L 3 AS 111/18

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 22 AS 3582/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 111/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Betreibensaufforderung, in welcher unterschiedliche Fristen und in wechselnder Reihenfolge ohne jede klar erkennbare und eindeutige Struktur die prozessualen Mittel des § 102 Abs. 2 SGG, des § 106a Abs. 3 SGG und des § 105 Abs. 1 SGG verknüpft werden, genügt nicht den Anforderungen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
2. Die Aufforderung auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGG, konkrete bezeichnete Angaben zu machen, einerseits und das Inaussichtstellen einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid andererseits schließen sich aus. Wenn das Sozialgericht von einem noch bestehenden Ermittlungs- oder Aufklärungsbedarf ausgeht, darf es nicht zugleich mit der Aufforderung nach § 106a Abs. 2 SGG den Hinweis auf seine Absicht, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, verbinden, weil die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid tatbestandlich unter anderem voraussetzt, dass der Sachverhalt geklärt ist.
3. Ein Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG und die gleichzeitige
Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG widersprechen sich. Denn wenn vom Sozialgericht konkrete Angaben für die Prüfung, ob die Klage begründet ist, gefordert werden und dies mit dem Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG verbunden wird, impliziert dies, dass die Klage statthaft und auch im Übrigen zulässig ist.
4. Der parallele Erlass einer Betreibensaufforderung und eine Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid sind nicht stimmig.
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 10. Januar 2018 aufgehoben und der Rechtsstreit zur er-neuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, dass das Klageverfahren durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beendet sei. Im Streit stehen Ansprüche des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweiten Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) im Zeitraum vom 1. März 2011 bis zum 31. Juli 2011 und insoweit die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 1.703,40 EUR nach endgültiger Festsetzung.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 30. Dezember 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26. Januar 2011, 11. Februar 2011, 28. März 2011 und 3. August 2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2011 bis zum 31. Juli 2011.

Der Kläger teilte nachfolgend das tatsächlich von ihm erzielte Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit mit.

Der Beklagte setzte sodann mit Bescheid vom 20. Oktober 2011 den Leistungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 1. März 2011 bis zum 31. Juli 2011 endgültig fest und forderte zu Unrecht erhaltene Leistungen in Höhe von insgesamt 1.703,40 EUR zurück.

Den Widerspruch des Klägers, mit welchem er geltend machte, dass zu hohes Erwerbseinkommen angerechnet worden sei, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2011 zurück.

Der Kläger hat am 26. Januar 2012 Klage (Az. S 14 AS 347/12) erhoben. Nicht die einzelnen Monate, sondern zum Beispiel ein Jahr müsse Berücksichtigung finden. Um sich selbstständig zu machen, habe er von seinen Eltern einen Kredit in Höhe von 5.300,00 EUR erhalten und diesen bis auf 300,00 EUR zurückgezahlt. Zudem seien noch keine Nebenkosten und Reparaturanteile als Ausgaben berücksichtigt worden. Eine Rückforderung würde bedeuten, rückwirkend Kranken- und Rentenversicherung sowie Miete nachzuzahlen. Dies bedeute für ihn das Existenzaus. Alle Unterlagen würden in Kopie übersandt.

Mit Schreiben vom 30. April 2012 hat das Sozialgericht den Kläger um Übersendung von Belegen für die Rückzahlung des Darlehens (Quittungen, etc.) gebeten.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2012 hat der Kläger mitgeteilt, dass es keine weiteren Belege oder Quittungen hinsichtlich des Darlehens gäbe. Das Geld sei von Bank zu Bank mit der Angabe des Verwendungszwecks übermittelt worden. Die Kontoauszüge würden vorliegen.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 31. Mai 2012 hierzu Stellung genommen und erklärt, dass die vorgelegte betriebswirtschaftliche Auswertung mit den später eingereichten weiteren Nachweisen Grundlage für die streitgegenständliche Entscheidung gewesen sei. Die Rechnung für das Gründercoaching über 1.160,00 EUR datiere auf den 6. März 2012 und könne daher im streitgegenständlichen Zeitraum keine Berücksichtigung finden. Für die Rückzahlung des Darlehens würden keine Belege vorliegen. Zudem wäre der Bedarf auch bei Berücksichtigung einer Darlehensrückzahlung gedeckt, da der Kläger im streitbefangenen Zeitraum dann 4.000,00 EUR, somit monatlich 666,67 EUR, zurückgezahlt hätte und sich der zu berücksichtigende Gewinn lediglich auf ca. 2.000,00 EUR reduzieren würde. Der Darlehensvertrag enthalte darüber hinaus keine konkreten Rückzahlungsmodalitäten. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach das Einkommen vordringlich zur Sicherung des Lebensunterhaltes und nicht zur Schuldentilgung zu verwenden sei, werde ergänzend verwiesen.

