicht nachvollziehbar, dass bis Ende des Jahres 2018 keine Möglichkeit einer Speicherung des Ruhens der Leistungen nach § 16 SGB V möglich sein soll. Selbst wenn dies indes der Fall sein sollte, kann dieses technische Unvermögen nicht zu Lasten der Versicherten gehen.

Die Krankenkassen sind zwar nach § 15 Abs. 6 S. 2 SGB V verpflichtet, einem Missbrauch der Karten durch geeignete Maßnahmen vorzubeugen. Dies bezieht sich jedoch primär auf die unkontrollierte Mehrfachinanspruchnahme ärztlicher Leistungen (sog. "Doctor-hopping") sowie die Nutzung der Karte durch mehrere Personen ("Chipkartentourismus") (vgl. Schlegel-Voelzke in Juris-PK § 15 SGB V Rz.28). Das Leistungsruhen nach § 16 SGB Abs. 3 a V hatte der Gesetzgeber dabei nicht im Blick. Ansonsten hätte er die Möglichkeit einer entsprechenden Datenspeicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte nicht gesondert - in § 291 Abs. 2 S. 2 SGB V - geregelt.

Die Kostenentscheidung beruht § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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