L 8 SB 2440/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 614/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2440/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.06.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "außergewöhnlich gehbehindert" (Merkzeichen "aG") zusteht.

Bei der 1979 geborenen Klägerin war durch das Landratsamt R. (LRA) ein Grad der Behinderung (GdB) vom 90 seit 26.05.2014 festgestellt (Bescheid vom 26.08.2014, Blatt 160/161 der Beklagtenakte; zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: entzündlich-rheumatische Erkrankung, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) (GdB 70); chronische Entzündung des Dickdarms (GdB 30); seelische Erkrankung (GdB 20); Bluthochdruck (GdB 10); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 10); Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation (GdB 20); chronisch venöse Insuffizienz (GdB 10); zur versorgungsärztlichen Stellungnahme vgl. Blatt 158/159 der Beklagtenakte).

Mit dem beim LRA am 15.12.2015 gestellten Antrag (Blatt 165/166 der Beklagtenakte) machte die Klägerin einen höheren GdB sowie die Merkzeichen "G" und "aG" geltend. Sie wies auf eine Osteoporose mit Frakturen RTH6/TH8/TH10 sowie einen Morbus Menière hin.

Das LRA zog vom Internisten Dr. W. Befundbeschreibungen und von der B. BKK Akten und MDK-Gutachten zum Pflegebedarf (dazu vgl. Blatt 169/249 der Beklagtenakte) bei.

Der Versorgungsarzt Dr. M. schätzte in seiner Stellungnahme vom 02.06.2016 (Blatt 250 der Beklagtenakte) den GdB auf 100, bejahte die Voraussetzungen des Merkzeichens "G", verneinte jedoch das Merkzeichen "aG" (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: entzündlich-rheumatische Erkrankung, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose), verheilte Wirbelbrüche (GdB 80); chronische Entzündung des Dickdarms (GdB 30); seelische Störung (GdB 20); Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation (GdB 20); chronisch venöse Insuffizienz (GdB 10); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 10); Menière-Krankheit (GdB 10); Bluthochdruck (GdB 10)).

Das LRA stellte mit Bescheid vom 07.06.2016 (Blatt 251/253 der Beklagtenakte) den GdB mit 100 seit 15.12.2015 sowie das Merkzeichen "G" fest. Die Feststellung des Merkzeichens "aG" wurde abgelehnt.

Mit ihrem Widerspruch vom 13.06.2016 (Blatt 256 der Beklagtenakte) wandte sich die Klägerin gegen die Ablehnung des Merkzeichens "aG". Seit 2002 leide sie an einer sehr schweren Form der rheumatoiden Arthritis und Lupus Erythematodes. Sämtliche großen und kleinen Gelenke und die Wirbelsäule seien von der Erkrankung betroffen. Die Vorfüße seien so stark deformiert, dass es ihr nicht möglich sei, auch nur kleine Strecken ohne sehr große Schmerzen und nur unter größter Anstrengung zurückzulegen. Da sie sehr stark bewegungseingeschränkt sei, sei es für sie mittlerweile unzumutbar, auf öffentlichen Parkplätzen zu parken, wo die Wegstrecken zum Ziel stellenweise so weit seien, dass diese für sie fast nicht mehr zu erreichen seien. Nicht umsonst habe sie die Pflegestufe 1.

Das LRA zog das aktuelle MDK-Gutachten zum Pflegebedarf vom 14.01.2016 (dazu vgl. Blatt 258/271 der Beklagtenakte) und das Attest des Dr. W. vom 29.08.2016 (dazu vgl. Blatt 272 der Beklagtenakte) bei.

Nachdem der Versorgungsarzt Dr. A. in seiner Stellungnahme vom 19.10.2016 (Blatt 273 der Beklagtenakte) ausführte, dass alle Behinderungen erfasst und angemessen bewertet seien sowie der Gang gut möglich sei, wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 28.02.2017, Blatt 276 der Beklagtenakte).

Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Reutlingen am 14.03.2017 zur Niederschrift Klage erhoben. Ihr seien nur kurze Wege und nur mit großer Anstrengung möglich. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sie mit einem GdB von 100 das Merkzeichen nicht bekomme, obwohl doch ein GdB von 80 ausreiche.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für Orthopädie Dr. K. hat in seinem Schreiben vom 08.05.2017 (Blatt 15/16 der SG-Akte) ausgeführt, die unteren Extremitäten seien bei den Vorstellungen bei ihm kein Thema gewesen. Die hier festgestellten Veränderungen führten nicht zu den vergleichsweise berechtigenden Einschränkungen des Gehvermögens. Bei seinen Untersuchungen sei nicht erkennbar gewesen, dass Gehstrecken über 100 m nicht zumutbar wären. Die Fachärztin für Neurologie Dr. U. hat mit Schreiben vom 15.05.017 (Blatt 17/29 der SG-Akte) mitgeteilt, die Gehfähigkeit sei weniger durch die neurologischen als durch die rheumatologischen Symptome eingeschränkt. Eine genaue Aussage über die noch mögliche Gehstrecke sei ihr nicht möglich. Der Internist W. hat angegeben (Schreiben vom 31.05.2017, Blatt 30/132 der SG-Akte), dass das Gehvermögen massiv eingeschränkt sei. Die Klägerin könne keinen Schritt ohne Schmerzen machen. Die Klägerin sei zwar nicht rollstuhlpflichtig oder amputiert. Er halte die Gehfähigkeit aufgrund der massiven Schmerzen für sehr ausgeprägt und die Klägerin sei dem berechtigten Personenkreis gleichzustellen. Dr. H. , Internistin und Rheumatologin hat dem SG geschrieben (Schreiben vom 20.06.2017, Blatt 133/171 der SG-Akte), die Klägerin sei auf Grund ihres schweren Krankheitsverlaufes mit therapieresistenten entzündlichen Veränderungen der unteren Extremitäten (Vorfüße, Sprunggelenke, Kniegelenke) dem berechtigten Personenkreis gleichzustellen, insbesondere in akuten Schubsituationen.

Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 13.11.2017 (Blatt 178/179 der SG-Akte) vorgelegt, der angibt, die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" seien nicht erfüllt. Hiergegen hat sich die Klägerin mit Schreiben vom 03.12.2017 (Blatt 181/186 der SG-Akte) unter Vorlage des Berichts von PD Dr. G. vom 02.10.2017 (Kneibeugeparese recht 4/5; Hüftbeugeparese beidseits 4+/5) gewandt.

Die mündliche Verhandlung vom 10.01.2018 (zur Niederschrift vgl. Blatt 188/189 der SG-Akte) hat das SG zur Einholung eines rheumatologischen Gutachtens vertagt. Der beauftragte Gutachter Prof. Dr. S. , Gelenkzentrum S., hat in seinem Gutachten vom 17.02.2018 (Blatt 192/216 der SG-Akte) u.a. mitgeteilt, aus rheuma-orthopädischer Sicht könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeuges an dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen könne.

Hiergegen hat die Klägerin eingewandt (Schreiben vom 19.03.2018, Blatt 218/219 der SG-Akte), dass sie sich in einem medikamentös nicht ausreichend eingestellten Dauerentzündungsschub befinde. Sie sei dem berechtigten Personenkreis auch nach Meinung ihrer Rheumatologin gleichzustellen.

Mit Urteil vom 13.06.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG".

Gegen das ihr am 29.06.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.07.2018 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Sie habe den Antrag bereits am 15.12.2015 gestellt. Seit 2017 habe sich die Gesetzeslage geändert, man habe nun nur noch Anspruch auf das Merkzeichen "aG", wenn man auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Auch wenn sie ihren Antrag schon am 15.12.2015 gestellt habe, werde immer nur auf die neue Rechtslage Bezug genommen. Sie sei sich auch sicher, dass die Funktionseinschränkungen, die sie vom Rumpf abwärts habe, bereits einen GdB von 80 rechtfertigten. Des Weiteren umfasse die Mobilität des Menschen nicht nur die Gliedmaßen abwärts vom Rumpf. Auch Erkrankungen der Wirbelsäule könnten massive Schmerzen verursachen und genauso in der Mobilität einschränken. Mittlerweile könne sie an schlechten Tagen nur noch mit Gehhilfen gehen. Durch Knie- bzw. Hüftparesen und Muskelatrophien ermüde die Muskulatur sehr schnell und stark. Durch den Morbus Menière leide sie unter wiederkehrenden Schwindelattacken und eingeschränktem Gleichgewichtssinn, welcher einen Dauerschwindel verursache. Nicht umsonst habe Prof. Dr. S. ein internistisches Gutachten angeregt. Soweit das Pflegegutachten von 2016 herangezogen werde, wonach sie in ihrer Wohnung gehfähig sei habe sie da die Möglichkeit, sich überall hinzusetzen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.06.2018 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 07.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.02.2017 zu verurteilen, bei ihr das Merkzeichen "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Grundlage der angefochtenen Entscheidung seien die sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte sowie die Feststellungen des Prof. Dr. S ... Ebenso dokumentierten der Arztbrief der Kreiskliniken R. vom 13.03.2015 und das Pflegegutachten vom 24.11.2016 eine selbständige Gehfähigkeit. Bei Angaben der möglichen Gehstrecke von teils noch über 100 m könne keine derart dauerhaft erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestätigt werden, von der das Merkzeichen "aG" abzuleiten sei. Zudem werde erwähnt, dass der GdB von 80 für die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, der Kalksalzminderung des Knochens und der verheilten Wirbelbrüche nicht allein auf Gesundheitsstörungen, die sich nachteilig auf die Gehfähigkeit auswirken, basiere. Die weiteren Gesundheitsstörungen im Bereich der Schulter- und Ellenbogengelenke, der Handgelenke, Hüft- und Kniegelenke wirkten sich nur gering auf die Gehfähigkeit aus. Maßgebend für die Gehproblematik sei der Befund beider Füße.