Weiterer Schriftverkehr ist zunächst nicht erfolgt.

Das Sozialgericht hat mit Verfügung vom 28. April 2015 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts auf den 13. Mai 2015 bestimmt. Der Kläger ist zum Erörterungstermin ohne Entschuldigung nicht erschienen.

Das Sozialgericht hat den Kläger mit Schreiben vom 19. Mai 2015 darauf hingewiesen, dass aufgrund dieses Verhaltens fraglich sei, ob an der Fortführung des Rechtsstreites überhaupt noch ein Interesse bestehe. Er werde aufgefordert, dies umgehend (spätestens bis 8. Juni 2015) klarzustellen. Sollte der Kläger den Rechtsstreit nicht fortsetzen wollen, werde er hiermit aufgefordert, die Klage zurückzunehmen.

Eine Reaktion des Klägers ist nicht erfolgt.

Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Zustellungsurkunde am 25. Juli 2015 ein vom Kammervorsitzenden unterschriebenes Schreiben vom 24. Juli 2015 zugestellt, welches folgenden Inhalt hatte:

"in dem Rechtsstreit [ ]

wurden mit Schreiben vom 19.05.2015 wurden Sie aufgefordert, Stellung zu nehmen, ob Sie an der Klage weiter festhalten.

Das Gericht fordert Sie auf, zu den Darlehenstilgungen vorzutragen, die Sie als Betriebsausgaben geltend machen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass sich in der von Ihnen eingereichten EKS zu einem Darlehen keine Angaben finden, weder eine Berücksichtigung des Darlehens als Betriebseinnahme noch als Betriebsausgabe. In dem von Ihnen vorgelegten Darlehensvertrag befindet sich kein Datum, wann dieser geschlossen wurde. Aus dem Kontoauszug geht am 03.01.2011 ein Zahlungseingang in Höhe von 500,00 EUR als Gutschrift A ... hervor. Die Kassenabrechnung für Januar 2011 weist einen Kredit in bar in Höhe von 4.800,00 EUR auf. Das Gericht fordert Sie auf, diesbezüglich Angaben zur Berücksichtigung des Darlehens zu machen, insbesondere wann genau (wann ausgezahlt), von wem und in welcher Höhe Ihnen dieses gewährt wurde und warum Sie darüber keine Angaben in der EKS gemacht haben. Das Gericht setzt Ihnen hierfür eine Frist bis 24.08.2015 (Eingang bei Gericht).

Das Gericht kann gemäß § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der nach den Absätzen 1 und 2 des § 106a SGG gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1. ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und 2. der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und 3. der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.

Das Gericht weist ferner darauf hin, dass nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG die Klage als zurückgenommen gilt, wenn das Verfahren trotz dieser Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben wird.

Es ist beabsichtigt, durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

Sollten Sie kein Interesse mehr an dem Verfahren haben, wird erwartet, dass Sie Ihre Klage umgehend, spätestens bis 24.08.2015 zurücknehmen."

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 hat das Gericht dem Kläger mitgeteilt, dass er auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG hingewiesen worden sei und er auf die Aufforderungen des Gerichts nicht reagiert habe. Die Klage gelte als zurückgenommen. Der Rechtsstreit sei damit erledigt.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 4. September 2017 erklärt, dass er nunmehr Post vom Jobcenter erhalte habe, welches das Geld von 2011 zurückverlange. Er sei davon ausgegangen, dass der Fall schon erledigt wäre. Nunmehr habe er nach telefonischer Rücksprache erfahren, dass das Verfahren wegen fehlender Unterlagen 2015 nicht beendet worden sei. Er bitte um Wiederaufnahme des Verfahrens.

