L 9 BA 3136/18 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 BA 2170/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 BA 3136/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 20. August 2018 wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2018 angeordnet.

Die Vollziehung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2018 wird ausgesetzt, soweit sie über einen Betrag von 100.000,00 EUR hinausgeht. Beträge, die über 100.000,00 EUR hinausgehen, sind an die Antragstellerin auszukehren.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert für das erstinstanzliche Antrags- und das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf je 156.253,75 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung bzw. Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2018, mit dem die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 510.293,98 EUR und Säumniszuschlägen in Höhe von 214.721,00 EUR (insgesamt 725.014,98 EUR) für den Prüfzeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2014 in Anspruch nimmt. Ferner begehrt die Antragstellerin die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen, soweit der Beitragsbescheid über einen Betrag von 100.000,00 EUR hinaus vollzogen ist.

Das SG hätte diesem Antrag stattgeben müssen. Dabei verweist der Senat mit Blick auf die Darstellung des Sachverhaltes auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss und sieht von einer erneuten Wiedergabe ab.

Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das SG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine Beiladungen vorgenommen hat. Die Beiladung nach § 75 SGG ist zwar auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglich, aber nicht zwingend (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b, Rdnr. 16 und 38; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2014 – L 1 KR 47/14 B ER –, juris), weil einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – trotz grundsätzlich bindender Wirkung von Beschlüssen nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG für alle Beteiligten – keine endgültige verbindliche Bindungswirkung zukommen kann; diese bleibt vielmehr der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Das Gericht der Hauptsache kann nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 86b Rdnr. 19).

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage folgt hier nicht bereits aus § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGG i. V. m. § 7a Abs. 7 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Rechtsbehelfe gegen Beitragsbescheide prüfender Rentenversicherungsträger nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV haben weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung des § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB IV aufschiebende Wirkung (wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2012 – L 8 R 565/12 B ER –; Beschluss vom 16.09.2013 – L 8 R 361/13 B ER –; Beschluss vom 11.05.2015 – L 8 R 106/15 B ER –; LSG Bayern, Beschluss vom 16.03.2010 – L 5 R 21/10 B ER –; LSG Hamburg, Beschluss vom 16.04.2012 – L 3 R 19/12 B ER –; LSG Hessen, Beschluss vom 22.08.2013 – L 1 KR 228/13 B ER –, LSG Sachsen, Beschluss vom 30.08.2013 – L 1 KR 129/13 B ER –; LSG Schleswig Holstein, Beschluss vom 07.09.2015 – L 5 R 147/15 B ER –; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.12.2015 – L 9 KR 192/15 B ER –, jew. juris). Der gegenteiligen Auffassung (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.11.2016 – L 1 R 153/16 B ER –, juris, m. w. N.) folgt der Senat nicht.

Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgs-aussichten des Hauptsachverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung. Dabei sind auch stets die Maßstäbe des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Für die gerichtliche Eilentscheidung gilt insoweit derselbe Prüfungsmaßstab wie für die behördliche Entscheidung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Aufl., Rn. 164).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung des Sachverhalts, wie er sich nach Aktenlage darstellt, und der hierzu vertretenen Rechtsauffassungen durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 23.12.2016, mit dem die Antragsgegnerin Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 725.014,98 EUR von der Antragstellerin fordert. Unter Berücksichtigung dessen erscheint ein Erfolg des Rechtsbehelfs nach derzeitigem Sachstand wahrscheinlicher als ein Unterliegen (vgl. hierzu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 86a Rdnr. 27a, m. w. N.). Die vorliegenden Zweifel sind dabei so weitreichend, dass gerechtfertigt ist, von dem vom Gesetzgeber dem Adressaten eines Abgabenbescheides auferlegten Vollzugsrisiko hier Abstand zu nehmen.

Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Voraussetzung ist in allen Zweigen und für die Umlagepflicht nach § 7a AAG und § 358 SGB III eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV.

Die Antragstellerin hat die vom Hauptzollamt Heilbronn festgestellten Umstände und die von der Antragsgegnerin daraus abgeleiteten Feststellungen, es handele sich um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, nicht bestritten und auch nicht behauptet und dargelegt, dass es sich dabei um eine legale Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat. Den Antrag auf Feststellung/Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat sie im Wesentlichen mit der Bindungswirkung der Entsendebescheinigungen begründet, die der Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung entgegenstehen. Einer abschließenden Würdigung bedarf die Frage einer abhängigen Beschäftigung/einer Arbeitnehmerüberlassung aber nicht, da der Senat die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin nicht teilt, den erteilten Entsendebescheinigungen Bosnien-Herzegowinas käme keine bindende Bedeutung zu, zumindest hat die Antragsgegnerin Umstände, die ein Abweichen von einer auf einer völkerrechtlichen Vereinbarung beruhenden Bescheinigung rechtfertigen könnten, nicht ermittelt und auch nicht dargetan.