Der Senat hat Bewies erhoben durch Einholung eines internistisch-sozialmedizinischen Gutachtens bei Dr. G. sowie eines orthopädisch-chirurgischen Zusatzgutachtens bei Dr. H ... Der Facharzt für Orthopädie Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 10.12.2018 (Blatt 73/113 der Senatsakte; Untersuchung der Klägerin am 05.12.2018) eine seropositive rheumatoide Arthritis, Overlap systemischer Lupus erythematodes. ein Zervikalsyndrom, degenerative Veränderungen im Bereich der Segmente C 3 bis C 5, Bandscheibenvorwölbungen C 3/ 4 und Prolaps C 6/ 7, muskuläre Verspannungen (keine neurologischen Ausfälle), eine Dorsalgie (Zustand nach osteoporotisch bedingten Deckplatteneinbrüchen Brustwirbel Th 6 und Th 10), ein chronisches Lumbalsyndrom (muskuläre Verspannungen, keine neurologischen Ausfälle), eine initiale Gonarthrose beidseits, rheumatische Destruktionen im Bereich beider Hände, rheumatische Destruktionen im Bereich beider Füße (Zustand nach Vorfuß-Operation links am 09.05.2016) und Missempfindungen im Bereich beider Unterschenkel im Rahmen einer vordiagnostizierten Polyneuropathie diagnostiziert. Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen bedingten eine Einschränkung der Mobilität und Gehfähigkeit. Diese sei nicht als "außergewöhnliche Gehbehinderung" in dem Sinne, dass sich die Klägerin wegen der Schwere der Leiden dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (praktisch von den ersten Schritten an) außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen könne, anzusehen. Die Klägerin gehöre nicht zu dem Personenkreis querschnittsgelähmter, doppeloberschenkelamputierter, doppeltunterschenkelamputierter oder hüftexartikulierter und einseitig oberschenkelamputierter Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien. Sie sei auch nicht diesem Personenkreis gleichzustellen. Auf orthopädischem Fachgebiet lägen keine erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen vor. Auch unter Berücksichtigung der nicht das orthopädischem Fachgebiet betreffenden Gesundheitsstörungen lägen keine erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen vor.

Der Internist und Sozialmediziner Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 20.03.2019 (Blatt 46/72 der Senatsakte; Untersuchung der Klägerin am 03.12.2018) hat über die orthopädischen Diagnosen hinaus internistische Diagnosen eine chronisch rheumatoide Arthritis mit Gelenkfehlstellungen, Gelenkdestruktion und erhöhten Entzündungsparameter, eine periphere Neuropathie, eine Autoimmunüberlappung mit systemischem Lupus erythematodes mit Sjögren Syndrom, Colitis ulcerosa und als kortikoidinduzierte Nebenwirkungen eine Osteoporose mit Deckplatteneinbruch TH6, TH10 sowie eine partielle Hypophysenvorderlappeninsuffizienz diagnostiziert. Die eigenen Angaben der Klägerin bei Prof. Dr. S. , wonach sie bei Besuch der Rheumatologin Dr. H. eine Wegstrecke von 300 bis 400 m gezwungenermaßen zu überwinden habe, spreche zunächst gegen ein Merkzeichen "aG". Hinzu komme, dass weder orthopädisch noch internistisch Gelenkkontrakturen beobachtet seien, die das Gehvermögen zum gegenwärtigen Zeitpunkt entscheidend einschränkten. Die Benutzung von Unterarmgehstützen oder eines Rollstuhls seien zum Zeitpunkt der Untersuchung entbehrlich gewesen. Die Klägerin gehöre weder zum berechtigten Personenkreis noch sei sie diesem gleichzustellen. Durch die schmerzhaften Gelenkdestruktionen und Gelenkdeformitäten mit Einschränkung der Gesamtmotilität im Alltagsleben sei die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wesentlich beeinträchtigt; sei es nun die eingeschränkte freie Beweglichkeit beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen aller Art, sei es die Exposition deformierter Hände und Füße in der Öffentlichkeit, sei es die eigene mentale Einschränkung körperlicher Wertminderung. Hinzu komme die vorhandene Sturzgefährdung, die im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöht sei und auf deformierten Gelenken, auf der nachgewiesenen Osteoporose und auf Gefühlsstörungen an den Beinen mit eingeschränkter Feinmotorik beruhe. Die Wahrscheinlichkeit einer Schenkelhalsfraktur sei bei der Klägerin durch die genannten Faktoren deutlich erhöht; selbst eine pathologische Fraktur ohne Sturzereignis sei allein auf dem Boden der Osteoporose denkbar, wie dies bisher die Sinterungsfrakturen an zwei Wirbeln gezeigt habe. Insofern erscheine es gerechtfertigt bei der Einschränkung an der Teilhabe in der Gesellschaft, ein GdB 30 zu vergeben. Dennoch ließen es diese zukünftigen möglichen Ereignisse nicht zu, bereits jetzt das Merkzeichen "G" auf "aG" anzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 07.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.02.2017 ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG".

Rechtsgrundlage sind die Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtete sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer- Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach § 152 Absatz 1 und 4 SGB IX (§ 69 Absatz 1 und 4 SGB IX a.F.) stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.

Seit 01.01.2018 enthält § 229 Absatz 3 SGB IX die Legaldefinition des Nachteilsausgleichs "außergewöhnlich gehbehindert", die zuvor aufgrund Artikel 3 Nr. 13 des Gesetzes zur Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016) seit 30.12.2016 in § 146 Absatz 3 SGB IX enthalten war.

