S 25 AS 8/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 8/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 368/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme der tatsächlichen Kosten seiner Wohnung durch den Beklagten.

Der 1951 geborene Kläger wohnt allein in einer 59,77 m² großen Mietwohnung. Zunächst betrug die monatliche Grundmiete 300 EUR und ab dem 1. November 2013 328,75 EUR. Die monatlichen Betriebskostenvorauszahlungen betrugen 65,50 EUR. Die Heizkostenvorauszahlungen betrugen 85 EUR monatlich.

Im Verfahren S 25 AS 903/10 hatte sich der Beklagte verpflichtet, die Kosten dieser Wohnung in Höhe von damals 425 EUR monatlich zu übernehmen. Zuvor war der Kläger in diese Wohnung umgezogen, da seine vorherige Wohnung verkauft werden sollte.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum Februar bis Juli 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei betrugen die Kosten der Unterkunft und Heizung 414,58 EUR monatlich. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 wies der Beklagte den Kläger auf die unangemessenen Kosten seiner Wohnung hin und hörte ihn zu einer Absenkung an.

Nachdem eine Reaktion des Klägers nicht erfolgte, forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 2013 dazu auf, die Kosten seiner Wohnung auf den angemessenen Betrag von 304,72 EUR (Bruttokaltmiete) bis zum 30. Juni 2013 zu senken.

Für den nächsten Bewilligungszeitraum ab dem 1. August 2013 bis Januar 2014 bewilligte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 28. Juni 2013 unveränderte Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 414,58 EUR monatlich.

Nachdem der Kläger auf die Erhöhung seiner Miete hingewiesen hatte, lehnte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 29. Oktober 2013 die Gewährung von höheren Kosten der Unterkunft ab, bezog aber rückwirkend Heizkosten von 85 EUR monatlich in die Berechnung ein und gewährte für den Zeitraum von August 2013 bis Januar 2014 Kosten für Unterkunft und Heizung von 422,58 EUR monatlich. Gleichzeitig erfolgte eine weitere Anhörung zur Kostensenkung und mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 eine weitere Kostensenkungsaufforderung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2013 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Änderungsbescheid vom 29. Oktober 2013 als unbegründet zurück.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 6. Januar 2014 eingegangenen Klage.

Der Kläger hält das Konzept des kommunalen Trägers des Beklagten zur Ermittlung der angemessenen Kosten für Unterkunft für nicht schlüssig. Der Gutachterausschuss der Stadt Gießen habe bereits 2013 eine Durchschnittsmiete von 7,20 EUR/m2 ermittelt.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 29. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2013 zu verurteilen, dem Kläger höhere Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum August 2013 bis Januar 2014 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält das Konzept für schlüssig. Freie Wohnungen müssten dem Kläger ohnehin erst dann nachgewiesen werden, wenn ausreichende Suchbemühungen nachgewiesen würden. Dies sei nicht der Fall.

Das Gericht hat die "Mietwerterhebung zur Ermittlung der KdU-Richtwerte im Landkreis Gießen", den Bericht über die Anpassung der KdU-Richtwerte 2014, den Bericht über die Berechnung ohne die Jobcenter-Mieten und den Bericht über die Anpassung der Angemessenheitsgrenzen unter Berücksichtigung der geänderten Grundflächen vom 22. Juli 2014 beigezogen.

Das Gericht hat die Ermittlungen bei der C. A-Stadt GmbH in den Verfahren S 25 AS 331/15 ER und S 25 AS 496/15 ER zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat den Streitgegenstand wirksam auf die Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt. Der angegriffene Änderungsbescheid vom 29. Oktober 2013 trifft eine Regelung zu der Höhe der Leistungen für den Zeitraum August 2013 bis Januar 2014, so dass die Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung für diesen Zeitraum hier streitgegenständlich ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme höherer Kosten für Unterkunft und Heizung für den hier streitgegenständlichen Zeitraum.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Der Bedarf des Klägers in Höhe von insgesamt 450,50 EUR für den Zeitraum August bis Oktober 2013 (300 EUR Grundmiete, 65,50 EUR Betriebskostenvorauszahlung und 85 EUR Heizkostenvorauszahlung) und ab dem 1. November 2013 in Höhe von 479,25 EUR aufgrund der um 28,75 EUR erhöhten Grundmiete ist nicht angemessen. Er überschreitet die durch den Beklagten richtig ermittelte Angemessenheitsgrenze von 389,72 EUR (304,72 Bruttokaltmiete, 85 EUR tatsächliche Heizkosten).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein schlüssiges Konzept zugrunde liegen, um die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit des Ergebnisses zu ermöglichen.

Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum. Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt: Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten Vergleichsraum und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), eine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Beobachtung (z.B. welche Art von Wohnungen Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete, Differenzierung nach Wohnungsgröße) muss gegeben sein, es müssen Angaben über den Beobachtungszeitraum vorliegen, die Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z. B. Mietspiegel) muss festgelegt sein, der Umfang der erhobenen Daten muss repräsentativ sein, die Validität der Datenerhebung muss gewährleistet sein, die anerkannten mathematisch-statistischen Grundsätze der Datenauswertung müssen eingehalten werden und es müssen Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze) vorliegen (vgl. z. B. BSG vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R – Juris-Rn. 19 = BSGE 104, 192).

Das Konzept des Beklagten entspricht diesen Vorgaben (vgl. auch Hessisches Landessozialgericht vom 6. November 2013 – L 4 SO 166/13 B ER – Juris-Rn. 40 ff).

Das Konzept des Beklagten teilt den Landkreis Gießen in vier als Wohnungsmarkttypen (Wohnungsmarkttyp I: Allendorf (Lumda), Biebertal, Buseck, Langgöns, Lollar, Rabenau, Reiskirchen, Staufenberg, Wohnungsmarkttyp II: Fernwald, Heuchelheim, Lich, Linden, Pohlheim, Wettenberg, Wohnungsmarkttyp III: Gießen, Wohnungsmarkttyp IV: Grünberg, Hungen, Laubach) bezeichnete räumliche Einheiten im Wege einer Clusteranalyse. Die Wohnungsmarkttypen bilden nach der schlüssigen Darstellung der Mietwerterhebung Vergleichsräume mit einem weitgehend homogenen Mietpreisniveau. Als Indikatoren wurden die Bevölkerungsentwicklung, die Bevölkerungsdichte, die Siedlungsstruktur, die Neubautätigkeit in einer Kommune, das Pro-Kopf-Einkommen, der Bodenpreis und die Zentralität sowie die jeweilige Mietstufe nach dem Wohngeldgesetz berücksichtigt. Die Stadt Gießen bildet allein den Wohnungsmarkttyp III, als charakteristisch beschrieben werden insoweit deutlich überdurchschnittliche Bodenpreise, die klar überdurchschnittliche Bevölkerungsentwicklung, die Siedlungsstruktur mit dem höchsten Anteil an Mehrfamilienhäusern sowie – bedingt durch einen hohen Bevölkerungsanteil an Studenten – das unterdurchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen. Diese Einteilung begegnet – jedenfalls für das hier relevante Gebiet der Stadt Gießen (Wohnungsmarkttyp III) – keinen durchgreifenden Bedenken (so auch Hessisches Landessozialgericht vom 6. November 2013 – L 4 SO 166/13 B ER – Juris-Rn. 40 ff). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss ein Vergleichsraum einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung umfassen, um ein entsprechendes Wohnungsangebot aufzuweisen und die notwendigen abstrakten Ermittlungen zu ermöglichen. Des Weiteren muss er aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur, insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit, einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden. Die Bildung zu kleiner Vergleichsräume birgt das Risiko einer Ghettoisierung (BSG vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 132/10 R – Juris-Rn. 25). Ein kleinerer Vergleichsraum als das Stadtgebiet kommt nicht in Betracht, da Gießen über ein geschlossenes Stadtbild verfügt und auch die eher ländlich geprägten Stadtteile Kleinlinden, Allendorf, Rödgen und Lützellinden durch den Stadtbus gut angebunden sind. Die Orientierung an den kommunalen Grenzen erscheint dabei sinnvoll, zumal diese auch tatsächlich für die Einbindung in den öffentlichen Nahverkehr (Stadtbus) eine Bedeutung haben. Ob gegebenenfalls ein noch größerer Vergleichsraum zu bilden gewesen wäre, kann dahinstehen bleiben, da es in einem größeren Vergleichsraum aufgrund der niedrigeren Mietkosten in den Umkreisgemeinden zu einem geringeren Wert für die Angemessenheitsgrenze gekommen wäre und der Kläger deshalb dadurch nicht beschwert wird.