Nach dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Territorialprinzip (§ 3 Nr. 1 SGB IV) gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht für alle Beschäftigungsverhältnisse im räumlichen Geltungsbereich des SGB IV. Ergänzungen und Abweichungen sind in den – mit Vorrang geltenden – §§ 4 bis 6 SGB IV sowie im Europarecht geregelt, welches wiederum Vorrang vor dem SGB hat. Entscheidend ist danach somit zunächst der Beschäftigungsort bzw. das Recht des Beschäftigungsortes. Dieses Territorialprinzip wird durch § 5 Abs. 1 SGB IV für den Fall der Einstrahlung eingeschränkt. Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. Schließlich bestimmt § 6 SGB IV, dass Regelungen des Über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Für das Recht der EU ergibt sich der Anwendungsvorrang unmittelbar aus dem Grundgesetz und dem Gemeinschaftsrecht und zwar sowohl für das Primär- als auch für das Sekundärrecht. Anderes zwischenstaatliches Recht, insbesondere bilaterale Sozialversicherungsabkommen, kommen zwar nicht unmittelbar zur Anwendung, sondern bedürfen gem. Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz (GG) der Umsetzung durch nationale Gesetze und der Verkündung im Bundesgesetzblatt. Sie gehen nach der Umsetzung in nationale Regelungen dem innerstaatlichem Recht als Völkervertragsrecht vor; sie sind lex specialis gegenüber den Vorschriften des SGB (Zieglmeier in Kasseler Kommentar, Stand Dez. 2018 § 6 SGB IV Rdnr. 3, 58). Nach anderer Ansicht regelt § 6 SGB IV selbst nicht, welches Recht im konkreten Fall anzuwenden ist. Er enthält vielmehr den Anwendungsbefehl für die Bundesrepublik Deutschland betreffendes zwischen- und überstaatliches Recht und bestimmt die Hierarchie der anzuwendenden Kollisionsregeln, wonach zwischen- und überstaatliches Recht Vorrang vor nationalem Recht hat (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 6 SGB IV, Rdnr. 11). Da Bosnien-Herzegowina nicht Mitglied der EU ist, sind die Regelung des überstaatlichen Rechts (insbes. VO (EG) Nr. 883/2004, VO (EG) Nr. 987/2009) nicht anwendbar. Entscheidend ist damit, ob das im Jahre 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit (Abk. Jugoslawien SozSich; BGBl II 1969, 1438 mit Zustimmungsgesetz vom 29.07.1969, BGBl II, 1437 in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30.09.1974, BGBl. 1975 II S. 390) auch nach dem Zerfall Jugoslawiens auf einen Entsendungstatbestand aus Bosnien-Herzegowina anzuwenden ist. Insoweit ist fraglich, ob das Abk. Jugoslawien SozSich vom 12.10.1968 i. d. F. des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 im Verhältnis Deutschlands zu Bosnien und Herzegowina fortgilt, weil eine zwischenstaatliche Vereinbarung mit Bosnien und Herzegowina nicht in dem Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert worden ist.

Diese Frage ist zumindest nicht abschließend geklärt, nachdem über einen entsprechenden Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts ([BSG] Vorlagebeschluss vom 23.05.2006 – B 13 RJ 17/05 R –, juris) keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging (Beschluss vom 25.08.2008 – 2 BvM 3/06). Dies gilt wohl auch, soweit die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierungen der Republik Bosnien und Herzegowina noch im Jahre 1992 vereinbart haben, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen SFRJ geschlossenen Verträge im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bosnien und Herzegowina vorläufig weiter anzuwenden (Notenwechsel der beiden Staaten vom 13.11.1992, Bekanntmachung vom 16.11.1992 – BGBl. II S. 1196, vgl. Bayerisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 21.12.2004 – L 5 RJ 545/01 –, juris Rn. 20).