Nach § 229 Absatz 3 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht (Satz 1). Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können (Satz 2). Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind (Satz 3). Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Satz 4). Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt (Satz 5). Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 18/9522 zu Nr. 13 (§146) Seite 318) kann beispielsweise bei folgenden Beeinträchtigungen eine solche Schwere erreicht werden, dass eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung vorliegt: - zentralnervösen, peripher-neurologischen oder neuromuskulär bedingten Gangstörungen mit der Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen oder wenn eine dauerhafte Rollstuhlbenutzung erforderlich ist (insbesondere bei Querschnittlähmung, Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Parkinsonerkrankung, Para- oder Tetraspastik in schwerer Ausprägung), - einem Funktionsverlust beider Beine ab Oberschenkelhöhe oder einem Funktionsverlust eines Beines ab Oberschenkelhöhe ohne Möglichkeit der prothetischen oder orthetischen Versorgung (insbesondere bei Doppeloberschenkelamputierten und Hüftexartikulierten), - schwerster Einschränkung der Herzleistungsfähigkeit (insbesondere bei Linksherzschwäche Stadium NYHA IV), - schwersten Gefäßerkrankungen (insbesondere bei arterieller Verschlusskrankheit Stadium IV), - Krankheiten der Atmungsorgane mit nicht ausgleichbarer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades, - einer schwersten Beeinträchtigung bei metastasierendem Tumorleiden (mit starker Auszehrung und fortschreitendem Kräfteverfall).

§ 229 Abs. 3 SGB IX normiert mehrere (kumulative) Voraussetzungen: Zunächst muss bei dem Betroffenen eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung bestehen, diese muss einem GdB von mindestens 80 entsprechen. Darüber hinaus muss die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung auch erheblich sein. Mit der Bezugnahme auf mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigungen wollte sich der Gesetzgeber von der Einengung auf orthopädische Gesundheitsstörungen lösen, so dass "keine Fallgestaltung von vornherein bevorzugt oder ausgeschlossen wird, auch nicht dem Anschein nach" (BT-Drs. 18/9522, S. 318). Trotz dieser Ausweitung übernimmt die Neuregelung den bewährten Grundsatz, dass das Recht, Behindertenparkplätze zu benutzen, nur unter engen Voraussetzungen eingeräumt werden darf und verlangt daher auf der zweiten Prüfungsstufe einen - relativ hohen - GdB von wenigstens 80 für die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung. Dabei ist an den tatsächlich zuerkannten GdB anzuknüpfen (Senatsurteil vom 27.01.2017 - L 8 SB 943/16, juris; sich dem anschließend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.08.2017 - L 6 SB 3654/16 -, sozialgerichtsbarkeit.de).

Hiervon ausgehend sind bei der Klägerin nach den seit 30.12.2016 anzuwendenden Vorschriften die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht erfüllt. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" hat.

Dr. H. hat aus seiner Untersuchung der Klägerin berichtet, dass diese Dauerschmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung vom Nacken in den Kopf und in beide Arme, die bei Belastung zunehmen würden, berichtet habe. Es bestünden multiple Gelenkschmerzen, ausgeprägt im Bereich der Kniegelenke, Schmerzen und eine schmerzhafte Bewegungs- und Belastungseinschränkung im Bereich der Finger und der Füße. Es bestünden Schmerzen in den Muskeln. Sie kann keinen Sport treiben, kann nicht lange auf den Beinen sein und die Gehstrecke sei zunehmend eingeschränkt. Zeitweise könne sie nicht einmal eine Runde durch den Supermarkt drehen und müsse gleich wieder abbrechen. Sie habe große Probleme längere Strecken zu gehen oder länger Zeit zu stehen.