Die Datengrundlage bilden die Bestandsmieten. Dabei wurden, wie vom Bundessozialgericht gefordert (BSG vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R – Juris-Rn. 21 = SozR 44200 § 22 Nr. 70 m.w.N.), sogenannte Substandardwohnungen (ohne Bad oder Sammelheizung), aber auch Wohnungen des Luxussegments, unberücksichtigt gelassen. Dass Wohnungen unter 35 m² oder in Wohn- und Pflegeheimen, gewerblich oder teilgewerblich genutzte Wohnungen, mietpreisreduzierte Werkswohnungen und Wohnungen mit sog. Freundschaftsmieten ebenfalls nicht einbezogen wurden, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Zwar mag die Untergrenze von 35 m² dazu führen, dass Wohnungen mit einem hohen Preis pro Quadratmeter nicht in die Berechnung einfließen, doch ist es nachvollziehbar, dass eine Untergrenze angesetzt werden muss, damit keine Wohnungen berücksichtigt werden, die wegen der zu geringen Größe nicht mehr zumutbar sind. Die Festlegung einer bestimmten Grenze ist dabei zwangsläufig beliebig. Verstärkt wird der Eindruck der Beliebigkeit dadurch, dass in anderen – insbesondere ostdeutschen Städten – mit einem hohen Anteil sehr kleiner Wohnungen üblicherweise eine Untergrenze von nur 30 m² angesetzt wird. Allerdings darf aber nicht übersehen werden, dass für die Frage der Zumutbarkeit einer bestimmten Wohnungsgröße das regional Übliche und damit die Vorgaben des regionalen Wohnungsmarktes durchaus eine Rolle spielen können.

Die Erhebung der Daten durch Befragung von Großvermietern und –verwaltern und zufällig ermittelten Kleinvermietern und die Aufnahme der Daten des Beklagten sind ebenfalls nicht zu bestanden. Auch wenn mehr als vier Jahre alte Bestandsmieten ausgewertet worden wären, würde dies nicht zu einer Unschlüssigkeit des Konzepts führen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein Konzept ausschließlich auf Bestandsmieten basieren (BSG vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R – Juris-Rn. 30 = NZS 2014, 149). Dies ist auch folgerichtig, da das Konzept nicht nur dazu dient, die Angemessenheitsgrenzen bei Neuanmietungen zu ermitteln, sondern auch die Prüfung der Angemessenheit von Bestandsmieten ermöglichen soll. Dabei ist es nicht erforderlich, die Bestandsmieten nach der Vertragslaufzeit zu differenzieren. Auch langlaufende Mietverträge bilden, jedenfalls so lange sie zum Erhebungszeitraum noch bestehen, den örtlichen Wohnungsmarkt ab. Der Rückgriff auf Bestandsmieten ist auch deshalb unproblematisch, da das Konzept auf andere Weise auf die Problematik der Neuanmietungen eingeht.