Der Senat ist jedoch in Übereinstimmung mit dem Bayerischen LSG (Urteil vom 27.09.2011 – L 6 R 868/08 –, Rn. 25, juris) der Auffassung, dass die Weitergeltung des Abkommens aus dem Gesichtspunkt von sich herausgebildetem Völkergewohnheitsrecht folgt (vgl. hierzu auch Vorlagebeschluss des 13. Senats des BSG vom 23.05.2006, a. a. O.), wonach für alle abgespaltenen Nachfolgestaaten der ehemaligen SFRJ gilt, dass jedenfalls das hier entscheidungserhebliche Sozialversicherungsabkommen – gegebenenfalls bis zum Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens (wie z. B. mit Slowenien, Kroatien und Mazedonien) – Fortgeltung finden soll. Unter Berücksichtigung dessen dürfte dann, wie das Bayerische LSG (a. a. O.) zutreffend ausgeführt hat, auch das verfassungsrechtlich geregelte Gebot des Gesetzesvorbehaltes (Art. 20 Abs. 3 GG) in seiner konkreten Ausgestaltung durch § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hinreichend Beachtung gefunden haben und verfassungsrechtliche bzw. völkerrechtlich begründete Bedenken nicht bestehen. Von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Abkommens auf Bosnien und Herzegowina geht im Übrigen auch die Beklagte aus, wie dem Portal der Deutschen Rentenversicherung entnommen werden kann (http://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de, dort unter "Zwischenstaatliches Recht", "Europa", "Jugoslawien", "Abkommen", "SVAbk YUG Art. 1 Nr. 10", Abschnitt R2). So anerkennt die Antragsgegnerin für die deutschen Versicherungsträger auch die Verbindlichkeit von den Rentenversicherungsträgern der anderen Vertragsstaaten in den entsprechenden Formblättern bescheinigten Versicherungszeiten (a. a. O., R9).

Geht man damit von der Geltung des Sozialversicherungsabkommens im Verhältnis zu Bosnien und Herzegowina aus, sind die Einlassungen der Antragsgegnerin, die Entsendebescheinigungen seien nur deklaratorischer Natur, nicht überzeugend, zumindest bleibt unklar, welche Rechtswirkungen sie einer solchen Entsendebescheinigung überhaupt zumessen will.

Grundsätzlich gilt, dass auch die Sozialversicherungsabkommen als Grundregel an das Beschäftigungslandprinzip anknüpfen, wonach das Recht desjenigen Abkommensstaates gilt, in dem eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird (siehe hierzu Art. 6 Bulgarien, Art. 6 Chile, Art. 3 China, Art. 5 Israel, Art. 6 Japan, Art. 5 Jugoslawien). Ausnahmen ergeben sich für den Fall der Entsendung. Wie im Rahmen der §§ 4 und 5 SGB IV und Art. 12 EGV 883/2004 sehen auch die Sozialversicherungsabkommen die Fortgeltung des Rechts desjenigen Abkommensstaats vor, aus dem entsandt wird. Entscheidend für die Frage, ob eine Entsendung vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des BSG das Recht des Entsendestaats.

Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, die von diesem Staat ausgestellten so genannten Entsendebestätigungen hätten keine konstitutive Wirkung, sondern deklaratorische Bedeutung, bedeutet dies nicht, dass ihnen keine Bindungswirkung zukäme. Eine deklaratorische Wirkung eines Rechtsaktes ist gegeben, wenn dieser an einer bestehenden Rechtslage nichts ändert, sondern diese lediglich bezeugt (Creifels, Rechtswörterbuch, 22. Aufl., S. 292). Damit führt nicht die Entsendebescheinigung zur Feststellung der entsprechenden Tatsachen, sondern bescheinigt lediglich das Ergebnis deren Prüfung, im vorliegenden Fall also die Entsendung gemäß Art. 6 Abk. Jugoslawien SozSich. Daraus folgt, dass der deutsche Träger nicht innerstaatliches Recht auf den Sachverhalt übertragen kann und darf. Er kann allenfalls prüfen, ob das Abkommensrecht richtig angewandt und ausgelegt wurde. Insofern ist in erster Linie die vom ausländischen Träger ausgestellte Entsendebescheinigung maßgeblich (Padé a. a. O., § 6 SGB IV, Rdnr. 57). Dementsprechend hat das BSG im Falle eines mazedonischen Staatsangehörigen (völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland am 08.04.1993, ein eigenständiges Sozialversicherungsabkommen mit Mazedonien ist am 01.01.2005 in Kraft getreten, BGBl. II 2004, S. 1068) entschieden, dass es nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen eines sog. Rumpfarbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem entsendenden Unternehmen vorgelegen hat, sondern vielmehr darauf, dass der für die Prüfung der Entsendungsvoraussetzungen zuständige Träger im Entsendestaat (Verbindungsstelle) bescheinigt hat, "der Kläger werde von dem Unternehmen zu einer Arbeit in die Bundesrepublik Deutschland entsandt und unterliege für die Dauer dieser Arbeit, die für die Rechnung des jugoslawischen Unternehmens erfolge, weiter den jugoslawischen Vorschriften über soziale Sicherheit" (Urteil vom 16.12.1999 – B 14 KG 1/99 R –, juris). In dieser Entscheidung hat das BSG den Prüfungsumfang des deutschen Rentenversicherungsträgers auch deutlich umrissen und eingegrenzt. Insoweit hat es ausgeführt: "Der deutsche Sozialleistungsträger und die deutschen Sozialgerichte sind grundsätzlich nicht berechtigt, Entscheidungen des ausländischen Trägers über die nach dessen Recht – d. h. den in Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 des deutsch-jugoslawischen Abkommens genannten Rechtsvorschriften – maßgebenden Voraussetzungen für die Entsendung von Arbeitnehmern zu überprüfen. Der deutsche Sozialleistungsträger und die deutschen Sozialgerichte sind allerdings berechtigt zu überprüfen, ob die im anderen Vertragsstaat zuständige Stelle die Vorschriften des Abkommens richtig angewandt hat. Nur insoweit besteht keine Bindung an die Auslegung oder Anwendung des Abkommens durch den im anderen Vertragsstaat zuständigen Träger." Und weiter: "Wenn die mazedonische Verbindungsstelle die nach deutschem Recht maßgebenden Grundsätze über die Entsendung von Arbeitnehmern nicht beachtet haben sollte, ist dies noch keine unrichtige Vertragsanwendung; dies gilt insbesondere für den vom Kläger vorgebrachten Einwand, eine Entsendung auf Rechnung des entsendenden Unternehmens setze voraus, dass dieses weiterhin die Lohnkosten trage, was bei ihm, dem Kläger, nicht der Fall gewesen sei" (BSG, a. a. O., Rn. 16). Das BSG machte in dieser Entscheidung nochmals deutlich, dass die Transformation zwischenstaatlicher Abkommen durch nationale Zustimmungsgesetze (Art. 59 Abs. 2 GG) nicht zur Folge hat, dass für die Anwendung und Auslegung einzelner Vereinbarungen in einem Abkommen das jeweilige innerstaatliche Recht allein maßgebend ist. Aufgrund des im Völkervertragsrecht geltenden Gebots der Rücksichtnahme auf möglicherweise unterschiedliche Interessenlagen und divergierende Rechtsauffassungen der jeweils an einem Abkommen beteiligten Staaten ist in erster Linie der zum Ausdruck gekommene subjektive Parteiwille der beteiligten Staaten maßgebend. Dies schließt eine Übertragung der Rechtsgrundsätze eines Vertragspartners auf die Auslegung der Rechtsvorschriften des anderen Vertragspartners grundsätzlich ebenso aus wie Rückgriffe auf andere Abkommen zum Zwecke der Vertragsauslegung. Schließlich wies das BSG auf die in Art. 1 des Abk. Jugoslawien SozSich enthaltenen Definitionen der wichtigsten Begriffe, die einer unterschiedlichen Auslegung vorbeugen sollen, und auf Art. 34 und Art. 38 Abs. 1 Abk. Jugoslawien SozSich hin, wonach der Vertragsstaat zur Durchführung des Abkommens Verbindungsstellen einrichtet, die die notwendigen Verwaltungsmaßnahmen veranlassen und die ein besonderes Verfahren bezogen auf Streitigkeiten zwischen den beiden Vertragsstaaten über die Auslegung oder Anwendung des Abkommens vorsehen. Auf dieser Ermächtigungsgrundlage haben die Verbindungsstellen, wie das BSG ebenfalls unter Verweis auf Nr. 6 des Rdschr. Nr. 56/1975 der deutschen Verbindungsstelle - KV - vom 16.07.1975 feststellte, vereinbart, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen des Art. 6 des Abkommens erfüllt sind, in erster Linie dem Träger des Entsendestaates obliegt (vgl. BSG a. a. O., Rn 17).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze unterliegt die derzeit im Klageverfahren zu überprüfende Entscheidung erheblichen Bedenken. Ausweislich der Begründung im angefochtenen Widerspruchsbescheid hat die Antragsgegnerin für die der Beitragsnachentrichtung zugrunde gelegten Arbeitnehmer nicht geprüft, ob für diese überhaupt Entsendebescheinigungen Bosnien und Herzegowinas vorgelegen haben. Allein sich darauf zu berufen, dass vom Hauptzollamt H. bislang keine Entsendebescheinigungen vorgelegt worden sind, dürfte insoweit kaum mit dem Amtsermittlungsgrundsatz vereinbar sein. In der Folge hat die Antragsgegnerin damit auch das im Abk. Jugoslawien SozSich vorgesehene Verfahren nach Art. 38 nicht durchgeführt. Eine Anfrage bei der Verbindungsstelle in Bosnien und Herzegowina bei Zweifeln bezogen auf eine Entsendung unterblieb. Die Antragsgegnerin hat auch nach Vorlage der Entsendebescheinigungen durch die Antragstellerin an der Rechtsauffassung festgehalten und die Auffassung vertreten, den Entsendebescheinigungen käme nur deklaratorische Bedeutung zu. Soweit sie dabei auf ein sog. Rumpfarbeitsverhältnis verweist, wonach die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhten, kein Arbeitsentgelt gezahlt werde und der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringe, die dem ausländischen Unternehmen zugerechnet werden könne, kann der Senat diese Einwände aufgrund der vorliegenden Ermittlungen nur bedingt nachvollziehen. Die Antragsgegnerin hat bislang nicht abschließend geklärt, auf welchem Weg die bei der Antragstellerin eingesetzten Arbeitnehmer entlohnt worden sind, auch nicht, ob das Beschäftigungsverhältnis vor der Entsendung bereits bestanden hat und danach fortbestand. Der Senat vermag angesichts der vorliegenden Ermittlungen des Hauptzollamtes Heilbronn nicht zu erkennen, dass die im Prüfverfahren berücksichtigten Arbeitnehmer gerade nicht von Metalno d. d. Zenica in Bosnien angestellt und beschäftigt wurden, bevor sie entsandt wurden. Dementsprechend ist von der Antragsgegnerin bislang auch nicht substantiiert belegt worden, dass die Arbeitsverhältnisse für die der Prüfung unterzogenen Beschäftigten nicht mit einem bosnischen Arbeitgeber, sondern mit einer eigenständigen deutschen Niederlassung bestanden.

Die Antragsgegnerin hat auch nicht dargetan, dass auch nach der Rechtsauffassung im Entsendestaat, also Bosnien-Herzegowinas, keine Entsendung vorgelegen hat, diese also offensichtlich unrichtig oder gar willkürlich waren, in betrügerischer oder in rechtsmissbräuchlicher Weise erteilt oder erlangt wurden oder die tatsächliche Ausgestaltung der "Entsendung" dem Willen des bilateralen Abkommens nicht entsprach (vgl. hierzu Dietrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 4 SGB IV, Rn. 24 3).

Nach dem bislang unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin unter Vorlage entsprechender Bescheinigungen (vgl. Anlagen zur Stellungnahme der Antragstellerin vom 08.10.2015 im Rahmen der Anhörung) bestand ein Arbeitsverhältnis mit der in Bosnien-Herzegowina bereits seit 1947 im Bereich Produktion, Montage und Stahlkonstruktionen tätigen Firma M., ferner waren deren Arbeitnehmer dort krankenversichert und es wurden in Bosnien-Herzegowina Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Von der Antragstellerin vorgelegte stichprobenweise erfolgte Übersetzungen bei der M. beschäftigter Personen und der Vergleich mit der Schadensberechnung der Antragsgegnerin bestätigen zudem den Einsatz in Deutschland. In der Vernehmung durch das Hauptzollamt H. hat zumindest der Zeuge S. die sozialversicherungsrechtliche Absicherung in Bosnien bestätigt, ohne dass die Antragsgegnerin dem substantiiert entgegengetreten ist. Zwei weitere Zeugen der Firma M. (H., S.), die vom Hauptzollamt H. vernommen wurden, wurden hierzu nicht befragt und haben auch von sich aus keine diesbezüglichen Angaben gemacht. Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, die gezahlten Löhne hätten nicht mit den im Heimatland versicherten Entgelten übereingestimmt und könnten deswegen nicht dem ausländischen Unternehmen zugeordnet werden, überzeugt dies nicht, da die Antragsgegnerin den zeitlichen Zusammenhang der Zahlungen mit der Beschäftigung nicht bestreitet und die Höhe des gezahlten Entgeltes nur das Verhältnis des bosnischen Arbeitnehmers zur Sozialversicherung seines Heimatlandes und umgekehrt betrifft. Letztlich wird hiermit aber die (fortbestehende) Versicherungspflicht im Entsendeland auch von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt, was zugleich die Frage aufwirft, ob eine Beitragspflicht ein und derselben Beschäftigung in beiden Staaten nicht gerade durch das Abk. Jugoslawien SozSich vermieden werden sollte. Dies gilt umso mehr, als das bereits angesprochene Verfahren nach Art. 38 mit Einschaltung der Vermittlungsstelle bzw. eines Schiedsgerichtes Streitigkeiten gerade verhindern soll, unabhängig davon, dass – wie die Antragsgegnerin meint – es an verbindlichen Absprachen zur Auslegung mit Bosnien-Herzegowina fehlt.