Bei der klinischen Untersuchung durch Dr. H. fand sich die Klägerin als normalgewichtige Frau. Das Gangbild im Untersuchungszimmer war kurzschrittig und links entlastend hinkend. Die Schwung- und Standphasen beider Beine waren eingeschränkt. Es bestehen eingeschränkte Bewegungsexkursionen beider Hüft- und Kniegelenke. Beide Füße werden plantigrad aufgesetzt und nicht normal abgerollt. Beidseits besteht eine leicht vermehrte Außenrotationsstellung der Füße und Kniegelenke. Auch besteht eine eingeschränkte Mitbewegungen des Kopfes. Die Körperwendebewegungen werden etwas unsicher durchgeführt. Der Hackengang wird beidseits mühsam unter Angabe von Schmerzen mehr im Bereich der rechten als der linken Ferse ausgeführt. Der Zehengang wird unter Angabe von Schmerzen im Bereich beider Füße sofort abgebrochen. Der Versuch zu knien und der in die Hocke zu gehen werden unter Angabe von Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und der Kniegelenke nicht demonstriert. Der Einbeinstand wird beidseits unsicher demonstriert. Die Wirbelsäule steht bei Schulter- und Beckengeradstand im Lot; es besteht keine Seitausbiegung, keine Rotationszeichen. Verspannungen der Muskulatur bestehen im Bereich der Hals- und Schultergürtelmuskulatur sowie der Rückenstreckmuskulatur. Im Bereich des Abdomens finden sich multiple, reizlose Narben nach Bauchspiegelungen und Appendektomie. Der Aufrichteversuch wird unter Angabe von Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule ohne Hilfestellung ausgeführt. Beim Vorwärtsbeugen des Rumpfes mit gestreckten Kniegelenken wird unter Angabe tieflumbaler Schmerzen ein Finger-Boden-Abstand von 22 cm erreicht. Die Entfaltung der Dornfortsatzreihe ist im Bereich der Lendenwirbelsäule bei Inklination und Reklination eingeschränkt. Der Kinn-Sternum-Abstand beträgt maximal 17,0 cm, minimal 1,0 cm, das Ott sche Zeichen der BWS beträgt 28,5/30/32,0 cm, das Schober sche Zeichen der LWS 8,5/10/13,5 cm. Im Bereich der Wirbelsäule werden paravertebral Druckbeschwerden im Bereich der Nackenstrecker und der caudalen Etagen der Hals- und der Lendenwirbelsäule angegeben. Die Dornfortsatzreihe ist nicht rüttel- oder stauchempfindlich. Der Druckschmerz wird paravertebral in die Muskulatur und über den kleinen Wirbelgelenken lokalisiert. Beim Seitneigen sowie bei Rotation werden im Bereich der Lendenwirbelsäule endgradig Schmerzen angegeben. Bei der Palpation der Schultern werden beidseits diffuse Schmerzen über dem ventralen Teil der Rotatorenmanschette angegeben. Die Beweglichkeit der Schultergelenke ist bei der passiven und aktiven Bewegungsprüfung beidseits geringgradig eingeschränkt und endgradig schmerzhaft. Nacken- und Schürzengriff werden unter Schmerzangabe nur eingeschränkt ausgeführt. Bei der Prüfung der Kraft werden bei Widerstand im Bereich der Schultern Schmerzen angegeben. Bei der Inspektion der Handgelenke finden sich beidseits diffuse Schwellungen. Bei der Palpation werden beidseits Schmerzen angegeben. Beim Betasten der Handwurzelknochen werden beidseits Schmerzen angegeben. An beiden Handgelenken bestehen geringe Ergussbildungen. Bei der aktiven und der passiven Bewegungsprüfung werden beidseits Schmerzen angegeben. Bei der Inspektion der Hände finden sich schmerzhafte Schwellungen im Bereich der Fingergrundgelenke D II bis D V. Die Schwellungen sind im Bereich der Grundgelenke D II und D III beidseits stärker ausgeprägt. Bei der Palpation werden Schmerzen angegeben. Schwanenhalsdeformitäten im Bereich der Finger D II und D III, geringer D IV beidseits. Diese Veränderungen sind funktionell vollständig ausgleichbar. Es besteht ein geringes Streckdefizit im distalen Interphalangealgelenk D V rechtsseitig, jedoch keine Schwellungen, Ergüsse oder Verdickungen über den Zwischen- und Endgelenken der Langfinger. Bewegungsschmerzen werden im Bereich aller Gelenke angegeben. Der Faustschluss wird beidseits uneingeschränkt demonstriert, die Fingerkuppen berühren die Hohlhand. Der Spitzgriff kann mit allen Fingern durchgeführt werden. Bei der Bewegungsprüfung der Hüftgelenke werden bei Rotationsbewegungen endgradig Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule angegeben. Bewegungsschmerzen werden im Bereich beider Kniegelenke bei endgradiger Flexion angegeben. Beidseits ist die Vorfußkontur aufgefächert. Im Bereich des linken Fußes finden sich Narben am Großzehengrundgelenk dorso-medial von 6 cm Länge und an der Fußsohle mit Verhärtungen im Bereich der Narbe. Die Narben sind reizlos aber auf Druck schmerzempfindlich. Das Vorfußgewölbe ist beidseits vollständig eingesunken. Die Sohlenbeschwielung ist im Bereich des rechten Fußes unter den Mittelfußköpfchen der Zehen D II bis IV vermehrt. Es finden sich schmerzhafte Schwellungen unter allen Zehengrundgelenken. Es bestehen gering ausgeprägte Hallux valgus-Stellung und Krallenzehenverbildungen beidseits. Die Zehengrund- und Interphalangealgelenke der Zehen sind links im Vergleich zu rechts hälftig eingeschränkt. An diesen Gelenken bestehen Druckschmerzen, an den Großzehengrundgelenken Kapselschwellungen. Missempfindungen werden im Bereich beider Unterschenkel, links stärker als rechts, angegeben. Die Zuordnung zu einem Dermatom oder dem Versorgungsgebiet eines peripheren Nervens sei nicht möglich. Das Lasègue‘sche Zeichen ist beidseits endgradig positiv. Der Langsitz wird unter Angabe tieflumbaler Schmerzen eingenommen und dann beibehalten. Dr. H. hat auch eine diskret vermehrte Venenzeichnung im Bereich beider Beine beschrieben. Die Röntgenaufnahmen zeigen im Bereich beider Hände rheumatische Veränderungen, im Bereich beider Hüftgelenke einen Normalbefund, im Bereich beider Kniegelenke eine initial ausgeprägte Gonarthrose und eine Patelladysplasie sowie im Bereich des linken Fußes rheumatische Veränderungen, einen Zustand nach Mittelfußköpfchenresektion D II bis D IV und nach Chevron-Osteotomie, wie der Senat dem Gutachten von Dr. H. entnimmt. Die im Gutachten von Prof. Dr. S. erstellten Röntgenaufnahmen dokumentieren im Bereich der Brustwirbelsäule eine schwere Osteoporose mit geringer Höhenminderung der Wirbelkörper Th 8 und Th 10 sowie einen typisch rheumatischen Vorfuß rechts mit durchgetretenen Mittelfußköpfchen und Luxation der Gelenke D l bis IV. Kernspintomographisch sind im Bereich der Halswirbelsäule im Segment C 3, 4 eine linksbetonte Bandscheibenprotrusion und knöcherne Foramenstenosen, im Segment C 6/7 ein knöchern überdachter Prolaps mit Retrolisthese C 6 und kräftige Spondylarthrosen C 3 - C 5 linksbetont, im Bereich der Brustwirbelsäule (21.07.16) alte Deckplattenimpressionen der Brustwirbel Th 6 und Th 10 sowie eine mäßige Diskusprotrusion im Segment Th 7/ 8 rechts paramedian und im Bereich der Lendenwirbelsäule ein Normalbefund ohne frische Fraktur dokumentiert.

Vor diesem Hintergrund konnte der Senat die Wirbelsäulenschäden, wo sich im Bereich der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule lediglich leichte Funktionsbehinderungen finden, wie der Senat den Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. H. entnimmt, nur mit einem GdB von 10 bewerten. Denn es liegen weder in einem noch in mehreren Wirbelsäulenabschnitten Störungen und Funktionsauswirkungen vor, Funktionseinschränkungen mit mittelschweren oder schweren Auswirkungen entsprechen. Darin eingeschlossen ist die Bewertung der durch diese Veränderungen ausgelösten Schmerzsyndrome.

Im Funktionssystem der Beine bestehen an den Kniegelenken initiale arthrotische Veränderungen. Die Beweglichkeit ist aber nicht eingeschränkt, was der Senat aus dem Gutachten Dr. H. entnimmt, nachdem beide Kniegelenke über 90o gebeugt werden können und kein Streckdefizit besteht. Die Veränderungen im Bereich beider Kniegelenke bedingen insgesamt einen GdB von unter 10.

Im Funktionssystem der Arme bestehen rheumatische Destruktionen, jedoch keine nach B Nr. 18.13 VG zu bewertenden relevanten Versteifungen, Bewegungseinschränkung, Instabilitäten oder Verluste.

Die Funktionsstörungen durch beidseitige rheumatische Veränderungen beider Hände und beider Füße mit rheumatischen Destruktionen einschließlich des Zustandes nach operativem Eingriff am linken Vorfuß bedingen unter Subsumierung der rheumatischen Erkrankung insgesamt bei schweren Auswirkungen und irreversiblen Funktionseinbußen entsprechend den Regelungen von B Nr. 18.2.1 VG einem GdB von 80. Der Senat schließt sich dieser Bewertung durch Dr. H. an. Auch Dr. G. hat die Funktionsbeeinträchtigungen an den oberen und unteren Extremitäten als schwergradig eingestuft.

Die weiter bestehenden Gesundheitsstörungen, die Dr. G. dem internistischen Fachgebiet zugerechnet hat, so eine chronisch rheumatoide Arthritis mit Gelenkfehlstellungen, Gelenkdestruktion, erhöhten Entzündungsparameter, einer peripheren Neuropathie, eine Autoimmunüberlappung mit systemischem Lupus erythematodes, Sjögren Syndrom und Colitis ulcerosa sowie kortikoidinduzierten Nebenwirkungen, wie Osteoporose mit Deckplatteneinbruch TH6, TH10, partielle Hypophysenvorderlappeninsuffizienz und Missempfindungen an beiden Unterschenkeln im Rahmen einer Polyneuropathie führen zu weiteren Funktionsbehinderungen. Jedoch beeinträchtigen die seelischen Störungen, die der Senat mit einem GdB 20 feststellen konnte, die Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation, die der Senat mit einem GdB von 20 bewertet hat, die chronische Entzündung des Dickdarms, die der Senat mit einem GdB von 30 bewertet hat, und der Bluthochdruck, der mit einem GdB von 10 zu bewerten ist, die mobilitätsbezogenen Funktionen des Körpers nicht wesentlich. Die angesetzten GdB-Werte sieht der Senat durch die vorliegenden medizinischen Befunde der behandelnden Ärzte und Gutachter begründet. Dagegen wirken sich die Menière-Krankheit, die der Senat mit einem GdB von 10 bewertet, die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule – insoweit vor allem der Lendenwirbelsäule -, die der Senat mit einem GdB von 10 bewertet, die chronisch venöse Insuffizienz der Beine, die der Senat einem GdB von 10 bewertet, und die rheumatische Erkrankung der unteren Gliedmaßen auf die Mobilität der Klägerin nachteilig aus.