Die Berechnung der Angemessenheitsgrenzen ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Gesamtumfang der erhobenen Wohnungsmieten umfasste 14.806 Mieten, wovon 14.123 Mieten – nach Abzug unvollständig ausgefüllter Fragebögen, Filterfragen bzw. unplausibler Werte – als tabellenrelevant erkannt wurden. Die Angaben wurden den Wohnungsgrößen, wie sie bei der Förderung im sozialen Wohnungsbau relevant sind, zugeordnet, Extremwerte wurden auf der Basis eines 95 % Konfidenzintervalls entfernt und die Angaben über die verbleibenden 13.374 Wohnungen ausgewertet. Bei einem Gesamtwohnungsstand (nicht nur Mietwohnungen) von 123.317 Wohnungen im Landkreis hat das Gericht an der Repräsentativität des Datenumfangs keine Zweifel. Auch die Berechnungsmethode selbst ist frei von Fehlern. Das Konzept ermittelt die Angemessenheitsgrenzen nicht am Standard der Wohnungen, sondern daran, wie viele Wohnungen benötigt werden, um den Bedarf bei Leistungsempfängern und Niedriglohnempfängern decken zu können. Dabei wurde anhand der Bestandsmieten geprüft, welches Perzentil erforderlich ist, um bei den Neuvertragsmieten (Abschluss in den letzten neun Monaten nach dem Stichtag 1. Februar 2012 bei den Groß- und Kleinvermietern) ein Perzentil zwischen 10 und 20 zu erreichen. Für das Gebiet der Stadt Gießen ergab sich daraus ein Perzentil der Bestandsmieten von 65 für Ein-Personen-Haushalte und von 50 für Mehr-Personen-Haushalte. Den Zielwert von einem Perzentil von 10 bis 20 bei den Neuvertragsmieten vermag das Gericht allerdings nicht nachzuvollziehen. Es handelt sich um einen definierten Wert ohne empirische Grundlage. Warum sollte der Anteil der Niedriglohn- und Leistungsempfänger bei den Bestandsmieten ein Perzentil von 50 und bei den Neuvertragsmieten nur von 10 bis 20 erfordern? Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Niedriglohn- und Leistungsempfänger weniger häufig umziehen. Allerdings sind an dem Ergebnis trotzdem keine Zweifel angebracht, da es mit einem Perzentil von 50 die Hälfte aller Wohnungen mit Bestandsmieten für Leistungsempfänger zur Verfügung stellt. Das Bundessozialgericht hält hingegen sogar einen pauschalen Anteil von 20 % für möglich (BSG vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R – Juris-Rn. 37 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 70).

Dass die sogenannten Angebotsmieten nicht in die Berechnung eingeflossen sind, begegnet ebenfalls keinen Bedenken (ebenso Hessisches Landessozialgericht vom 6. November 2013 – L 4 SO 166/13 B ER – Juris-Rn. 45). Das Konzept stellt nachvollziehbar dar, dass die Angebotsmieten lediglich ca. 60 % des tatsächlichen Angebotsvolumens ausmachten, weil ca. 40 % des Angebots direkt vermarktet würden. Dabei handele es sich jedoch nicht nur um Mieten, die unter der Hand bzw. unter Freunden angeboten würden. Es handele sich auch um Wohnungen von Wohnungsunternehmen mit Interessentenlisten. Darüber hinaus würden von den Wohnungsunternehmen häufig nur ausgesuchte Wohnungen öffentlich angeboten, was statistisch in aller Regel zu einer Übergewichtung der teureren Wohnungen führe. Darüber hinaus zeige der Vergleich von Angebots- und Vertragsmieten, dass die durchschnittlichen Neuvertragsmieten in der Regel deutlich unterhalb der durchschnittlichen Angebotsmieten lägen, so dass tatsächlich ein wesentlich größeres Wohnungsangebot unterhalb der Richtwerte zur Verfügung stehe, als dies in den ermittelten Angebotsmieten zum Ausdruck komme. Die Nachfrage des Gerichts bei der größten C. in A-Stadt, der C. A Stadt GmbH, hat gezeigt, dass ein sehr erheblicher Teil des Mietwohnungsbestandes in der Stadt A-Stadt auf die C. A-Stadt GmbH entfällt. Diese schaltet regelmäßig keine Wohnungsanzeigen, da sie über ausreichend gefüllte Wartelisten verfügt. Ob der konkrete Anteil der Angebotsmieten an den Neuvertragsmieten tatsächlich 60 % beträgt, ob also tatsächlich 40 % der Neuvertragsmieten ohne allgemein zugängliche Anzeige vermietet werden, spielt keine Rolle. Es ist jedenfalls nachvollziehbar, dass sich das Konzept nicht an den Angebotsmieten, sondern an den Neuvertragsmieten orientiert, zumal ein sehr großer Anteil der Differenz zwischen Neuvertrags- und Angebotsmieten auf die grundsätzlich allgemein zugänglichen Wohnungen der C. entfallen wird.

Die Zusammensetzung des Datenbestandes ist auch nicht fehlerhaft. Während die Bestandsmieten, die aus der Befragung der Groß- und Kleinvermieter ermittelt wurden, nach dem Zufallsprinzip die gesamte Bandbreite des Wohnungsstandards von einfachem bis gehobenem Standard abbilden, ist dies zwar bei den Daten aus dem Bestand des Beklagten nicht zwingend zu erwarten. Da der kommunale Träger inzwischen aber die bereits im Beschluss im Verfahren S 25 AS 859/14 ER geforderte Neuberechnung ohne die Daten aus dem Bestand des Beklagten vorgelegt hat und diese nicht zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen geführt hat, zeigt sich, dass die erwartete Verzerrung durch den möglichen Zirkelschluss nicht vorliegt. Auch ansonsten ist die Datenerhebung nicht zu beanstanden. Es wird weder vorgetragen, noch gibt es irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die durch den kommunalen Träger beauftragte Firma die zu befragenden Vermieter gezielt ausgewählt hat, um eine möglichst geringe Angemessenheitsgrenze zu erzielen.

Gegen die Anpassung der Werte nach zwei Jahren anhand eines Indexes hat das Gericht keine Bedenken. Auch für den qualifizierten Mietspiegel ist in § 558 d Abs. 2 S. 2 BGB vorgesehen, dass ein Mietspiegel anhand des Preisindexes für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte des Statistischen Bundesamtes fortgeschrieben werden kann. Die Anpassung durch den Beklagten geht darüber hinaus, da die Fortschreibung anhand des Indexes über die Mietpreisentwicklung in Hessen die Preisentwicklung genauer trifft, als dies der Verbraucherpreisindex könnte. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Mieten in der Stadt A-Stadt wahrscheinlich stärker steigen, als dies im Landesdurchschnitt der Fall ist. Da aber nach weiteren zwei Jahren ohnehin eine Neuermittlung der Daten erforderlich ist, hält es das Gericht unter Berücksichtigung der Ermittlungskosten für den kommunalen Träger für zumutbar, dass die Angemessenheitsgrenzen für zwei Jahre nicht ganz mit der Preisentwicklung mithalten.

Die Anpassung an die geänderten Wohnungsgrößen zum 3. August 2014 ist nicht zu beanstanden. Es bestand kein Grund – wie vom Kläger gefordert – aus diesem Anlass die Daten neu zu erheben. Eine Neuberechnung war allein auf Grundlage der ordnungsgemäß erhobenen Daten möglich.

Die Ermittlung der kalten Betriebskosten (ohne Wasser) ist ebenfalls fehlerfrei erfolgt. Neben den Grundmieten hat der kommunale Träger auch diese Werte erhoben und nach Kappung um die Extremwerte Mittelwerte berechnet. Die Anpassung der kalten Betriebskosten nach zwei Jahren mittels des entsprechenden Indexes ist nicht zu beanstanden.

Auch die Ermittlung der Wasserkosten begegnet keinen Bedenken. Die Wasserkosten ermittelt der kommunale Träger direkt bei den örtlichen Versorgern und legt einen Verbrauch von 3,62 m3 Wasser pro Person und Monat zugrunde. Dieser Verbrauch wurde aus der aktuellen Wasserbilanz des Regierungspräsidiums Gießen, die für den Landkreis Gießen einen Verbrauch von 119 Litern pro Tag und Einwohner ausweist, entnommen. Hier ist – wie bei den übrigen kalten Nebenkosten – die Annahme eines Mittelwertes nicht zu beanstanden.

Das Konzept musste auch nicht veröffentlicht werden. Eine Publikationspflicht besteht nur für Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung für Dritte (BVerwG vom 25. November 2004 – 5 CN 1/03 – Juris-Rn. 31 = BVerwGE 122, 264 ff). Das Konzept selbst hat diese Wirkung jedenfalls nicht. Es diente nur der Begründung der Verwaltungsvorschrift des kommunalen Trägers für die Kosten der Unterkunft und Heizung (Verwaltungsinterne Handlungsanweisung des Landkreises Gießen zur Ermittlung, Anrechnung und Umsetzung der Kosten der Unterkunft und Heizung). Diese wird von den Mitarbeitern des Beklagten bei der Entscheidung zugrunde gelegt und aus dieser ergeben sich die Werte für die angemessene Bruttokaltmiete, an denen sich die Berechtigten orientieren können. Aber auch die Handlungsanweisung entfaltet selbst keine Außenwirkung. Sie begründet keine Ansprüche, sondern stellt nur das Ergebnis der Ermittlungen des kommunalen Trägers zum Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 SGB II dar (ähnlich Thüringer Landessozialgericht vom 8. Juli 2015 – L 4 AS 718/14 – Juris-Rn. 58, im Ergebnis ebenso SG Augsburg vom 24. November 2015 – S 8 AS 984/15 – Juris-Rn. 40). Der Anspruch der Berechtigten ergibt sich nicht aus der Handlungsanweisung, sondern allein aus dem Gesetz.

Letztlich kann dies aber dahinstehen bleiben, da die Handlungsanweisung ausreichend veröffentlicht ist. Nach § 6 Abs. 1 der Hessischen Landkreisordnung kann die öffentliche Bekanntmachung auch im Internet erfolgen. Unter der Homepage des Beklagten ist die Handlungsanweisung des kommunalen Trägers abrufbar.

Auch die Zweifel des Gerichts, ob das Konzept tatsächlich zu dem Ergebnis führt, dass für den Untersuchungsraum Stadt A-Stadt freie Wohnungen zu den Kriterien des kommunalen Trägers in einem ausreichenden Umfang vorhanden sind, sind inzwischen beseitigt. Ob dies eine Frage der abstrakten Angemessenheit, also der Schlüssigkeit des Konzepts, oder der konkreten Angemessenheit ist, ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bisher nicht geklärt. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts meint, dass Fälle der objektiven Unmöglichkeit der Anmietung einer angemessenen Wohnung nur in Ausnahmefällen auftreten können (BSG vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R – JurisRn. 36 = BSGE 102, 263) und geht damit davon aus, dass die Frage der ausreichenden Anzahl angemessener Wohnungen im Rahmen des Konzepts beantwortet wird. Der 14. Senat folgt diesem Ansatz nur bedingt und nimmt nur in den Fällen, in denen das Konzept auf einem qualifizierten Mietspiegel beruht, an, dass angemessene Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich in ausreichender Anzahl vorhanden sind (BSG vom 13. April 2011 – B 14 AS 106/10 R – Juris-Rn. 30 = SGb 2012, 361). Ob dieser Rückschluss bei Erhebungen, die sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zulässiger Weise nur auf Bestandsmieten stützen dürfen (BSG vom 10. September 2013 – B 4 AS 77/12 R – Juris-Rn. 30 = NZS 2014, 149), tatsächlich zwingend ist, kann letztlich dahinstehen, da die Zweifel des Gerichts an der ausreichenden Anzahl von abstrakt zugänglichen Neuvertragswohnungen durch die Ermittlungen des Gerichts in den Verfahren S 25 AS 331/15 ER und S 25 AS 496/15 ER bei der C. A-Stadt GmbH beseitigt wurden.

Zwar vermag der Beklagte aus der vom kommunalen Träger geführten Angebotsdatenbank regelmäßig nur eine – jedenfalls nach genauer Überprüfung – einstellige Anzahl von angemessenen Angebotsmieten für in der Regel über sechs Monate lange Zeiträume zu benennen, doch zeigen die Nachfragen des Gerichts bei der C. A-Stadt GmbH, dass diese nicht nur in erheblicher Anzahl angemessene Wohnungen im Bestand hat, sondern diese auch in ausreichender Anzahl in den letzten Jahren neu vermietet hat. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Anzahl der angebotenen Wohnungen durch die hohe Zahl der Interessenten (ca. 1.500) erheblich relativiert. Ob der Kläger konkret die Möglichkeit hatte, eine der angebotenen Wohnungen anzumieten, ist eine Frage der konkreten Angemessenheit.

Die Kosten des Klägers waren auch nicht als konkret angemessen anzuerkennen. Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind unangemessene Kosten solange als Bedarf anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach dieser Vorschrift ist zu überprüfen, ob eine Wohnung, die den abstrakten Kriterien entspricht, für den Leistungsberechtigten auf dem Mietmarkt tatsächlich verfügbar und konkret anmietbar war, es ihm also möglich war, die Kosten für die Unterkunft auf das abstrakt angemessene Maß zu senken (konkrete Angemessenheit, BSG vom 17. Oktober 2013 - B 14 AS 70/12 R – Juris-Rn. 29 = BSGE 114, 257). Besondere durch die persönlichen Lebensumstände von Leistungsberechtigten bedingte Bedarfe sind im Rahmen der konkreten Angemessenheit zu berücksichtigen. Gegen die konkrete Angemessenheit des niedrigeren, abstrakt angemessenen Unterkunftsbedarfs und die Zumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen können Gründe sprechen, die auch einem Umzug entgegenstehen wie Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder, Alleinerziehung (BSG vom 16. April 2013 - B 14 AS 28/12 R - juris - Rn. 37).

Die Grundvoraussetzung der konkreten Angemessenheit, dass dem Kläger die Notwendigkeit der Kostensenkung bekannt war, ist erfüllt. Der Beklagte hat den Kläger mit der Kostensenkungsanhörung vom 20. Dezember 2012 und der Kostensenkungsaufforderung vom 15. Januar 2013 ausreichend über die Höhe der angemessenen Kosten informiert.

Der zumutbare Suchbereich beschränkt sich nach Auffassung des Gerichts nicht nur auf das Stadtgebiet Gießen, sondern besteht mindestens auch aus den umliegenden Orten Fernwald, Buseck, Heuchelheim, Linden, Langgöns, Pohlheim, Lich, Wettenberg, Reiskirchen, Lollar und Staufenberg. Das Bundessozialgericht weist zu Recht darauf hin, dass von dem Hilfebedürftigen auch Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinzunehmen sind, wie sie etwa erwerbstätigen Pendlern als selbstverständlich zugemutet werden (BSG vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R – Juris-Rn. 34 = BSGE 102, 263 ff). Im Rahmen der Arbeitsförderung hält der Gesetzgeber in § 140 Abs. 4 S. 2 SGB III Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden (Hin- und Rückweg) für regelmäßig unzumutbar. Dem Kläger wäre also ein Umzug auch im weiteren Umfeld der Stadt Gießen zuzumuten.

Aus dem Altersrentenbezug des Klägers seit dem 1. März 2015 in Höhe von 817,24 EUR folgt ebenfalls keine Unzumutbarkeit des Umzugs. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, an die Zumutbarkeit eines Umzugs dann höhere Anforderungen zu stellen, wenn der Bezug einer Altersrente bevorsteht, doch kann dies – wenn überhaupt – nur dann gelten, wenn dies demnächst der Fall ist und die Rente eine Höhe erreicht, die ein Bezug von Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII ausschließt. Nur dann wird das Ziel, den Hilfebedürftigen in seiner Wohnung zu belassen, da er diese demnächst aus eigenen Mitteln halten kann, erreicht. Hier wäre es dem Kläger zumutbar gewesen, die Wohnung zu wechseln. Zum Zeitpunkt der Kostensenkungsaufforderung im Januar 2013 waren noch über zwei Jahre zu überbrücken. Außerdem ist es bei einem Bedarf von 797,18 EUR sehr wahrscheinlich, dass der Kläger weiterhin einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hat.

Da dem Kläger ein Umzug zumutbar war und er selbst keine Suchbemühungen unternommen hat, vermochte das Gericht auch unter Berücksichtigung der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt der Stadt A-Stadt nicht festzustellen, dass eine Wohnung für den Kläger im Suchgebiet konkret nicht anmietbar war. Auf eine Vorlage von angemessenen Wohnungsangeboten durch den Beklagten kam es nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Berufung war zuzulassen, da hier eine Vielzahl vergleichbarer Verfahren anhängig ist und eine Entscheidung über das Konzept des kommunalen Trägers des Beklagten durch den zuständigen Senat des Hessischen Landessozialgerichts bisher fehlt, §§ 143, 144 SGG.
Rechtskraft
Aus
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