Das Sozialgericht hat daraufhin das Klageverfahren unter dem Az. S 22 AS 3582/17 fortgeführt und mit Gerichtsbescheid vom 10. Januar 2018 festgestellt, dass das Verfahren beendet sei. Die Klage gelte aufgrund der Klagerücknahmefiktion als zurückgenommen, so dass das Gericht an einer Sachentscheidung gehindert sei. Die formellen und materiellen Voraussetzungen für den Eintritt der Klagerücknahmefiktion würden vorliegen. Insbesondere sei der Kläger aufgefordert worden, entscheidungserhebliche Tatsachen zur Feststellung der Leistungshöhe vorzutragen und das Verfahren zu betreiben.

Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 7. Februar 2018 Berufung eingelegt und die Einkommensteuerbescheide für 2011 und 2012 vorgelegt. Er habe für das Jahr 2011 ein Einkommen in Höhe von 7.014,00 EUR erzielt. Das Darlehen seiner Eltern habe er erst im Jahr 2013 vollständig zurückzahlen können. Mit einer Rücknahme des Verfahrens sei er nie einverstanden gewesen. Er könne sich die Sachlage nicht erklären. Von den Terminen habe er keine Kenntnis gehabt, da aus seinem Briefkasten immer mal wieder Post entwendet worden sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Chemnitz vom 10. Januar 2018 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Chemnitz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe zutreffend festgestellt, dass aufgrund des Nichtbetreibens das Verfahren beendet sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein die Feststellung des Sozialgerichts, das Klageverfahren Az. S 14 AS 347/12 sei beendet, da die Klage durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte. Das Landessozialgericht prüft nach § 157 Satz 1 SGG den Streitfall im gleichen Umfang wie das Sozialgericht. Eine eigene Entscheidung in der Sache, dass heißt eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2011 und die endgültige Festsetzung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. März 2011 bis zum 31. Juli 2011 und Feststellung eines Erstattungsbetrages in Höhe von 1.703,40 EUR, ist dem Berufungsgericht verwehrt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Mai 2018 – L 20 SO 431/17 – Breith 2018, 878 ff. = juris Rdnr. 2, m. w. N.; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG [2017; Stand: 30. April 2018], § 102 Rdnr. 100). Denn eine Sachentscheidung wurde nicht getroffen. Verfahrensgegenständlich im Rahmen eines sogenannten Zwischenstreits ist nur, ob der Rechtsstreit beendet ist.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (1) und auch im Übrigen zulässig (2).

1. Die Berufung ist statthaft, da Leistungen von mehr als 750,00 EUR betroffen sind (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Es kann offen bleiben, ob die Beschränkungen der Berufung gemäß § 144 SGG in Verfahren, in denen sich die die Klagepartei gegen eine Klagerücknahmefiktion wendet, Anwendung finden (bejahend: Sächs. LSG, Beschluss vom 1. Dezember 2010 – L 7 AS 524/09 – juris Rdnr. 22; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Dezember 2016 – L 14 AS 745/16 – juris Rdnr. 21; verneinend: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. August 2012 – L 3 AS 133/12 – juris Rdnr. 30; LSG Sachsen-Anhalt; Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12 – juris Rdnr. 14). Denn vorliegend ist Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens Az. S 14 AS 347/12 die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 1.703,40 EUR, so dass die Berufungssumme von 750,00 EUR gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne weiteres erreicht ist.

2. Der Kläger verfügt auch über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Zwar kann es, wie das Bundessozialgericht im Urteil vom 4. April 2017 angemerkt hat, zweifelhaft sein, ob ein Rechtsmittelführer für einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag ein hinreichendes Rechtsschutzbedürfnis hat, wenn er einen Antrag stellen kann, der auf eine den Rechtsstreit abschließende Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes gerichtet ist. Denn in einem solchen Fall könnte der Rechtsstreit einfacher und prozessökonomischer zu einem Ende geführt werden. Dies gilt aber nicht, wenn im Wesentlichen ein Verfahrensmangel des vorinstanzlichen Verfahrens gerügt wird, der nur zur Folge haben kann, dass es zur Aufhebung und Zurückverweisung kommt, weil das Urteil der Vorinstanz kein geeigneter Gegenstand für das Rechtsmittelgericht für eine Überprüfung der Entscheidung über ein Anfechtungsbegehren ist (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2017 – B 4 AS 2/16 RBSGE 123, 62 ff. = SozR 4-1500 § 102 Nr. 3 = juris, jeweils Rdnr. 17).