Auch das von der Antragsgegnerin behauptete Rumpfarbeitsverhältnis vermag der Senat angesichts des derzeitigen Sachstandes nicht nachzuvollziehen, zumal sich die Antragsgegnerin nicht mit der auch in der Entscheidung des BSG zum Tragen kommenden Rechtsauffassung des Entsendestaates auseinandersetzt (Urteil vom 16.12.1999, a. a. O., Rn. 18).

Der Senat sieht auch die von der Antragsgegnerin zitierte Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 24.10.2007 – 1 StR 160/07 –, mit Anmerkung von Schlegel, jurisPR-SozR 5/2008 Anm. 6) nicht im Widerspruch zu der vertretenen Rechtsauffassung. Danach kommt einer Entsendebescheinigung die Wirkung einer widerlegbaren Vermutung ihrer Richtigkeit zu, wobei die Prüfung erlaubt sei, ob die Bescheinigung – gemessen an den äußeren Grenzen des abkommensrechtlichen Entsendetatbestandes – ausgestellt werden durfte oder ob dies nicht der Fall ist. Zu Recht stellt Schlegel (a. a. O.) auf die Evidenz eines nichterfüllten Entsendetatbestandes ab, vergleichbar mit der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (§ 40 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch), welche dann vorliege, wenn der Entsendetatbestand vom möglichen Wortsinn des Vertragstextes nicht mehr erfasst werde. Im Gegensatz zu der vorliegenden Fallgestaltung wurde die Entsendung in dem vom BGH zu entscheidenden Fall nachvollziehbar deshalb verneint, weil das entsendende Unternehmen in Ungarn keine nennenswerte Geschäftstätigkeit im Gebiet des Herkunftslandes entfaltete und die Arbeitnehmer dort nur angeworben wurden, um sie deutschen Unternehmen zu überlassen. In Ungarn waren lediglich Büroräume vorhanden, eine Weiterbeschäftigung dort damit ausgeschlossen. Für die Evidenz einer fehlenden Entsendung reicht auch nach der Rechtsprechung des BGH nicht aus, dass die entsandten Arbeitnehmer auch und gerade in den Betrieb eines anderen eingegliedert waren oder sein könnten. Denn der BGH stellt nicht maßgeblich auf die Eingliederung in einen fremden Betrieb ab, sondern auf das Fehlen des Tatbestands der abkommensrechtlich bedeutsamen Entsendung, wenn der entsendende Betrieb über keine eigene Betriebsstätte verfügt. Die Antragsgegnerin, die eine Bindungswirkung gänzlich verneint, verkennt insoweit die aufgezeigten Beschränkungen, die der Senat im vorliegenden Verfahren unter Berücksichtigung des bekannten Sachverhaltes zumindest nicht offensichtlich und evident überschritten sieht.

Unter Berücksichtigung dessen war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und die Vollziehung des Bescheides antragsgemäß auszusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird nach § 197a SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG) entsprechend der ständigen Praxis des Gerichts auf ein Viertel der streitigen Nachforderung aus dem Bescheid vom 23.12.2016 festgesetzt. Dies sind 725.014,98 EUR abzüglich 100.000,00 EUR = 625.014,98 EUR, hiervon ein Viertel, mithin 156.253,75 EUR. Gleichzeitig wird die Streitwertfestsetzung erster Instanz (bisher: 312.507,00 EUR) von Amts wegen auf EUR 156.253,75 EUR, ein Viertel der streitigen Gesamtsumme der Beitragsforderung von 625.014,98 EUR, geändert (§ 63 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved