S 26 KR 2556/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KR 2556/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 581/19
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zugunsten der Klägerin die Kosten für eine Schamlippenverkleinerungs-OP übernehmen muss. Die Kosten belaufen sich nach Angaben der Klägerin auf etwa 1.500 EUR. Die im Jahr 1991 geborene Klägerin beantragte mit einem am 16.11.2015 bei der Beklagten mit Anlagen eingegangenem Schreiben die Freigabe der Kostenübernahme einer Schamlippenverkleinerung. Zur Begründung führte sie aus, als Ausgleich zu ihrem Büroalltag betreibe sie regelmäßig Sport, am liebsten Joggen, Walken und Radfahren. Dabei verspüre sie extreme Schmerzen im Genitalbereich und müsse dann wieder lange Sportpausen einlegen. Durch die Reibung beim Sport entzündeten sich die inneren Schamlippen, was unangenehm und schmerzhaft sei. Auch das Tragen von engerer Kleidung sei ihr dann nicht mehr möglich. Sie wolle betonen, dass es für sie keinen ästhetischen oder schönheitlichen Grund für eine solche Operation gebe; allerdings sähen sie und ihre Ärzte keine andere Möglichkeit, damit sie den Alltag und den dazugehörigen Sport wieder genießen und ohne Schmerzen ausführen könne. Beigefügt war ein Schreiben des Chefarztes der Frauenklinik des T1 P Dr. T2, wonach bei der körperlichen Untersuchung besonders im vorderen Anteil der kleinen Labien eine segelförmige Veränderung erkennbar sei. Im Bereich der Labienspitzen zeigten sich Hyperkeratosen. Die Schamlippen selber seien sehr dünn, Entzündungszeichen aktuell nicht zu erkennen. Er habe mit der Klägerin die Möglichkeit der Schamlippenverkleinerung respektive Angleichung besprochen, so dass hier die geschilderte Beschwerdesymptomatik mit konsekutiver Einschränkung bei einzelnen, besonders sportlichen Aktivitäten behoben werden könne. Mit Schreiben vom 20.11.2015 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung und informierte die Klägerin mit Schreiben vom selben Tage über die Einschaltung des MDK. Letzterer gelangte in seinem Gutachten vom 02.12.2015 zu der Auffassung, dass aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ein krankheitswertiger Befund nicht zu entnehmen sei. In Anbetracht der großen Variationsbreite bei der Ausprägung des weiblichen Genitales müssten subjektiv empfundene übergroße Schamlippen als Normvariante betrachtet werden. Häufig komme es durch Rasur und/oder enge Bekleidung mit Scheuern im Intimbereich zu Reizungserscheinungen. Diese könnten vermieden werden durch eine Änderung der Verhaltensweise. Eine Indikation für den gewünschten intimchirurgischen Eingriff bestehe nicht. Im Übrigen werde angefragt, ob die Versicherte bereit sei, eine Fotodokumentation vorzulegen und die Maße der Labien anzugeben. Mit Bescheid vom 09.12.2015 wurde dann - gestützt auf die Feststellungen des MDK - der Antrag abgelehnt. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte einen Umschlag ihrer Frauenärztin vor, aus der sich die gewünschten Maße der Schamlippen ergeben sollten. Fotos werde sie von ihrem Intimbereich nicht machen lassen. Sie sei im Alltag (Sport, Sexualleben etc.) eingeschränkt und leide teilweise unter sehr starken Schmerzen. Die Gynäkologin Dr. I gab an, bei der Klägerin bestehe eine beidseitige Hypertrophie der kleinen Schamlippen. Die Größe der kleinen Labien in entfaltetem, jedoch in nicht gedehntem Zustand betrage bei gleicher Größe 3,5 cm x 4,0 cm. Der Vorgang wurde nun nochmals dem MDK vorgelegt, welcher im Wesentlichen folgendes ausführte: Eine subjektiv empfundene Übergroße der Schamlippen müsse im Sinne einer Normvariante angesehen werden, bei der eine operative Verkleinerung medizinisch nicht notwendig sei bzw. sogar gefährlich sein könne. Es könne zu Komplikationen wie Wundheilungsstörung, veränderter Berührungsempfindlichkeit, Dyspareunie und Narbenbildung kommen. Die Schwankungsbreite in der Größenausbildung der kleinen Schamlippen werde im Längenbereich von 20-100 mm angegebenen, in der Breite von 7-50 mm. Die natürlichen Erscheinungsvarianten der weiblichen Genitalien entsprächen nicht einer verbindlichen Intimnorm. Das angegebene fachärztlich ermittelte Maß liege mit 3,5 x 4,0 cm eindeutig in der Schwankungsbreite der Größenausprägung der kleinen Schamlippen. Eine körperliche Untersuchung beim MDK sei nicht notwendig, da die ermittelten Werte nicht angezweifelt würden. Eine Indikation für plastische Eingriffe an der Vulva bestehe bei angeborenen oder erworbenen Fehlbildungen bzw. Veränderungen, z. B. auf dem Boden eines Missbildungssyndroms, bei schweren Verletzungen, bösartigen Veränderungen oder anderen Krankheiten der Vulva. Eine solche Ausnahmesituation liege hier nicht vor. In den letzten Jahren werde ein Trend zur Rasur der Geschlechtsbehaarung erkennbar. Hierdurch würden die Schamlippen sichtbar, welche zuvor von Haaren bedeckt gewesen seien. In diesem Zusammenhang nehme die Nachfrage nach plastischen Vulva-OP´s zu, insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen. Hierbei werde insbesondere die Größe bzw. Formabweichung der Schamlippen von einer postulierten Norm beklagt und meist mit unspezifischen Beschwerden oder mit einer psychischen Belastung begründet. Eine Kostenübernahme für die begehrte OP sei nicht zu empfehlen.

Nach weiterer Korrespondenz zwischen den Beteiligten wurde schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 5.10.2016 der Rechtsbehelf der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein über kosmetische Defizite hinausgehender regelwidriger Körper-oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedürfe. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit komme Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliege, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt sei oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Eine Entstellung liege vor, wenn eine körperliche Auffälligkeit schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen - quasi im Vorbeigehen - sichtbar werde. Nach den schlüssigen sozialmedizinischen Feststellungen des MDK liege eine solche behandlungsbedürftige Erkrankung an den Schamlippen selbst nicht vor.

Hiergegen richtet sich die von der Klägerin am 28.10.2016 erhobene Klage. Sie vertritt die Auffassung, in ihrem Fall sei die Verkleinerung der Schamlippen zwingend medizinisch erforderlich. Dies könnten nur Sachverständige beurteilen, im Falle der Klägerin bevorzugt eine Gutachterin. Fotos werde sie nicht vorliegen, weil diese zur Klärung nichts beitragen könnten. Die behandelnde Gynäkologin habe bestätigt, dass eine Verkleinerung der Labien durch operativen Eingriff nicht nur psychisch, sondern insbesondere auch medizinisch indiziert sei. Die Ärztin lege dar, dass die vergrößerten Labien bei sportlichen Aktivitäten extrem anschwellen und Schmerzen verursachen würden, ferner dass sich deutliche Entzündungsbereiche zeigten sowie Hyperkeratosen gebildet hätten. Einer dermatologischen Behandlung habe sie sich bislang nicht unterzogen.

Dem Sinn nach beantragt die Klägerin schriftlich

-die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. T2, T1 P, - hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.10.2016 zu verurteilen, die Kosten für die operative Labienverkleinerung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt schriftlich, die Klage abzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, es könne keinen Einfluss auf die Entscheidung haben, dass die Klägerin durch die Ausprägung ihrer Schamlippen psychisch beeinträchtigt sei. In seiner ständigen Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht (BSG) festgestellt, dass bei Vorliegen einer psychischen Störung ausschließlich eine Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie in Betracht komme. Die Leistungspflicht der Krankenkasse umfasse dann nur diese Maßnahme, nicht jedoch die Kostenübernahme für einen operativen Eingriff in einen regelgerechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Eine Beeinträchtigung der Körperfunktion der Labien durch einen regelwidrigen Körperzustand sei weiterhin nicht zu erkennen. Die hauptsächliche Begründung der Ärzte liege weiterhin in der Beeinträchtigung der Klägerin beim Sport und dem Tragen enger Kleidung.

Das Gericht hat zunächst Befundberichte von der behandelnden Gynäkologin Dr. I und dem Chefarzt Dr. T2 vom T1 P eingeholt, welcher die Klägerin nach eigenen Angaben nur einmal am 15.10.2015 untersucht hat.

Die behandelnde Gynäkologin teilte am 12.09.2017 mit, die Klägerin sei seit Juli 2014 Ihre Patientin, die regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen komme. Im August 2015 habe sie ihren Wunsch auf eine Schamlippenverkleinerung geäußert, weil sie Probleme beim Sport und im alltäglichen Leben habe. Sie - die Ärztin - sei nach sorgfältiger Begutachtung darauf eingegangen, um die Lebensqualität der Patientin positiv zu verbessern. Im Weiteren referierte die Gynäkologin den Befundbericht des Dr. T2. Bezüglich der Messung der beiden Labia minora mit 3,5 cm x 4,0 cm teilte die Ärztin mit, das ermittelte Maß liege eindeutig in der Schwankungsbreite der Größenausprägung der kleinen Schamlippen laut MDK. Dennoch sei eine OP-Indikation aus den oben beschriebenen Gründen aus ihrer Sicht gegeben. Die Maßnahme sei ihrerseits aus medizinischer und psychischer Indikation eindeutig zu begründen. Da sie mit der Patientin im ständigen Kontakt sei, habe sie volles Verständnis für ihre geschilderten Beschwerden und den Wunsch zur Schamlippenverkleinerung. Ihrerseits sei ein chirurgischer Eingriff unumgänglich, weil es keine anderen Therapiemöglichkeiten gebe. Um die Psyche der Patientin nicht weiter zu belasten, werde gebeten, auf den Wunsch der Patientin einzugehen. Zu dem anliegend beigefügten Gutachten des MDK bestünden aus ihrer Sicht Zweifel, da auf die Beschwerdesymptomatik der Klägerin in keinster Weise eingegangen werde. Das Gericht hat in der Folgezeit bei der behandelnden Gynäkologin nachgefragt, ob sie selbst bei der Klägerin extrem geschwollene Schamlippen mit kleinen Entzündungszeichen beobachtet habe sowie wann und wie oft. Ferner wurde angefragt, wie sie die Klägerin deswegen behandelt habe, falls ja, wie oft und mit welchen Mitteln; was sei aus ihrer fachärztlichen Sicht die gesicherte Ursache für das extreme Anschwellen der Schamlippen und die Entzündungszeichen bei der von der Ärztin bestätigten Größe im Normbereich. Ferner wurde angefragt, ob sie wegen der Hyperkera- tosen eine dermatologische Mitbehandlung angeregt habe. Die Ärztin antwortete zunächst, im Bereich der Schamlippen handele es sich bei der Patientin ihrer Meinung nach um einen behandlungsbedürftigen regelwidrigen Körperzustand. Welcher Art die Beeinträchtigung sei, sollte dem Gericht längstens bekannt sein. Die Behandlungsmethoden hätten im Wesentlichen in Wundversorgung und/oder psychologischer Begleitung bestanden. Die Patientin benötige eine Verkleinerungsoperation, da es ansonsten keinerlei medizinische Maßnahmen gebe, um eine Schrumpfung zu bewirken. Nach Erinnerung durch das Gericht teilte die Gynäkologin schließlich am 08.06.2018 mit, sie selbst habe bei der Klägerin geschwollene Schamlippen mit Entzündungszeichen, verursacht durch Scheuereffekte, häufiger gesehen. Aufgrund der immer wiederkehrenden Beschwerden sei mit ihr ausführlich über diverse Möglichkeiten der Behandlung gesprochen worden. Diesbezüglich sei die Klägerin dann selbstständig in der Lage gewesen, sich zu behandeln. Die beschriebene Labienvergrößerung sei eine anatomische Laune der Natur. Aufgrund der überproportional großen Labia minora, die weit über die Labia majora hinausragten, komme es bei der Patientin immer wieder auch im täglichen Leben zu Hautabschürfungen, Reizzuständen und Schmerzen. Des Weiteren komme es auf die gesamte anatomische Architektur der Vulva und Vagina an. Wegen der Hyperkeratosen habe die Klägerin keinen Dermatologen aufgesucht. Dr. T2 berichtete unter dem Datum des 20.12.2017, bei der Klägerin habe sich am 15.10.2015 im Bereich der Schamlippen eine deutliche Vergrößerung gezeigt. Zum damaligen Zeitpunkt hätten im Bereich der Spitzen beider Schamlippen eindrucksvolle Verhornungszeichen vorgelegen. Aufgrund der Vergrößerung der Schamlippen seien diese Bereiche einer verstärkten Belastung im alltäglichen Leben ausgesetzt, besonders bei sportlichen Aktivitäten wie Radfahren und Jogging, bei denen ein verstärkter Druck auf das äußere Genitale, auch herrührend aufgrund der Kleidung, ausgeübt werde. Diese Schamlippenvergrößerung entspreche nicht der sogenannten normalen Entwicklung der Schamlippen, wobei es hierzu auch keine Normtabelle bzw. normierte Maße gebe. Dies werde im Allgemeinen an dem klinischen Bild und den Beschwerden orientiert. Es hätten sich deutliche Veränderungen an dem Randbereich der Schamlippen mit Entzündungszeichen gezeigt. Über die Verkleinerung der Schamlippen könne der im täglichen Leben, und dies noch nicht mal mit sportlichen Belastungen eingeschlossene, ausgeübte Belastungs- und Reibungsdruck deutlich vermindert werden. Über eine entsprechende Kleidung sei dies nicht zu erreichen. Die Gutachter des MDK hätten die vorhandenen Veränderungen im Bereich der Schamlippen nicht berücksichtigt und seien nicht auf die Beschwerden der Klägerin eingegangen.

Schließlich hat das Gericht von Amts wegen ein Gutachten gemäß § 106 SGG von der Fachärztin für Chirurgie, plastische Chirurgie, Sozialmedizin, medizinische Begutachtung Dr. E eingeholt, welche die Klägerin am 09.07.2018 eingehend untersucht hat. Dort gab die Klägerin ihre aktuellen Beschwerden wie folgt an: Sie habe Beschwerden beim Sport, insbesondere beim Radfahren und Joggen komme es zu Schmerzen im Bereich der Schamlippen und auch zu einem Anschwellen derselben; sie mache dreimal in der Woche Sport, habe das jetzt aber etwas zurückgestellt wegen der Beschwerden. Enge Hosen könne sie nicht tragen, dann würden die Schamlippen scheuern. Sie habe auch Probleme in der Partnerschaft, beim Geschlechtsverkehr störe die Größe der Labien zum Teil und es seien Aktivitäten nicht so möglich, wie gewünscht. Schmerzen habe sie eigentlich ständig, mal mehr, mal weniger. Bezüglich des zu operierenden Körperbereichs teilte die Sachverständige mit, es hätten sich vergrößerte Labia minora gezeigt, welche die Labia majora etwas überragt hätten. Die Labia minora seien nicht geschwollen, sondern eher schlaff und dünn; höherwertige entzündliche Veränderungen hätten sich nicht gefunden, keine Rötungen, keine Hautauf- brüche oder Ähnliches, allenfalls winzige Hyperkeratosen im Bereich der Labienspitze. Im Übrigen hätten sich keinerlei Hinweise für eine höherwertige psychische Beeinträchtigung oder gar depressive Verstimmung gezeigt. Es sei hier von einem Befund entsprechend der phänotypischen Variabilität auszugehen; eine medizinische Notwendigkeit zur Genitalkorrektur sei nicht zu erkennen. Auch die gynäkologischerseits mitgeteilte Schamlippengröße entspreche der Variationsbreite. Die durchschnittliche Länge der inneren Schamlippen (von vorne nach hinten) variiere zwischen 20-100 mm und die Breite der inneren Schamlippen (vom Ansatz bis zum freien Ende) zwischen 7-50 mm. Die Spannbreite des Erscheinungsbildes des weiblichen Genitals sei sehr breit und die individuellen Unterschiede zahlreich. Das genitale Erscheinungsbild der Klägerin bewege sich jedoch im Rahmen dieser Variationsbreite und sei nicht als außerhalb der Norm oder gar krankhaft einzustufen. Im Hinblick auf die Größe der kleinen Schamlippen handele es sich nicht um einen regelwidrigen Körperzustand, der Behandlungsbedürftigkeit zur Folge habe oder Körperfunktionen beeinträchtigen würde. Behandlungsmaßnahmen seien nicht erforderlich. Falls es beim Fahrradfahren zu Beschwerden kommen solle, sei das Tragen weicher Ein-und Vorlagen als Polster zu empfehlen, wie diese ja auch bei entsprechenden professionellen Fahrradhosen eingenäht seien. Eine medizinische Indikation zur Durchführung einer intimchirurgischen Maßnahme könne hier nicht bestätigt werden.

Mit Schreiben vom 05.12.2018 wurde den Beteiligten dieses Gutachten übersandt und beim Klägervertreter angefragt, ob die Klage zurückgenommen werde. Da auch nach Erinnerung keine Antwort erfolgte, wurde dann mit Schreiben vom 06.02.2019 auf die Möglichkeit der fiktiven Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG hingewiesen. Mit einem unter dem Datum vom 01.02.2019 verfassten, per Fax beim Gericht am 06.02.2019 und bei der Kammer am 07.02.2019 eingegangenen Schreiben hat die Klägerseite massive Kritik am Gutachten der Dr. E geübt: Dieses sei unsachgemäß erstellt und inhaltlich haltlos. Denn die Feststellungen der behandelnden Gynäkologin seien nicht berücksichtigt worden. Diese entscheidungserheblichen, über einen längeren Behandlungszeitraum laufenden Befunde habe sie mitberücksichtigen müssen. Ferner habe sie außer Acht gelassen, dass die Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt bereits seit längerem nicht mehr Fahrrad gefahren oder gejoggt sei. Diese Aktivitäten verursachten aber insbesondere die von der behandelnden Gynäkologin festgestellten Schwellungen und Entzündungen der Labien. Diese träten auch beim Tragen einer besonders gepolsterten Radfahrerhose oder eines gepolsterten Sattels auf. Die Untersuchung selbst habe keine 5 Minuten gedauert, während die Wartezeit und das Ausfüllen der zahlreichen vorgelegten Fragebögen über 1 Stunde gedauert habe. Zu der physischen und psychischen Situation in den Fragebögen habe die Gutachterin nicht Stellung genommen. Sie habe ihre Angaben allein anhand von abstrakten Normwerten getroffen, ohne die besonderen physischen und psychischen Situationen zu berücksichtigen. Es werde deshalb beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. T2 vom T1 in P einzuholen.

Beigefügt war eine Stellungnahme der behandelnden Gynäkologin vom 06.01.2019, wonach hier eine Einzelfallentscheidung gefragt sei, da die Patientin massiv in der Ausführung und Gestaltung ihres Lebens beeinträchtigt sei. Die übergroßen Schamlippen seien kein Schönheitsmakel, sondern eine tägliche Qual. Im Fall der Klägerin sehe sie ganz eindeutig eine medizinische Notwendigkeit zur Verkleinerungsoperation der Schamlippen. Die Kritik der Klägerseite und der Behandlerin sind der Gutachterin zur ergänzenden Stellungnahme vorgelegt worden, welche mitgeteilt hat, sie sei in ihrem Sachverständigengutachten sehr ausführlich auf die Ausführungen der behandelnden Gynäkologin eingegangen; neue medizinische Erkenntnisse ergäben sich hier nicht; eine medizinische Indikation für die begehrte operative Intervention ergebe sich nicht.

Schließlich hat das Gericht den Beteiligten mit Schreiben vom 26.02.2019 mitgeteilt, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Betracht gezogen werde. Mit diesem solle auch über den Antrag nach § 109 SGG entschieden werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 105 SGG wurden erläutert. Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu vorher angehört worden.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten entsprechen in vollem Umfang der Sach- und Rechtslage und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zur Vermeidung von überflüssigen Wiederholungen wird zunächst auf die zitierte und zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheids vom 05.10.2016 verwiesen, welcher die Kammer in vollem Umfang folgt (vergleiche § 136 Abs. 3 SGG). Ein Anspruch auf Krankenbehandlung besteht nach § 27 Abs. 1 SGB V nur dann, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, welcher ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Krankheitswert im Rechtssinne kommt hingegen nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinem Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an eine Abweichung vom Regelfall leidet, welche entstellend wirkt (ständige Rechtsprechung des BSG z. B. Urteil vom 28.2.2008 -B1 KR 19/07 R-). Eine solche Krankheit im Rechtssinn konnte die sehr erfahrene, neutrale und als sorgfältig bekannte Gutachterin Dr. E bei der Klägerin im Juli 2018 nicht feststellen. Vielmehr bewegt sich die Beschaffenheit der Schamlippen der Klägerin - was im Ergebnis auch die behandelnde Gynäkologin sowie Dr. T2 bestätigt - innerhalb der großen Variationsbreite der weiblichen Genitalien. Das Gutachten der Sachverständigen entspricht der üblichen Form eines sozialgerichtlichen Gutachtens, berücksichtigt alle vorliegenden ärztlichen Meinungen, ist in sich schlüssig und überzeugend und beruht auf einer umfassenden und auch der gebotenen kritischen Würdigung der vorgetragenen Beschwerden und des Gesundheitszustands der Klägerin im Allgemeinen. Letztere hat im Übrigen schriftlich unmittelbar nach dem Termin bei der Sachverständigen bestätigt, dass sie ihre Beschwerden und Beeinträchtigungen ausreichend habe darstellen können, dass sie den Eindruck gehabt habe, gründlich befragt und untersucht und korrekt behandelt worden zu sein. Bei normal geformten Labien ist bereits wenig nachvollziehbar, dass beim Laufen, Joggen oder Walken Reibungen oder gar Schwellungen auftreten können, es sei denn, es wird extrem enge und unbequeme Kleidung getragen. Auf solche scheint die Klägerin jedoch Wert zu legen, wie ihr Antrag vom 09.11.2015 belegt: Dort gab sie an, nach sportlichen Aktivitäten extreme Schmerzen im Genitalbereich zu verspüren, so dass das Tragen von engerer Kleidung ihr dann nicht mehr möglich sei. So mag es sein, dass früher Schwellungen im Genitalbereich aufgrund zu enger, einschneidender Kleidung aufgetreten sind; allerdings hat auch Dr. T2 bei seiner Untersuchung am 15.10.2015 ausdrücklich erwähnt, dass Entzündungszeichen aktuell nicht zu erkennen seien, die Schamlippen selber seien sehr dünn (also nicht geschwollen). Erstaunlicherweise teilte er dann im Verlaufe des Gerichtsverfahrens - obwohl er die Klägerin nach eigenen Angaben nur einmal gesehen hat - unter dem Datum 20.12.2017 mit, es hätten sich deutliche Veränderungen an dem Randbereich der Schamlippen mit Entzündungszeichen gezeigt. Das Gericht geht davon aus, dass die Angaben dieses Arztes 4 Tage nach Untersuchung der Klägerin zutreffender sind als die mehr als zwei Jahre später getätigten. Letztendlich entscheidend ist jedoch, ob aktuell eine Krankheit im Bereich der Labien bei der Klägerin vorliegt bzw. nachgewiesen ist, die zwingend und ausschließlich nur durch operative Verkleinerung derselben und nicht etwa schon durch das eigene Verhalten der Klägerin beseitigt werden kann (Tragen elastischer, nicht zu enger Kleidung beim Sport; Vermeiden bestimmter Sportarten und bestimmter sexueller Wünsche). Eine solche Krankheit ist jedoch nicht nachgewiesen; die Beweislast liegt insoweit bei der Klägerin.

Im Übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass nicht jede Form der Freizeitbeschäftigung und/oder Sportausübung auf Kosten der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung ermöglicht werden muss (vgl. Urteil vom 21.03.2013- B 3 KR 3/12 R-; bestätigt durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.02.2014 - 1 BvR 1863/13 - ). Was für den Bereich der Sportprothesen bzw. anderweitigen Hilfsmittel im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gilt, ist auch Maßstab im Bereich von Operationen, wenn durch diese eine bestimmte sportliche oder sonstige Betätigung oder gar das Tragen enger Kleidung wieder ermöglicht werden soll. Zu Recht hat im Übrigen die Sachverständige darauf hingewiesen, dass zur Meidung von Beschwerden beim Fahrradfahren weiche Ein- und Vorlagen benutzt werden können; hier kommen auch die in zahlreichen Variationen angebotenen Gel-Überzüge für den Fahrradsattel oder ein Gel-Fahrradsattel in Betracht, falls längere Strecken zurückgelegt werden sollen. Soweit die Klägerin und ihre Behandler eine psychische Belastung durch die Beschaffenheit der Schamlippen geltend machen, die lediglich mit den Mitteln einer körperverändernden Operation behandelt werden können, vermag dies den begehrten operativen Eingriff ohnehin nicht zu rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R - mit weiteren Nachweisen) ist psychischen Belastungen regelmäßig nicht mit operativen Eingriffen, sondern mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen. Dies beruht vor allen Dingen auf den Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkung von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose sowie darauf, dass Eingriffe in den gesunden Körper zu mittelbaren Beeinflussung eines psychischen Leidens mit Rücksicht auf die hiermit verbundenen erheblichen Risiken besonderer Rechtfertigung bedürfen (vergleiche auch Urteile des LSG NRW vom 17.09.2013 – L 1 KR 625/11- und vom 24.01.2013 - L 16 KR 226/11, Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05; Urteil des Sächsischen LSG vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 etc.).

Der erst am 06.02.2019 eingegangene Antrag der Klägerin nach § 109 SGG, Herrn Dr. T2 als Sachverständigen zu beauftragen, ist als verspätet zurückzuweisen. Das Gutachten der Frau Dr. E ist beiden Beteiligten mit Schreiben vom 05.12.2018 zugesandt worden, wobei gleichzeitig bei der Klägerin angefragt wurde, ob sie die Klage zurücknimmt. Wenn der Beteiligte erkennen muss, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchführt, muss er innerhalb angemessener Frist den Antrag nach § 109 SGG stellen. In der Regel ist, wenn das Gericht keine Frist setzt, eine solche von 1 Monat ausreichend (vgl. BSG Breithaupt 59,770). Diese Frist war hier bereits seit Anfang Januar 2019 überschritten. Aus Sicht der erkennenden Kammer war der Antrag nach § 109 SGG abzulehnen, weil durch dessen Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden wäre und aus grober Nachlässigkeit der Antrag nach § 109 Abs. 2 SGG nicht früher vorgebracht worden ist.

Die Klage konnte deshalb unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Köln, An den Dominikanern 2, 50668 Köln,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Einreichung in elektronischer Form erfolgt durch die Übertragung des elektronischen Dokuments in die elektronische Poststelle. Diese ist über die Internetseite www.sg-koeln.nrw.de erreichbar. Die elektronische Form wird nur gewahrt durch eine qualifiziert signierte Datei, die den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Sozialgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO SG) vom 07.11.2012 (GV.NRW, 551) entspricht. Hierzu sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nummer 3 des Signaturgesetzes vom 16.05.2001 (BGBl. I, 876) in der jeweils geltenden Fassung zu versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur und das ihr zugrunde liegende Zertifikat müssen durch das Gericht überprüfbar sein. Auf der Internetseite www.justiz.nrw.de sind die Bearbeitungsvoraussetzungen bekanntgegeben.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

Dr. Jung Richterin am Sozialgericht
Rechtskraft
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