III. Die Berufung ist auch begründet.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Januar 2018 zu Unrecht festgestellt, dass das Verfahren beendet ist. Die Klage vom 26. Januar 2012 gilt nicht durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen, so dass das Sozialgericht nicht an der Sachentscheidung gehindert war. Hierbei kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Fiktion einer Klagerücknahme vorlagen (1). Denn die Betreibensaufforderung des Sozialgerichts erfüllte jedenfalls nicht die notwendigen formellen Voraussetzungen, um eine Frist für die Klagerücknahmefiktion wirksam in Gang zu setzen (2). Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Das ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 14 AS 347/12 beim Sozialgericht geführte Verfahren ist fortzusetzen. 1. Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG, der mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) zum 1. April 2008 auch in die in der Sozialgerichtsbarkeit anzuwendende Prozessordnung eingeführt wurde, gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Eine solche fiktive Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Kläger ist in der Betreibensaufforderung auf die sich nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 3 SGG). Als sogenanntes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt der Entschluss des Richters, an einen rechtschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten eine Betreibensaufforderung zu richten, voraus, dass im Einzelfall das Verhalten des Beteiligten hinreichenden Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R = BSGE 106, 254 ff. = SozR 4-1500 § 102 Nr. 1 = juris Rdnr. 40 ff., m. w. N.).

Denn bei der fiktiven Klagerücknahme handelt es sich um eine gesetzliche Regelung für Fälle, in denen das Rechtsschutzinteresse an einem Verfahren entfallen ist (vgl. BT-Drucks 16/7716, S. 19 [zu Nummer 17]; BSG Urteil vom 4. April 2017, a. a. O., Rdnr. 20 f.). Der Gesetzgeber verfolgte mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes den Zweck, eine Vereinfachung und Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens herbeizuführen, um dadurch die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten (vgl. BT-Drucks 16/7716, S. 1 f., 12 ff.). Zum Entwurf des § 102 Abs. 2 SGG wird weiter ausgeführt (vgl. BT-Drucks 16/7716, S. 13): "Die Fiktion einer Klagerücknahme (§ 102 Abs. 2) wird für die Fälle eingeführt, in denen der Kläger ungeachtet einer Aufforderung des Gerichts nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene und ihm mögliche Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend substantiiert darlegt, warum er die geforderte Handlung nicht vornehmen kann." Jede Anwendung der Klagerücknahmefiktion setzt voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die den sicheren Schluss zulassen, dass einem Beteiligten an einer Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95DVBl 1999, 166 [167] = juris Rdnr. 19; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 102 Rdnr. 8a, m. w. N.).

Sachlich begründbare Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses können sich insbesondere aus der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten des Klägers ergeben. Insoweit ist aber zu beachten, dass die Rücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG keine Sanktion für prozessuales Fehlverhalten darstellt (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BvR 2254/11NVwZ 2013, 136 ff. = juris Rdnr. 35). Außerdem gilt (auch) für den Sozialgerichtsprozess nicht der Beibringungs-, sondern der Untersuchungsgrundsatz (Amtsermittlungsgrundsatz). Gemäß § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; es hat dabei die Beteiligten heranzuziehen. Prozessuale Mitwirkungsobliegenheiten können insofern auch erst durch eine gerichtliche Anfrage entstehen (z. B. § 92 Abs. 2 SGG, § 106 SGG oder § 106a SGG). Allerdings genügt für eine Betreibensaufforderung nur das Unterlassen solcher prozessualen Handlungen oder Äußerungen, die zum Beispiel für die Feststellung von Tatsachen bedeutsam sind, die das Gericht nach seiner Rechtsansicht für entscheidungserheblich und deren Klärung es für notwendig hält (vgl. BSG Urteil vom 4. April 2017, a. a. O., Rdnr. 29; BSG vom 1. Juli 2010 – B 13 R 74/09 R – juris Rdnr. 52). Insofern darf nicht in unzulässiger Weise die Amtsermittlungspflicht auf den Kläger überwälzt werden. Jedoch kann Gelegenheit zur Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. § 62 SGG, Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG]) gegeben werden. Die Fiktion der Klagerücknahme knüpft an den objektivierbaren Umstand der Untätigkeit an. Ein nur "unkooperatives Verhalten" kann daher die Klagerücknahmefiktion nicht auslösen. Prozessuale Folgerungen aus einer Verletzung der Mitwirkungspflicht unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12 – juris Rdnr. 30).