Insoweit konnte der Senat zwar feststellen, dass sich die Funktionsbehinderungen der Klägerin auf die mobilitätsbezogene Teilhabe auswirken. Jedoch konnte der Senat nicht feststellen, dass die mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen einem GdB von 80 entsprechen. Denn die Menière-Krankheit, die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule – insoweit vor allem der Lendenwirbelsäule – und die chronisch venöse Insuffizienz der Beine sind jeweils mit einem GdB von 10 zu bewerten. Die mit einem GdB von 80 bewertete rheumatische Erkrankung der oberen und unteren Gliedmaßen betrifft den gesamten Körper und kann mangels Abgrenzbarkeit mobilitätsbezogener Anteile nicht weiter aufgespalten werden. Daher ist bei der mobilitätsbezogenen GdB-Bildung i.S.d. § 229 Abs. 3 SGB IX zu prüfen, ob sich die tatsächlich bestehenden Funktionsbehinderungen vergleichbar einer solchen Erkrankung auswirken, bei der das Gesetz schon von einem mobilitätsbezogenen GdB von 80 ausgeht. Mit einem solchen GdB von 80 sind z.B. der Verlust eines Beines im Hüftgelenk oder mit sehr kurzem Oberschenkelstumpf, der Verlust beider Beine im Unterschenkel, die Versteifung beider Kniegelenke, der Nervenausfall (vollständig) des Plexus lumbosacralis, die Einschränkung der Herzleistung mit gelegentlich auftretenden, vorübergehend schweren Dekompensationserscheinungen, eine arterielle Verschlusskrankheit, Arterienverschlüsse an den Beinen (auch nach rekanalisierenden Maßnahmen) mit eingeschränkter Restdurchblutung (Claudicatio intermittens) Stadium II und Schmerzen ein- oder beidseitig nach Gehen einer Wegstrecke in der Ebene von weniger als 50 m ohne Ruheschmerz sowie Schmerzen nach Gehen einer Wegstrecke unter 50 m mit Ruheschmerz (Stadium III) einschließlich trophischer Störungen (Stadium IV ) einseitig, bewertet; auch Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades mit Atemnot bereits bei leichtester Belastung oder in Ruhe, statischen und dynamischen Messwerten der Lungenfunktionsprüfung um mehr als 2/3 niedriger als die Sollwerte und respiratorische Globalinsuffizienz sind mit einem GdB von 80 bewertet. Diese wirken sich nach Ansicht des Gesetzgebers - wie sich auch aus § 229 Abs. 3 Satz 4 SGB IX ergibt - erheblich auf die mobilitätsbezogene Teilhabe aus.

Ein diesen Funktionsbehinderungen vergleichbarer Zustand liegt bei der Klägerin nicht vor. So konnte der Senat nicht feststellen, dass sich die Klägerin wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen kann. Denn die Klägerin ist nicht dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen. Das haben Dr. G. und Dr. H. in ihren Gutachten bestätigt; auch Prof. Dr. S. hat dies bestätigt. Die behandelnden Ärzte haben nichts anderes mitgeteilt. Die Klägerin hat vielmehr angegeben, dass sie 300 bis 400 m zur Praxis der Dr. H. zu Fuß geht. Dass dieser Fußweg beschwerlich ist, ist für den Senat nachvollziehbar, jedoch konnte der Senat weder feststellen, dass die Klägerin zur Zurücklegung dieser Wegstrecke dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist, noch dass sie diese Wegstrecke nur noch unter großer Anstrengung zurücklegen kann. Das wird für den Senat auch aus den Befunden des Dr. H. sowie der behandelnden Ärzte deutlich. So haben auch Dr. W. und Dr. H. gegenüber dem SG noch eine Gehstrecke von 100 m für zumutbar gehalten; Prof. Dr. S. hat Wegtrecken von 300 bis 400 m für möglich und zumutbar erachtet. Damit kann der Senat nicht feststellen, dass aus den bei der Klägerin bestehenden Funktionsbehinderungen die mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen einem GdB von mindestens 80 entsprechen. Das wird vor allem bei einem Vergleich mit einer nach B Nr. 9.2.1 VG mit einem GdB von 80 bewerteten arteriellen Verschlusskrankheit, Arterienverschlüsse an den Beinen (auch nach rekanalisierenden Maßnahmen) mit eingeschränkter Restdurchblutung (Claudicatio intermittens) Stadium II und Schmerzen ein- oder beidseitig nach Gehen einer Wegstrecke in der Ebene von weniger als 50 m ohne Ruheschmerz sowie Schmerzen nach Gehen einer Wegstrecke unter 50 m mit Ruheschmerz (Stadium III) deutlich. Denn hier ist die Wegstrecke auf deutlich unter 100 m reduziert, trotz Schmerzen. Solche Wegstrecken sind der Klägerin aber noch möglich. Dass dabei Schmerzen auftreten, führt auch nach Auskunft dieser Ärzte zu keiner anderen Bewertung.

Vor diesem Hintergrund konnte der Senat nicht feststellen, dass bei der Klägerin im Hinblick auf das seit 30.12.2016 anzuwendende Recht die in § 229 Abs. 3 SGB IX normierten (kumulative) Voraussetzungen erfüllt sind. Denn die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin ergeben keine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entsprechen. Auch soweit Dr. G. angibt, die die Funktionsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule mit der vorliegenden Osteoporose, dem Zustand nach Sinterungsfrakturen und dem zervikalen Bandscheibenvorfall sei als mittelgradig einzustufen, ergäbe sich hieraus lediglich eine GdB-Erhöhung auf 20, allenfalls 30, jedoch kann der Senat auch bei dieser Bewertung nicht feststellen, dass die mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigungen einem GdB von mindestens 80 entsprechen, sodass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG" nach dem seit dem 30.12.2016 geltenden Recht hat.

Auch nach dem bis zum 29.12.2016 anzuwendenden Recht steht der Klägerin kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG" zu. Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" war insoweit § 69 Abs. 4 SGB IX i.V.m. §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 7. Juni 2012 (BGBl. I S. 1275). Danach war das Merkzeichen "aG" festzustellen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift war die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, berichtigt S. 5206), zuletzt in der ab dem 18.11.2014 gültigen Fassung vom 17.11.2014. Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO waren als schwerbehinderte Menschen mit außerge-wöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Lei-dens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahr-zeuges bewegen kannten. Hierzu zählten Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande waren, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen konnten, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert waren, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen waren.

Die Klägerin gehört - unstreitig - nicht zu dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten. Sie kann aber dem genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden, da ihre Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt war oder sie sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen konnte. Dies steht für den Senat auf Grund der zu den Akten gelangten ärztlichen Unterlagen und den eingeholten Gutachten fest.

Die seit 01.01.2009 an die Stelle der AHP getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grunds-ätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin Verordnung; VersMedV), mit der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw.§ 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt hat, war zunächst nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht für die Beurteilung des Merkzeichens "aG" (vgl. Teil D Ziff. 3 VG) anwendbar (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 – juris und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 - juris; so auch der ebenfalls für Schwerbehindertenrecht zuständige 6. Senat des LSG Baden Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 - unveröffentlicht). Mit Wirkung zum 15.01.2015 hat der Gesetzgeber in § 170 Abs. 2 SGB IX a.F. eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15). Der Senat hat diese Ermächtigung ausreichen lassen. Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "aG" geschaffen (insoweit offenlassend der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.05.2015 - L 3 SB 1100/14 -). Soweit eine entsprechende Anwendung der Maßstäbe der VersMV durch das Gesetz angeordnet ist, lässt sich dem Wortlaut hinreichend deutlich die Regelung für Merkzeichen entnehmen, dass die Bewertungsmaßstäbe der VG Teil D unmittelbar anzuwenden sind. Damit sind seither die Regelungen VersMV auch zur Beurteilung des Merkzeichens "aG" anzuwenden (vgl. z.B. Senatsurteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13 -).

Der Senat konnte aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen jedoch nicht feststellen, dass die Gehfähigkeit der Klägerin in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt 2 Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VWV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen konnte. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Beweiswürdigung des SG an.

Die Funktionsstörungen der Klägerin führten nicht dazu, dass sie sich praktisch vom ersten Schritt an dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Eine Rollstuhlpflicht besteht nicht, was auch schon Prof. Dr. S. dargelegt hat. Dazu hat Dr. G. in seinem Gutachten ausgeführt, dass weder orthopädisch noch internistisch Gelenkkontrakturen beobachtet worden seien, die das Gehvermögen entscheidend einschränkten. Die Benutzung von Unterarmgehstützen oder eines Rollstuhls sei entbehrlich.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen zu den Gutachten von Dr. H. und Dr. G. konnte der Senat auch feststellen, dass die Klägerin zwar in der Mobilität eingeschränkt ist, sie jedoch nicht außergewöhnlich beeinträchtigt ist. Denn die Funktionsbeeinträchtigungen bedingen keine solche Gehbehinderung, dass sich die Klägerin wegen der Schwere der Leiden dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (praktisch von den ersten Schritten an) außerhalb eines Kraftfahrzeugs bewegen kann.

Der Senat konnte vorliegend nicht feststellen, dass die Klägerin wegen ihrer Behinderungen gezwungen war und ist, sich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an und selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel fortzubewegen. Damit war die Klägerin auch nach dem bis 29.12.2016 geltenden Recht nicht einem der in der VwV genannten Katalogfall gleichzustellen, sodass sie auch in dieser Zeit keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "aG" hat. Damit musste der Senat auch nicht entscheiden, ob überhaupt eine Feststellung von Merkzeichen mit Wirkung für die Vergangenheit in Betracht kommt, wenn durch die rückwirkende Feststellung des Merkzeichens der tatsächliche Nutzen des Nachteilsausgleichs (beim Merkzeichen "aG" das Parken auf entsprechend vorbehaltenen Parkplätzen) in der Vergangenheit nicht mehr realisiert werden kann und hinsichtlich rechtlicher Vorteile des Nachteilsausgleichs (z.B. Steuern; zu den Nachteilsausgleichen und den damit verbundenen Begünstigungen vgl. Hopf in Böttiger/Schaumberg/Langer, Sozialleistungen für Asylsuchende und Flüchtlinge, Kapitel 10, Seite 175 ff.) kein entsprechendes rechtlich geschütztes Interesse geltend gemacht wird.

Weitere Ermittlungen hält der Senat nicht für erforderlich. Der Senat konnte auf Grundlage der vorliegenden ärztlichen Befunde und Unterlagen, der vom SG eingeholten Zeugenaussagen und der Gutachten von Prof. Dr. S. , Dr. G. und Dr. H. entscheiden. Diese haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlich-medizinischen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der so vorliegende medizinisch festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung.

Der Senat musste mithin feststellen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG", hat. Dass die Klägerin zuletzt, wie von der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "B" gestellt hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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