a) Ausgehend hiervon spricht einiges dafür, dass das Sozialgericht auf Grund des Verhaltens des Klägers hinreichenden Anlass zu der Annahme haben durfte, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen war.

Der Kläger hatte das Klageverfahren Az. S 14 AS 347/12 länger als drei Monate nicht betrieben. Er erschien ohne Entschuldigung zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 13. Mai 2015 nicht und wurde mit gerichtlichen Verfügungen vom 19. Mai 2016 darauf hingewiesen, dass aufgrund dieses Verhaltens fraglich erscheine, ob an der Fortführung des Rechtsstreits noch ein Interesse bestehe. Er wurde aufgefordert dies umgehend klarzustellen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Sodann forderte das Sozialgericht den Kläger unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG und die Dreimonatsfrist mit Betreibensaufforderung vom 24. Juli 2015 auf, zu den Darlehens-tilgungen und zur Frage, wann genau, von wem und in welcher Höhe Darlehen gewährt wurden und warum dies in der Anlage zur vorläufigen oder abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum (EKS) nicht angegeben worden sei, bis zum 24. August 2015 vorzutragen. Auch die Frist von drei Monaten verstrich sodann, ohne dass der Kläger sich in irgendeiner Weise gegenüber dem Gericht äußerte.

b) Andererseits lässt sich gegen die Annahme, dass dem Kläger nicht mehr an einer Sachentscheidung gelegen war, möglicherweise einwenden, dass er nach Klageerhebung am 26. Januar 2012 umfassend vorgetragen und Unterlagen eingereicht hatte. Hinsichtlich der Darlehen hatte er mit Schriftsatz vom 30. Mai 2012 bereits mitgeteilt, dass es keine weiteren Belege oder Quittungen hinsichtlich der Darlehen gäbe, das Geld von Bank zu Bank übermittelt worden sei und die Kontoauszüge bereits vorliegen würden. Sodann hatte nach der letzten Stellungnahme der Beklagten mit Schreiben vom 31. Mai 2012 bis zur Anberaumung des Erörterungstermins mit Verfügung vom 28. April 2015 das gerichtliche Verfahren faktisch drei Jahre geruht.

2. Zu Vorstehendem bedarf es jedoch keiner weiteren Betrachtungen, weil die Betreibensaufforderung des Sozialgerichts jedenfalls nicht die notwendigen formellen Voraussetzungen erfüllte, um eine Frist für die Klagerücknahmefiktion wirksam in Gang zu setzen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 RBSGE 106, 254 ff. – SozR 4-1500 § 102 Nr. 1 = juris Rdnr. 49, m. w. N.; BSG, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 105/16 B – SozR 4-1500 § 156 Nr. 1, juris Rdrn. 5 ff.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. April 2011 – L 9 SO 48/09 – juris Rdnr. 26) sind wegen des Ausnahmecharakters der Regelung und wegen der gravierenden Rechtsfolgen für den Rechtschutzsuchenden beim Ergehen einer Betreibensaufforderung in formeller Hinsicht strikte Anforderungen einzuhalten, die dem Beteiligten, der zum Betreiben des gerichtlichen Verfahrens angehalten werden soll, die Ernsthaftigkeit der Aufforderung deutlich vor Augen führt. Daher setzt eine Rücknahmefiktion den Ablauf einer zuvor vom Gericht wirksam gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus.

Eine formell ordnungsgemäße Betreibensaufforderung muss nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der richterlichen Aufforderung muss durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters erkennen lassen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt. Damit wird dem betreffenden Verfahrensbeteiligten deutlich gemacht, dass die Aufforderung vom zuständigen Richter, der sich mit der Streitsache befasst hat, ausgeht, und dass dem unbedingt Folge zu leisten ist, um einen Rechtsverlust zu vermeiden. Dadurch unterscheidet sich die richterliche Betreibensaufforderung schon in ihrer äußeren Form von anderen, sonstigen Mitteilungen des Gerichts in laufenden Verfahren, bei denen eine fehlende Reaktion eines Verfahrensbeteiligten folgenlos bleibt. Die Aufforderung muss zudem konkret und klar sei und ist zuzustellen. Durch die Zustellung wird die dreimonatige Frist erst in Lauf gesetzt. Nur die Einhaltung dieser Förmlichkeiten rechtfertigt den Eintritt der in § 102 Abs. 2 SGG gesetzlich vorgesehenen Rechtswirkungen, die eine Verfahrensbeendigung ohne ausdrückliche Willenserklärung der Prozesspartei zur Folge hat (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 1. Dezember 2010, a.a.O., Rdnr. 26, m. w. N.; so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2011 – L 11 KR 1429/11 – juris Rdnr. 27 f.; Bay. LSG, Urteil vom 12. Juli 2011 – L 11 AS 582/10 – juris Rdnr. 17).

In inhaltlicher Hinsicht muss die Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG dem unter Ziffer III Nr. 1 dargelegten Zweck gerecht werden. Dem Kläger muss klar und unzweifelhaft deutlich gemacht werden, welche Verfahrenshandlung er vornehmen muss, um die Fiktion der Rücknahme seiner Klage abzuwenden. Die Handlungen zum (hinreichenden) Betreiben des Verfahrens müssen – abhängig vom Stand des Verfahrens – möglichst konkret bezeichnet werden; allgemeine Aufforderungen zum Tätigwerden genügen grundsätzlich nicht (vgl. Schmidt, a. a. O., § 102 Rdnr. 8c; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2011 – L 11 KR 1429/11 – juris Rdnr. 26; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12 – juris Rdnr. 31).

b) Die vorliegende Betreibensaufforderung vom 24. Juli 2015, in welcher unterschiedliche Fristen und in wechselnder Reihenfolge ohne jede klar erkennbare und eindeutige Struktur die prozessualen Mittel des § 102 Abs. 2 SGG, des § 106a Abs. 3 SGG und des § 105 Abs. 1 SGG verknüpft werden, wird diesen Anforderung nicht gerecht.

(1) In der Betreibensaufforderung ist, ausgehend vom Datum des unterschriebenen Aufforderungsschreibens, zunächst eine Frist von einem Monat auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGG zur Abgaben von konkret bezeichneten Angaben gesetzt worden. Danach folgt der Hinweis auf die dreimonatige Frist aus § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG zur Klagerücknahmefiktion. Es schließt sich die Mitteilung an, dass beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Trotz der ausdrücklichen Regelung in § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach die Beteiligten vorher zu hören sind, ist im Aufforderungsschreiben weder zum Ausdruck gebracht, dass die Beteiligten Gelegenheit haben, sich zur beabsichtigten Verfahrensweise zu äußern, noch ist eine Frist für eine etwaige Stellungnahme gesetzt. Eine Frist von einem Monat ist dann aber wieder für die Abgabe einer etwaigen Klagerücknahmeerklärung gesetzt,

Bei diesem Nebeneinander der verschiedenen Fristen wird für einen – wie vorliegend – juristisch nicht kundigen und nicht fachkundig vertretenen Kläger nicht hinreichend klar und unzweifelhaft deutlich, was von ihm innerhalb welcher Frist erwartet wird und welche rechtlichen Folgen mit dem Ablauf der jeweiligen Frist verbunden sind. Insbesondere bleibt unklar, unter welchen Voraussetzungen das Sozialgericht das Klageverfahren fortführen oder durch Gerichtsbescheid abschließen will oder unter welchen Voraussetzungen das Sozialgericht ohne weitere eigene Handlung das Verfahren als beendet betrachtet.

(2) Unabhängig davon ist die Verfahrensweise im Aufforderungsschreiben widersprüchlich. Zum Teil schließen sich die verschiedenen aufgezeigten Alternativen auch aus.

Die Aufforderung auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGG, konkrete bezeichnete Angaben zu machen, einerseits und das Inaussichtstellen einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid andererseits schließen sich aus. Nach § 106a Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen 1. Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen und 2. Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist. Mit der Befugnis in § 106a Abs. 2 SGG wird dem Vorsitzende ein Instrument an die Hand gegeben, um seine Pflicht aus § 106 Abs. 2 SGG, bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen, erfüllen zu können. Eine Aufforderung nach § 106a Abs. 2 SGG setzt also einen bestehenden Ermittlungs- oder Aufklärungsbedarf voraus. Mitwirkungsaufforderung, die ohne einen solchen Ermittlungs- oder Aufklärungsbedarf ergehen, sind überflüssig und haben gemäß § 21 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) zur Folge, dass bei kostenpflichtigen Verfahren die dadurch entstandenen Kosten nicht erhoben werden. Wenn das Sozialgericht vorliegend von einem noch bestehenden Ermittlungs- oder Aufklärungsbedarf ausging, durfte es nicht zugleich mit der Aufforderung nach § 106a Abs. 2 SGG den Hinweis auf seine Absicht, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, verbinden. Denn nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG setzt die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid tatbestandlich unter anderem voraus, dass der Sachverhalt geklärt ist. Mithin schließen sich Ermittlungen von Amts wegen und eine – hier nicht oder jedenfalls nicht ordnungsgemäße – Anhörung zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid aus.

Ferner widersprechen sich der Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG und die gleichzeitige Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG. Nach § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach § 106a Abs. 1 und 2 SGG gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn 1. ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und 2. der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und 3. der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist. Wenn also – wie vorliegend – vom Sozialgericht konkrete Angaben für die Prüfung, ob die Klage begründet ist, gefordert werden und dies mit dem Hinweis auf die Zurückweisungsmöglichkeit nach § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG verbunden wird, impliziert dies, dass die Klage statthaft und auch im Übrigen zulässig ist. Denn die Subsumtion eines festgestellten Sachverhaltes unter eine Rechtsvorschrift erfolgt erst in der Begründetheitsprüfung. Auch die Zurückweisung von Erklärungen und Beweismittel auf der Grundlage von § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG erfolgt erst auf dieser Prüfungsstufe. Da die Zulässigkeit einer Klage immer auch ein bestehendes Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt, die Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG demgegenüber aber – wie oben dargestellt – erfordert, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass dem Kläger inzwischen das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, schließen sich zeitgleich erlassene Aufforderungen nach § 106a Abs. 3 Satz 1 SGG einerseits und § 102 Abs. 2 SGG andererseits aus.

Auch der parallele Erlass einer Betreibensaufforderung und eine Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid sind nicht stimmig. Die Absicht eines Sozialgerichtes, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, setzt ebenso wie bei einer Entscheidung durch Urteil voraus, dass die Sache entscheidungsreif ist. Hierbei ist es unerheblich, ob über die Klage in der Sache entschieden werden soll, oder ob sie als unzulässig erachtet wird, weil zum Beispiel das Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Sachurteilsvoraussetzung nicht (mehr) gegeben ist. Eine Rechtfertigung für ein weiteres Zuwarten mit der Hauptsacheentscheidung gibt es nicht. Demgegenüber bestehen im Falle einer Betreibensaufforderung Zweifel an einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis. Denn erforderlich aber auch ausreichend für eine Betreibensaufforderung ist ein Anlass zu der Annahme, dass dem Kläger an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Diese Ungewissheit soll mit der Betreibensaufforderung beseitigt werden – im Betreibensfall zu Gunsten des Klägers mit der Folge, dass das Klageverfahren fortgeführt wird, und im Fall des Nichtbetreibens mit der Folge der Verfahrensbeendigung auf Grund der gesetzlichen Klagerücknahmefiktion.

c) Das Anliegen des Sozialgerichtes, mit der Betreibensaufforderung vom 24. Juli 2015 das Klageverfahren voranzutreiben, ist nachvollziehbar. Der gewählte Weg ist allerdings nicht gangbar. Es wäre vielmehr geboten gewesen, die verschiedenen Verfahrensschritte zeitlich gestaffelt zu beschreiten. Die Betreibensaufforderung im Sinne von § 102 Abs. 2 SGG dient ausschließlich dazu, Unklarheiten in Bezug auf ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis zu beseitigen – sei es zu Gunsten des Klägers oder zu seinen Lasten. Mit einer Betreibensaufforderung können auf Grund der mit ihr verfolgten Warnfunktion nicht "auf Vorrat" andere Instrumente, die der Verfahrensförderung oder dem Verfahrensabschluss dienen und die andere Tatbestandsvoraussetzungen haben, verbunden werden.

4. Infolge der Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts ist das ursprüngliche Verfahren beim Sozialgericht fortzusetzen und in der Sache zu entscheiden. Dahinstehen kann, ob es einer gesonderten Zurückverweisungsentscheidung zwingend bedarf.

Eine Zurückverweisung erfolgt vielfach ohne nähere Begründung (so Bay. LSG, Urteil vom 8. Dezember 2009 – L 5 R 884/09 – ASR 2010, 139 f. = juris Rdnr. 18; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10 – juris Rdnr. 20; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. April 2011 – L 9 SO 48/09 – juris Rdrn. 22; LSG Berlin-Brandenburg; Urteil vom 19. Mai 2011 – L 13 SB 32/11 –, juris Rdnr. 27; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2011 – L 11 KR 1429/11 – juris Rdnr. 28; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16. Dezember 2011 – L 3 AS 74/10 – ASR 2012, 33 ff. = juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10. Juli 2012 – L 7 AS 776/11 – juris Rdnr. 28; zum Revisionsverfahren BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 RBSGE 106, 254 ff. = SozR 4-1500 § 102 Nr. 1 = juris Rdnr. 50) und wird teilweise für nicht notwendig gehalten, da das Ausgangsverfahren nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens und von Amts wegen fortzusetzen sei (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Mai 2018 – L 20 SO 431/17 – Breith 2018, 878 ff. = juris Rdnr. 42; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Mai 2017 – L 17 U 315/16 – juris Rdnr. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2017 – L 18 AS 2584/16 – juris Rdnr. 18; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12 – juris Rdnr. 36; LSG Sachsen, Urteil vom 28. Februar 2013 – L 7 AS 523/09 – juris Rdnr. 27 f.; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12 – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. August 2011 – L 9 AS 61/10 – juris Rdnr. 36; Bay. LSG, Urteil vom 12. Juli 2011 – L 11 AS 582/10 – juris Rdnr. 21).

Dies kann dahingestellt bleiben, weil eine Ermessensentscheidung auf der Grundlage des Wortlautes von § 159 Abs. 1 SGG ("kann) vorliegend im Sinne einer Zurückverweisung ausfällt. Bei der Ausübung des Ermessens ist das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Entscheidung gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen und insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zurückweisung dies Ausnahme sein soll (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz [12. Aufl., 2017], § 159 Rdnr. 5). Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif ist. So ergibt sich bereits aus dem Schreiben des Sozialgerichtes vom 24. Juli 2015, das auch die Betreibensaufforderung enthält, dass das Sozialgericht selbst weiteren Aufklärungsbedarf gesehen hat. Auch hat der Kläger inzwischen die Einkommensteuerbescheide für 2011 und 2012 vorgelegt, die möglicherweise entscheidungserheblich sein können. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie in Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) und das im Sozialgerichtsgesetz vorgesehene Modell von grundsätzlich zwei Tatsacheninstanzen hält es das Gericht für sachdienlich, dass sich das Sozialgericht nochmals in der Sache mit der Klage befasst und dem Kläger die Möglichkeit einer Berufung gegen eine Sachentscheidung des Sozialgerichtes verbleibt.

IV. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts vorbehalten (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 193 Rdnr. 2a).

V. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved